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Grüne Konterrevolution

Eine Allianz privater Stiftungen versucht, den profitablen Teil der afrikanischen Landwirtschaft in den Weltmarkt zu integrieren

Von Peter Clausing *

Teil I: Bill Gates in Afrika

Zugegeben, Revolutionen sind aus der Mode gekommen. Dabei wäre eine grüne Revolution, die diesen Namen tatsächlich verdient, in Afrika bitter nötig. Denn einerseits ist für 200 Millionen der dort lebenden Menschen Hunger eine täglich Realität, andererseits ist das Potential vorhanden, Afrikas Bevölkerung jetzt und auch perspektivisch mit Hilfe agrarökologischer Anbauverfahren zu ernähren.[1] Doch die grüne Revolution, an die wir denken, wenn wir diesen Begriff hören, hatte Afrika niemals erreicht.

Die »Grüne Revolution«

Die Geschichte des Begriffes »Grüne Revolution« geht bis in die 1960er Jahre zurück. Er wurde von William Gaud geprägt, damals Direktor der US-»Entwicklungshilfe«-Behörde USAID (United States Agency for International Development). Gaud hielt am 8. März 1968 in Washington eine Rede, in der er die »friedliche«, von den USA initiierte Grüne Revolution der »gewaltsamen Roten Revolution der Sowjets« gegenüberstellte und mit der die letztere eingedämmt werden sollte. Fünf Wochen zuvor hatte im Vietnamkrieg die Tet-Offensive begonnen. Die Grüne Revolution ist somit in Wirklichkeit eine Konterrevolution.

Das im Vietnamkrieg erlebte Fiasko der USA war der Höhepunkt in einer Kette von Ereignissen, die die amerikanische Vorherrschaft in (Süd-)Ostasien in Frage stellte. Zusätzlich zu der »Katastrophe«, daß China 1949 nach dem Bürgerkrieg nicht von Tschiang Kai Schek, sondern von der Kommunistischen Partei regiert wurde. Zudem hatte in den 1950er Jahren der Koreakrieg nicht den gewünschten Ausgang, die ehemalige US-Kolonie Philippinen wurde durch einen Guerillakrieg erschüttert, und in Indien fanden Brotrevolten statt. Auch der 1964 von den USA vom Zaun gebrochene Vietnamkrieg konnte nicht zu ihren Gunsten entschieden werden. Die Grüne Revolution war Teil der US-amerikanischen Bemühungen, die Hegemonie in dieser Region zurückzugewinnen. Diese Strategie wurde schon seit den 1950er Jahren verfolgt, auch wenn die öffentliche Erwähnung des Begriffs »Grüne Revolution« erst 1968 erfolgte. Die kurzzeitigen Erfolge dieser Grünen Revolution trug dazu bei, daß die sozialen Spannungen in dieser Weltregion nachließen.

Wenn man heute zu Recht vom Scheitern dieser Grünen Revolution spricht, denkt man vor allem an die inzwischen eingetreten Ertragsrückgänge auf den ermüdeten Böden, die mit ihr verbundene Umweltverschmutzung und die Erschöpfung der Wasservorräte, deren Nutzung eine Voraussetzung für ihr Funktionieren war. Der hegemoniale Aspekt der »Grünen Revolution« des 20. Jahrhunderts ist weitestgehend in Vergessenheit geraten. Daß heute 200 Millionen chronisch unterernährte Inder auf einem Berg von 20 Millionen Tonnen Getreidevorräten sitzen, die nicht freigegeben werden, um die Preise nicht zu verderben, wirft ein Licht auf das soziale Versagen dieses landwirtschaftlichen Modells. Doch der Imageverlust, den die »alte« Grüne Revolution bislang erlitten hat, ist nur ein partieller, denn all das scheint nicht sonderlich zu stören. Zu stark sind die Bilder von den wiegenden Kornfeldern, und zu mächtig ist der Diskurs von der erfolgreichen Verhinderung einer akuten Hungerkatastrophe, insbesondere in Indien. Mithin war das Image der Grünen Revolution positiv genug, um den Begriff im Jahr 2006 erneut zu verwenden, als die Rockefeller- und die Bill- und Melinda-Gates-Stiftung gemeinsam die Gründung einer »Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika« (AGRA) bekanntgaben. Diese nach wie vor ungenügend beachtete Monsterallianz ist inzwischen in 14 afrikanischen Ländern aktiv und hat bis Ende 2011 insgesamt 380 Millionen Dollar für das Ziel ausgegeben, den profitablen Teil der afrikanischen Kleinbauernschaft in die globale Marktwirtschaft einzubinden.

Gesäte Armut

Die beiden Stiftungen (Gates seit einigen Jahren, Rockefeller schon seit langem) zeigen ein auffälliges Interesse am Thema Ernährung. Insbesondere wenn es sich dabei um Saatgut handelt und um die Frage, auf welche Art und Weise Nahrungsmittel produziert werden. Sowohl bei der alten, als auch bei der neuen, der afrikanischen Grünen Revolution geht es sowohl um die Erschließung neuer Märkte als auch um geostrategische Interessen, wobei die Analyse letzterer die Möglichkeiten dieser Themaseite übersteigen würde.

Das ständig wachsende Engagement Chinas in diversen afrikanischen Ländern wird von den USA kritisch beäugt. Vor diesem Hintergrund erscheint die These, daß die AGRA in Wirklichkeit die betreffenden Länder unter Kontrolle bringen will, nicht abwegig. Ähnlich wie zu Zeiten des Kalten Krieges stellt sie einen Versuch dar, über die Verfügbarmachung von Nahrungsmitteln, die »Herzen und Hirne« der betreffenden Region zu gewinnen. Vor allem geht es aber um die Etablierung von »Wertschöpfungsketten« in der (afrikanischen) Landwirtschaft. Ein Vorhaben, das die Weltbank in ihrem 2008 veröffentlichten World Development Report ausformulierte und dem die »philanthropischen« Projekte der Stiftungen von Gates, Rockefeller und – wie noch zu zeigen sein wird – Howard G. Buffett hundertprozentig entsprechen.

