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Strom aus der Wüste

Desertec-Initiative unterzeichnet / Kritik an "Energiekolonialismus"

Von Susanne Götze *

Am Montag haben große Konzerne die Initiative für ein bisher einmaliges Mammutprojekt unterzeichnet - Desertec. Es soll Strom in der afrikanischen Wüste gewinnen und so Europas Energieprobleme lösen helfen. Doch es gibt nicht nur Befürworter.

Es klingt wie Science Fiction: Europas Lampen leuchten mit Wüstenstrom. Dem bisher umfassendsten Erneuerbare-Energien-Projekt haben sich am Montag Unternehmen verpflichtet, die nicht im Verdacht stehen, dem Idealismus verfallen zu sein. Doch Desertec verspricht genügend Profit und zudem den Erhalt alter Kartellstrukturen.

»In sechs Stunden wird mehr Energie in der Wüste erzeugt, als die Menschheit in einem Jahr verbrauchen kann«, heißt es in der Projektwerbung. Desertec ist der Motor für die am Montag gegründete Investitionsinitiative, an der sich Energieriesen wie E.on und RWE sowie globale Unternehmen wie die Deutsche Bank beteiligen. Geht es nach der Desertec Industrial Gruppe, werden bald tausende Solarkollektoren in der nordafrikanischen Wüste aufgestellt. In solarthermischen Kraftwerken würde Sonnenwärme gebündelt und gespeichert. Um Strom zu erzeugen, erhitzt die in Öl, Salz oder Beton gespeicherte Wärme Wasser zu Wasserdampf. Der treibt eine Turbine an. Von der Sahara nach Europa soll das Ganze laut Desertec-Sprecher Michael Straub mit einem unterirdischen Gleichstrom-Übertragungsnetz transportiert werden.

Technisch scheint das weniger eine Herausforderung zu sein als politisch. Man arbeitet so bereits erfolgreich im spanischen Andasol: Das weltweit größte solarthermische Kraftwerk bezieht Wärme aus mehr als 600 Sonnenkollektoren.

Seit 2003 setzt sich der Wissenschaftlerzusammenschluss Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation (TREC) für den groß angelegten Bau solarthermischer Kraftwerke ein. Desertec ist ein gemeinsames Projekt der TREC-Initiative und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Mit der Kooperationsplattform Desertec Industrial Initiative (DII) soll der Traum Wirklichkeit und das nötige »Kleingeld« von rund 400 Milliarden Euro locker gemacht werden. Die Mühe zahle sich aus, verkündeten Greenpeace und der Club of Rome gerade in einer Studie: Mit dem Bau von Sonnenkraftwerken in der Wüste könnten bis 2050 zwei Billionen Euro Umsatz gemacht und rund 240 000 Menschen zusätzlich beschäftigt werden. Greenpeace ist überzeugt, dass bis Mitte des Jahrhunderts rund ein Viertel des weltweiten Strombedarfs durch solarthermische Kraftwerke gedeckt werden könnte. Kanzlerin Angela Merkel solle Desertec zur Chefsache machen, meinen Umweltschützer.

Selten sah man Umweltverbände so einig mit Wirtschaft und Politik: Handelt es sich wirklich um den heilsbringenden Green New Deal? Man kann das Drehbuch auch kritischer schreiben: Das Misstrauen gegenüber überdimensionierten Großprojekten und dazu in politisch instabilen Gebieten außerhalb Europas ist groß. Kritiker warnen davor, dass Terroristen Europa leicht den »Stromhahn« abdrehen könnten. Schon jetzt müssten Pipelineprojekte für Öl und Gas aufwendig geschützt werden. Daran würde sich nichts ändern, wenn der Strom »grün« sei. Der Kampf um Ressourcen könnte so eine ungewollte Fortsetzung finden.

Davor warnen u. a. die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW aber auch die globalisierungskritische Organisation attac. Sie glauben, dass die Konzerne nur ihre Marktherrschaft sichern und verhindern wollen, dass der Trend zu dezentraler und »erneuerbarer Energieversorgung in Bürgerhand« geht. »Solarpapst« Hermann Scheer plädierte dafür, dezentrale Energieversorgung zu fördern, statt Milliarden im Wüstensand zu vergraben. Das nordafrikanische Sonnenpotenzial sei wichtig - vor allem für Afrika selbst. Er ist überzeugt, dass die Energiewende mit einem kommunalen Mix aus Erneuerbaren zu schaffen ist. Vor »Energiekolonialismus« warnte Ex-Bundesumweltminister und Leiter des UNO-Umweltprogramms, Klaus Töpfer. Wichtig sei, dass Afrika etwas von dem Projekt habe und die Konzerne transparent arbeiteten.

