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Frauen und Kriege in Afrika

Ein Handbuch von Rita Schäfer - Drei Rezensionen



Frauen und Kriege in Afrika - Ein Beitrag zur Gender-Forschung

Britta Leudolph *

Dr. Rita Schäfer untersucht afrikanische Kriegs- und Nachkriegsgesellschaften aus der Gender-Perspektive. Die einzelnen Länderstudien verdeutlichen, dass eine langfristige Sicherung des Friedens nur möglich ist, wenn die Konsequenzen der Kriege auf die Geschlechterbeziehungen berücksichtigt werden.

Gender-Forschung ist eine heterogene wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Analyse der Erzeugung, Relevanz, Geschichte und Praxis der Geschlechterdifferenz befasst. In "Frauen und Kriege in Afrika" geht es aber um weitaus mehr. Die verstörende Brutalität der kriegerischen Auseinandersetzungen in Afrika ist für außenstehende BeobachterInnen nur schwer nachzuvollziehen. Es sind oft lokale, nationale und transnationale Konfliktkonstellationen, die sich überlagern.

Rita Schäfer analysiert zunächst, welche Folgen die Beteiligung junger Frauen an antikolonialen Befreiungskriegen im südlichen Afrika langfristig hatte. In weiteren Kapiteln richtet sie den Fokus auf Bürgerkriege in West-, Zentral- und Nord-Ostafrika.

Die Autorin nimmt sich in dieser Veröffentlichung einer sehr komplexen Thematik an: "Kontextspezifisch ergründet sie die unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Rollen, mit denen Frauen und Männer an Kriegsgeschehnissen beteiligt sind, z.B. als Kobattant/innen, (Kinder)soldaten/innen, Gewaltopfer oder Flüchtlinge. Häufig müssen einzelne Personen oder Personengruppen in Kriegskontexten gleichzeitig unterschiedliche Aufgaben und Funktionen übernehmen, die nur schwer vereinbar sind und etablierte Rollenmuster ad absurdum führen." Gleichzeitig erhellt die Autorin Konflikte zwischen Männern, konkret zwischen jugendlichen Guerillakämpfern, Kriegsherren und Blauhelmsoldaten.

Insbesondere in den Bürgerkriegen in West-, Zentral-, und Ostafrika wurden und werden Vergewaltigungen als Teil der Kriegsstrategie systematisch angewandt. Sie zogen nicht nur schwere Traumatisierungen, sondern oft auch gesellschaftliche Ächtung nach sich: "Eine 2004 durchgeführte UNDP-Studie, die die Gewaltausmaße (nach über zehn Jahren Bürgerkrieg in Liberia, Anm .d. Red.) erfassen wollte [...], zog das Fazit, dass über 60 Prozent aller Frauen und Mädchen Opfer sexualisierter Gewalt waren und alle Kampfgruppen Vergewaltigungen als Kriegsstrategie eingesetzt hatten. [...] Trotz der hohen Vergewaltigungsrate wagten viele Frauen und Mädchen es nicht, über die erlittene Gewalt zu sprechen, weil Männer sie nach Kriegsende als Prostituierte anfeindeten, die die Männer provoziert hätten - Eine Einschätzung die den öffentlichen Diskurs prägte und die viele Väter bzw. Ehemänner der Betroffenen teilten. [...] So wurden Ehefrauen verstoßen und die Heiratschancen unverheirateter Mädchen sanken rapide, weil sie nicht mehr als heiratswürdig galten."

AVIVA-Tipp: "Frauen und Kriege in Afrika" unterstreicht einmal mehr die katastrophalen Folgen der Kolonialisierung Afrikas durch Europäer, die bis heute nachwirken. Rita Schäfer setzt Geschlechterhierarchien mit anderen Macht- und Unterscheidungskategorien wie der ethnischen Zugehörigkeit und Religion in Beziehung. Sie zeigt anhand der einzelnen Länderstudien die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Geschlechterverhältnissen und kolonialen und nachkolonialen, sozio-ökonomischen als auch politischen Kriegsursachen auf. Die Autorin trägt mit dieser Publikation zum Verständnis der von ihr beschriebenen afrikanischen Kriegs- und Nachkriegsgesellschaften bei und macht auf die zum Teil prekäre Situation von Frauen aber auch Männern aufmerksam. Trotz oder vielleicht auch gerade wegen der wissenschaftlich distanzierten Sprache ist die Lektüre dieses Buchs erschütternd.

Zur Autorin: Dr. Rita Schäfer ist Ethnologin. Sie führte mehrjährige Forschungen in Sierra Leone, Zimbabwe, Namibia und Südafrika durch. Sie war Gastprofessorin an der Humboldt-Universität Berlin, Lehrbeauftragte an deutschen Universitäten, Stipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethnologie, Freie Universität Berlin. Derzeit ist sie freiberufliche Wissenschaftlerin und erstellt außerdem Gutachten in der Entwicklungszusammenarbeit. Sie hat bereits mehrere Buchpublikationen über Frauenorganisationen und Gender in Afrika veröffentlicht.