Die AGRA, zu deren Vorsitzendem der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan auserkoren wurde, hat nach eigenen Angaben vier Länder (Ghana, Mali, Moçambique und Tansania) als »Brotkorb«-Regionen zum Schwerpunkt. Darüber hinaus ist sie in weiteren zehn Ländern aktiv (Äthiopien, Burkina Faso, Kenia, Malawi, Niger, Nigeria, Ruanda, Sambia, Republik Südafrika, Uganda). Allein die vorrangige Konzentration auf eine »Brotkorb«-Region straft die auf der AGRA-Website behauptete Armutsbekämpfung Lügen.

Derzeit wird die Allianz neben den beiden Gründerstiftungen von 14 weiteren Institutionen finanziert, darunter die Regierungen von Dänemark, Großbritannien, Luxemburg, Norwegen, Schweden, Ghana, Kenia und den USA. Zu ihren Partnern gehört unter anderem die »Assoziation Europäischer Parlamentarier für Afrika«, die insgesamt 1500 Mitglieder umfaßt. In einer im Dezember 2012 in Berlin gehaltenen Rede brachte Kofi Annan seine Hoffnung zum Ausdruck, daß auch Deutschland bald zu den Förderern gehören werde. Annan verwies auf die Erfolge der Allianz: Mit der Hilfe lokaler Bäuerinnen und Bauern seien 400 neue Pflanzensorten entwickelt und »freigegeben« worden. Außerdem wurden 14000 Agrarhändler (sic!) ausgebildet, um die neuen Hybridsorten sowie Düngemittel in ländlichen Gemeinden zu verteilen.

Das eine muß man der AGRA lassen – die versprochene Transparenz, wenngleich verbrämt, läßt sie walten. Was machen Agrarhändler, wenn sie die neuesten Sorten »verteilen«? Sie verkaufen Saatgut. Wo? In ländlichen Gemeinden. Und wo kommt das Saatgut her? Es wurde »mit Hilfe lokaler Bäuerinnen und Bauern entwickelt«. Im Klartext: Afrikanische Bäuerinnen und Bauern, die über Generationen lokal angepaßte Sorten gezüchtet haben, stellten kostenloses Saatgut zur Verfügung, das ihnen nach ein paar Kreuzungen wieder verkauft wird.

Kritiker des Projekts wie La Via Campesina, die globale Föderation von Kleinbauernorganisationen, wußten nur zu gut, warum sie die AGRA von Anbeginn als Trojanisches Pferd bezeichneten. Durch sie sollen in der afrikanischen Landwirtschaft patentgeschützte Sorte, Gentechnik und marktwirtschaftliche Abhängigkeiten verankert werden. Auch das Weltsozialforum in Nairobi schlug am 25. Januar 2007 Alarm. Es versah seine damals verabschiedete Erklärung mit dem Titel »Afrikas Reichtum an Saatgutvielfalt und bäuerlichem Wissen – bedroht durch die ›Grüne Revolution‹-Initiative von Gates- und Rockefeller-Stiftung«. In ihrer landwirtschaftlichen Strategie 2008–2011 spricht die Gates-Stiftung unverblümt über deren soziale Konsequenzen: »Im Verlauf der Zeit wird diese Strategie eine gewisse Landmobilität und einen geringeren Anteil von direkt in der Landwirtschaft Beschäftigten erfordern.«[2] Mit anderen Worten, einen Teil der Kleinbäuerinnen und -bauern wird man in die Slums der afrikanischen Metropolen bzw. vor die Tore der Festung Europa treiben.

Durch Kofinanzierung verschiedener Institutionen geht der Einfluß der Gates-Stiftung weit über die AGRA hinaus. Neben anderen Instituten des CGIAR-Verbundes [3] wird das ICRISAT (Internationales Institut für Nutzpflanzenforschung der semi-ariden Tropen), dessen jährliches Budget sich auf rund 50 Millionen US-Dollar beläuft, zur Hälfte von der Gates-Stiftung finanziert. Die Mitarbeiter der ICRISAT-Forschungsstation Matopos in Simbabwe sammelten über mehrere Jahre traditionelles Saatgut von Hirse- und Sorghum-Sorten, das ihnen die dortigen Kleinbauer kostenlos überließen. Mit Hilfe dieses genetischen Reichtums entwickelte ICRISAT »verbesserte« Sorten und verkauft diese seit 2010 an kommerzielle Saatgutfirmen, die das daraus erzeugte Saatgut wiederum an die Kleinbauern zurück verkaufen.[4] Das ist sogenanntes Benefit Sharing (Vorteilsausgleich) nach den Regeln der Gates-Stiftung. In diesem Sinne agiert auch die Abteilung »Politikgestaltung und Partnerschaften«, eine von vier Bereichen der AGRA. Sie ist damit befaßt, Regierungen einzelner Länder, wie z.B. Äthiopiens, der Elfenbeinküste und Moçambiques, dahingehend zu beeinflussen, daß sie Gesetze zur Verhinderung des freien Austauschs von Saatgut erlassen, nationale Düngestrategien verabschieden und den Handel mit Agrarrohstoffen formalisieren. Es ist sicher nicht abwegig zu vermuten, daß nach Etablierung vieler kleiner Saatgutfirmen in den verschiedenen afrikanischen Ländern ein Prozeß der Konzentration stattfinden wird, an dessen Ende all diese »Start-ups« von transnationalen Unternehmen geschluckt werden.

Sind dies nicht alles nur Behauptungen? Vielleicht gelingt es ja doch, durch Förderung »privater Initiative« den Hunger zu bekämpfen, indem die Erträge und damit die Einkommen notleidender Kleinbauer verbessert werden? Konkrete Studien zu den Erfahrungen mit der neuen Grünen Revolution belegen das Ausbleiben des immer wieder versprochenen »Trickle-down-Effekts«, also der Behauptung, daß die Armen vom erwirtschaften Wohlstand mit der Zeit gleichfalls profitieren würden. Übereinstimmend kommen die Autoren der Untersuchungen zu der Schlußfolgerung, daß durch die Grüne Revolution die soziale Ungleichheit in den Ländern nicht nur zementiert, sondern sogar vertieft wird. Armutsbekämpfung sollte anders aussehen, nicht so, daß die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Das allerdings ist die übergreifende Erkenntnis der in Malawi, Senegal und Swasiland durchgeführten Forschungen zu den bisherigen Effekten der Grünen Revolution in Afrika.[5]

