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Afrikas Boom geht an den Armen vorbei

Trotz hoher Wachstumsraten kommt der Kontinent in der Armutsbekämpfung nicht entscheidend voran

Von Miriam Gathigah und Jeffrey Moyo, Nairobi/Harare *

Nach einem Jahrzehnt Wachstum zeigen Afrikas Volkswirtschaften Fortschritte. Investoren entdecken Konsummärkte. Am Gros der Armen geht dieser Wandel jedoch vorbei.

Mit einer zwei Billionen US-Dollar starken Wirtschaftskraft, den jüngsten Mineral- und Ölfunden und den enormen Möglichkeiten, die der Kontinent für internationale Investoren zu bieten hat, verliert Afrika langsam aber sicher das Image des »verlorenen Kontinents«. Während die globalen Direktinvestitionen abnehmen – sie fielen 2012 um 18 Prozent – sind sie in Afrika um fünf Prozent gestiegen«, rechnet Ken Ogwang vor, Wirtschaftsexperte der Allianz der Privatwirtschaft (KEPSA), einem Zusammenschluss von mehr als 60 Unternehmen.

Seit 2012 wurden in Kenia reiche Bodenschätze entdeckt. Dazu gehört der Fund von Nobium im Wert von 62,4 Milliarden Dollar. Nobium wird für Edelstahllegierungen verwendet, etwa bei der Herstellung von Kernreaktoren, Projektilen, Rohren und Schweißdrähten. Durch das Lager im Landkreis Kwale steigt Kenia in die Riege der Länder auf, die die weltweit fünf größten Lagerstätten seltener Erden besitzen. Kenia entert einen Markt, der von China dominiert wird.

»Die jüngsten Funde in Ländern wie Niger, Sambia und Sierra Leone werden Milliarden Dollar an ausländischen Direktinvestitionen anziehen. Auch Staaten wie Mosambik, Tansania und Uganda dürfen aufgrund ihrer Erdölfunde auf Einnahmen in Milliardenhöhe hoffen«, berichtet Antony Mokaya von der Kenianischen Land-Allianz, einem Dachverband lokaler Nichtregierungsorganisationen und Aktivisten, die für eine Landreform eintreten.

Im letzten Jahr hatten Uganda und Mosambik Öl entdeckt. War man im Westen Ugandas bereits 2006 auf zwei Milliarden Barrel Öl gestoßen, trieben die Ölfunde im letzten Jahr die Ölvorräte auf 3,5 Milliarden Barrel in die Höhe. Ogwang geht davon aus, dass die afrikanischen Länder aufgrund dieser Funde die Liste der 15 schnellstwachsenden Volkswirtschaften der Welt anführen werden.

»Mehr afrikanische Länder, mit Kenia als ostafrikanischem Modellstaat, werden einer marktorientierten Wirtschaft frönen. Innerhalb dieses Systems sind Angebot und Nachfrage die treibenden Markttrends. Das Investitionsklima ist gut für alle«, meint Ogwang und verweist auf die Entwicklung der Mobiltelefonindustrie.

Und was nach Ansicht von Ogwang noch wichtiger ist: Die afrikanischen Länder stärken ihre Partnerschaften mit dem Osten. Zahlen des Afrikanischen Wirtschaftsausblicks, der umfassende Daten über afrikanische Volkswirtschaften liefert, zeigen, dass China der größte Absatzmarkt afrikanischer Exporte ist. Es importiert ein Viertel der regionalen Exporte. Der Handel mit Brasilien, Russland, Indien und China, den sogenannten BRIC-Staaten, hat einen Anteil an den afrikanischen Exporteinnahmen von 36 Prozent beziehungsweise 144 Milliarden Dollar. 2002 waren es noch neun Prozent gewesen. Hingegen erwirtschaftet der afrikanische Handel mit der gesamten EU und den USA zusammengenommen 148 Milliarden Dollar.

Doch Terry Mutsvanga, Leiter der simbabwischen Koalition gegen Korruption, befürchtet, dass ohne eine Bekämpfung der Korruption die Bevölkerung von den Ressourceneinnahmen unwesentlich profitieren wird. Laut Weltbank lebt jeder zweite Afrikaner in extremer Armut. »Ohne das Krebsgeschwür der politischen Korruption zu entfernen, das Afrika um seine Rohstoffeinnahmen prellt, wird der Kontinent auch weiterhin die höchsten Armutsraten weltweit aufweisen«, warnt Mutsvanga. IPS

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 28. Januar 2014


Wertschöpfung für und in Afrika

Martin Ling über Gerd Müllers progressiven Denkansatz **

Gerd Müller drückt aufs Tempo: »Wir werden in den nächsten Monaten ein neues entwicklungspolitisches Afrika-Konzept ausarbeiten«, sagte der neue Entwicklungsminister von der CSU der »Bild am Sonntag«. Dabei hat die schwarz-gelbe Vorgängerregierung erst 2011 ein allumfassendes Afrika-Konzept vorgelegt. Das trug die Handschrift von Müllers liberalem Vorgänger Dirk Niebel und stand für eine Akzentverschiebung weg von der Armutsbekämpfung hin zu einer stärkeren Verzahnung von Entwicklungspolitik mit deutschen Wirtschaftsinteressen.

Nimmt man Müllers Aussagen für bare Münze, so steht nun eine neue Akzentverschiebung bevor: »Wir werden grüne Ketten der Wertschöpfung aufbauen, grüne Zentren, in denen wir moderne Formen der Landbewirtschaftung vom Acker bis zum Teller demonstrieren. Die Ernteverluste können halbiert werden. Und im Unterschied zu anderen Ländern, die an Afrika interessiert sind, sagen wir: Die Wertschöpfung soll im Lande bleiben«, so Müller gegenüber »Zeit online«. Mit dem Begriff grün wird nicht selten Schindluder getrieben, aber Müllers Schlusssatz entfaltet eine große entwicklungsökonomische Relevanz: Die Wertschöpfung soll in Afrika bleiben. Wird das zum Kern eines neuen Afrika-Konzeptes und dann gar zur Realität, müsste mit den tradierten handelspolitischen Ansätzen radikal gebrochen werden, bei denen Afrika als Rohstofflieferant und Absatzmarkt für Resteverwertung wie Hähnchenschenkel und Milchpulver festgeschrieben ist.

So progressiv Müllers Wertschöpfungsansatz klingt: Die Weichen dafür müssten in der EU-Handelspolitik gestellt werden. Für die ist Müller nicht zuständig. Und der Ansatz, Entwicklungspolitik als ressortübergreifende Aufgabe zu begreifen, ist weder in Deutschland noch in der EU über den Ansatz je hinausgekommen.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 28. Januar 2014 (Kommentar)


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