Zahlen & Fakten

  • Die Sonne strahlt nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) ständig mehr als 120 000 Terawatt auf die Erdoberfläche. Das entspricht der Leistung von 100 Millionen großen Kraftwerken. Das ist 7700 mal mehr als der Gesamtenergiebedarf der Erde (2006: 136 000 Terawattstunden).
  • Herkömmliche Solarzellen können 5 bis 18 Prozent des einfallenden Sonnenlichts in Strom umwandeln, thermische Solaranlagen 25 bis 40 Prozent.
  • Wenn nur auf 0,6 Prozent der Landfläche der Erde Solaranlagen gebaut würden, die lediglich ein Zehntel der einfallenden Sonnenstrahlung nutzen, ließe sich nach IEA-Berechnungen der Energiehunger der Menschheit damit stillen, sogar bis ins Jahr 2030. Den derzeitigen Weltstrombedarf könnten nach einer Schätzung sogar Solarkraftwerke auf nur drei Prozent der Fläche der Sahara decken.
  • Solarthermie ist eine Technik, die die Wärmeenergie der Sonnenstrahlen nutzbar macht. Sie eignet sich für Stromerzeugung und Warmwasseraufbereitung. Die Solarthermie unterscheidet sich von der Photovoltaik-Technik, die mittels Solarzellen aus Sonnenlicht unmittelbar Strom erzeugt.
  • Solarthermie kommt auch bereits auf vielen Wohnhausdächern zum Einsatz. Der Wirkungsgrad solcher Anlagen ist bislang gering. dpa/epd/ND


* Aus: Neues Deutschland, 14. Juli 2009


Nordafrika setzt nicht auf Desertec

Wenn der deutsche Hase kommt, ist der spanische Igel schon da

Von Günther Bading, Madrid **


Während in Deutschland das Desertec-Konsortium gegründet wird, baut Spanien bereits Solarkraftwerke derselben Technologie in Marokko und Algerien. Desertec versteht man als Projekt der Mittelmeerunion. Und von der ist man im Maghreb kaum überzeugt.

Das in Mitteleuropa mit großer Euphorie gefeierte oder auch kritisierte Wüstenstromprojekt Desertec sieht man dort, wo es entstehen soll, gelassen. Die Gründung des Firmenkonsortiums, das die gigantischen Solaranlagen in den nordafrikanischen Wüsten bauen soll, um über Fernleitungen Europa mit Elektrizität zu versorgen, fällt mit dem Jahrestag der Gründung der Union für das Mittelmeer zusammen. Aus Sicht der Nordafrikaner kein sonderlich glückliches Zusammentreffen: Denn der Mittelmeerunion aus 43 Staaten gehört neben der EU und den arabischen Staaten außer Libyen auch Israel an. Der Gazakrieg im Januar lähmte den Aufbau der im Juni 2008 in Paris gegründeten Union - unter anderem stockte auch ihr »Solarplan«, zu dem Desertec gehört.

Die nordafrikanischen Mittelmeeranrainer haben ohnehin mehr den Ausbau der bestehenden, exportierenden und Gewinn bringenden fossilen Energiequellen im Visier. Die neue Gasleitung »Medgaz« von Algerien unter dem Mittelmeer hindurch an die Küste von Almeria in Südostspanien ist fertig. Im Herbst wird die Unterseepipeline in Betrieb genommen. Sie ergänzt bestehende Gasleitungen von Algerien durch Marokko, durch die Meerenge von Gibraltar nach Spanien, und durch das Mittelmeer nach Italien. Hinzu kommen Flüssiggasstationen, von denen nach Europa exportiert wird. Dazu kommt der Erdölexport von Algerien bis Libyen.

Gegen Solarkraftwerke hat man im Maghreb nichts einzuwenden. Allerdings setzt man da bisher auf bilaterale Vorhaben. So errichtet die spanische Firma Abengoa, die in Sanlúcar la Mayor bei Sevilla ein Solarkraftwerk betreibt, sowohl in Marokko als auch in Algerien derzeit zwei Hybrid-Kraftwerke. Sie kombinieren die Erdgasvorkommen der Region mit Solarkraftwerken. In Algerien sollen bei Hassi-R'mel 20 Megawatt aus Sonnenenergie gewonnen werden, im marokkanischen Ain-Ben-Mathar ebenfalls. Die beiden Anlagen werden die ersten Solarkraftwerke in der Sahara sein.

