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Hilfe lässt auf sich warten

Ebola-Epidemie wächst sich aus. Kollaps droht, wenn Maßnahmen nicht schnell greifen

Von Martin Ling *

Von der Ebola-Epidemie am stärksten betroffen sind nach wie vor Liberia, Sierra Leone und Guinea. Die Seuche hat nun selbst den UN-Sicherheitsrat auf den Plan gerufen.

Der Vergleich hinkt und zeigt dennoch die Dramatik: Erst einmal in seiner Geschichte befasste sich der Weltsicherheitsrat mit einer Krankheit. Im Jahr 2000 mit der globalen Geißel, der Immunschwächekrankheit Aids. Eine globale Geißel ist Ebola noch nicht, aber zumindest laut US-Präsident Barack Obama »eine potenzielle Gefahr für die globale Sicherheit«. Und zwar dann, »wenn diese Länder zusammenbrechen, wenn ihre Wirtschaft kollabiert, Menschen in Panik geraten«.

Obamas Schreckensszenario lässt sich in Ansätzen schon deutlich erkennen: Da ist der Sturm durch Anwohner einer in einem Armenviertel eingerichteten Ebola-Station in der liberianischen Hauptstadt Monrovia Ende August, bei dem 17 Patienten aus der Quarantänestation flohen. Die Wirtschaft steht vor dem Zusammenbruch, die Gesundheitssysteme sind heillos überfordert: »Manche Leute wollen sich ja selbst einliefern, weil sie Ebola-Symptome bei sich feststellen. Aber weil es keine Krankenwagen gibt, fahren sie mit Privatautos oder mit dem Sammeltaxi zum Krankenhaus – dabei infizieren sie noch mehr Menschen. Im Krankenhaus werden sie dann abgewiesen, weil die Isolierstationen fehlen und weil es keine Betten gibt! Wir haben das gerade erlebt, vor dem größten Hospital in Monrovia, da hat man Leute in ihrem Taxi eingesperrt, als klar war, dass sie infiziert sind – und das bei der Hitze! Ein Kranker hat sich dann aus dem Auto befreit und sich übergeben.« So schilderte Caroline Bowah, Projektkoordinatorin der Organisation Medica Mondiale in Monrovia, der ARD die Realität vor Ort. Seit 2006 engagiert sich die Frauenrechtsorganisation in Liberia. In einem Land, in dem 14 Jahre Bürgerkrieg (1989 bis 2003) seine Spuren hinterlassen hat – sei es bei der maroden Infrastruktur von Straßen bis Krankenhäusern oder die in beträchtlichen Teilen traumatisierte Bevölkerung – von den zwangsrekrutierten Kindersoldaten angefangen.

In Sierra Leone ist ebenfalls keine Entspannung in Sicht. Im Gegenteil: Dort verdichten sich die Anzeichen für eine Hungersnot. Eine aktuelle Studie der Welthungerhilfe hat festgestellt, dass sich die Folgen der Ebola-Epidemie in Sierra Leone bis Anfang 2015 noch dramatischer auswirken könnten als bereits die Krankheit selbst. »Ab März rechnen wir hier mit gravierendem Hunger«, warnt Jochen Moninger, seit vier Jahren Landeskoordinator in Sierra Leone.

»Die Region zählt ohnehin zu einer der ärmsten der Welt. Wir müssen uns jetzt auf Nahrungsmittellieferungen in großem Umfang vorbereiten, das Gesundheitssystem verbessern, ein Frühwarnsystem einrichten«, betont Moninger. Die Lebensmittelpreise im ländlichen Raum steigen rasant, auch weil Transporte nur noch tagsüber zu bestimmten Zeiten erlaubt sind. Um die Epidemie einzudämmen, wurden ganze Dörfer isoliert, in einigen Epizentren gehen die Nahrungsmittelvorräte zur Neige. In diesem Jahr konnten nur noch rund 40 Prozent der Felder bewirtschaftet werden.

