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Zentralen unter Druck

Argentinien: Kämpferische Basisgewerkschafter gewinnen an Einfluß. Teilsieg für Beschäftigte nach fünfwöchigem Streik bei Kraft Foods

Von Wladek Flakin, Buenos Aires *

Die argentinische Lebensmittelbranche galt lange Zeit als wenig konfliktbereit. Besonders während der 90er Jahre begegnete die zuständige Gewerkschaft STIA der Privatisierungs- und Flexibilisierungspolitik der Regierung Carlos Menem in großer Mehrheit eher durch gemeinsames Stillhalten denn durch gemeinsamem Widerstand. Dieses Bild hat sich innerhalb des vergangenen Jahres gewandelt: Seit Monaten kommt es in verschiedenen Fabriken des Landes zu Streiks - trotz eines unverändert passiven Kurses des Gewerkschaftsvorstandes. Erst Ende März blockierten 100 Arbeiter die Panamericana-Fernstraße im Norden von Buenos Aires. Sie signalisierten ihrer Gewerkschaftsführung unmißverständlich, sich in der laufenden Tarifrunde nicht mit weniger als 35 Prozent Lohnerhöhungen zufriedenzugeben. Aufgrund von Inflationsraten von über 15 Prozent im vergangenen Jahr sind viele Löhne trotz nominaler Steigerungen real gefallen.

Spontanstreiks und Grillfest

Auslöser für die 180-Grad-Wendung war ein Konflikt um Hygienebestimmungen in einer Süßwarenfabrik des US-Nahrungsmittelmultis Kraft-Terrabusi im Nordosten der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires im Juli vergangenen Jahres. In einer Betriebsversammlung hatten Teile der insgesamt 2700 Beschäftigten bessere Vorsorgemaßnahmen gegen die in Argentinien grassierende Schweinegrippe gefordert. Einige Wochen später erhielten 158 an der Aktion beteiligte Arbeiter die Kündigung. Darunter auch die Betriebsratsmitglieder, die einen besonderen Kündigungsschutz genießen und von linken Basisgruppen außerhalb der Lebensmittelgewerkschaft STIA gestellt werden. Die Arbeiter hätten, so die Begründung der Unternehmensführung, leitende Angestellte in ihrer Arbeit behindert und für mehrere Stunden in ihren Büros festgehalten. Es folgten spontane Arbeitsniederlegungen und Proteste. Um ihre Wiedereinstellung zu erreichen, besetzten sie schließlich die Fabrik.

In den vergangenen Jahren haben sich beim US-Multi wie auch bei vielen anderen Unternehmen in Argentinien vermehrte linke Betriebsgruppen gebildet, die sich dem ihrer Ansicht nach passiven Kurs der Gewerkschaft widersetzten. Besonders die konservative Presse berichtet über die Aktivitäten der »Basisgewerkschafter«. Im Juni 2009 hieß es etwa in der Tageszeitung El Cronista: »Es wächst eine gewisse Rebellion in der Arbeitswelt, die von den Gewerkschaften und ihren Führungen nicht explizit unterstützt und schon gar nicht kontrolliert wird.«

Oscar Coria, der zu den Gefeuerten bei Kraft gehört, erklärte gegenüber jW, wie die Basisgruppe »von unten« regelmäßig nach dem Ende der Nachschicht Grillfeste und Fußballspiele organisierte, um politische Gespräche mit Kollegen zu führen. Ab 2007 fanden regelmäßig Versammlungen in der Nähe des Werks mit bis zu 200 Arbeitern statt. Die Aktivisten vernetzten sich mit anderen Gewerkschaftern von der benachbarten Lebensmittelfabrik Pepsico, der U-Bahn von Buenos Aires oder der besetzten Keramikfabrik Zanon, um von deren Erfahrungen zu lernen. »Ich bin kein Genie«, sagt Oscar. »Das mit den Fußballspielen habe ich von den Leuten bei Zanon kopiert.«

USA besorgt

Für die Regierung um Cristina Fernández de Kirchner entwickelte sich der Konflikt zum ernsthaften Problem. Keine der von Arbeitsminister Carlos Tomada einberufenen Gesprächsrunden hat bisher zu einer Annäherung der Parteien geführt. Als der Streik sich immer mehr ausweitete, intervenierte die US-Botschaft in Argenti­nien, um den »Respekt des Rechtes auf Privateigentum« zu fordern.

Nach fünf Wochen, am 25. September, wurde die Fabrik schließlich geräumt: Die Polizei rückte mit Pferden, Schlagstöcken, und Tränengas an, 100 Menschen, darunter 36 Arbeiter, wurden festgenommen.

Nicht zuletzt aufgrund der großen Solidarität innerhalb und außerhalb der Fabrik endete der Konflikt am 16. Oktober zumindest mit einem Teilsieg. Der Betriebsrat unterschrieb eine Vereinbarung, 106 Gefeuerte konnten wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, 53 Kollegen mußten allerdings draußen bleiben. Viele bei Kraft-Terrabusi waren jedoch der Meinung, daß aus dem Konflikt mehr herauszuholen gewesen wäre. Die Betriebsratsmitglieder bekamen die Quittung für ihre Unterschrift am 3. November, als die Gruppe »von unten« überraschend die Betriebsratswahlen gewann und der maoistisch orientierten Revolutionären Kommunistischen Partei, die bisher das Gremium dominierte, nach 16 Jahren ablöste. Die Gewerkschaft STIA war nicht einmal angetreten. Diese gerät immer stärker unter Druck. Die Forderung nach 35 Prozent mehr Lohn in den Tarifverhandlungen wird inzwischen von mehreren Belegschaften großer Lebensmittelfabriken unterstützt.

* Aus: junge Welt, 13. April 2010


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