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Halbherzige Ehrung

Ohne Selbstkritik: Jüdische Gemeinde erinnerte in Buenos Aires an Lothar Hermann

Von Gaby Weber *

Eigentlich hatte sich Liliana Hermann von diesem 13. August vieles versprochen. In Buenos Aires wollte die DAIA – die jüdische Gemeinde – endlich ihren Großonkel Lothar Hermann mit allen Zeremonien ehren. Schließlich hatte er 1957 dem Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft Fritz Bauer den Wohnort von Adolf Eichmann, der unbehelligt in seiner Nachbarschaft lebte, mitgeteilt. Das war drei Jahre vor der Verhaftung des Kriegsverbrechers. Liliana hatte gehofft, daß die DAIA– unter dem Motto: besser spät als nie – jetzt dem Antifaschisten alle Ehren erweisen würde.

Lothar Hermann ist 1901 im hessichen Quirnbach geboren. 1935 ging er der Gestapo ins Netz und landete wegen »Spionageverdachts« und Devisenschmuggel im KZ Dachau. Er und drei Geschwister konnten fliehen, der Rest der Familie wurde in Auschwitz und Buchenwald ermordet.

Liliana hat jahrelang hartnäckig das Drama ihres Großonkels rekonstruiert. Sie ist dabei auf eine »Aneinanderreihung von Demütigungen und Verfolgungen« gestoßen. Das vorerst letzte Glied in dieser Kette ist das in den deutschen Medien vielgelobte Dokudrama des Norddeutschen Rundfunks »Eichmanns Ende«, eine Koproduktion mit dem israelischen Fernsehen. In den Augen der Großnichte wird darin eine antifaschistische Familie »mit Schmutz beworfen« und verunglimpft. Sie hat beim NDR um eine Erklärung gebeten, doch im Hamburger Funkhaus verweigert man die Aussage und verschweigt die Quellen.

Auch bei der DAIA war der Name Lothar Hermann noch bis vor kurzem ein rotes Tuch. Schon 1957 war die von Fritz Bauer informierte israelische Regierung alles andere als dankbar für Hermanns Hinweis auf Eichmann gewesen, schließlich wollte Ministerpräsident David Ben Gurion von Adenauer Geld und Know-How für sein Atomprogramm. Eine Jagd auf Nazi-Mörder wäre geschäftsschädigend gewesen.

Doch Hermann ließ nicht locker und empfing am 26. Dezember 1959 den Leiter der politischen Abteilung der DAIA, Gregorio Schurman, »in der Sache Adolf Eichmann«. Sechs Monate später wurde Eichmann in Israel präsentiert. Hermann hielt das für das Ergebnis seiner Ermittlungen und forderte die ausgelobte Belohnung von 10000 Dollar. Und er kannte die wahren Umstände der Eichmann-Operation – nicht die vom Mossad frei erfundenen. In Briefen drohte er vor der Eröffnung des Prozesses in Jerusalem der israelischen Regierung, die Wahrheit zu veröffentlichen. »Trotzdem ich selbst Jude bin und mich im KZ Dachau befunden habe, werde ich nicht davor zurückschrecken, die gesamte Operation in allen ihren Einzelheiten der Öffentlichkeit preiszugeben, und sämtliche Beteiligten bei der Justiz anzuzeigen. Ich werde mir keinerlei Gewissensbisse machen, wenn der im März in Israel beginnende Prozeß noch vor Beginn eine plötzliche, nicht für die Juden günstige Wendung nehmen sollte, die mit der Anklage aller Beteiligten wegen schwerer Verbrechen enden würde. Die Regierung von Israel als Hauptbeteiligte an dieser, der Welt absichtlich falsch aufgetischten Aktion (…) trägt allein die Schuld daran, wenn (…) jetzt ein öffentlicher Welt-Skandal in Szene gehen sollte.« Die Briefe Hermanns sind von der Homepage des israelischen Nationalarchivs herunterzuladen.

Am 21. März 1961, sechs Wochen nach seinem Schreiben an den israelischen Justizminister Pinchas Rosen, wurde Hermann in Coronel Suárez verhaftet. Laut den Akten des polizeilichen Geheimdiensts waren »zwei westdeutsche Geheimdienstler« sowie »Agenten des Staates Israel« in Südargentinien auf der Suche nach Josef Mengele. Nachbarn, darunter Adolfo Kleiner (führendes Mitglied der jüdischen Gemeinde in Coronel Suárez), erinnern sich an die Anwesenheit von Gregorio Schurman vom Dachverband der DAIA. Dabei waren auch Reporter des britischen Daily Express. Nachdem ihnen Hermann Informationen verweigert hatte, steckten sie der Polizei, daß Hermann der gesuchte KZ-Arzt Josef Mengeles sei. Er wurde verhaftet und zwei Wochen mißhandelt. Erst nachdem seine Fingerabdrücke mit Mengeles verglichen und auch die deutsche Botschaft in Buenos Aires die wahre Identität des jüdischen Emigranten bekräftigt hatte, wurde er entlassen.

Doch er war eingeschüchtert und hielt danach den Mund, redete nicht mehr über die »wahren Hintergründe« der Eichmann-Aktion. Ben Gurion konnte seinen Schauprozeß in Jerusalem ungehindert in Szene setzen. Erst 1972 erhielt Hermann von der Regierung Golda Meirs die 10000 Dollar Belohnung, ohne Kommentar. Zwei Jahre später starb er, inzwischen vollständig erblindet.

Liliana hatte sich erhofft, daß die heutigen DAIA-Vertreter am 13. August wenn nicht eine Entschuldigung so doch eine Erklärung für die Verfolgung ihres Großonkels abgeben würden. Denn die Frage steht im Raum: Warum hatte die jüdische Gemeinde einen deutschen Antifaschisten bedroht, verhaften und mißhandeln lassen? Vor über 50 Jahren? Operierte die DAIA als verlängerter Arm des Mossad und ging sie für die israelische Staatsraison gegen frühere KZ-Insassen vor? Liliana will wissen, was und warum es passiert ist.

Doch das war nicht geplant. Weder DAIA-Präsident Aldo Donzis noch die Simon-Wiesenthal-Stiftung waren erschienen. Der israelische Botschafter gratulierte Liliana vollmundig für ihre Arbeit und überreichte ihr eine Urkunde. Doch weder er noch die DAIA fanden Worte des Bedauerns oder Erklärungen für das Geschehene.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 15. August 2012

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