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Raus aus Nordafrika

Peking steuert bei der Investitionsstrategie um: Unruhen und Aufstände in der Region bremsen Geschäfte der globalen Wirtschaftsmacht aus

Von Antoaneta Becker, IPS *

Unruhen, Aufstände und kriegerische Auseinandersetzungen in Nordafrika und dem Nahen Osten haben den Wirtschaftsbeziehungen mit China herbe Rückschläge beschert. Unternehmen aus dem Reich der Mitte sehen sich nach neuen Partnern in stabileren Regionen um, die zudem näher bei der Volksrepublik liegen.

»Die Unruhen in Nordafrika und vor allem die Situation in Libyen stellen Chinas ›Go out‹-Strategie auf den Prüfstand«, meint Wang Jinyan von der Pekinger Fremdsprachenuniversität. Er rechnet damit, daß sich diese Entwicklungen direkt auf die chinesischen Investitionen in Übersee auswirken werden. Presseberichten zufolge rückt das Pekinger Handelsministerium in seinem kommenden Fünfjahresplan Asien und die neuen Schwellenländer in das Zentrum der Investitionsstrategie des Staates.

»Abgesehen von den politischen Risiken, sind die Investitionen in Afrika nicht mehr das, was sie einmal waren«, zitiert die chinesische Wirtschaftszeitung Economic Observer einen Ministerialbeamten, der ungenannt bleiben wollte. In Afrika eine Mine in Betrieb zu nehmen, sei beispielsweise nicht mehr so einfach wie früher. Inzwischen müsse man Umweltfaktoren, die Situation auf dem dortigen Arbeitsmarkt und die Vorteile für die lokale Wirtschaft mit berücksichtigen.

Asien attraktiver

Asien wird dagegen als Markt mit großem wirtschaftlichen Potential und geringen politischen Risiken betrachtet. Peking hat in den vergangenen Jahren voll auf seine Exportwirtschaft gesetzt und damit gewaltige Devisenreserven angelegt. Chinesische Investoren versuchten zugleich im Ausland vor allem im Rohstoff-, Erdöl-, Energie- und Agrarsektor Fuß zu fassen.

Eine im Mai von der unabhängigen »Asia Society« in New York veröffentlichte Studie sieht voraus, daß die Auslandsinvestitionen der zweitstärksten Wirtschaftsmacht der Welt bis 2020 auf umgerechnet zwei Billionen (2000 Milliarden) US-Dollar steigen könnten. Die auswärtigen Investitionen der USA beliefen sich im vergangenen Jahr auf 300 Milliarden Dollar.

Die globale Finanzkrise 2008 hat nach Ansicht von Ökonomen der chinesischen Wirtschaft eher genutzt als geschadet. Unternehmen des Landes pumpten Geld in die entferntesten Winkel der Welt, sicherten sich Bodenschätze und Ölfelder und erwarben Anteile an großen Firmen.

Zuvor hatten sich staatliche Erdölkonzerne wie Petro China oder Sinopec auf Afrika als Expansionsgebiet konzentriert. Chinesische Firmen bauten dort Schienenstrecken, Straßen und Telekommunikationsanlagen. Ende 2010 arbeiteten in Afrika etwa 2000 Firmen aus der Volksrepublik. Ihre Investitionen beliefen sich auf umgerechnet rund 32 Milliarden Dollar.

Im vergangenen Jahr stieg der Kontinent zum größten Handelspartner Chinas auf. Der weitere Vormarsch des asiatischen Wirtschaftsgiganten in der Region schien nicht mehr zu bremsen. Kritiker warfen den Chinesen vor, sich als eine Art neuer Kolonialherr zu gebärden, der die reichen Rohstoffe Afrikas an sich reiße.

Expansion gestoppt

Die Ereignisse des »arabischen Frühlings« haben die weitere Expansion Chinas jedoch abgebremst. Erste Daten zu den wirtschaftlichen Verlusten des Landes infolge der Unruhen versetzen die chinesische Regierung offensichtlich in Sorge. Zahlen liegen bereits zu Libyen vor, wo sich die Kosten für den Rückzug auf mehr als drei Milliarden Dollar summieren. Seit 2007 hat das nordafrikanische Land rund 50 Projekte mit Ingenieursfirmen der Volksrepublik abgeschlossen. Etwa 36000 chinesische Arbeitskräfte kehrten angesichts der Kämpfe in die Heimat zurück. Außerdem entstanden beachtliche Sachschäden, als etwa die Raffinerie des Sinopec-Konzerns von Aufständischen angegriffen und zerstört wurde. Peking ist nun in der schwierigen Lage, Entschädigungsansprüche geltend machen zu müssen.

Nach Angaben des chinesischen Exportkreditversicherers Sinosure lagen in den ersten drei Monaten dieses Jahres die Forderungen an Länder Nord­afrikas und des Nahen Ostens um 167 Prozent über denen im Vorjahreszeitraum. Das Handelsministerium in Peking teilte mit, daß chinesische Firmen in Nordafrika im ersten Quartal deutlich weniger Verträge abgeschlossen hätten als 2010. Für Algerien wurde ein Rückgang um 70,8 Prozent und in Libyen um 46,9 Prozent verzeichnet.

* Aus: junge Welt, 9. Juni 2011


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