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Afrikas Öl-Eldorado wählt

Sechs Jahre nach Ende des Bürgerkriegs sind in Angola erstmals wieder Wahlen. [Siehe zum Wahlergebnis: "Weg aus der Lethargie"] Die Wirtschaft boomt, seit April ist das Land Afrikas Ölproduzent Nummer Eins. Die Hauptstadt Luanda gilt als weltweit teuerste Stadt für Manager im Auslandseinsatz. Die sozialen Unterschiede sind enorm.
François Misser aus Luanda *


Für Rui Falcão steht außer Zweifel, dass "objektiv Bedingungen für eine Wiederaufnahme des Krieges nicht gegeben sind". Der Mann in den Vierzigern ist Informations- und Propagandaleiter der MPLA, der Partei von Präsident José Eduardo Dos Santos. Seine Feststellung bedeutet viel in einem Land, das noch traumatisiert ist von den Präsidentschaftswahlen 1992. Damals nahm der frühere Führer der Oppositionspartei UNITA, Jonas Savimbi, die Kampfhandlungen wieder auf, nachdem er in der ersten Wahlrunde geschlagen worden war. Im Februar 2002 starb Savimbi in einem Hinterhalt der Regierungstruppen, im April desselben Jahres kapitulierte die UNITA. "Armee und Polizei haben die Situation völlig unter Kontrolle. Der erste, der zur Waffe greift, ist am nächsten Tag tot", warnt Falcão. Tatsächlich zogen Militär und Polizei unter Mithilfe der Kirchen seit April eifrig Waffen von ZivilistInnen ein. Auch Alcides Sakala, Vorsitzender der UNITA-Parlamentsfraktion im Nationalrat, ist überzeugt, dass die Parlamentswahlen am 5. September friedlich verlaufen werden.

Es steht viel auf dem Spiel bei diesen ersten Wahlen seit 16 Jahren, nicht nur für die Menschen Angolas. Im April stieg Angola vor Nigeria zu Afrikas Ölproduzent Nummer Eins auf. Die MPLA behauptet, sie werde gewinnen, und baut dabei auf die Unterstützung ihrer 2,8 Mio. AktivistInnen - beinahe jeder fünfte Einwohner des Landes. Spannend bleibt nur, ob die MPLA die absolute Mehrheit erhält oder nicht. Die Voraussetzungen haben sich geändert. Anders als 1992, als die MPLA in den UNITA-kontrollierten Gebieten keinen Wahlkampf führen konnte, rekrutiert die Partei des Präsidenten nun zahlreiche AnhängerInnen aus den früheren UNITA-Hochburgen wie der Provinz Huambo. Außerdem ist der Vertrieb von Oppositions- oder unabhängigen Zeitungen außerhalb der Hauptstadt spärlich, und unabhängige Radiosendungen beschränken sich weitgehend auf die Gegend Luandas.

Bis Ende Juli kam es bei politischen Kundgebungen zu keinen größeren Zwischenfällen. Hie und da beschwerten sich Oppositionsparteien darüber, dass ihre AktivistInnen in den Provinzen bedroht wurden. Die Anspannung wuchs jedoch, als die Regierung am 8. Juli beschloss, den UNITA-Radiosender Despertar sechs Monate lang zu sperren. Ihre Behauptung: Der Sender habe gegen die Verfassung verstoßen, die aber nur unabhängige Radiosender auf einen Umkreis von 40 Kilometern rund um Luanda beschränkt. Am 11. Juli beschwerte sich die UNITA auch über einen "Vandalen"-Angriff auf ihre neue Parteizentrale in Luanda, den sie MPLA-AktivistInnen zur Last legt.

In Luanda drehen sich die Hauptsorgen um das tägliche Überleben in einer Stadt, die für AusländerInnen die teuerste der Welt ist, und die Verkehrsstaus - beides unerwünschte Folgen des Ölbooms. Jede Woche werden 2.000 Fahrzeuge am Hafen von Luanda ausgeladen. Jeden Tag sieht man davor an die 30 Frachtschiffe, die darauf warten, anzulegen. Manchmal dauert es mehrere Wochen, bis sie ihre Fracht loswerden können. Währenddessen sind portugiesische, chinesische und brasilianische Baufirmen am Ausbauen von Luandas Hafenstraße, der Marginal, sowie der Straße zwischen Luanda und Caxito und anderer Verkehrswege. Doch mit dem ins Land strömenden Automassen kann der Bau von Infrastruktur nicht Schritt halten.

Für BesucherInnen ist es beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, ein Hotelzimmer zu finden, obwohl erst 2007 fünf neue Hotels gebaut wurden. Viele sind voll belegt mit ausländischen Ingenieuren, Kaufleuten oder FacharbeiterInnen, die darauf warten, dass ihre Wohnung oder ihr Haus fertig gestellt wird. Egal, ob man ein Zimmer im bescheidensten "musseque" - den hiesigen Favelas - mieten will oder ein Haus in einer Wohnanlage in der Nobelgegend Luanda Sul, überall wird eine Jahresmiete im Voraus verlangt. Und trotzdem: "Häuser werden nicht für die gebaut, die sie brauchen, sondern für die, die schon eins haben", beklagt Padre Antonio Estevão, Journalist bei Rádio Ecclesia. Die hohen Preise sind auch eine Folge der Wirtschaftsstruktur. Angola muss die meisten seiner Nahrungsmittel importieren, obwohl sich mit der Entminung die Lage bessert. In den letzten beiden Jahren wächst das Angebot an Mangos, Cassava und Süßkartoffeln auf Luandas Märkten, was zum Teil auch der Wiederinstandsetzung von Straßen zu verdanken ist. Auf den Hauptbundesstraßen zwischen Luanda und den Provinzhauptstädten wurde der Verkehr wieder aufgenommen.

