Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ausgebrannte Häuser und Barrikaden

Algerien: Gewaltsame Zusammenstöße zwischen Berbern und Arabern

Von Sofian Philip Naceur *

Bei den Mitte vergangener Woche erneut ausgebrochenen Unruhen in der Provinz Mzab im Süden Algeriens sind mindestens 22 Menschen getötet und Dutzende verletzt worden, darunter viele schwer. Nach Angaben lokaler Zeitungen hatten bewaffnete sunnitische Araber vom Stamm der Chaâmba nahe der Stadt Ghardaïa, rund 600 Kilometer südlich von Algeriens Hauptstadt Algier, drei mehrheitlich von Mozabiten bewohnte Viertel gestürmt, einer zur Berber-Minderheit im Land gehörenden Volksgruppe. Dort eröffneten sie das Feuer. Mindestens 16 Tote sollen Mozabiten sein. Algeriens Zentralregierung schickte zusätzliche Sicherheitskräfte in die abgelegene Provinz und ermächtigte die Armee, die öffentliche Ordnung in Mzab wiederherzustellen.

Polizei und Gendarmerie, die gefürchtete Militärpolizei Algeriens, verhafteten nach Angaben der Regierung seit dem neuerlichen Gewaltausbruch zwischen beiden Volksgruppen 38 Menschen und beschlagnahmten ein Gewehr, Stichwaffen und Molotowcocktails. Die französische Nachrichtenagentur AFP berichtete von ausgebrannten Häusern und Autos sowie Barrikaden zwischen Vierteln, die mehrheitlich von Arabern bewohnt werden, und denen der Berber. Die Stimmung in der Region bleibt weiter angespannt. Die Regierung rief eine partielle Ausgangssperre für die Provinz aus.

Insbesondere Ghardaïa, die größte Stadt im zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Mzab-Tal, ist bereits seit Dezember 2013 Schauplatz von immer wieder aufflammender Gewalt zwischen Arabern und Berbern, die sich seither regelmäßig gewaltsame Zusammenstöße lieferten. Chaâmbas und Mozabiten gingen immer wieder aufeinander los und zündeten Häuser und Geschäfte an. Ausgangspunkt der Unruhen war 2013 die Schändung eines Berberschreins und die Verwüstung eines Friedhofs. Die Gruppen streiten sich seither über Landnutzungs- und Eigentumsrechte. Die der ibaditischen Konfession angehörenden Mozabiten werfen der Regierung in Algier vor, die sunnitischen Araber in Mzab zu bevorzugen und die Berber strukturell zu benachteiligen.

Der Blutzoll der vergangenen Woche stellt jedoch die bisher registrierten gewaltsamen Ausschreitungen zwischen beiden Volksgruppen in der Provinz weit in den Schatten. 2013 waren acht Menschen getötet worden. Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika rief ein Treffen hochrangiger Funktionären aus Regierung, Sicherheitsapparat und seiner Partei, der Nationalen Befreiungsfront (FLN), ein, um über weitere Maßnahmen zur Beruhigung der Lage zu beraten. Bei den Spannungen zwischen Berbern und Arabern im Süden des Landes handelt es sich um einen ethnischen Konflikt, der bereits seit Algeriens Unabhängigkeit 1962 andauert. Damals gewannen die Sunniten die Unterstützung der FLN und bezichtigten die Berber, reaktionäre Profiteure der alten Kolonialordnung Frankreichs zu sein. Vor allem die ethnisch ausgerichtete Politik des zweiten Staatspräsidenten Houari Boumediénne verhärtete die Fronten weiter. Unter seiner Regentschaft setzte das Regime auf eine aggressive, staatlich geförderte sunnitische Arabisierung des Landes, die zu einer Politisierung der Berber-Minderheit im Land führte.

Algeriens Berber kämpfen seit Boumediénnes Amtszeit vermehrt für ihre politischen und kulturellen Rechte und lieferten sich immer wieder gewaltsame Auseinandersetzungen mit dem Staat. Im Mzab-Tal fanden sowohl 1985 als auch 2008 ähnliche Unruhen statt, doch die jüngste Gewaltwelle ist mit Abstand die heftigste ethnisch motivierte Gewalteruption in der zu 90 Prozent von Berbern bewohnten Region.

* Aus: junge Welt, Montag, 13. Juli 2015


Zurück zur Algerien-Seite

Zur Algerien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage