Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Kinder, die unter dem Baum unterrichtet werden"

In Afrika gibt es viel Nachholbedarf bei den Alphabetisierungsbemühungen

Von Markus Schönherr, Kapstadt *

Bücherverbrennungen und geschlossene Schulen. Während in Südafrika die Bildungspolitik versagt, setzen sich Lehrer in Simbabwe über Langzeitherrscher Robert Mugabe hinweg, um unterrichten zu können.

»Weshalb haben wir 18 Jahre nach dem Anbruch der Demokratie immer noch Kinder, die unter dem Baum unterrichtet werden?« Erzbischof Desmond Tutu, südafrikanische Ikone im Kampf gegen die Apartheid, leistete sich vergangene Woche einen seltenen Wutausbruch. Ziel seiner Aggression: die marode Bildungspolitik im Land am Kap. Im Osten teilen sich drei Schüler gemeinsam ein Buch, während im Norden ein Staatsdiener diese stapelweise verbrennt. Im neuesten Bildungsskandal bleiben 62 Schulen des Landes vorerst geschlossen. Groß Grund zum Feiern hatte Südafrika anlässlich des Weltbildungstags am 8. September nicht und dennoch steht es auf dem Kontinent vergleichsweise gut da.

Für 16 000 Wissenshungrige in der Provinz Northwest bleiben die Schultore vorerst geschlossen. Ersatzunterricht gibt es nicht. Vor mehr als vier Monaten hatte das lokale Unterrichtsministerium den kompletten Unterrichtsstopp angeordnet - zur Sicherheit der Schüler. Die Bevölkerung hatte in mit Demonstrationen für geteerte Straßen gekämpft, bald gerieten die Proteste aber außer Kontrolle. Zwei Schulen, eine Bibliothek und ein Bücherbus gingen in Flammen auf. »Diese Menschen benutzen Gewalt als Druckmittel. Das sind Hooligans«, sagte Panyaza Lesufi, der regionale Bildungsbeauftragte. Am vergangenen Dienstag appellierte er an die Bildungsministerin Angie Motshaekga: Die Polizei müsse die Situation unverzüglich unter Kontrolle bringen und der Unterricht fortgesetzt werden.

Die Wut der Eltern richtet sich immer mehr gegen das Kabinett von Präsident Jacob Zuma. Doch der Politologe Albert Venter vermutet den Fehler im System selbst: »Die Regierung hat keine Entscheidungsgewalt über die Provinzen und ihre Angelegenheiten. Erst wenn die lokale Verwaltung versagt, kann die Regierung einspringen.« Dies sei der Fall in Limpopo gewesen, wo Schüler das letzte Semester ohne Bücher auskommen mussten. Schuld daran sei ein »Kommunikationsfehler« gewesen, wie das Ministerium erklärte. Zur gleichen Zeit hatten organisierte Bücher-Verbrennungen für Furore gesorgt. Festgenommen wurde ein Beamter, dessen Motive bis heute unklar bleiben.

Was in Südafrika für zeitweilige Krisen sorgt, ist in den meisten Ländern auf dem Kontinent immer noch trauriger Alltag. 33 Millionen Kinder in Afrika gehen nicht zur Grundschule, 156 Millionen Erwachsene bestreiten ihr Leben als Analphabeten. Laut der UNESCO seien vor allem regionale Konflikte schuld. Bürgerkriegsländer seien demnach am schlimmsten betroffen. Im 2011 unabhängig gewordenen Südsudan können etwa nur 27 Prozent lesen und schreiben, in Somalia 35 Prozent. Laut der UNESCO treffe aber auch das Gegenteil zu, wonach »Alphabetisierung zu Frieden beiträgt. Es öffnet Türen und schafft ein besseres Bewusstsein für die Welt.« Nicht umsonst lautete das Motto des diesjährigen UNO-Alphabetisierungstags am 8. September »Alphabetisierung und Frieden«.

Simbabwe ist ein Beispiel dafür, wie die Politik versagen, und der Zivilsektor trotzdem weitermachen kann. Seit Jahren werden Lehrer Opfer politischer Verfolgung, da man ihnen eine Verbindung zur Opposition nachsagt. Ein Direktor in der Stadt Kwekwe kam nur knapp mit seinem Leben davon, als man vor Kurzem sein Haus in Brand steckte. Das Gehalt eines Lehrers beträgt rund 200 Dollar. Trotz einer angekündigten Kürzung schwor sich der Großteil, weiter unterrichten zu wollen. »In den Bänken sehe ich die Zukunft sitzen, nirgendwo sonst«, erzählt uns eine Lehrerin aus der Hauptstadt Harare. Die Statistik gibt ihr Recht: Mit acht Prozent ist Simbabwe das Land mit den wenigsten Analphabeten in Afrika.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 11. September 2012


Zurück zur Afrika-Seite

Zur Entwicklungspolitik-Seite

Zurück zur Homepage