Erfolg ohne »Experten«

Malawi wird gern als Erfolgsgeschichte präsentiert. Ironischerweise basiert der Erfolg des von der Weltbank und anderen Institutionen propagierten landwirtschaftlichen Modells darauf, daß sich die malawische Regierung über die Vorgaben dieser Geldgeber hinwegsetzte. Das Land wurde in den letzten Jahrzehnten regelmäßig von Hungerkrisen heimgesucht. Nach der im Jahr 2005 entschloß sich die Regierung, subventionierte »Startpakete«, bestehend aus Mineraldünger und Saatgut, wiedereinzuführen. »Ending famine, simply by ignoring the experts« (Den Hunger einfach durch das Ignorieren der Experten beenden) überschrieb die New York Times am 2. Dezember 2007 ihren Beitrag über diesen Schritt. Durch diese Startpakete wurde die nationale Maisernte 2006 mit 2,6 Millionen Tonnen im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt.

Die vorletzte Hungerkatastrophe, die im Jahr 2002 stattfand, kostete Schätzungen zufolge 46000 bis 85000 Menschen das Leben. Dies geschah, weil ein 1998 eingeführtes Subventionsprogramm für Saatgut und mineralischen Dünger im Jahr 2001 auf Verlangen der wichtigsten Geberländer (Dänemark, Großbritannien, USA) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) drastisch gekürzt werden mußte. Außerdem verlangte der IWF zwecks Einsparung von Lagerhaltungskosten kurz vor Ausbruch der Hungersnot den Verkauf der strategischen Getreidereserven des Landes. Korrupte Regierungsbeamte folgten dieser Aufforderung bereitwillig. Sie stießen die komplette Reserve ab und bereicherten sich dabei persönlich. Ohne die strategischen Getreidereserven, die den Preisanstieg hätten abfedern können, verdreifachte sich der Preis für Mais während der Hungersnot und führte zu den genannten katastrophalen Ergebnissen. Doch sowohl das Subventionsprogramm von 1998 als auch die Ende 2005 wieder eingeführten Startpakete basieren auf Importen von chemischem Dünger und Hybridsaatgut für Mais, der in Malawi ebenso wie in anderen Ländern des südlichen bzw. südöstlichen Afrika das wichtigste Grundnahrungsmittel darstellt. Von 2006 bis 2011 verdoppelte sich der Weltmarktpreis für Mineraldünger, und die Aufwendungen für das Startpaket-Programm erhöhten sich von 58,6 Millionen US-Dollar im Jahr 2005/06 auf 210 Millionen in den Jahren 2008/09. Es läßt sich absehen, daß der malawischen Regierung irgendwann das Geld ausgehen wird, so daß die Coupons zum Erwerb der zu einem Drittel des Marktpreises angebotenen Startpakete nicht mehr verteilt werden können.

Sowohl Rachel Bezner Kerr als auch Marie Javdani kommen in ihren Studien über die AGRA zu der Schlußfolgerung, daß eine größere nationale Maisernte per se weder die Ernährungssicherheit auf der Ebene individueller Haushalte gewährleistet noch eine adäquate Nährstoffversorgung sichert. Die alleinige Fokussierung auf eine Erhöhung der Maiserträge ändert beispielsweise nichts an dem verbreiteten Zink- und Eisenmangel. Das würde eine vielfältigere Ernährung auf Basis einer diversifizierten Produktion erfordern. Die Überflutung Malawis mit Hybridsaatgut führt hingegen zum Verschwinden der lokalen Maissorten. Diese werden zwischen den Kleinbauern frei getauscht oder auf lokalen Märkten zu erschwinglichen Preisen gehandelt, während sämtliche Hybridmaissorten von ausländischen Unternehmen verkauft werden. Sowohl die Startpakete als auch die Hochleistungssorten der AGRA offerieren Heilsversprechen, die auf einzelnen technologischen Komponenten beruhen, ohne daß grundlegende gesellschaftliche Probleme wie ungerechte Landverteilung und die Benachteiligung von Frauen angegangen werden. Die AGRA ist zwar nicht an Malawis Subven­tionsprogramm beteiligt, nutzt aber dieses Beispiel massiv, um ihr industrielles landwirtschaftliches Modell zu propagieren.

Gesteuerte Abhängigkeiten

Die Schlußfolgerung von Rachel Bezmer Kerr, daß die neue Grüne Revolution Malawi nichts aus der alten in Asien gelernt habe, kann als Indiz gelten, daß hinter diesen »Revolutionen« ganz andere Absichten stecken. Jeanne Koopman liefert dafür mit ihrer detailierten Analyse des Szenarios im Tal des Senegalflusses mehr als nur Indizien. Sie präsentiert eine verblüffende Sequenz von Ereignissen, die die systematische Unterminierung von Ernährungssouveränität durch die internationa­len Institutionen offenlegt: Bis in die 1980er Jahre existierte im Tal des Senegalflusses ein über 100000 Hektar umfassendes intaktes, traditionelles Agrarsystem in dem Hirse, Bohnen und Melonen angebaut wurden. Dieses basierte auf den alljährlichen Überschwemmungen im August und September, durch die Nährstoffe und Feuchtigkeit in den Boden gelangten. Dem Wechsel der Jahreszeiten folgend, gab es in dieser Region eine saisonale Trockenheit, wobei sich darüber hinaus die in den 1970er und 1980er Jahren herrschende Dürreperiode der Sahelzone negativ auswirkte. In den 1980er Jahren wurde beschlossen, zwei gigantische, durch Weltbank-Kredite finanzierte Staudämme zu bauen, den am Oberlauf des Flusses in Mali befindlichen Manantali-Damm und den in Senegal nahe der Mündung befindlichen Diama-Damm.

