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Streitfrage: Strom aus der Wüste – Fata Morgana oder Energiewende?

Es debattieren: Dr. Hermann Scheer (MdB-SPD) und Andree Böhling (Greenpeace)


Ein rückwärtsgewandtes Energiekonzept

Von Hermann Scheer *

Europa braucht keinen Wüstenstrom. Am Beispiel Deutschland ist schon zigfach nachgerechnet worden, dass wir bis zum Jahr 2040 unseren Strombedarf zu 100 Prozent aus heimischen erneuerbaren Energiequellen decken können. Es ist deshalb überhaupt nicht begründbar, warum wir uns bei erneuerbaren Energien zukünftig, so wie jetzt beim Öl, von Importen aus zum Teil politisch instabilen Staaten abhängig machen sollen.

Ein Beispiel: Auf den bunten Karten der Desertec-Foundation ist unter anderem in Nordalgerien ein Standort für ein solarthermisches Kraftwerk eingezeichnet. Hierzu sei aus den offiziellen Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes zitiert: »Es kommt in Algerien, insbesondere im Norden des Landes einschließlich der Hauptstadt Algier, immer wieder zu Terroranschlägen, die sich zunehmend auch gegen westliche Interessen richten.« Im Endausbau soll Desertec 15 Prozent des europäischen Stroms liefern. Eine überschaubare Anzahl von Leitungen über das Mittelmeer soll die technischen Voraussetzungen für die Lieferung schaffen. Diese Leitungen sind Anschlagsziele und zwar verlockende, wenn damit erreicht werden kann, Europa von einer Sekunde auf die andere von 15 Prozent seiner Stromversorgung abzuschneiden.

Diese Überlegung macht allerdings nicht nur auf die Terrorgefahr, sondern ganz allgemein auf den grundlegenden Webfehler des Desertec-Konzeptes aufmerksam. Es handelt sich hier um ein großtechnisches Projekt mit einem geschätzten Investitionsvolumen von 400 Milliarden Euro, dessen Produkt Strom durch den Flaschenhals der Mittelmeerleitungen zu den Verbrauchern gelangen soll. Diese Konstellation ist geradezu dafür geschaffen, die alte Welt der Energieversorgung weiterbestehen zu lassen, auch wenn es in diesem speziellen Fall um erneuerbare Energien geht. Diese alte Welt besteht aus Monopolen, Zentralisierung, langen Lieferketten und verbraucherfernen Energiequellen. Speziell die langen Lieferketten sind eine zuverlässige Einnahmequelle für die Konzerne, denn sie bestehen aus zahlreichen Einzelelementen und an jedem von ihnen wird kassiert.

Bei Desertec wäre das nicht anders. Das hohe Investitionsvolumen hält Kleininvestoren und Mittelständler draußen und die Leitungen sind der Flaschenhals, an dem zusätzlich Geld verdient werden kann. Welch ein Gegensatz dazu ist die dezentrale Energieerzeugung über Solarzellen, Windkraft oder Biomasse. Viele tausend kleine und mittlere Anlagen mit vielen tausend Investoren stellen eines vor allem sicher: Es gibt keine Anbietermonopole mehr. Beim Wechsel zu erneuerbaren Energien ging es nie ausschließlich um Umweltschutz. Es ging auch darum, die für Wirtschaft und Verbraucher schädlichen Monopole zu beseitigen. Desertec tut dies nicht und deshalb ist es trotz der Nutzung erneuerbarer Energien ein rückwärtsgewandtes Konzept. Die Chance der erneuerbaren Energien liegt im Systemwechsel und nicht in der Kopie atomarer und fossiler Großkraftwerke.

Die Kostenseite von Desertec ist zudem höchst fragwürdig. Denn selbst wenn der Plan, 15 Prozent des EU-Strombedarfs zu Investitionskosten von angeblich 400 Milliarden Euro realisierbar wäre, so wäre das keineswegs kostengünstiger als eine Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien innerhalb der EU selbst. Allein in Deutschland wurde seit 2000 – also innerhalb von 9 Jahren – der Stromerzeugungsanteil aus erneuerbaren Energien auf 15 Prozent gesteigert, mit einem Investitionsvolumen von rund 80 Milliarden Euro. Zudem brauchen auch die Stromverbraucher den Wüstenstrom nicht um Geld zu sparen, denn hierzulande wird bereits in drei Jahren, also lange vor der Realisierung von Desertec, der Solarstrom von unseren Dächern nicht mehr teurer sein als der Strom aus der Steckdose.

