Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Es geht schlicht und ergreifend um Öl"

Algerienexperte Werner Ruf im derStandard.at-Interview über die Hintergründe der Anschläge und US-Interessen

Werner Ruf* ist davon überzeugt, dass der Zeitpunkt der Algerien-Anschläge kein Zufall ist. "Der Hintergrund des Ganzen ist die bevorstehende Gründung des AFRICOM, des eigens für Afrika eingerichteten US-Oberkommandos, an dem die USA seit 2002 arbeiten", meint er im Gespräch mit Manuela Honsig-Erlenburg. Und es gehe dabei um das Altbekannte: "Schlicht und ergreifend um Öl".



derStandard.at: Die Al Kaida des islamischen Maghrebs – wer oder was verbirgt sich hinter dieser Organisation?

Ruf: Das ist eine verworrene Geschichte. Seit den abgebrochenen Wahlen in Algerien und dem Putsch von 1992 ist das kaum mehr wirklich nachvollziehbar. Damals gab es sicherlich die Armee des Islamischen Heils. Davor agierte die Organisation der jungen freien Algerier (OLAL), die dann plötzlich vom Erdboden verschwand. Stattdessen tauchten 1993 die bewaffneten islamischen Gruppen (GIA) auf, die primär die Armee des islamischen Heils bekämpften. Letztere handelte 1997 einen Separatfrieden aus - unter welchen Umständen weiß man bis heute nicht. Die GIA verschwand daraufhin von der Bildfläche.
Und dann kam auf einmal diese GSPC (Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat) zum Vorschein. Denen wurde dann die ominöse und undurchsichtige Geiselnahme nachgesagt, von der 2003 vor allem Deutsche und Österreicher betroffen waren. Die Al-Kaida des Maghreb hat sich erst im Jänner gegründet. Ein Anschlag war zu erwarten.

derStandard.at: Was sagen Sie zu Gerüchten, dass der algerische Geheimdienst informiert gewesen sein soll?

Ruf: Alles, was mit Terror in Algerien zu tun hat, ist so komplex und undurchsichtig, dass man davon ausgehen kann, dass die Geheimdienste die Fäden ziehen. Für mich ist der Hintergrund des Ganzen die bevorstehende Gründung des AFRICOM, des eigens für Afrika eingerichteten US-Oberkommandos, an dem die USA seit 2002 arbeiten. Hier geht es schlicht und ergreifend um Öl. Wenn man weiß, dass die USA jetzt schon 16 Prozent ihres Öls aus Afrika erhalten und bis 2015 25 Prozent von dort beziehen wollen, dann ist klar, dass es um globale Ressourcensicherung geht. Dabei entsteht natürlich auch eine Rivalität zu Europa.

derStandard.at: Ist das Ihrer Meinung nach mit ein Grund dafür, dass - trotz wiederholter Bitten von algerischen NGOs - noch kein UN-Sondertribunal zur Aufarbeitung der Geschehnisse des Bürgerkrieges existiert.

Ruf: Natürlich. Das so genannte Amnestiegesetz für Mitglieder terroristischer Organisationen ist ein großes Betrugsmanöver. Es handelte sich dabei zumindest zum Teil um die Rückführung von Agenten ins zivile Leben, die zuvor in die GIA eingeschleust worden waren. Und dafür gibt es handfeste Gründe. In Algerien bleibt alles in den Händen der Dienste. Und diesen Anschlag in diesem Augenblick kann ich nur damit erklären, dass man rechtfertigen will, warum man jetzt gemeinsam mit den USA eine Riesentruppe im Sahelgebiet aufbaut. Auch bezweifle ich, dass aktuelle Anschläge in Marokko und Tunesien Zufall sind. In Tunesien schnauft ja keine Fliege, ohne dass der Geheimdienst das weiß. Dass sich unter diesen Umständen Zellen bilden können, die bewaffnete Aktionen durchführen können, kann ich mir einfach nicht vorstellen.

derStandard.at: Spielt der Faktor "Bürgerkrieg" gar keine Rolle?

Ruf: Mit ein Grund für das Erstarken des Terrorismus ist natürlich die tiefe Armut, die fehlende Perspektive, die Arbeitslosigkeit von fast 70 Prozent der Jugendlichen in Algerien. In solchen Organisationen kann man endlich mal Mann sein und die bekämpfen, die einen ins Elend gestürzt haben.

derStandard.at: Erwarten Sie eine Reaktion der Internationalen Gemeinschaft?

Ruf: Nein. Die Internationale Gemeinschaft wird höchstens sagen: "Schrecklich. Wir müssen den Terrorismus bekämpfen". Und mit diesem Argument kann man zu Hause weiter Rechtsstaatlichkeit abbauen. Wenn man aber Terrorismus bekämpfen möchte, dann müsste man anders vorgehen. Die EU müsste das tun, was sie immer von sich behauptet zu tun: nämlich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den Ländern einzufordern. Aber das würde die Systemstabilität der Diktaturen gefährden und mit den Diktaturen weiß man wenigstens, was man hat. (derStandard.at, 12.4.2007)

* Dr. Werner Ruf, emerit. Prof. für Internationale Politik an der Universität Kassel, Friedens- und Konfliktforscher; Algerien ist eines seiner Spezialgebiete; Mitglied der AG Friedensforschung an der Uni Kassel

Quelle: Der Standard (online-Ausgabe), 12. April 2007;
Internet: http://derstandard.at



Zurück zur Algerien-Seite

Zur Terrorismus-Seite

Zur Seite "Erdöl, Energie, Ressourcen"

Zurück zur Homepage