Mit internationaler Förderung wurden ein durch Pumpen betriebenes Bewässerungssystem und der Anbau von Reis eingeführt. Der Reisanbau war unwirtschaftlich, die senegalesische Regierung wurde aber von der Weltbank ausdrücklich dazu ermuntert, diesen durch internationale »Hilfsgelder« zu subventionieren. 1986 wurden solche Subventionen, ebenfalls von der Weltbank, abrupt verboten. Im Zuge der Struktur­anpassungsmaßnahmen wurde Senegal darüber hinaus gezwungen, seinen landwirtschaftlichen Beratungsdienst einzustellen und die Monteure, die die Bewässerungspumpen warteten, zu entlassen. Anfang der 1990er Jahre durften die landwirtschaftlichen Inputs (Saatgut, Dünger, Herbizide) nicht mehr auf Kredit an die Bäuerinnen und Bauern ausgegeben werden. Die Weltbank etablierte statt dessen eine profitorientierte Landwirtschaftsbank, die fortan für die Ausgabe zuständig war. Letztendlich mußten die Bauern ihre Kinder zum Arbeiten in die Städte schicken, um die Schulden mit dem dort verdienten Geld abzubezahlen. 1994 wurde auf der Basis einer unilateralen Entscheidung Frankreichs der afrikanische Franc abgewertet, so daß sich die Importpreise für Saatgut und Agrochemikalien mehr als verdoppelten. 1995, als die globalen Reispreise fielen, setzte USAID die senegalesische Regierung so lange unter Druck, bis diese schließlich den Binnenmarkt für Reis liberalisierte. So wurde ein ursprünglich nachhaltiges landwirtschaftliches System, das auf natürlicher Überflutung basierte, zunächst in ein künstliches Bewässerungssystem umgestaltet und anschließend schrittweise zerstört. Im Jahr wurde nur noch ein Viertel der 80000 Hektar umfassenden Bewässerungsfläche bebaut.

Das war die Vorgeschichte zum Einstieg von AGRA und Millennium Challenge Corporation (MCC), einer im Jahr 2004 geschaffenen, von USAID unabhängigen US-amerikanischen »Entwicklungshilfe«-Einrichtung. Im Jahr 2008 unterzeichneten AGRA und MCC eine formale Absichtserklärung zur Koordinierung ihres Politikdialogs mit afrikanischen Regierungen. Die Rollenverteilung der beiden Institutionen, illustriert an den Beispielen Senegal und Mali, sieht folgendermaßen aus: Im September 2009 unterzeichneten MCC und die Regierung von Senegal einen Vertrag über einen Kredit von 500 Millionen Dollar zur Schaffung von Bewässerungsinfrastruktur auf 35000 Hektar, die Erneuerung von 150 Kilometern Straße und ein Projekt zur Landprivatisierung, um die Eigentumsverhältnisse der bewässerten Flächen auf der Basis »moderner Gesetzgebung« zu klären. Der Vertrag zwischen MCC und der Regierung schreibt vor, daß den Gemeinden 60 Prozent des Landes verbleibt, während 40 Prozent Personen von außerhalb der Gemeinde überschrieben werden sollen. Die Gemeinden müssen also für den Versuch, ihr zerstörtes Land und die verrotteten Bewässerungsanlagen wiederherzustellen, knapp die Hälfte ihres Landes abgeben.

In Mali sieht ein Vertrag zwischen MCC und der dortigen Regierung vor, 22000 Hektar zu privatisieren, die bis dahin als Weideland genutzt wurden. Den Hirtenfamilien werden zwei Hektar Land angeboten, die sie als Sicherheit einsetzen müssen, um mit einer 20jährigen Hypothek die anderen drei Hektar kaufen zu können – zu einem Hektarpreis zwischen 5775 und 7700 US-Dollar. Außerdem erwartet man von ihnen, daß sie die von der AGRA zur Verfügung gestellten Pakete mit teurem Saatgut und chemischen Inputs erwerben. Der Tagesverdienst eines Landarbeiters dieser Region liegt zwischen einem und anderthalb Dollar. Eine wahrhaft räuberische Konstellation, denn es wird erwartet, daß 90 Prozent dieser »Neubauern« in kurzer Zeit bankrott gehen werden, so daß umso mehr Land für die zweite Phase dieses MCC-Projekts zur Verfügung steht. In dieser Phase sollen Flächen von zehn bis 30 Hektar bewässerter Fläche an kommerzielle malische Farmer oder ausländische Investoren verkauft werden. Die werden dann sehr gute Kunden für die von der AGRA ausgebildeten Fachberater und Agrarhändler sein, die ihnen die entsprechenden Hybridsorten empfehlen und mit allem Zubehör verkaufen werden.

Jeanne Koopman verweist auf eine »extrem enge« Personalverflechtung der oberen Leitungsebenen der AGRA mit Agrarunternehmen wie Monsanto und Syngenta. Im Jahr 2001 ernannte USAID auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 17 Unternehmen, darunter die beiden gerade erwähnten sowie Cargill und DuPont, zu »Partnern bei der Entwicklung« in den Ländern des Südens. Diese »Ernennung« wurde nochmals bestätigt, als dieselben Firmen auf dem G-8-Treffen im Mai 2012 offiziell zu »Partnern des privaten Sektors« für die neu gegründete »Allianz für Ernährungssicherheit« gemacht wurden.

Teil II: Saat der Abhängigkeit

Trotz fundierter Kritik aus linker Perspektive hat es die, gemeinsam von der Rockefeller- sowie der Bill- und Melinda-Gates-Stiftung gegründete, »Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika« (AGRA) geschafft, im medialen Mainstream und in der »Szene« der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) relativ unbeachtet zu bleiben und häufig nur ambivalent wahrgenommen zu werden. Das ist nicht völlig verwunderlich, denn auch bei bestimmten NGOs zeigt sich die Gates-Stiftung großzügig. So erhielt zum Beispiel Oxfam America seit 2008 über elf Millionen US-Dollar. Was öffentlich sichtbare Kritik anbelangt, wurde die AGRA in den letzten sechs Jahren geradezu stiefmütterlich behandelt. Man vergleiche dies nur mit den zahlreichen kritischen Studien und Veranstaltungen zu den Themen Land Grabbing (Landnahme) und Agrotreibstoffe (»Tank oder Teller«-Diskussion). Fast könnte man sagen, daß es der AGRA gelungen ist, sich hinter diesen Diskussionen zu verstecken. In jedem der Jahresberichte von FIAN (FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk) für 2010 bis 2012 findet Land Grabbing in der einen oder anderen Form Erwähnung. Zur AGRA ist von 2007 bis 2012 nichts zu finden. Auf der Website des katholischen Hilfswerks Misereor gibt es 44 Treffer zu »Land Grabbing«, doch weder zum Stichwort AGRA noch zu »Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika« wird man fündig. Ähnlich sieht es auf der Website des evangelischen Hilfswerks »Brot für die Welt« aus: 112 Treffer zu »Land Grabbing« und ein einziges Dokument, das auch auf die AGRA eingeht. Lediglich einzelne NGO-Mitarbeiter haben das Thema in ihren Untersuchungen aufgegriffen. Beispielsweise ist Roman Herre, der 2008 eine Studie über sieben Strategien zur globalen Landwirtschaft veröffentlichte und in der die AGRA berücksichtigt wird, Mitarbeiter von FIAN. Ebenso der Misereor-Mitarbeiter Benjamin Luig, der die AGRA in einer Analyse vom Januar 2013 erwähnt. Aber die fehlende Präsenz der AGRA auf den betreffenden Webseiten, weist auf die untergeordnete Bedeutung hin, die diesem gewaltigen Projekt beigemessen wird.