Weitere Infos zum Buch unter: www.frauen-und-kriege-in-afrika.de

* Aus: AVIVA - Online-Magazin für Frauen; www.aviva-berlin.de


Zeichen der Missachtung

Rita Schäfers neues Buch über "Frauen und Kriege in Afrika" greift endlich ein lange verdrängtes Thema auf. Es hat das Zeug zum Standardwerk VON UTE SCHEUB **

Als Simbabwes Vizepräsidentin 2006 die Stadt Masvingo besuchen wollte, ließen Robert Mugabes Leute über 500 Händlerinnen, die das Stadtbild "störten", mit Gewalt vertreiben. "Als Zeichen ihrer Missachtung", schreibt Rita Schäfer, "entblößten sich viele der betroffenen Frauen vor der Polizei, um mit dieser traditionellen symbolreichen Ächtungsform deren Respektlosigkeit zu kritisieren. Denn viele Händlerinnen waren Haushaltsleiterinnen, die durch ihren Kleinhandel Aidswaisen versorgten."

Es wimmelt von solchen Geschichten in Schäfers neuem Buch, "Frauen und Kriege in Afrika". Manche zeugen von subversiver Gewitztheit der afrikanischen Frauen, viele andere von nackter Gewalt, von der Brutalität europäischer Kolonisatoren und neuer Herrscher und ihrer sexuellen Übergriffe.

Um beim Beispiel Simbabwe zu bleiben: Als "Rhodesien" unterstand es seit 1889 der britischen Krone, wobei sich die weißen Kolonisatoren die fruchtbarsten Gebiete unter den Nagel rissen. 1963 entstand unter Führung von Robert Mugabe die Zanu, deren militärischer Arm ab 1972 einen Guerillakrieg gegen die weiße Minderheitsregierung führte.

Die rhodesische Armee ließ Dörfer bombardieren und Frauen und Mädchen vergewaltigen, "um den Afrikanern den Verlust ihrer männlichen Kontrolle vor Augen zu führen". Ein Teil der Landbevölkerung wurde in "Schutzdörfer" zwangsumgesiedelt, wo Mädchen genötigt wurden, Essen oder Seife gegen Sex zu tauschen.

Viele Frauen kämpften in Guerillagruppen mit, aber den allermeisten blieben Führungspositionen verwehrt, weil sie auf solchen Posten "das männliche Selbstverständnis" bedroht hätten. Etliche Kommandanten umgaben sich nach Darstellung der Ethnologin "mit zehn oder mehr Geliebten, einigen Freundinnen und zwei oder mehreren offiziellen ,Ehefrauen' ". Frauen wurden offenbar in jeder Hinsicht als Dienstleisterinnen angesehen, und hier wiederholte sich das Muster "Seife gegen Sex". Ein später gedrehter Spielfilm ("Flame") zeigte die Vergewaltigung einer jungen Guerillera durch den Kommandanten Che und wurde deshalb 1996 wegen angeblicher Pornografie zensiert.

1980 schließlich erlangte Simbabwe die Unabhängigkeit, und Mugabe nahm den Präsidentensessel ein - wo er stur hocken blieb. Die neue Ordnung, die seine Zanu-Partei einführte, war die alte patriarchalische. Viele Exkämpferinnen wurden laut Rita Schäfer von Reintegrationsprogrammen ausgeschlossen. Sie erhielten keine Arbeit, weil ihre Chefs fürchteten, "dass diese Frauen nicht zu kontrollieren seien und andere Arbeiterinnen aufwiegeln würden". Und sie wurden von ihren Männern verlassen, weil ihre Schwiegereltern glaubten, sie "hätten durch den Kampf die Geschlechtergrenzen überschritten und sie seien keine respektablen Frauen".

Auch die Zanu-Frauenliga war hier keine Hilfe, im Gegenteil: Sie rechtfertigte das im Laufe der Jahre immer härter werdende Vorgehen von Mugabes Untergebenen gegen RegimekritikerInnen. Seit 2000, so Schäfer, "sind Frauen und Mädchen zu Zielscheiben vergewaltigender Schlägertrupps geworden".

Die Autorin stellt nicht nur Simbabwe vor, sondern auch Namibia, Südafrika, Angola, Mosambik, Liberia, Sierra Leone, Ruanda, Burundi, Uganda, Kongo, Sudan, Eritrea und Somalia. In jedem einzelnen Länderkapitel skizziert sie Geschichte und Kolonialherrschaft, bewaffnete Konflikte und Geschlechterverhältnisse. Eine ungeheure Fleißarbeit, die sich auch in einer langen Literaturliste für jedes Land niederschlägt. Auf diese Weise ist ein umfassendes Standardwerk entstanden, das die Lektüre hunderter Studien erspart.

