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Protest zum Jahrestag des "berberischen Frühlings"

In Algerien wurde Präsident Bouteflika wiedergewählt, ein großer Vertrauensbeweis für seine Politik war das dennoch wohl nicht

Von Astrid Schäfers, Tunis *

Ex-Premier Ali Benflis, Hauptrivale des wiedergewählten algerischen Staatschefs Bouteflika, hat am Samstag die Gründung einer neuen, der Jugend zugewandten Partei angekündigt.

Auch nach den Präsidentschaftswahlen bleibt die Lage in Algerien angespannt. Am Samstagabend kamen bei einem Schusswechsel zwischen einem Militärkonvoi, der nahe Tizi Ouzou, der Hauptstadt der Berberregion Kabylei, von Terroristen überfallen wurde, elf Soldaten und zwei Terroristen um. »Die Frage, die sich stellt, ist, warum mussten diese Militärangehörigen umkommen? Diese jungen Leute, die meist aus armen Familien stammen, sterben aufgrund von Konflikten, die vom Regime geschürt werden, um seine Existenz zu legitimieren« schreibt hierzu ein Leser der Zeitung »El Watan«.

Auch reißen die Proteste in der Kabylei nicht ab, in der vergangene Woche Tausende Menschen unter dem Motto »Boykottiert die Maskerade vom 17. April« für einen Boykott der Präsidentschaftswahlen demonstrierten. Am Sonntagmorgen verhinderten mehrere hundert Polizisten in Tizi Ouzou einen Marsch zum 34. Jahrestag des »berberischen Frühlings«, zu dem »Mouvement Culturel Berbère« aufgerufen hatte, eine der Oppositionspartei Vereinigung für Kultur und Demokratie nahestehende Bewegung. Obwohl der Marsch vom Innenministerium nicht genehmigt worden war, gingen Hunderte Menschen auf die Straße. Sie forderten die offizielle Anerkennung ihrer berberischen Identität und der Berbersprache Tamazight. Die Sicherheitskräfte drängten die Menschen auseinander, indem sie massiv Tränengas und Schlagstöcke einsetzten. Die Beobachtungsstelle für Menschenrechte von Tizi Ouzou kritisierte, das repressive Vorgehen gegen die friedlichen Demonstranten verstoße gegen die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit, die in der algerischen Verfassung festgeschrieben seien sowie gegen von Algerien ratifizierte Menschenrechtskonventionen.

Für viele Kabylen steht der 20. April symbolisch für die Forderungen der Berberbewegung. Am 20. April 1980, der »berberischer Frühling« genannt wird, wehrten sie sich bei Massenkundgebungen zum ersten Mal gegen die Unterdrückung ihrer Identität. Anlass, war die Ermordung des zwanzigjährigen Gymnasiasten Massinissa Guermah auf einer Polizeiwache zwei Tage zuvor. Dieser war bei Demonstrationen für die Anerkennung der berberischen Sprache festgenommen worden.

In den kabylischen Städten Bejaia und Bouira demonstrierten am Sonntag ebenfalls Hunderte Menschen. In Bouira waren es vor allem Studenten der Universität »Akli Mouhand Oulhadj«. Auch Aktivisten der Widerstandsbewegung von 1980 nahmen daran teil, darunter Brahimi Ali, ein ehemaliger Abgeordneter, der jahrelang im Gefängnis saß und der Sänger Amirouche. »Gegen die Straflosigkeit für die Massaker von 2001« stand auf ihren Plakaten. Sie beziehen sich damit auf die gewaltsame Niederschlagung von Protesten in jenem Jahr in der Kabylei.

Der Widerstand und die geringe Wahlbeteiligung von 37 Prozent an den Präsidentschaftswahlen, bei denen Präsident Abdelaziz Bouteflika erneut wiedergewählt wurde, zeugen von der Unzufriedenheit des Großteils der algerischen Bevölkerung. Sie ist »überwiegend arm und wird massiv unterdrückt. Das Parlament und sogar die Gewerkschaft fungieren nur als Kulissen des Regimes« erklärte der im US-Exil lebende algerische Journalist Djamaladine Benchenouf gegenüber dem Fernsehsender Almaghribia.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 22. April 2014


Genehmer Sieger

Abdelaziz Bouteflika bleibt trotz Betrugsvorwürfen Präsident Algeriens – und »zuverlässiger Partner« des Westens

Von Sofian Philip Naceur **


Algeriens Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika ist bei den Präsidentschaftswahlen vom vergangenen Donnerstag nach offiziellen Zahlen mit 81,53 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Der Chef der regierenden Nationalen Heilsfront (FLN) tritt damit sein viertes Mandat im höchsten Staatsamt an. Bouteflika steht seit 1999 an der Spitze des erdöl- und erdgasreichen Landes und wurde im Wahlkampf heftig für seine Kandidatur angegriffen. Kritiker warfen dem gesundheitlich schwer angeschlagenen Präsidenten vor, er sei schlicht nicht in der Lage, das Amt auszuüben.