Zahnlose NGO-Kritik

In einem von Kerstin Bertow im Jahr 2011 im Auftrag von Brot für die Welt veröffentlichten Dokument heißt es, »die AGRA-Position wird stark kritisiert von zahlreichen NGOs und kirchlichen Organisationen«. Aber den weiteren Ausführungen ist zu entnehmen, daß sich die Kritik vor allem auf das Fehlen eines »ausgefeilten Konzepts« und auf eine »vereinfachende Argumentation« bezieht. Dem ist zu widersprechen, denn die AGRA verfügt sehr wohl über ein ausgefeiltes Konzept, allein, es hat nichts mit Armutsbekämpfung und nachhaltiger ländlicher Entwicklung zu tun. Insofern ist eine Kritik an der AGRA zahnlos, die sich darin erschöpft, daß »eine kritische Auseinandersetzung mit den negativen Folgen der Grünen Revolution der 1960er Jahre« fehlt, wie Roman Herre in seiner Studie schreibt. Und es stellt sich auch nicht die Frage, »ob bei allem Gerede um die Bedeutung kleinbäuerlicher Landwirtschaft in der Praxis die kommerzielle Landwirtschaft/Großbetriebe die Gewinner (…) sein werden«.[6] Diese Frage ist längst beantwortet. Gewinn für das »Big Busineß« ist der eigentliche Grund, warum die AGRA und die mit ihr vernetzten Initiativen geschaffen wurden.

Philip McMichael, Professor für Entwicklungssoziologie an der Cornell University in Ithaca, USA, hingegen liefert eine Fundamentalkritik am System der landwirtschaftlichen »Entwicklung« in den Ländern des Südens, wie es von der AGRA, der Weltbank und anderen Geldgebern propagiert wird – eine Kritik an der Etablierung landwirtschaftlicher Wertschöpfungsketten.[7] Die Schaffung von Wertschöpfungsketten ist das Kerngeschäft der AGRA. »Die AGRA unterstützt Maßnahmen zu allen Schwerpunkten der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette in Afrika (…)«, heißt es auf ihrer Website. McMichael hält dagegen: »In Fällen, wo Firmen den Einsatz von landwirtschaftliche Inputs wie Saatgut, Düngemittel und andere Agrochemikalien, Kurzzeitkredite und Anbauvorschriften forcieren, begibt sich der Produzent in eine besondere Art von Wertbeziehung, die das Potential hat, ein Instrument der Kontrolle, Schuldenabhängigkeit und Enteignung zu werden.« Die Präsentation des Konzepts der Wertschöpfungsketten als ein Instrument für Marktzugang und verbesserte landwirtschaftliche Produktivität sei eine von Unternehmen erschaffene Vorstellung, welche von »Entwicklungsinstitutionen« recycelt würde, die begierig seien, ihre Legitimität zur Beaufsichtigung der Welternährungssicherheit wiederzuerlangen und zu reproduzieren. In bezug auf die Kleinbauern verspräche das Konzept eine praktische Lösung für Nahrungsmitteldefizite, indem es Produzenten, die bislang nicht vom Weltmarkt erreicht wurden, verbesserte Produktivität in Aussicht stellt. In Wirklichkeit wird jedoch der produzierte Wert entlang der Wertschöpfungskette umverteilt – zur Verarbeitungsindustrie, zum Handel und zu den Kreditgebern. Unter Bezugnahme auf Jennifer Bair [8] verweist McMichael darauf, daß der Sinn von Wertschöpfungsketten in verbesserter Wettbewerbsfähigkeit bestehe und bringt die Sache auf den Punkt: »Firmen, die erfolgreich an globalen Wertschöpfungsketten beteiligt sind, können den Arbeitern keine Vorteile in Form von höheren Löhnen, gesicherten Arbeitsplätzen oder verbesserten Arbeitsbedingungen bieten.« Die Bedingungen, unter den in Bangladesch und anderen Ländern Markentextilien hergestellt werden, sind hinlänglich bekannt und bieten sich hier als Vergleich an.

Die Betrachtungen McMichaels fördern die Schönfärberei des AGRA-Geschäfts und seine dahinter stehenden Interessen zutage. Allein schon der Begriff »Kette« ist verräterisch und beschreibt die existierenden Machtverhältnisse, denn den geschaffenen Wert in Form landwirtschaftlicher Produkte eignen sich das Agrobusineß und seine Investoren an. Wie wir im ersten Teil dieser Beitrags (siehe jW-Thema vom 17./18. August) am Beispiel der Hirten aus Mali gesehen haben, ist Verschuldung der entscheidende Mechanismus, mit dem die neuen Abhängigkeiten geschaffen und reproduziert werden. Die malischen Hirten wurden gezwungen, zwei Hektar Land als Sicherheit einzusetzen, um drei weitere Hektar Land auf Pump zu bekommen.