»Die Wirtschaft ist schon jetzt zusammengebrochen: Ausländische Firmen haben das Land verlassen, lokale Märkte existieren nur noch eingeschränkt. Um die weitere Ausbreitung der Epidemie zu stoppen, dürfen Handels- und Verkehrswege nicht mehr benutzt werden«, beschreibt Moninger die Situation vor Ort.

Ähnlich katastrophal schätzt der Ökonom Prof. Joachim von Braun die Lage ein. Konkrete Auswirkungen auf die Volkswirtschaft gebe es zum Beispiel dadurch, dass jetzt eigentlich Erntezeit ist: »Mais- und Reisernte in Liberia, Sierra Leone und Guinea. Da müssten viele Tausend Menschen auf die Felder und bewegen sich von einer Region in die andere. Die Lebensmittel müssen in die Städte – das scheitert an den Straßensperren. So brechen die Märkte zusammen«, so der Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung an der Universität Bonn im Inforadio. Lob findet Braun nur für die USA und Kuba: Die WHO habe viel zu spät reagiert. Deshalb sei zu begrüßen, dass die USA und auch Kuba in großem Stil Ärzte und Hilfspersonal entsenden – »und Deutschland sollte das auch tun. (...) Alle Ressourcen müssen mobilisiert werden.«

Von großem Stil ist bei Deutschlands Hilfsengagement nichts zu sehen: Zwar hat die Bundesregierung auf den Hilferuf der liberianischen Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf unter anderem an Deutschland reagiert und am Mittwoch Unterstützung für Hilfsorganisationen sowie bei Flugtransporten in die Region angekündigt, doch bei der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, die bereits von der Bundesregierung unterstützt wird, erntete die Ansage aus Berlin Kritik: »Deutschland wird seiner Verantwortung damit in keinster Weise gerecht. Die geplante Krankenstation ohne qualifiziertes Personal wird wirkungslos bleiben und niemandem in Westafrika helfen. Wenn es eine Chance geben soll, Ebola einzudämmen, brauchen die betroffenen Länder gerade Unterstützung durch entsprechend ausgebildetes Personal. Ohne dieses ist eine Krankenstation nicht mehr als eine Attrappe«, so Geschäftsführer Florian Westphal.

Niema Movassat pflichtet ihm bei: »Es ist beschämend, was Deutschland als viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt bezüglich der Ebola-Epidemie leistet. Die vielbeschworene gewachsene internationale Verantwortung Deutschlands gilt für Schwarz-Rot immer nur, wenn es um Waffenlieferungen und Militäreinsätze geht.« Soldaten zu schicken wie die USA sieht der Entwicklungspolitiker der LINKEN gegenüber »nd« kritisch: »Nun erschallt der Ruf nach Entsendung der Bundeswehr. Dabei wäre es entscheidend, dass die Bundesregierung alles tut, um zivile HelferInnen zu mobilisieren, u.a. mit der Sicherheitsgarantie, sie im Fall der Ansteckung rauszufliegen nach Deutschland.«

Die UNO und die Weltgesundheitsorganisation haben den Ernst der Lage inzwischen erkannt. Das zeigt nicht nur die anberaumte Sitzung des Weltsicherheitsrates zum eigentlich sachfremden Thema Ebola, sondern auch der internationale Aktionsplan, den UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon und die Direktorin der Weltgesundheitsorganisation, Margaret Chan, am Donnerstag vor dem Weltsicherheitsrat vorstellten. Die UN brauchten eine Milliarde US-Dollar für den Kampf gegen die tödliche Krankheit. Erst ein Drittel ist bisher zugesagt und das Zeitfenster schließt sich. Greifen die Maßnahmen nicht schnell, werden gar die Prognosen von 20 000 bis 100 000 Infizierten wahr, dann droht eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes: Bisher ist laut WHO jeder Zweite der offiziell an Ebola Erkrankten gestorben.

