Merkel lässt ThyssenKrupp hoffen
Algerien-Reise der Kanzlerin diente vor allem Wirtschaftsinteressen
Von Ulrich Scharlack, Algier *
Algerien ist dank seiner reichen Öl- und Gasreserven ein potenzielles Wirtschaftsboomland. Kein
Wunder, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel auf ihrem am Donnerstag – es war ihr 54. Geburtstag
– zu Ende gegangenen Zweitagetrip nach Algier von einer Schar hochkarätiger deutscher
Wirtschaftslenker begleitet wurde.
Und die Herren vom Rüstungskonzern Rheinmetall bis hin zum Energieriesen RWE hofften auf dem
Heimflug, dass sie mit der Reise dem einen oder anderen guten Geschäft mit dem nordafrikanischen
Land mit seinen 69 Milliarden Euro Devisenreserven ein gutes Stück näher gekommen sind.
Praktisch auf jeder größeren Auslandstour in den vergangenen drei Jahren hat die Kanzlerin wie ihre
Vorgänger Wirtschaftsleute mit an Bord gehabt.
Neu war in Algier aber, wie offensiv sich Merkel für die Anbahnung von Geschäften einsetzte und als
Fürsprecherin des deutschen Außenhandels auftrat. Sie machte deutlicher noch als bei früheren
Gelegenheiten keinen Hehl daraus, dass sie sich als »Türöffnerin« verstehe. Mit Blick auf die
deutsch-algerischen Wirtschaftsbeziehungen fielen Sätze wie »Wir können und wollen uns steigern.
Oder: Es sollten »Nägel mit Köpfen« gemacht werden. Die deutsche Wirtschaft wolle die »Herzen,
Köpfe und Genehmigungen« in Algerien erreichen, hieß es auch.
Nun ist Merkel immer wieder auf Veranstaltungen von Außenhandelskammern wie im April im
brasilianischen São Paulo oder im vorigen Jahr im südafrikanischen Johannesburg aufgetreten.
Auch dort hatte sie für Geschäfte mit deutschen Firmen geworben. Anders als bei mancher Reise
ihres Vorgängers Gerhard Schröder war die Wirtschaft aber immer nur ein Aspekt unter mehreren
bei den Auslandstrips der Kanzlerin. In Algier stand die Ökonomie stark im Mittelpunkt, auch wenn
sich Merkel am Schlusstag neben ihren offiziellen politischen Gesprächen auch nach der Lage der
Frauen in Algerien erkundigte.
Vielleicht hatte Merkel in ihren Gesprächen gespürt, dass in Algerien, einem Land mit enormen
Aufholbedarf, tatsächlich ein überproportionales Interesse an einem stärkeren Wirtschaftsaustausch
mit Deutschland besteht. Es schien jedenfalls ganz so, als wolle sie in Algier eine günstige
Gelegenheit beim Schopfe packen. Möglich ist auch, dass die Kanzlerin im Hinterkopf die
Meldungen über die sich eintrübenden Exportaussichten wegen des hohen Eurokurses hatte – und
sie deshalb in ihrer Rolle als Akquisitorin mehr betonte.
Bis auf einen Vertrag wurde konkret zwar noch nichts Schriftliches unter Dach und Fach gebracht.
Aber der Vorstandschef von ThyssenKrupp, Ekkehard Schulz, zeigte sich zum Beispiel durchaus
hoffnungsvoll, dass mit Beteiligung des Essener Konzerns in Algerien eine der größten
Düngerfabriken der Welt entstehen und auch der Verkauf von vier Fregatten mit einem Volumen von
fünf Milliarden Euro bald konkrete Formen annehmen könnte.
Als einziges Abkommen wurde ausgerechnet ein Vertrag unterschrieben, bei dem gar nicht so sehr
das eigentliche wirtschaftliche Volumen, sondern vielleicht mehr noch die ideelle Seite im Mittelpunkt
steht. Eine Arbeitsgemeinschaft aus einem Architekten- und einem Ingenieurbüro aus Deutschland
erhielt den Planungsauftrag für den Bau der drittgrößten Moschee der Welt in Algier. »Das wäre
ungefähr so, als wenn das Erzbistum Köln ein saudisches Unternehmen mit der Renovierung des
Doms beauftragen würde«, meinte ein Mitglied von Merkels Delegation. Es geht um einen
gigantischen Bau für 40 000 Gläubige mit einem 214 Meter hohen Minarett.
Merkel fragte dezent beim algerischen Staatspräsidenten Abdelaziz Bouteflika nach, ob so eine
große Investition damit in Einklang zu bringen sei, dass in Algerien die Hälfte der Jugend keine
Arbeit habe und das, wo doch mehr als 60 Prozent der Bevölkerung in Algerien jünger als 25 Jahre
sei. Bouteflika soll geantwortet haben, dass die Ökonomie das eine sei, aber auch die Seele des
Volkes erreicht werden müsse.
dpa
* Aus: Neues Deutschland, 18. Juli 2008
Zurück zur Algerien-Seite
Zur Seite "Deutsche Außenpolitik"
Zurück zur Homepage