Desertec wäre nicht das erste großtechnologische Projekt, dem man eine glanzvolle Zukunft vorhersagt, um dann nachher bei seinem langsamen Sterben zusehen zu müssen – Stichwort Transrapid. Vor allem im Detail stecken oft die Tücken. So will Desertec ja mehrere Leitungen über das Mittelmeer bauen. Wir haben jedoch nicht nur in Deutschland zahlreiche Erfahrungen machen müssen, wie langwierig sich ein solcher Netzausbau gestalten kann. So streiten beispielsweise Spanien und Frankreich seit mehr als 15 Jahren über den Bau einer 380kV-Leitung über die Pyrenäen. Die EU-Kommission musste schließlich den ehemaligen Wettbewerbskommissar Mario Monti als Koordinator dieses Projekts einsetzen. Nach einem mehr als zweijährigen Moderationsprozess konnte er nun seine Berichte vorlegen und damit einen gewissen Fortschritt auf dem Weg zum Bau erzielen.

Auch was die technische Machbarkeit von Desertec angeht, stellen sich mehr Fragen als Antworten gegeben werden. Wie sieht es zum Beispiel mit der Langlebigkeit von Installationen in Wüstenzonen aus? Gerade Wendekreiswüsten wie die Sahara charakterisieren sich durch ein extremes Klima, das enorme Tag-Nacht-Schwankungen der Temperatur aufweist. Einer Tagestemperatur von 60°C kann eine Nachttemperatur von -10°C gegenüberstehen. Diese führt zu einer enormen physikalischen Verwitterung. Die Schutthalden um die Berge der Sahara zeigen, wie effektiv dieses Klima selbst große Felsen nach und nach durch ein ständiges Ausdehnen und Zusammenziehen zermürbt und zerkleinert. Wie sich dieser Umstand auf die Lebensdauer solarthermischer Kraftwerke auswirkt, ist noch völlig unklar.

Desertec ist, wenn überhaupt, nur dann eine bedenkenswerte Idee, wenn die Anlagen vollständig zur Stromversorgung der Standortländer eingesetzt werden. Das dort vorhandene Bevölkerungswachstum verursacht zwangsläufig einen steigenden Energiebedarf und je mehr davon aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt wird, umso besser. Selbst hier muss aber die kritische Frage gestellt werden, ob es nicht schneller und einfacher wäre auf dezentrale Energieerzeugung über Windkraft, Biomasse oder Solarzellen zu setzen, anstatt endlos lange an großtechnischen Anlagen zu planen und zu bauen.

Schlussendlich erweist sich Desertec tatsächlich als Fata Morgana und seine Befürworter werden nach einem langen Weg, auf dem sie stets glaubten, das Ziel erreichen zu können, schließlich vor dem Nichts stehen.

* Dr. Hermann Scheer, Jahrgang 1944, ist seit 1993 Mitglied des SPD-Parteivorstandes. 1980 wurde er in den Bundestag gewählt, dem er bis heute angehört. Auf nationaler wie internationaler Ebene engagiert sich Scheer für die Ablösung atomarer und fossiler Energien durch alternative Energieträger. 1988 gründete er EUROSOLAR, eine Vereinigung zur Förderung der Solarenergie. 1999 erhielt Scheer für seine umweltpolitische Arbeit den Alternativen Nobelpreis.


Konzerne stärker in die Pflicht nehmen

Von Andree Böhling **

Die Produktion und der Import von Solarstrom aus den sonnenreichen Wüstengebieten Nordafrikas und den Ländern des Nahen Ostens ist eine reale Alternative zur derzeitigen europäischen Energieversorgung. Sie ist viel realistischer als die Nutzung der Kernfusionsenergie, die Abspaltung und Speicherung von CO2 aus Kohlekraftwerken oder auch der Bau vieler neuer Atomkraftwerke. Und sie ist natürlich viel sicherer und sauberer.

Solarthermische Kraftwerke werden bereits seit Jahrzehnten in den USA und zunehmend auch in Spanien für die Stromerzeugung genutzt. Die Technik ist erprobt und derart ausgereift, dass sie weltweit vor ihrem Durchbruch steht. Auch die für den Stromtransport erforderliche Übertragungtechnik, sogenannte Gleichstromübertragungsnetze, sind längst Stand der Technik. Seit Jahren werden solche Stromnetze z. B. in Asien genutzt, um Strom über lange Strecken mit wenig Verlusten und günstig zu übertragen. Auch in der Nordsee werden solche Seekabel zur Anbindung zukünftiger Windparks auf dem Meer oder zum Import von Strom aus Wasserkraft aus Skandinavien gebaut.

Die Vorteile des Solarstroms aus den Wüsten gegenüber Kohle- und Atomkraftwerken sind unübersehbar: Die Sonnenenergie steht kostenlos und unbegrenzt zur Verfügung, von ihr geht keine Gefahr für Mensch und Umwelt aus und sie schont das Klima. Angesichts der riesigen Probleme, die mit der derzeitigen Nutzung von Öl, Kohle, Gas oder Atomkraft verbunden sind, wäre es fatal, auf die Chancen solarthermischer Kraftwerke verzichten zu wollen.