Die Kraftwerke dienen der Stromversorgung des eigenen Landes. Das sollte aus Sicht der arabischen Mittelmeeranrainer auch der Ansatz bei Desertec sein. »Die Deutschen wollen durch Desertec ihre Technologie verkaufen. Wichtig aber ist, was die Regierungen in Nordafrika dazu sagen. Und die arbeiten in einigen Fällen schon mit spanischen Firmen, die ihre eigene Technologie verkaufen«, erklärt Cayetano Lopez, Generaldirektor des Forschungszentrums für Energien, Umwelt und Technologien (Ciemat), das in Europa als führend gilt. »Algerien ist das nordafrikanische Land, das am entschlossensten auf thermosolare Technologie setzt«, sagte Lopez. Das Land wolle bis 2020 solche Produktionsanlagen mit sechs Gigawatt Leistung installieren. Darunter könnten moderne Anlagen sein wie das am 1. Juli eingeweihte solarthermische Kraftwerk Andasol 1 in der spanischen Provinz Granada. Mit einer Leistung von 50 Megawatt zählt es zu den größten Solarkraftwerken der Welt. Auf fast zwei Quadratkilometern stehen über 600 Parabolrinnen-Spiegel mit einer Fläche von über 500 000 Quadratmetern. Andasol 2 und 3 sind im Bau.

Die kommerzielle Desertec-Gründung - die Desertec-Stiftung geht auf eine Idee des Club of Rome von 2003 zurück - ist für die französischsprachige Presse Nordafrikas nur eine Randnotiz. Die wichtige algerische Zeitung »El Watan« hat am Montag als Titelgeschichte die außerordentlich gute Weizenernte gewählt. Dem Jahrestag der Gründung der Union für das Mittelmeer widmet sie im Innenteil zwei Seiten - allerdings überwiegend kritischen Inhalts. Der Solarplan der Union wird erwähnt, aber wenig beachtet.

Besonders kritisch geht man mit der Politik Israels um. Die Bomben auf Gaza vom Januar hätten auch die Mittelmeerunion beschädigt. Immerhin haben auch die arabischen Staaten an den Treffen der Umwelt- und der Finanzminister im Juni und Juli teilgenommen. Die marokkanische Zeitung »Le Matin« befasst sich nur mit der Frage, wer zum Jahresende Generalsekretär der Mittelmeerunion werden solle. Einen Sitz gibt es schon: Barcelona. Was daran erinnert, dass der »Barcelona-Prozess«, der eine Annäherung der EU und seiner Nachbarn südlich des Mittelmeers bringen sollte, nichts bewirkt hat.

** Aus: Neues Deutschland, 14. Juli 2009


Wüstenstrom für die Europäer

Von Martin Ling ***

Der ökologische Deckmantel passt auf alle Fälle: Greenpeace bezeichnet die am Montag vollzogene Gründung der Desertec Industrie Initiative als Meilenstein. Wenn Desertec seine Pläne realisieren kann, könnten 2050 immerhin 15 Prozent des europäischen Strombedarfs per Solarkraftwerk und Windpark aus der Wüste kommen. Die Hoffnungen auf den Wüstenstrom sind schlicht gigantisch: Sauberer Strom ohne Umweltzerstörung und aus Milliarden-Investitionen sollen Erlöse in Billionenhöhe fließen. Dem Süden wird durch die Mammutprojekte ein wirtschaftlicher Aufschwung prognostiziert, der dort nebenbei auch noch der sozialen Grundlage des Terrorismusproblems das Wasser abgräbt. So sehen »Win-win-Situationen« aus - oder Mogelpackungen.

Der Münchner Rück darf man aus Eigeninteresse das Ziel einer Begrenzung des Klimawandels unterstellen, denn dessen Folgen werden für alle Rückversicherer zu einem kaum kalkulierbaren Risiko. Die beteiligten Stromkonzerne wie RWE und E on lockt hingegen die Aussicht auf hohe Profite.

Nicht ansatzweise setzt das Projekt bei einer Entwicklung für Afrika an: Schließlich geht es beim Wüstenstrom um zweierlei: Die Sicherung des exzessiven Energieverbrauchs des Nordens und der Profite der Strommultis. Mit einer Entwicklungspolitik, die auf sich selbst tragende Entwicklung im Süden zielt, hat das so wenig zu tun wie die tradierte Handelspolitik der EU. Afrika wird jeweils in seiner Funktion als Rohstofflieferant festgeschrieben.

Statt im Norden und im Süden massiv in die dezentrale Erschließung von erneuerbaren Energien zu investieren, zielt Desertec darauf, den Solarstrommarkt zu zentralisieren und zu oligopolisieren. Desertec ist alles andere als ein geglückter Startschuss für ein solares Zeitalter.

*** Aus: Neues Deutschland, 14. Juli 2009


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