Neoliberale Wertschöpfungskette

War es früher die Schuldknechtschaft, mit der sich die Beziehung zwischen Patron und Peon definierte, sind es heute die vielfältigen Formen der Vertragslandwirtschaft, in denen die Schuldverhältnisse ihren Ausdruck finden. Eine prinzipielle Kritik an der AGRA darf sich also nicht im Beklagen einer »vereinfachenden Argumentation« bzw. des Fehlens einer kritischen Auseinandersetzung mit der »alten« Grünen Revolution erschöpfen. Der Ansatzpunkt sind die »Philosophie« von Wertschöpfungsketten und eine Analyse der Folgen der Vertragslandwirtschaft, die die Bäuerinnen und Bauern am Ende eventuell auch physisch enteignet, die aber bereits auf dem Weg dorthin so weit entmündigt werden, daß es einer Enteignung gleichkommt. Die 14000 von der AGRA ausgebildeten Agrarhändler stellen das Bindeglied zwischen den Werte schaffenden Produzenten am unteren Ende der Kette und den weiter oben befindlichen Gliedern dar, die sich große Teile des geschaffenen Wertes aneignen. Ist der schuldenbasierte Kreislauf erst einmal in Gang gekommen, ist der nunmehr agrarindustriell umgestülpte kleinbäuerliche Sektor von agrochemischen und biotechnologischen bzw. Saatgut-Inputs abhängig und kaum noch in der Lage, sich selbst zu reproduzieren.

Der Kredit für die Initiierung dieses Kreislaufs kommt zunächst aus dem öffentlichen Sektor, bzw. in der neoliberalen Welt von heute versucht die AGRA, die Rolle des öffentlichen Sektors zu übernehmen.[9] Im Gegensatz zu Roman Herre (siehe oben), kam Elenita Daño schon im Jahr 2007 zu der Erkenntnis, daß das Agrobusineß seine Lektion aus der Grünen Revolution in Asien gelernt habe.[10] Nach ihrer Ansicht umklammern die Tentakel der neoliberalen Ordnung inzwischen ein komplexes Netz an Beziehungen zwischen Unternehmen, »wohltätigen« Organisationen (Gates- und Rockefeller-Stiftung), öffentlicher Forschung und NGOs. Im Schönsprech des durch die Weltbank herausgegebenen »World Development Report« von 2008 klingt das folgendermaßen: »Es entsteht die Vision von einer Landwirtschaft für die Entwicklung, die die Rollen der Produzenten, des privaten Sektors und des Staates neu definiert. Die Produktion erfolgt hauptsächlich durch Kleinbauern, die oftmals die effizientesten Produzenten sind, insbesondere wenn sie von ihren Organisationen unterstützt werden. Der private Sektor organisiert die Wertschöpfungsketten, durch die der Markt zu den Kleinbauern und zu den kommerziellen Farmen gebracht wird. Mit seinen verbesserten Möglichkeiten und neuen Formen von Governance korrigiert der Staat Marktversagen, reguliert den Wettbewerb und beteiligt sich strategisch an Public-Private-Partnerships, um die Wettbewerbsfähigkeit im Agrobusineßsektor zu fördern und eine größere Beteiligung von Kleinbauern und Landarbeitern zu unterstützen.« Die »schöne neue Welt« im ländlichen Afrika läßt grüßen.

An dieser Stelle erscheint der Hinweis angebracht, daß sich fernab von Afrika, auf der Insel Spitzbergen im äußersten Norden Norwegens, ein wichtiges Ergänzungsstück zur oben beschriebenen Strategie befindet. Im Januar 2007 verkündete die Gates-Stiftung die Vergabe von Fördermitteln in Höhe von 29,9 Millionen US-Dollar zur Unterstützung nationaler Saatgutbanken und des »Globalen Saatguttresors auf Spitzbergen«, mit dem Ziel, die genetische Vielfalt von 21 »kritischen« landwirtschaftlichen Nutzpflanzen zu sichern.[11] Der im Juni 2008 zur Nutzung übergebene »globale Saatguttresor« soll das beherbergen, was anderenorts durch das agrarindustrielle Produktionsmodell Jahr für Jahr zerstört wird – die genetische Vielfalt unserer Nutzpflanzen, ohne die auch die kommerzielle Züchtung nicht weiterkommt. Schon in den siebziger Jahren erkannten Wissenschaftler der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA, daß die Grüne Revolution »ein Paradox sozialer und ökonomischer Entwicklung darstellt, indem das Produkt der Technologie (Züchtung auf hohen Ertrag und Einheitlichkeit) die Ressourcen zerstört, auf denen die Technologie aufbaut«.[12] Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wer die Welternährung und damit verbunden die Pflanzenzüchtung beherrschen will, versucht durch Saatgutbanken, auf die Konzerne wie Syngenta und Monsanto bei Bedarf zurückgreifen können, das Schlimmste zu verhindern. Es ist zwar allgemein bekannt, daß der Erhalt der genetischen Vielfalt in Saatgutbanken unvollkommen ist, aber das bessere Verfahren – die sogenannte In-situ-Erhaltung durch aktive Züchtung, in der Regel durch Kleinbauern – entzieht sich der Kontrolle durch transnationale Unternehmen und wird von den Strategen der großen Institutionen darum als »Auslaufmodell« betrachtet.

Bäuerlicher Widerstand

Trotz der konzertierten Aktion von Agrobusineß und Institutionen widersetzt sich ein beträchtlicher Teil der »Zielgruppe« mit Erfolg den Bemühungen, in die globalen Wertschöpfungsketten integriert zu werden. Das hat unter anderem damit zu tun, daß Kleinbäuerinnen und Kleinbauern weltweit ein ausgeprägtes Risikobewußtsein haben. Zahlreiche sozialökonomische Studien belegen, daß sie sehr gründlich abwägen, ob es angesichts der Unwägbarkeiten von Klima, Heuschreckenplagen und Preisschwankungen sinnvoll ist, sich in der Hoffnung auf eine größere Ernte zu verschulden. Oftmals verzichten sie zugunsten eines sichereren Einkommens auf ein möglicherweise höheres. Darüber hinaus gibt es in vielen Ländern eine von den Medien wenig beachtete, aber trotzdem umfangreiche »Wiederverbäuerlichung«. Der Politikwissenschaftler Uwe Hoering verweist 2008 in seiner Studie »Wer ernährt die Welt? Bäuerliche Landwirtschaft hat Zukunft« darauf, daß sich in Ländern wie Äthiopien, Indien oder der Demokratischen Republik Kongo die Zahl der kleinen Höfe im Laufe der letzten dreißig Jahre mehr als verdoppelt hat. Ähnliches beschrieb Jan Douwe van der Ploeg, Professor für ländliche Soziologie an der Universität Wageningen, in seinem 2009 erschienenen Buch zu den »neuen Bauernschaften«. Aufgrund der Misere in den Städten, die durch die Explosion der Lebensmittelpreise seit 2007/2008 noch verstärkt wurde, läßt sich eine Wiederbesiedlung des ländlichen Raums auch anhand der Abnahme des Urbanisierungsgrades messen. Zum Beispiel verringerte sich in Ländern wie Kenia, Mauretanien, Senegal und Tansania die Verstädterung innerhalb von zehn Jahren (zwischen 2001 und 2011) um zehn bis 35 Prozent.

