Agrospritfirmen entdecken Afrika
Agrarproduktion, Menschen und Tiere müssen dem Jatropha-Anbau weichen
Von Susanne Götze *
Während der Markt bis jetzt Energiepflanzen für alternative Kraftstoffe vor allem aus Lateinamerika
und Asien bezog, steigen jetzt immer mehr afrikanische Länder in das Geschäft ein. Auch hier
streiten Experten über Fluch und Segen des neuen Trends.
Afrikanische Bauern pflanzen seit Jahrhunderten Jatropha an. Diese Frucht ist außen grün und
bildet ölhaltige Samen aus. Sie ist hochgiftig, anspruchslos und wird als natürliche Hecke an die
Felder gepflanzt, um die Ernte vor Tieren zu schützen. Angesichts des weltweiten
Biotreibstoffbooms hat sie plötzlich eine ungeheure Popularität erlangt. Nicht wenige europäische
Firmen glauben, mit ihr einen weiteren kostengünstigen Rohstoff für Biodiesel entdeckt zu haben.
Zwar wird Jatropha auch in Asien angebaut, doch in keinem Erdteil gibt es so viel Flächenpotenzial
wie in Afrika. Deshalb rückt für Investoren – nach Großprojekten in Lateinamerika und Asien – der
»vergessene Kontinent« in den Fokus, vor allem südlich der Sahelzone in Mali, Senegal, Nigeria,
Kamerun oder auch Südafrika. Das berichtete Biotreibstoffexpertin Sandra Schuster von Blue 21
(Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt und Entwicklung) auf der Veranstaltung »Sprit statt
Brot – Agrartreibstoffboom im südlichen Afrika« der Heinrich-Böll-Stiftung und Blue 21 am
Wochenende in Berlin. In Mosambik seien schon zehn Prozent der Agrarfläche für den
Energiepflanzenanbau reserviert. Nach neuesten Plänen wolle man sogar die Hälfte der Fläche
hierfür erschließen. Sogar unbewirtschaftete Flächen wie Moore und unzugänglicher Busch würden
einkalkuliert und nutzbar gemacht.
Auch im bitterarmen Äthiopien seien bereits 17 Millionen Hektar für Biodiesel verplant. Die Firma
Flora Ecopower habe gleich einen Teil eines Elefantenschutzgebietes zu einem Anbaufeld gemacht
und die Tiere vertrieben, so die Blue 21-Referentin. Diese Praktiken, oft von der lokalen Politik
geduldet, seien keine Ausnahme. Auch in Kenia habe es ähnliche Fälle gegeben, betonte Schuster.
Obwohl Pflanzen wie Jatropha als anspruchslos gelten, ist ihr Ertrag natürlich höher, wenn sie auf
fruchtbaren Böden wachsen. So müssten nicht nur Elefanten, sondern auch Menschen für das
»grüne Gold« Platz machen, meinte Bioenergieexperte Thomas Fritz in Berlin. Ähnlich wie in
Lateinamerika, wo die Landvertreibung der Bevölkerung auf der Tagesordnung steht und hunderte
Tote forderte, beginne nun in Afrika, etwa in Tansania, der gleiche Konflikt.
Die Flächenkonkurrenz hat weitere Folgen: die Preissteigerung von Lebensmitteln, die in Teilen der
Welt zu »Hungerrevolten« geführt hat, so in Mosambik und Senegal. Laut einer neuen Weltbank-
Studie beträgt der Anteil der Agro-treibstoffe an diesen Preissteigerungen bis zu 75 Prozent. Erst am
Freitag gab die UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung bekannt, dass 2008 rund 75
Millionen Menschen mehr hungern müssen. Damit steigt die Zahl auf 923 Millionen Menschen an.
Die Agrarexpertin der Heinrich-Böll-Stiftung, Christine Chemnitz, warnte jedoch vor einer
Überbewertung der negativen Wirkungen: »Seit Jahrzehnten hungern Millionen von Menschen auf
der ganzen Welt. Die Biotreibstoffe sind nur ein kurzfristiger Faktor, der die Lage zusätzlich
verschärft.« Die eigentlichen Gründe seien die verfehlte internationale Agrarpolitik und
marktzerstörende Nahrungsmittelsubventionen der Industrieländer.
Andere Experten wie der Professor für Entwicklungspolitik an der Freien Universität Berlin, Theo
Rauch, sind gegen eine pauschale Ablehnung des Energiepflanzenanbaus. Der könne Bauern über
ihre Subsistenzwirtschaft hinaus ein weiteres Einkommen bieten. Verträge mit großen Unternehmen
böten Sicherheiten, die es auf dem freien Markt nicht gebe. Ob der Anbau sozial und ökologisch
problematisch sei, hänge vom Standort ab. Die Jatropha-Pflanze lasse sich beispielsweise
problemlos in wüstenartigen Gegenden anbauen.
Kritiker wie Thomas Fritz befürchten indes, dass auch in Afrika mit dem Agrospritboom die
Intensivierung der Landwirtschaft – sprich mit chemischem Dünger oder anderen
produktionssteigenden Techniken – voranschreitet, statt die kleinbäuerliche, nachhaltige
Landwirtschaft zu fördern. Fraglich sei, ob hiervon die Bevölkerung profitiere und dies die
Ernährungssicherheit verbessere.
* Aus: Neues Deutschland, 23. September 2008
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