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Afrika sagt Nein

Von Ignacio Ramonet *

So ist nun doch, zur Entrüstung des arroganten Europa, das Unvorstellbare eingetreten: In einer Aufwallung von Stolz und Empörung hat Afrika, von dem manche Unterwürfigkeit aus schierer Armut erwartet hatten, einfach Nein gesagt. Nein zur Zwangsjacke der regionalen Economic Partnership Agreements (EPA). Nein zur ungezähmten Liberalisierung des Handels mit Waren und Dienstleistungen. Nein zu diesen letzten Instrumenten kolonialer Knebelung.

Es geschah vergangenen Monat in Lissabon. Auf dem zweiten Gipfeltreffen zwischen der EU und Afrika wollten die Europäer die afrikanischen Länder vor allem dazu zwingen, die neuen Handelsverträge, EPA genannt, noch vor dem 31. Dezember 2007 zu unterzeichnen. Und damit die Konvention von Cotonou vom Juni 2000 umzusetzen, die ihrerseits die Ablösung der alten Lomé-Verträge von 1975 vorsieht. Nach dieser noch geltenden Vereinbarung können die Handelsgüter aus den ehemaligen Kolonien Afrikas zollfrei nach Europa eingeführt werden, ausgenommen einige für die europäischen Produzenten sensiblen Konkurrenzprodukte wie Zucker, Fleisch und Bananen.

Die Beendigung dieser "privilegierten Beziehungen" wurde durch die Welthandelsorganisation (WTO) erzwungen. Oder zumindest deren Ersetzung durch Handelsvereinbarungen, die auf dem Prinzip der Reziprozität gründen sollen - gemäß WTO das einzige Mittel, um den afrikanischen Ländern eine gewisse Vorzugsstellung zu erhalten. Auf diese zweite Option hat sich die EU in Lissabon zurückgezogen. Dabei verbirgt sich hinter dem Titel "Vertrag über ökonomische Partnerschaft" ein völlig unbeschränkter Warenaustausch. Im Grunde verlangen die 17 beteiligten EU-Staaten von den afrikanischen Ländern, dass diese das Vordringen der europäischen Waren und Dienstleistungen auf ihren Märkten einfach hinnehmen und auf die Erhebung von Einfuhrzöllen verzichten.

Senegals Präsident Abdoulaye Wade hat diese Erpressung scharf kritisiert. Er unterschrieb nicht und verließ die Konferenz unter Protest, desgleichen der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki. In ihrem Gefolge fasste auch Namibia den mutigen Entschluss, die Unterschrift zu verweigern, obwohl es damit das Ende seiner Fleischausfuhren und den Niedergang eines wichtigen Wirtschaftszweigs riskierte.

Am Ende unterstützte in Lissabon selbst Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der noch im Juni 2007 in Dakar durch arrogant-missverständliche Wor-te aufgefallen war, die Länder, die am entschiedensten gegen den extrem einseitigen Vertragsentwurf kämpften, mit den Worten: "Ich bin für die Globalisierung, ich bin für die Freiheit, aber ich bin nicht für die Ausplünderung von Ländern, die gar nichts mehr haben."

Die Front von Lissabon hat gehalten. Im Hintergrund spielte sicher eine Rolle, dass die vorgeschlagenen ökonomischen Partnerschaftsabkommen in den Ländern südlich der Sahara eine Welle der Empörung ausgelöst und soziale Bewegungen wie gewerkschaftliche Organisationen mobilisiert hatten. Am Ende des Gipfels stand die Niederlage der reichen Nationen. José Manuel Barroso, der Präsident der EU-Kommission, musste einlenken und die Forderung der afrikanischen Länder akzeptieren, die Verhandlungen im Februar "ergebnisoffen" fortzuführen.

Dieser entscheidende Sieg Afrikas ist ein weiteres Zeichen dafür, dass der Kontinent eine günstige Entwicklung nimmt, trotz der Krisenherde Darfur, Somalia, Ostkongo und neuerdings Kenia. Unter Leitung einer neuen Generation von jungen Führungskräften prosperieren die Volkswirtschaften weiter, wobei freilich große soziale Ungleichheiten fortbestehen.

Ein weiterer Trumpf, den Afrika ausspielen kann, ist die verstärkte Präsenz Chinas, das massiv in den Kontinent investiert und kurz davor ist, die Länder der Europäischen Union als führende Wirtschaftspartner und Lieferanten abzulösen. Bis 2010 könnte China zum wichtigsten Kunden der afrikanischen Länder aufsteigen, noch vor den USA. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen Europa anderen Ländern seine zerstörerischen Strukturanpassungsprogramme einfach aufdrücken konnte. Afrika beginnt sich zu widersetzen. Und das ist auch gut so.

* Aus: Le Monde diplomatique (deutsche Ausgabe) Nr. 8476 vom 11. Januar 2008


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