Trotz ihrer enormen Unterschiede zeigen sich in all diesen Ländern Ähnlichkeiten: die Kontinuität von sexualisierter Gewalt durch Herrschaftseliten und in den Befreiungsbewegungen; das Ausmaß des Leidens besonders der afrikanischen Frauen und Mädchen; wie auch Männer zu Opfern werden und Frauen zu Tätern, wenn sie sich an diesen schmutzigen patriarchalischen Spielen beteiligen. Die heutige Situation Afrikas ist ohne einen Blick auf all das nicht zu verstehen, denn kein traumatisches Erlebnis zerstört Identität so tiefgehend und nachhaltig wie sexualisierte Gewalt.

Man mag beklagen, dass sich das Buch nicht zur erbaulichen Abendlektüre eignet - aber das liegt am Stoff und nicht an der Autorin, der hoch anzurechnen ist, dass sie sich so intensiv mit diesem verdrängten Thema auseinandersetzt. Man kann auch einige Ungenauigkeiten beklagen. So heißt der Al-Qaida-Chef nicht Osman bin Laden, und Halliburton ist kein Ölkonzern. Das aber mindert nicht den Wert dieses Buchs: Hier hat eine Wissenschaftlerin beispielhaft durchdekliniert, wie stark "schmutzige" Geschlechterkämpfe die Geschichte und Gegenwart eines Kontinents geprägt haben.

Rita Schäfer: "Frauen und Kriege in Afrika. Ein Beitrag zur Gender-Forschung". Verlag Brandes & Apsel, 2008, 520 Seiten, 39,90 Euro

** Aus: Die Tageszeitung, TAZ mag, 31.5.2008


"Frauen und Kriege in Afrika"

Handbuch mit Länderstudien erschienen von Rita Schäfer ***

"Frauen und Kriege in Afrika" bietet, anders als es der Titel erwarten lässt, keine pauschalisierende Analyse von Geschlechterverhältnissen in Afrika. Vielmehr zeichnet sich das Buch durch eine Reihe von Länderstudien aus, die von historischen Beispielen aus den antikolonialen Unabhängigkeitskriegen (südliches Afrika) über Bürgerkriege (West-, Zentral- und Ostafrika) bis zu zwischenstaatlichen Kriegen am Horn von Afrika reichen.

Die 15 Länderstudien werden von einer kurzen Einleitung und einem Schluss eingerahmt und sind ähnlich aufgebaut: Auf einen historischen Rückblick folgt eine Skizze des Kriegsverlaufs und der anschließenden Friedensverhandlungen. Den Gender-Dimensionen in diesen Transformationsprozessen werden ebenso kurze Abschnitte gewidmet wie dem rechtlichen und politischen Rahmen und dem Engagement von NROs. Schliesslich folgt jeweils ein kurzes Resümee. Diese Einzelstudien machen das umfangreiche Buch (500 S.) gut handhabbar und bieten dem Leser fundierte Einführungen zum jeweiligen Konfliktgebiet.

"Gender" wird hier, anders als es der Titel andeutet, als relationale Kategorie verstanden, d.h. es kommen nicht nur die oft widersprüchlichen Frauenrollen in gewalttätigen Auseinandersetzungen in den Blick, sondern sie werden in ihrem Verhältnis zu Männerrollen dargestellt, oder der Fokus liegt nur auf den letzteren. In jedem konkreten Fall werden der Rechtsstatus von Frauen oder Männern, das Erbsystem, die Bedeutung von Ethnizität, Religion oder Ressourcenkonflikten dargestellt. Frauen werden nicht nur als Opfer männlicher Machstrukturen oder von sexueller Ausbeutung gezeigt, sondern im jeweiligen Kontext auch als Agitatorinnen, Täterinnen oder "Hüterinnen der ethnischen Einheit". Wohltuend macht sich hier bemerkbar, dass die Autorin Ethnologin ist. So entstand eine Reihe von kurzen und sehr unterschiedlichen Nahaufnahmen.

Trotz der oft sperrigen wissenschaftlichen Begrifflichkeit ist so ein Handbuch entstanden, das sich positiv aus der Masse deutscher wissenschaftlicher Publikationen heraushebt. Zwar wird die Qualität an Praxisorientierung und Politikberatung, wie sie viele Studien aus dem angelsächsischen Raum aufbieten, hier noch nicht erreicht. "Frauen und Kriege in Afrika" geht aber bereits wichtige Schritte in diese Richtung, und das Handbuch hat aufgrund seiner historischen Tiefe und regionalen Breite das Zeug zum Standardwerk. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Studien eben diese anwendungsorientierte Ausrichtung aufnehmen.

Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2008
ISBN: 978-3-86099-345-3; Seite: 520 S.


*** Aus: Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, 9.6.2008;
http://www.konfliktbearbeitung.net/in.php?dokumen=1076



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