* Aus: neues deutschland, Freitag 19. September 2014


Soldaten statt Ärzte

Westen versagt im Kampf gegen Ebola-Epidemie. »Ärzte ohne Grenzen« wirft Bundesregierung Untätigkeit vor. Sierra Leone verhängt Ausgangssperre. Warnung vor Hungersnot

Von Simon Loidl **


Im Kampf gegen die Ebola-Epidemie hat die Regierung von Sierra Leone eine dreitägige Ausgangssperre verhängt. Von heute, Freitag, bis Sonntag müssen alle Bürger des westafrikanischen Landes zu Hause bleiben. Gleichzeitig sollen Mitarbeiter des Gesundheitswesens von Haus zu Haus gehen, die Menschen über das Virus aufklären und Seife verteilen. Auch Kranke sollen von den Gesundheitsarbeitern ausfindig gemacht werden. Vor allem diesen Schritt kritisierte die Organisation »Ärzte ohne Grenzen«. Zum einen sei es für nicht ausreichend geschultes Personal beinahe unmöglich, Ebola-Symptome korrekt zu identifizieren. Vor allem aber würde sich an dem zentralen Problem nichts ändern, daß viel zu wenige Behandlungsmöglichkeiten existieren.

»Ärzte ohne Grenzen« kritisiert auch die Bundesregierung und wirft ihr Versagen vor. Die zuletzt versprochene Hilfe für die betroffenen Länder sei völlig unzureichend. In einem am Mittwoch veröffentlichten offenen Brief an Kanzlerin Angela Merkel bezeichnete die Organisation die Epidemie als »eine in dieser Art nie dagewesene Katastrophe«. Die Menschen sowie die »ökonomische und soziale Ordnung« einer ganzen Region seien bedroht. Die Reaktion der Staatengemeinschaft sei »kläglich«. Die aktuelle Situation in den am meisten betroffenen Ländern – neben Sierra Leone sind dies Liberia und Guinea – schildern die Autoren des Briefes mit drastischen Worten: »Leichen liegen offen in den Straßen.« Das Personal im Gesundheitsbereich »erkrankt und stirbt in erschreckender Zahl«. Die Folge der Epidemie ist der Zusammenbruch der medizinischen Versorgung in ganzen Regionen, wodurch »behandelbare Krankheiten, Schwangerschaftskomplikationen und andere Notfälle« weitere Todesopfer fordern, so »Ärzte ohne Grenzen«. Die Organisation betont zudem, daß finanzielle Hilfe nicht ausreichend ist. Dringend benötigt würde medizinisches Personal. Aus der Bundesrepublik hätten längst etwa »Kapazitäten zum Aufbau und Betrieb von Isolierstationen« kommen können.

Statt dessen soll die Bundeswehr »in den nächsten Tagen« Hilfsmittel und eine Feldklinik in die Krisenregion liefern, wie die Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag berichtete. Washington will 3000 Soldaten nach Westafrika schicken, unter diesen sollen sich Medienberichten zufolge »auch« Ärzte und Sanitäter befinden. Einen wesentlichen Teil der so dringend benötigten Mediziner wird somit Kuba stellen, das bereits in der vergangenen Woche angekündigt hat, 165 Ärzte und Pfleger in die Region zu entsenden.

Unterdessen warnte die Welthungerhilfe am Donnerstag vor den Folgen der Ebola-Epidemie in Sierra Leone. Dem Land droht einer aktuellen Studie der Organisation zufolge eine Hungersnot. Die Lebensmittelpreise im ländlichen Raum würden bereits jetzt »rasant« ansteigen, so die Welthungerhilfe. In einigen Teilen des Landes »gehen die Nahrungsmittelvorräte zur Neige. In diesem Jahr konnten nur noch rund 40 Prozent der Felder bewirtschaftet werden.«

Am Mittwoch veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die aktuellen Zahlen zur Epidemie. Demnach gab es bis zu diesem Zeitpunkt 4963 von den Gesundheitsministerien von Guinea, Sierra Leone und Liberia bestätigte Ebola-Fälle – knapp die Hälfte wurde während der vergangenen 21 Tage registriert. 2453 Menschen sind demnach bisher gestorben. Die WHO geht darüber hinaus von einer hohen Dunkelziffer aus.