Trotz aller Missstände sind viele zuversichtlich, was die Zukunft betrifft. Die Statistiken sind beeindruckend. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs 2007 um 25 Prozent, zurückzuführen auf gestiegene Ölpreise bei einer gleichzeitigen Ertragserhöhung um 18 Prozent. ÖkonomInnen der Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Afrikanischen Entwicklungsbank prognostizierten im April für die nächsten Jahre ein Nachlassen des Wachstums. Doch die Regierung und die Weltbank sind anderer Meinung. Einige Fakten scheinen für sie zu sprechen. Selbst wenn der Ölertrag bis 2012 stagniert, wird die halbstaatliche Diamantgesellschaft Endiama - so hat sie es angekündigt -, die Diamantproduktion bis 2010 verdoppeln. Ab 2012 wird Angola auch Erdgas produzieren, nach einer Investition von vier Milliarden US-Dollar durch die nationale Ölgesellschaft Sonangol und ihre Partner Eni, Chevron, Total und BP. Ein Dutzend Minengesellschaften, darunter die australische BHP Billiton, erwägen, bis zu drei Milliarden Dollar in den Abbau der Eisenerzlager Cassingas im Süden der Provinz Huíla zu investieren. Und noch vor Ende dieses Jahres soll der Bau einer Multi-Milliarden-Dollar Ölraffinerie in Lobito ausgeschrieben werden. Darüber hinaus plant Angola, das mit 18.000 Megawatt riesige Wasserkraftpotenzial der Flüsse Cuanza, Catumbela und Queve zu erschließen.

Bemerkenswert ist, dass auch der Nicht-Ölsektor 2007 um beeindruckende 22 Prozent gewachsen ist. Er wird vom Bauboom angeschoben - Brücken, Häfen, Schienenwege, Flughäfen, Schulen und Krankenhäuser. Das soll auch so weitergehen, wenn Präsident Dos Santos sein jüngstes Versprechen erfüllt, vor 2013 eine Million Häuser bauen zu lassen. Theoretisch kann sich Angola das leisten. Mitte Juni beliefen sich seine Reserven an harter Währung auf 15 Milliarden Dollar. Und neben der China Exim Bank wetteifern die wichtigsten europäischen Investmentbanken - von der Deutschen Bank zur Société Générale - mit Kreditangeboten für die Regierung.

Das Problem ist jedoch die Verteilung der Riesengewinne. Mit einem BIP pro Kopf von mehr als 3.400 Dollar 2007 gehört Angola nun zum Club der Länder mittleren Einkommens. Dennoch sind die Indikatoren der menschlichen Entwicklung äußerst niedrig. Die Lebenserwartung bei Geburt liegt unter 42 Jahren und die Säuglingssterblichkeitsrate beträgt 260 von 1.000, um nur zwei davon zu nennen. Das Ungleichgewicht ist auch regional. 2006 standen einem BIP pro Kopf von 3.476 Dollar in Luanda 201 Dollar in der Provinz Bié gegenüber. In Luanda selbst herrscht ein drastischer Kontrast zwischen dem Belas Shopping Center in Luanda Sul - wahrscheinlich das modernste des Kontinents - und dem Roque Santeiro-Markt am anderen Ende der Stadt, der von müllübersäten Hügeln umgeben ist. Auch der Mangel an FacharbeiterInnen ist ein Grund, warum viele AngolanerInnen nicht vom Boom profitieren. Bulldozer werden zum Beispiel eher von Chinesen oder Portugiesen gefahren.

Es überrascht nicht, dass die Opposition aus diesen Missverhältnissen und Frustrationen Kapital schlagen will. Die MPLA weist die Angriffe der UNITA aber als unfair zurück. Schließlich seien die früheren Guerilla-KämpferInnen während des Krieges, wann immer ein Spital, eine Schule oder eine Brücke gebaut worden war, sofort gekommen und hätten sie in die Luft gejagt.

Gleichzeitig versucht die Zivilgesellschaft, ihre Rechte einzufordern. "Die Leute öffnen die Augen. Niemand wird zulassen, dass Angola die nächsten 30 Jahre so weitermacht", bemerkt ein UN-Mitarbeiter. Unter anderen setzen sich Menschen mit Behinderung für eine Verbesserung ihrer Lebensumstände ein. Sie machen an die zehn Prozent der Bevölkerung aus, darunter Gehörlose, Opfer von Kinderlähmung sowie 100.000 bis 150.000 Minenopfer. Um rechtlichen Schutz und den garantierten Zugang zu Jobs, Schulen und Berufsausbildung bemüht sich Ivo Ferreira de Jesus, Vorsitzender des 8.000 Mitglieder starken Verbands zur Unterstützung und Reintegration von Behinderten. Es gibt Fortschritte, räumt der frühere MPLA-Kämpfer ein, der 1975 verwundet wurde. Doch nach wie vor hat das Thema keine Priorität bei der Regierung, bedauert Ferreira.

Dem Wirtschaftswissenschaftler Alves da Rocha zufolge hat Angola bisher die Gelegenheit nicht ergriffen, das Wachstum zugunsten verbesserter Lebensbedingungen der Bevölkerung zu nutzen. Das wird die größte Herausforderung für die Regierung.

* Der französische Journalist François Misser beschäftigt sich seit zwei Jahrzehnten mit Afrika und den Beziehungen EU-Afrika. Er ist Mitarbeiter der Berliner taz, von BBC-Afrique und anderen Medien sowie Autor mehrerer Bücher.


Dieser Beitrag erschien in: Südwind-Magazin, Heft 9 (September) 2008

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