Bouteflikas schärfster Rivale, der ehemalige FLN-Generalsekretär und Expremierminister Ali Benflis, landete mit rund zwölf Prozent abgeschlagen auf dem zweiten Platz. Die weiteren vier Kandidaten erreichten Werte zwischen 3,3 und 0,5 Prozent. Rund 23 Millionen Menschen waren wahlberechtigt, die Beteiligung sank im Vergleich zur Präsidentschaftswahl 2009 jedoch deutlich von 74 auf 51,7 Prozent. Und selbst diese Zahl, die Innenminister Tayeb Belaiz am Freitag nachmittag bekanntgab, dürfte noch heftig geschönt worden sein. Wahlresultate gelten in Algerien als massiv gefälscht, die offizielle Wahlbeteiligung als künstlich erhöht, um den Abstimmungen Legitimität zu verleihen.

Die Opposition erhebt Manipulationsvorwürfe. Benflis sprach von »großangelegtem Wahlbetrug« und will die offiziellen Ergebnisse nicht anerkennen. Von den angetretenen Kandidaten akzeptierte nur Louisa Hanoune, Chefin der trotzkistischen Arbeiterpartei, das Resultat. Die Abstimmung sei »ein großer Sieg für das algerische Volk«, und im Gegensatz zu 2009, als sie noch lautstark gegen den Ausgang der Wahl opponierte, nannte Hanoune die offiziellen Zahlen »legitim und unantastbar«. Dabei hatte es schon im Vorfeld des Urnengangs Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kandidatur Bouteflikas gegeben. Wie die Zeitung Al-Watan berichtete, habe Bouteflika seinen Einfluß auf den Staatsapparat und die Staatsmedien zu Wahlkampfzwecken mißbraucht.

Mehrere Kundgebungen der Opposition in Algier wurden von Sicherheitskräften aufgelöst, während es in der Kabylei, einer östlich der Hauptstadt gelegenen, mehrheitlich von Berbern der Kabylen-Minderheit bewohnten Region, schon während des Wahlkampfes immer wieder regierungskritische Proteste gab. In der Stadt Tizi Ouzou protestierten dort kurz vor der Abstimmung rund 4000 Menschen gegen Bouteflikas Kandidatur und riefen zum Wahlboykott auf. Am Wahltag lieferten sich rund um die Stadt Bouira Demonstranten und Sicherheitskräfte stundenlange Straßenschlachten. Rund 70 Personen wurden verletzt und Dutzende verhaftet. Proteste und Kundgebungen sind seit 1991 nur mit expliziter Genehmigung der Behörden erlaubt, Demonstrationen in Algier seit 2011 per Dekret grundsätzlich verboten.

Während Wahlbeobachter der Afrikanischen Union und der Arabischen Liga bescheinigten, die Präsidentschaftswahl sei im Rahmen internationaler Standards abgelaufen, hatte die EU darauf verzichtet, eigene Wahlbeobachter ins Land zu schicken. Statt dessen reisten in der ersten Aprilhälfte westliche Spitzenpolitiker nach Algier. Alle Besuche wurden vom Staatsfernsehen begleitet. Bouteflika wirkt bei den Auftritten keinesfalls stabil, doch die Symbolik war eindeutig: Dieser Kandidat ist gesundheitlich in der Lage, Algerien zu regieren. Neben US-Außenminister John Kerry war Spaniens Außenminister Manuel García-Margallo zu Gast in Algier. Letzterer machte keinen Hehl aus seinen Ambitionen, zukünftig mehr Gas aus Algerien importieren zu wollen. Spaniens Regierung betonte, man wolle das gute Verhältnis zu Algerien fortsetzen. Das Land sei ein »zuverlässiger Partner« und unersetzlich für die Stabilität in der strategisch wichtigen Region. An gleicher Stelle werden die Wahlen als »transparent und pluralistisch« bezeichnet.

** Aus: junge Welt, Dienstag 22. April 2014


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