Die Gegenbewegung zur Unterordnung der Kleinbauern unter die globale Ökonomie ist sowohl auf der politischen Ebene als auch auf der Ebene der landwirtschaftlichen Praxis angesiedelt. Ein Ausdruck für letzteres ist die immer umfangreichere Anwendung agrarökologischer Anbauverfahren, mit denen sich in den Ländern des Südens die Erträge bei vielen Fruchtarten verdoppeln, manchmal sogar verdreifachen lassen. Dementsprechend haben sich die agrarökologisch bewirtschafteten Flächen in Asien, Afrika und Lateinamerika innerhalb der letzten anderthalb Jahrzehnte vervielfacht. Bei dieser wissensintensiven Bewirtschaftungsform sind die Bauern weitestgehend unabhängig von den Inputs, die durch transnationale Unternehmen kontrolliert werden. Auf der politischen Ebene werden sie in erster Linie durch La Via Campesina vertreten, den globalen Dachverband von etwa 150 unabhängigen Bauernorganisationen in 70 Ländern, der rund 200 Millionen Bäuerinnen und Bauern repräsentiert. Neben seinem politischen Engagement, unter anderem gegen die Privatisierung von Saatgut, fördert La Via Campesina auch den Austausch von Erfahrungen mit agrarökologischen Anbauverfahren. Mit diesen werden, wenn man den Gesamtertrag betrachtet, höhere Erträge erzielt als mit großflächigen Monokulturen. Der ursprünglich von Alexander Tschajanow im Zusammenhang mit Lenins »Neuer Ökonomischer Politik« in der Sowjetunion beobachtete Effekt wurde in den 1960er Jahren vom späteren Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen erneut beschrieben und inzwischen durch zahlreiche Studien bestätigt. Aus marktwirtschaftlicher Perspektive wird die höhere Produktivität kleinerer Betriebe als »Marktverzerrung« bezeichnet, denn die höhere Flächenproduktivität ist darauf zurückzuführen, daß dort mehr Arbeit hineingesteckt wird. Wenn es jedoch darum geht, den Hunger zu bekämpfen und eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, sollte dies eher als Korrektiv denn als Verzerrung bezeichnet werden.

Versuchte Vereinnahmung

Auch der Gates-Stiftung ist nicht entgangen, daß sich Agrarökologie zunehmender Beliebtheit erfreut. Diese Flexibilität bei der Wahrnehmung der Realität unterscheidet sie übrigens vom Starrsinn des einflußreichen Ökonomieprofessors Paul Collier. Der läßt keine Gelegenheit aus, um gegen die »Biolandbau-Romantiker« zu wettern. Die Gates-Stiftung hingegen scheint zu der Schlußfolgerung gekommen zu sein, es sei möglich, daß die Bemühungen, der afrikanischen Landwirtschaft die Segnungen einer neuen Grünen Revolution zu bringen, nicht fruchten werden. Deshalb nimmt sie sich seit 2010 parallel zur AGRA gemeinsam mit der Howard-G.-Buffett-Stiftung einer Kernkomponente des agrarökologischen Anbaus an. Howard G. Buffett ist übrigens der älteste Sohn von Warren Buffett, dem laut US-amerikanischen Wirtschaftsmagazin Forbes viertreichsten Menschen der Welt. Howard G. Buffett ist Eigentümer von etlichen großen Farmen und sitzt bzw. saß in den Aufsichtsräten mehrerer Lebensmittel- und Agrarkonzerne, darunter Coca-Cola und Archer Daniel Midlands. Bei der Kernkomponente, von der hier die Rede ist, handelt es sich um die Stickstoffanreicherung des Bodens mit Hilfe von Leguminosen (Hülsenfrüchten). Diese Pflanzen sind in der Lage in Symbiose mit Knöllchenbakterien, atmosphärischen Stickstoff im Boden zu fixieren. Dies ist die wichtigste Methode, um dem Boden gezielt diesen wichtigen Nährstoff zuzuführen, der dann anderen Fruchtarten wie Mais oder Getreide zur Verfügung steht, ohne auf Agrochemikalien zurückzugreifen. Zu den Leguminosen gehören Erbsen und Bohnen, aber auch Erdnüsse und verschiedene Baumarten.

Sollte sich agrarökologischer Anbau weiter durchsetzen, wäre es schlecht, wenn das Leguminosen-Saatgut für die biologische Stickstoffanreicherung nicht unter der Kontrolle der Saatgutkonzerne stünde. Um keine Chance zu verpassen, wurde deshalb von den beiden Stiftungen in Zusammenarbeit mit der niederländischen Universität Wageningen und dem Internationalen Institut für tropische Landwirtschaft (IITA), ein ebenfalls von der Gates-Stiftung mitfinanziertes Institut, die Initiative »N2Africa« (»Stickstoff nach Afrika«) ins Leben gerufen. N2Africa, im Sommer 2010 als vierjähriges Projekt gestartet, arbeitet inzwischen in dreizehn afrikanischen Ländern (Äthiopien, Demokratische Republik Kongo, Ghana, Kenia, Liberia, Malawi, Moçambique, Nigeria, Ruanda, Sierra Leone, Tansania, Uganda und Simbabwe). Am Ende der Projektzeit will N2Africa unter anderem den Einsatz von »verbesserten« Leguminosensorten vorangebracht haben und sehen, daß diese von 225000 Kleinbauern verwendet werden.

