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Keine Versöhnung in Algerien

Serie von Selbstmordanschlägen wurde am Mittwoch fortgesetzt

Von Abida Semouri, Algier *

Seit Monaten wird Algerien wieder von einer Serie terroristischer Anschläge erschüttert. Für die Aktionen wird die ehemalige Salafistengruppe für Predigt und Kampf verantwortlich gemacht, die sich 2006 zu »Al Qaida des islamischen Maghreb« erklärt hat.

Die Serie schwerer Selbstmordanschläge in Algerien reißt nicht ab. Einen Tag nach einem Blutbad mit 44 Toten kamen am Mittwoch (20. August) bei der Explosion von zwei Autobomben elf Menschen sowie die Attentäter ums Leben. Bei den Anschlägen in Bouira, knapp 100 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Algier, wurden zudem 41 Menschen verletzt, wie der algerische Rundfunk unter Berufung auf das Innenministerium berichtete.

Seit Anfang Juni sind durch die Anschlagsserie mehr als 80 Menschen getötet und 167 verletzt worden. Als Drahtzieher der Aktionen gilt die ehemalige Salafistengruppe für Predigt und Kampf (GSPC), die sich 2006 zur »Al Qaida des islamischen Maghreb« erklärt hat.

In einem ihrer ersten Kommuniqués hatte die Terrorgruppe angekündigt, dass ihr Angriffsziel in erster Linie der Staat und dessen Repräsentanten sein würden. Die Bevölkerung solle sich von Kasernen und Polizeiwachen fernhalten. Wohlwissend, dass sich dies angesichts der Lage dieser Einrichtungen praktisch kaum umsetzen lässt, nehmen die Attentäter jedoch immer wieder den Tod Unschuldiger in Kauf und ermorden auch gezielt Zivilisten.

Schauplatz der meisten Anschläge ist die östlich Algiers gelegene Bergregion der Kabylei. In den schwer zugänglichen Wäldern und Schluchten haben die bewaffneten Gruppen ihre Verstecke und können sich fast ungehindert bewegen. Von der dort lebenden berberischen Bevölkerung werden sie nicht unterstützt, obwohl diese selbst einen unerbittlichen, aber friedlichen Kampf gegen die Machthaber um die Anerkennung ihrer kulturellen Identität führt. Das ist auch der Grund, weshalb die Sicherheitskräfte jahrelang die Terroristen in der Region nur halbherzig bekämpft haben. Schutzgelderpressungen und Entführungen kabylischer Händler und Geschäftsleute durch die Terroristen sind an der Tagesordnung. Polizeiliche Ermittlungen oder Reaktionen der Anti-Terror-Truppen gab es so gut wie keine.

Erst seitdem die bewaffneten Extremisten ihre Aktionen in der Kabylei verstärkt und auch wieder auf andere Regionen im Osten des Landes ausgedehnt haben, stellt sich bei der algerischen Führung Nervosität ein. Die Ermordung eines Franzosen und medienwirksame Bombenanschläge in kabylischen Städten haben dem internationalen Ansehen Algeriens wieder Kratzer versetzt.

Die Terrorgruppen scheinen besser organisiert und schlagkräftiger als bisher angenommen. Auch ihr Konzept, durch eine Ausdehnung der Operationen über die Kabylei hinaus die Kapazitäten der Anti-Terror-Truppen anderweitig zu binden, scheint aufzugehen. Für Innenminister Zerhouni allerdings sind die jüngsten Anschläge »ein Zeichen der Schwäche der Terroristen«. Diese befänden sich in einer Sackgasse. Kritische Beobachter sehen dies allerdings anders. »Der Staat ist mit dem Problem der bewaffneten Islamisten völlig überfordert«, schätzte der Kommentator der Zeitung »El Watan« am Mittwoch ein. Durch den Versuch, um jeden Preis einen politischen Kompromiss mit den Islamisten zu finden, habe der Anti-Terror-Kampf einen schweren Schlag erlitten, laufe ins Leere und habe nicht mehr die frühere Schlagkraft.

Dabei war in den 90er Jahren die Zahl der bewaffneten Extremisten mit etwa 50 000 weitaus größer als mit den heute amtlich geschätzten etwa 500 unter Waffen stehenden. Tatsächlich hat die von Präsident Abdelaziz Bouteflika verordnete »nationale Versöhnung« zwar einen Rückgang der Anschläge gebracht, das Problem aber nicht bei der Wurzel gepackt. Erfahrene Anti-Terror-Experten wurden aus dem Armee- und Polizeidienst entlassen und »reuige« Ex-Terroristen können straffrei und unter dem Schutz des Staates seelenruhig mit dem jahrelang aus Überfällen angehäuften Kapital ihren Geschäften nachgehen.

Sie sehen sich als moralische Sieger des Konfliktes, der im vergangenen Jahrzehnt das Land in ein blutiges Chaos mit 200 000 Toten gestürzt hatte. Für sie sei die Versöhnungspolitik ein Zeichen der Schwäche, schreibt »El Watan«. »Die algerische Bevölkerung hat nicht den Eindruck, dass der Staat seine ganze Kraft in diese Schlacht wirft.« Ein umfassender Ansatz der Terrorbekämpfung ist auch in Algerien Fehlanzeige.

* Aus: Neues Deutschland, 21. August 2008


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