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Apparat lotet aus

Algeriens Staatspräsident Bouteflika will bei Wahlen im April erneut kandidieren. Flügelkampf in regierender FLN

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Knapp zwei Monate vor der Präsidentschaftswahl hat Algeriens amtierender Staatspräsident und Chef der Regierungspartei Nationale Befreiungsfront (FLN), Abdelasis Bouteflika, offiziell angekündigt, erneut antreten zu wollen. Schon im Herbst 2013 hatte der Bouteflika-Vertraute und FLN-Generalsekretär Amar Saïdani die Kandidatur des Amtsinhabers öffentlich verkündet und damit den Machtkampf in der FLN angeheizt. Der seit 1999 an der Staatsspitze stehende Bouteflika selbst schwieg bisher konsequent. Zuletzt rissen die Spekulationen über den Gesundheitszustand des 76jährigen nicht ab. Im Frühjahr 2013 verbrachte er nach einem Schlaganfall rund drei Monate in einem französischen Militärkrankenhaus und ist seit seiner Rückkehr nach Algier kein einziges Mal öffentlich aufgetreten. Die Bekanntgabe seiner Kandidatur überließ Bouteflika seinem Premierminister Abdelmalek Sellal, der damit bei einer Pressekonferenz im westalgerischen Oran am Samstag das monatelange Warten auf ein Zeichen des Staatschefs beendete. Sellal betonte zudem, Bouteflika erfreue sich bester Gesundheit.

In der FLN brodelt es derweil munter weiter. Saïdani, dessen Wahl zum Generalsekretär im August 2013 von zahlreichen Kräften im Parteiapparat nach wir vor nicht anerkannt wird, fungiert seit Monaten als provokanter Wortführer des aus Westalgerien stammenden Bouteflika-Clans innerhalb der FLN. Die Gräben in der mächtigsten Partei des Landes hat er massiv vertieft. Während Gegner Bouteflikas weiterhin die Absetzung Saïdanis fordern, bekunden immer mehr FLN-Kader ihre Unterstützung für Ali Benflis bei der Wahl am 17. April. Benflis, in Bouteflikas erster Amtszeit kurzzeitig Premierminister und FLN-Generalsekretär, trat nach jahrelangem Schweigen im Dezember erstmals wieder öffentlich auf und erklärte im Januar offiziell seine Kandidatur. Er war bereits 2004 gegen Bouteflika angetreten, unterlag jedoch deutlich und zog sich aus der Politik zurück. Benflis, der noch immer FLN-Mitglied ist, sicherte sich nun die Rückendeckung zahlreicher Kräfte aus dem Zentralkomitee, aber auch aus anderen Parteien, und stieg so zum einzigen ernstzunehmenden Gegenkandidaten um das höchste Staatsamt auf.

Algeriens Opposition reagierte mit Erstaunen auf Bouteflikas Kandidatur. Der Vorsitzende der Partei »Neue Generation«, Sofiane Djilali, der selbst zur Wahl antritt, bezeichnete Premier Sellal als »Sprecher des Phantomkandidaten«. Der Vorsitzende der islamistischen »Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung«, Abdallah Dschaballah, vermutete, Bouteflika sei entweder ernsthaft krank, wenn er nicht mal zu einer öffentlichen Ankündigung fähig sei, oder die Abstimmung werde absolut intransparent sein. Wahlen in Algerien gelten als massiv gefälscht, die Ergebnisse als im Vorfeld hinter verschlossenen Türen ausgehandelt.

Bouteflikas Kandidatur ist auch bemerkenswert, da sich sein Vertrauter Saïdani nicht nur mit seinen Gegnern in der FLN angelegt, sondern Anfang Februar offen den Rücktritt des Chefs des Geheimdienstes DRS, Mohammed Mediéne, gefordert hatte. Der seit 1990 von Mediéne geleitete DRS ist die mächtigste Institution des Landes und ein Staat im Staate. Die FLN-Regierung gilt als ziviles Feigenblatt für die hinter den Kulissen regierenden Militärs. Die Äußerungen eines pensionierten Generals, der Bouteflika in Zusammenhang mit Saïdanis Frontalattacke gegen Mediéne »Verrat« vorwarf, ließ den Staatschef bereits vor einer Woche aus dem Schlaf erwachen und sich kryptisch zum Schlagabtausch zwischen seinem Vertrauten und den Generälen äußern.

Derweil hat mit Chaabane Boudemagh auch ein ehemaliger DRS-Offizier angekündigt, bei der Präsidentschaftswahl antreten zu wollen, und die Armee wird ebenfalls einen pensionierten General ins Rennen schicken. Im verschwiegenen Regime ist einiges in Bewegung. FLN, DRS und Generalstab loten offenbar die Machtverteilung neu aus. Weitreichende Verschiebungen sind dennoch nicht zu erwarten. Ob des tobenden Saïdanis und der riskanten Personalie Bouteflika bereitet sich das Militärregime vielmehr auf alle Eventualitäten vor.

* Aus: junge welt, Dienstag, 25. Februar 2014


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