** Aus: junge Welt, Freitag 19. September 2014


Kuba macht es vor

Die Karibikinsel schickt mehr Ärzte als alle anderen ***

Das Angebot von Kubas Gesundheitsminister Roberto Morales Ojeda stieß bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf auf offene Ohren: 165 Ärzte und Krankenschwestern von der Karibikinsel sollen ein halbes Jahr lang vor allem in den Ebola-Gebieten von Sierra Leone bleiben, wie das Gesundheitsministerium in Havanna mitteilte. Nach Angaben der WHO handelt es sich um das größte Kontingent an Helfern, das ein Land in den Kampf gegen Ebola in Westafrika schickt.

WHO-Direktorin Margaret Chan äußerte die Hoffnung, dass weitere Länder dem Beispiel Kubas folgen. Ärzte und medizinisches Fachpersonal würden dringend gebraucht. Mindestens 500 bis 600 Ärzte und mehr als 1000 Pfleger würden schon in den existierenden Behandlungszentren benötigt, mahnte Chan. Allein Geld und Material würden die Ausbreitung aber nicht stoppen. »In den drei am schlimmsten betroffenen Staaten Guinea, Liberia und Sierra Leone steigt die Zahl neuer Infektionen schneller als die der speziellen Behandlungszentren«, warnte die WHO-Chefin. In Liberia stünde Ebola-Kranken derzeit nicht ein einziges freies Bett zur Verfügung.

Internationale Hilfseinsätze unternimmt Kuba bereits seit 1963, als in Algerien die erste kubanische Medizinerbrigade landete. Laut den kubanischen Behörden haben bis heute insgesamt etwa 135 000 Personen Einsätze auf medizinischer Auslandmission absolviert. Allein in 32 afrikanische Staaten wurden demnach fast 77 000 Helfer geschickt, unter ihnen 2269 Ärzte. Zurzeit arbeiten in 66 Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas über 51 700 Mediziner und Hilfspersonal aus Kuba, davon über 30 000 in Venezuela und 11 453 in Brasilien. 64 Prozent der Helfer sind Frauen.

Vor der Revolution 1959 verfügte die Insel über kaum 6000 Ärzte. Zusammen mit dem Schulwesen machte Fidel Castro die umfassende medizinische Gratisversorgung zu einer Priorität der Revolution. Heute verfügt das staatliche Gesundheitswesen laut offiziellen Zahlen über fast 77 000 Ärzte, 15 000 Zahnärzte und über 88 000 im Pflegebereich Beschäftigte für eine Bevölkerung von 11,1 Millionen. In Westafrika hingegen kommen auf 100 000 Einwohner im Schnitt gerade Mal ein bis zwei Ärzte.

Im Rahmen der Operación Milagro (»Wunder«) werden Augenoperationen für Menschen aus Entwicklungsländern auf Kuba durchgeführt. Auch ukrainische Opfer des Atomunfalls in Tschernobyl werden in Kuba kostenlos behandelt. Kubaner haben laut Bewertung der WHO bisher mindestens einer Million Menschen das Leben gerettet.

Inzwischen lässt sich das devisenknappe Kuba die regulären Auslandsengagements teilweise bezahlen – von Venezuela zum Beispiel durch Öllieferungen. Die jährlichen Einnahmen werden auf rund zwei Milliarden US-Dollar geschätzt. Das entspricht in etwa dem Devisenbedarf für die Nahrungsmittelimporte. ML

*** Aus: neues deutschland, Freitag 19. September 2014


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