Flankiert werden diese Bemühungen wiederum von einem ganzen Gestrüpp quer vernetzter Organisationen und Initiativen, die teils international, teils nur in einzelnen Ländern arbeiten. Stellvertretend sei der »Zentrale Beratungsdienst für geistiges Eigentum« (CAS-IP, Central Advisory Service on Intellectual Property) genannt, der 2012 in das CGIAR-Konsortium [13] integriert wurde. In der Sprache dieses Beratungsdienstes ausgedrückt, geht es darum, daß zertifiziertes Leguminosen-Saatgut »besser verfügbar« gemacht werden soll. »Während Kleinbauern ihr Mais-Saatgut inzwischen jedes Jahr kaufen, wird bei Leguminosen das Saatgut zumeist noch immer von den Bauern selbst erzeugt«, erläuterte vor rund drei Jahren der CAS-IP-Berater Peter Bloch. Offenbar ein unhaltbarer Zustand, dem mit Hilfe des Programms zur Saatgutproduktion und -vermarktung von ICRISAT (Internationales Institut für Nutzpflanzenforschung der semi-ariden Tropen) und der 2010 gegründeten Malawi Seed Alliance (Malawi-Saat-Allianz) Einhalt geboten werden soll. Ähnliche Verflechtungen gibt es in anderen Ländern, in denen N2Africa aktiv ist. Die Strategie von N2Africa entspricht dem, was Eric Holt-Giménez und Miguel ­Altieri, zwei führende Agrarökologen, mit »selektiver Integration von technischen Aspekten der Agrar­ökologie« beschreiben, »durch die die Politik der Grünen Revolution nicht in Frage gestellt wird.«[14] Holt-Giménez und Altieri sehen in der Agrarökologie nicht ein rein biologisch-landwirtschaftliches Phänomen, sondern betrachten sie ähnlich wie andere als »eine Wissenschaft, eine Bewegung und eine Praxis«. Noch klarer brachte es im August 2011 der dritte Internationale Kongreß der Lateinamerikanischen Wissenschaftlichen Gesellschaft für Agrarökologie zum Ausdruck, der in seiner Abschlußerklärung definierte: »Der ideale Agrarökologe betreibt Wissenschaft und landwirtschaftliche Praxis zugleich und ist bestrebt sicherzustellen, daß soziale Gerechtigkeit sein Handeln bestimmt.« Da wird verständlich, daß die Gates-Stiftung und ihre Verbündeten die zunehmende Verbreitung der Agrarökologie als ernstzunehmende Bedrohung der angestrebten Hegemonie des von den Herrschaftseliten bevorzugten landwirtschaftlichen Modells empfinden. Insofern kann man die Integration bestimmter technischer Aspekte der Agrarökologie in die Strategie der Schaffung von Wertschöpfungsketten als Versuch interpretieren, diese hinderliche Strömung innerhalb der Kleinbauernschaft durch partielle Kooption zu neutralisieren. Wer bei dieser Auseinandersetzung die Oberhand gewinnt, bleibt abzuwarten.

Anmerkungen
  1. Oliver De Schutter: Report submitted by the Special Rapporteur on the Right to Food. United Nations, General Assembly, 20.12.2010, A/HRC/16/49. Online: www.srfood.org/images/stories/pdf/officialreports/20110308_a-hrc-1649_agroecology_en.pdf
  2. Siehe dazu den Bericht der Organisation GRAIN: »Un­ravelling the ›miracle‹ of Malawi’s green revolution«, Januar 2010. Online: www.grain.org/article/entries/4075-unravelling-the-miracle-of-malawi-s-green-revolution
  3. CGIAR (Consultative Group on International Agricultural Research) ist eine übergeordnete Organisation für 15 internationale, inzwischen größtenteils privat finanzierte Agrarforschungsinstitute
  4. Carol B. Thompson (2012): Alliance for a Green Revolution in Africa (AGRA): Advancing the theft of African genetic wealth. Review of African Political Economy 39; 345–350
  5. Vgl. hierzu die Veröffentlichungen im International Journal of Agricultural Sustainability, Nr. 10, aus dem Jahr 2012 von Marie Javdani: »Malawi’s agricultural input subsidy«, S. 150–163; Alain Terry: »Evaluating the Green Revolution after a decade«, S. 135-149; sowie der Beitrag von Jeanne Koopman: »Will Africa’s Green Revolution squeeze African family farmers to death?«, in: Review of African Political Economy 39, September 2012, S. 500–511 und Rachel Bezner Kerr: »Lessons from the old Green Revolution for the new«, in: Progress in Development Studies 12, Januar 2012, S. 213–229
  6. Roman Herre: Strategien zur globalen Landwirtschaft. Synopse 7 aktueller Konzepte zur ländlichen Entwicklung und Landwirtschaft. Forum Umwelt und Entwicklung, Bonn 2008
  7. Philip McMichael: »Value chain and debt relations: contradictory outcomes«, in: Third World Quarterly 34, 2013, S.671–690
  8. Jennifer Bair: (2005): »Global capitalism and commodity chains: looking back and going forward«, in: Competition & Change 9, 2005, S.119–139
  9. McMichael a.a.O.
  10. Elenita C. Daño: Unmasking the new Green Revolution in Africa: Motives, players and dynamics. Penang, Bonn, Richmond 2007
  11. Online: www.gatesfoundation.org/How-We-Work/Quick-Links/Grants-Database/Grants/2007/01/OPP45782 (Zugriff 14.8.2013)
  12. Klaus Pedersen: Naturschutz und Profit. Münster 2008, S.61
  13. CGIAR (Consultative Group on International Agricultural Research) ist eine übergeordnete Organisation für 15 internationale, inzwischen größtenteils privat finanzierte Agrarforschungsinstitute.
  14. Eric Holt-Giménez und Miguel A. Altieri: »Agroecology, food sovereignty, and the new Green Revolution«, in: Agroecology and Sustainable Food Systems 37, 2013, S.90–102
* Dr. agr. Peter Clausing ist Mitbetreiber des Portals www.agrardebatte.de. Sein Buch »Die Grüne Matrix. Naturschutz und Welternährung am Scheideweg« erscheint Ende September beim Unrast-Verlag.

Dieser Beitrag erschien in zwei Teilen ("Bill Gates in Afrika" und "Saat der Abhängigkeit") am 17. und 19. August 2013 in der "jungen Welt".



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