Wüstenstrom kann laut einer Greenpeace-Studie bis Mitte des Jahrhundert etwa ein Viertel der weltweiten Stromversorgung sichern. Dies wird auch notwendig sein, wenn wir weltweit die CO2-Emissionen drastisch reduzieren wollen. Der Klimawandel macht einen schnellen Ausstieg aus der Nutzung fossiler und nuklearer Energien notwendig: Bis 2015, so die Klimawissenschaft, muss der Trend weltweit steigender Treibhausgase gestoppt und umgekehrt werden. Bis 2050 müssen Industriestaaten wie Deutschland ihre Emissionen auf Nahe null reduzieren. Nur so kann der weltweite Temperaturanstieg – Auslöser für große ökologische und soziale Herausforderungen – gebremst werden.

Gerade Deutschland kann den weltweiten Durchbruch der Solarstrom-Technologie befördern. Deutsche Unternehmen haben das notwendige Know-how und die Finanzkraft für den Bau der Kraftwerke und der Übertragungsnetze. Greenpeace unterstützt die Initiative von deutschen Unternehmen zur Umsetzung des sogenannten Desertec Konzeptes. Verstärkte Investitionen in Erneuerbare Energien werden angesichts des Klimawandels dringend benötigt. Gerade Stromkonzerne wie E.on und RWE haben bislang beim Klimaschutz völlig versagt. Deswegen müssen die Konzerne, die den Löwenanteil der deutschen Stromerzeugung stellen und angekündigt haben, in den nächsten fünf Jahren über 100 Milliarden Euro in neue Kraftwerke und Netze investieren zu wollen, auch beim Ausbau der Erneuerbaren Energien stärker in die Pflicht genommen werden.

Auf Solarkraftwerke in Wüsten sollte nicht verzichtet werden, weil sich daran auch Großkonzerne beteiligen. Natürlich gibt es berechtigte Skepsis bezüglich der Absichten dieser Unternehmen, die bislang den Ausbau der Erneuerbaren Energien bekämpft haben. Die monopolartigen Strukturen im Energiemarkt sind zudem ein Grundübel der deutschen Energiewirtschaft. Nach Auffassung von Greenpeace müssen die Stromkonzerne zerschlagen werden: Die Stromnetze gehören in eine öffentliche Netzgesellschaft unter staatlicher Beteiligung und Konzerne wie RWE und E.on müssen gezwungen werden, Stadtwerksbeteiligungen und Kraftwerke abzutreten.

Die zentrale Frage wird zukünftig nicht sein, ob, sondern wie schnell wir eine vollständige Energieversorgung mit Erneuerbaren Energien realisieren können, um die globalen Klimaschutzziele zu erreichen. Wir haben heute leider noch nicht den Luxus zwischen Solarstrom auf unseren Dächern, Energieeffizienz oder Wüstenstrom auswählen zu können, wir brauchen alles und zwar sehr schnell! Dies gilt für Deutschland, aber in besonderem Maße, wenn wir auf die weltweite Energieversorgung schauen. Es ist ja leider nicht so, dass nur noch von Erneuerbaren Energien gesprochen wird. In China und Indien werden massenhaft neue Kohlekraftwerke gebaut und in den USA einmal mehr über den den Bau von 100 neuen Atomkraftwerken diskutiert. Und auch in Deutschland sollen die Laufzeiten alter Atommeiler verlängert und 25 neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Deswegen darf die Frage der Nutzung von Solastrom-importen nicht auf einen Gegensatz zwischen dezentralen und zentralen Energien reduziert werden, sie muss Teil der grundsätzlichen energiepolitischen Debatte werden. Wollen wir weiter auf eine dreckige oder auf eine umweltfreundliche Stromerzeugung setzen?

Ohne Zweifel unterstützt Greenpeace aber vorrangig den Ausbau der dezentralen Erneuerbaren Energien wie Wind und Photovoltaik. Diese Vision einer dezentralen, CO2-neutralen Stromversorgung ist im Kern richtig und wird nicht in Frage gestellt. Daran knüpfen wir auch unsere Unterstützung für Wüstenstromimporte. Wir wollen diesen Grundsatz allerdings ergänzen, um Kohle- und Atomstrom noch schneller überflüssig zu machen. Dies haben wir aber in Deutschland ohnehin schon getan, indem wir neben dem Sonnenstrom aus Wüsten auch die Windkraft auf den Meeren oder Wasserkraft aus Skandinavien nutzen.

** Andree Böhling, 1972 im niedersächsischen Soltau geboren, arbeitete von 2001 bis 2006 als Referent für Energie- und Umweltpolitik bei der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Seit drei Jahren ist der Diplom-Politologe Klima- und Energieexperte der Umweltorganisation Greenpeace. Deren Studie zum Desertec-Projekt ist unter www.greenpeace.de einzusehen.

Beide Beiträge aus: Neues Deutschland, 24. Juli 2009 (Rubrik "Debatte"


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