Ein Hohepriester der Diktatur
Dem ehemaligen Polizeikaplan von Wernich wird in Argentinien der Prozess gemacht
Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *
»Die Kirche hatte viele Kaplane gestellt. Und nicht wenige waren in den geheimen
Gefangenenlagern der Diktatur tätig.« Für die Rechtsanwältin Myriam Bregman ist Christian
Federico von Wernich kein Einzelfall. Und dennoch steht erstmals ein Geistlicher der Katholischen
Kirche in Argentinien vor Gericht.
Das erste Verfahren gegen einen Priester der Diktatur in Argentinien läuft. Am 5. Juli begann in der
Provinzhauptstadt La Plata die mündliche Verhandlung gegen Christian von Wernich. Die Anklage
wirft ihm die Beteiligung an sieben Morden, 31 Fällen von Folter und 42 gewaltsamen Entführungen
vor. »Im Prozess werden Zeugen auftreten, die als Gefangene den Priester von Wernich gebeten
hatten, ihren Familien zu sagen, wo sie sind, und von den Folterungen zu berichten«, so Myriam
Bregman, die die Opfer und Kläger bei dem Prozess vertritt. Während der Militärdiktatur (1976-1983)
wurden rund 30 000 Menschen getötet oder verschwanden.
Von Wernich wurde 1938 geboren, er ist deutscher Abstammung. 1976 hatte die Katholische Kirche
den Priester der Polizei der Provinz Buenos Aires als Kaplan bestimmt. In dieser Funktion war er
dem Chefermittler Miguel Etchecolatz, unterstellt. Etchecolatz wiederum unterstand direkt dem
Polizeichef der Provinz, Ramón Camps. Camps hatte die Verantwortung für die geheimen
Gefangenen- und Folterlager. Der Kreis zu von Wernich schließt sich. Der Priester war zugleich
Ramón Camps Beichtvater.
Von Wernich hat die Bitten der illegal Gefangenen nie erfüllt. Im Gegenteil, er nutzte seine Stellung
als Priester und veranlasste sie zu Aussagen und Beichten. Er verlangte von den Angehörigen Geld,
und ließ wissen, man würde die Gefangenen ins Ausland bringen. Er war Teil der Hierarchie der
Katholischen Kirche und zugleich Teil der Provinzpolizei. »Wenn ihn ein Gefangener fragte, wie er
als Priester an einem solchen Ort tätig sein kann, antwortete er, das sei der Wille Gottes und dass
die Militärs im Namen Gottes handeln«, erzählt die Anwältin.
Noch Jahre nach der Diktatur lebte von Wernich in Freiheit. Die Militärs hatten sich durch zwei
Amnestiegesetze Straflosigkeit zusichern lassen. Auch von Wernich profitierte davon. 1996 ging er
nach Chile, wo er bis 2003 unter dem Namen Cristian González als Priester in El Quisco tätig war.
Dann wurde er von einem argentinischen Journalisten aufgespürt. Seit September 2003 sitzt von
Wernich auf Antrag der Staatsanwaltschaft in Haft. Im selben Jahr wurden die Amnestiegesetze
annulliert. Von Wernich hat erklärt, er habe Gefangene in den Kommissariaten besucht, niemals
aber geheime Gefangenenlager und zudem sei er von der Rechtmäßigkeit der Verhaftungen
ausgegangen.
Von Seiten der Katholischen Kirche hat es keinerlei Kooperationsbereitschaft gegeben. »Sie hat
weder ihr Archiv geöffnet noch ihre Unterlagen zur Verfügung gestellt.« Der Kirchenhierarchie wirft
Bregman Komplizenschaft mit der Diktatur vor: »Argentinien ist ein Paradebeispiel. Bis zum letzten
Moment hat die Kirche die Diktatur unterstützt. Und bis heute spricht sie von Aussöhnung, von
Verzeihen, aber nicht von Gerechtigkeit.«
Ramón Camps, der Hauptverantwortliche für die geheimen Lager, konnte nie zur Rechenschaft
gezogen werden. Er war 1994 gestorben. Der frühere Chefermittler Miguel Etchecolatz wurde im
September 2006 wegen Mordes, Freiheitsberaubung und Folterung politischer Gefangener zu
lebenslanger Haft verurteilt. Erstmals hatte ein argentinisches Gericht in der Urteilsbegründung von
Völkermord gesprochen. Es handele sich um »Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zuge des
Völkermords, der zwischen 1976 und 1983 in Argentinien stattfand«, so die Richter am
Provinzgerichtshof in La Plata, wo auch von Wernich der Prozess gemacht wird.
Die Verurteilung von Miguel Etchecolatz zog bereits ein weiteres Verbrechen nach sich. Einen Tag
vor der Urteilsbegründung verschwand einer der Hauptbelastungszeugen gegen den früheren
Polizisten. Seit dem 18. September 2006 ist Julio López spurlos verschwunden. Die Angst, die mit
dem Verschwinden geschürt werden soll, wird die Zeugen gegen von Wernich aber nicht von ihren
Aussagen abhalten. Noch hat keiner der 170 erwarteten Zeugen seine Aussagebereitschaft
zurückgezogen. Sie fordern Gerechtigkeit. Das Urteil wir für Mitte September erwartet.
* Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2007
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