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Ausverkauf in Patagonien

Zehn Prozent des argentinischen Territoriums befinden sich in ausländischem Besitz. Regierung will mit neuem Gesetz Landverkauf begrenzen

Von Johannes Schulten *

Einst hießen sie Rosas, Dorrego oder Braun y Mendeñez. Die Herren über die unendlichen Weiten Patagoniens besaßen riesige Farmen und Wiesen, entstammten meist reichen Einwandererfamilien und widmeten sich nichts anderem als der Zucht und dem Export ihrer Rinder. Die neuen Herren Patagoniens heißen Benetton, Lay oder Turner. Sie führen italienische Modeketten, US-Getränkemultis und gründeten internationale Medienkonglomerate. Die Rosas und Dorregos gibt es noch immer, doch verglichen mit ihren Höfen haben die Anwesen der neuen Oligarchen das Ausmaß von Königreichen.

Unmengen argentinischen Landes sind in den vergangenen 20 Jahren an Privatpersonen und Unternehmen aus dem Ausland verkauft worden. Offizielle Statistiken gibt es nicht. Der Verband kleiner- und mittelständischer Agrarproduzenten (FAA) geht von 25 Millionen Hektar Boden aus. Das entspricht knapp zehn Prozent des gesamten nationalen Territoriums oder etwa 70 Prozent der Fläche Deutschlands. Allein dem italienischen Modezar Luciano Benetton, inzwischen der größte Grundbesitzer Argentiniens, gehört Weideland mit einem Umfang von 900000 Hektar.

Seen und Wälder verhökert

Die Frage der Landverteilung ist auf die politische Tagesordnung Argentiniens zurückgekehrt. Monatelang hat die Regierung um Cristina Fernández de Kirchner an einem neuen »Bodengesetz« gearbeitet. Am Dienstag wurde es erstmals im Parlament diskutiert. Nicht mehr als 1000 Hektar darf eine Privatperson oder ein Unternehmen aus dem Ausland demnach künftig in einer Provinz besitzen. Zudem soll der ausländische Landbesitz auf 20 Prozent des gesamten Territoriums begrenzt werden.

»Wir müssen uns von der Idee verabschieden, daß die Erde eine Investition ist. Sie ist eine natürliche Ressource, essentiell für die Entwicklung des Landes«, sagte Landwirtschaftsminister Julián Domínguez bei der Vorstellung des Projektes im Abgeordnetenhaus. Fernández de Kirchner hatte zuvor zur Eile bei der Umsetzung gemahnt – nicht zuletzt, weil die Nachfrage nach immer neuen Anbauflächen für Soja und andere Futtermittel aufgrund der konstant hohen Weltmarktpreise eher noch gestiegen ist.

Ihren Ursprung hatte die Ausverkaufswelle im Rohstoffboom der 90er Jahre und in der liberalisierten Vergabepolitik der Regierung Carlos S. Menem (1989 bis 1999). Alteingesessene Großgrundbesitzer erhielten von Sojaunternehmen Rekordsummen für ihr Land. Und viele kleine Produzenten konnten ihre Höfe nicht mehr halten und verkauften ebenfalls. »Kommt alle nach Argentinien, hier gibt es Land für jeden«, hieß das Motto der Regierung Menem, das nicht nur Produzenten anlockte. Auch vermögende Privatpersonen fanden Geschmack an der endlosen, nahezu unberührten Landschaft Patagoniens. Den klammen Provinzen wurde durch eine Verfassungsreform von 1994 erlaubt, frei über ihr Territorium zu verfügen. Und so verhökerten sie sowohl riesige Seen, geschützte Wälder als auch Teile von Gebirgsketten an naturbegeisterte Geschäftsleute aus den USA und Europa – oft inklusive der dort lebenden indigenen Gemeinden. Das ging so weit, daß in den vergangenen Jahren erste Debatten über den Verlust der nationalen Souveränität aufkamen.

Tatsächlich gehören dem CNN-Gründer Ted Turner nicht nur knapp 60000 Hektar Land, sondern auch die Zugänge zu einem der größten Süßwasservorräte des Landes. Nach Argentinien kommt er eigenem Bekunden nach ein paar mal pro Jahr, um mit seinen Freunden fischen zu gehen. Und Ward Lay, Eigentümer der US-Chipsmarke Lay’s sowie Vorstandsmitglied von Pepsi-Cola, kaufte mehr als 70000 Hektar Boden in Patago­nien, da ihn die Berge und Flüsse dort an das Texas der 50er Jahre erinnern.

Megafarmen für Schafzucht

Benetton läßt auf seinen Megafarmen 260000 Schafe bis zu 1300000 Kilo Wolle pro Jahr für den europäischen Markt produzieren. Besonders die italienischen Modemacher kamen in der Vergangenheit immer mit Landkonflikten mit indigenen Gemeinden in die Schlagzeilen. Die berufen sich auf Landtitel, die bereits vor der Gründung des argentinischen Staates zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestanden hätten. Vor der Justiz hatten sie damit bisher wenig Erfolg. Die den Agrar­eliten nahestehenden Richter entschieden fast immer auf Umsiedlung. Noch im März dieses Jahres gab ein Richter in der südlichen Provinz Chubut dem Konzern recht. Eine komplette Mapuchegemeinde wurde von ihren 500 Hektar großen Terrain entfernt. Sie hatten dort seit Generationen gesiedelt. Von dem neuen Gesetz erhoffen sich die Indigenenverbände daher viel.

Anderen geht es nicht weit genug. Jorge Cardelli, Abgeordneter des Linksbündnisses Proyecto Sur (Projekt des Südens), kritisierte in der vergangenen Woche, daß das generelle Problem der hohen Landkonzentration von der Regierung ausgeblendet werde. Nach Angaben des Nationalen Instituts für Agrartechnologie befindet sich die Hälfte des kultivierbaren Landes in der Hand von knapp zwei Prozent der Grundbesitzer. Kleinen und mittelständischen Produzenten gehören dagegen lediglich drei Prozent der Böden.

Die Regierung will diese Kritik nicht gelten lassen. Für den mit der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs befaßten Juristen Eduardo Barcesat ist die Gesetzesinitiative erst der Anfang. Ziel der Regierung sei es, eine öffentliche Debatte über die Frage der Landverteilung anzuregen, bevor man an einem neuen Gesetz arbeitet.

* Aus: junge Welt, 20. Juni 2011


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