Macht.Politik.Ressourcen.
Ein halbes Jahrhundert (un)abhängige Entwicklung in Afrika
Von Maguèye Kassé *
Die Initiative der Rosa-Luxemburg-Stiftung (rls), der
Deutsch-Afrikanischen Gesellschaft (dAfrig) und des Solidaritätsdienstes
International (SODI!) ein so wichtiges und
aktuelles Kolloquium in Leipzig zu organisieren, ist sehr zu
begrüßen. Sie reiht sich nicht nur in viele andere Initiativen
ein, die sich den 50 Jahren formaler Unabhängigkeit etlicher
afrikanischer Länder, vor allem im Afrika südlich der Sahara,
widmen. Dieser Anlass hat eine umso höhere Symbolik, als
er mit dem 50. Todestag von Patrice Lumumba und der Wiederaufstellung
seines Denkmals in Leipzig verbunden ist.
Lumumba war einer der vielversprechenden afrikanischen
Führungspersönlichkeiten in der Zeit der Befreiung von
kolonialer und neokolonialer Unterdrückung und der Ausplünderung
der immensen Ressourcen. Er wird durch diese
Konferenz nicht nur geehrt und gewürdigt, sein Schicksal
gibt auch Anlass zur Besinnung auf die heutige Situation
des afrikanischen Kontinents. Lumumba gehörte ebenso wie
Ruben Um Niobe, Ernest Ouandié oder Amical Cabral – um
nur einige gleichen Ranges zu nennen – zu einer Schar engagierter
afrikanischer Patrioten der ersten Stunde, die ihr
Engagement für ein neues Afrika, das sein Schicksal selbst in
die Hand nehmen wollte, ohne sich fremdem Joch zu unterwerfen,
mit dem Tod bezahlten. Die offen imperialistischen
Ziele des belgischen Kolonialismus und der internationalen
Konzerne, die noch bis heute keinen Hehl daraus machen,
weshalb sie die Ermordung dieser afrikanischen Symbolfigur
der 1950er Jahre mit Hilfe ihrer Strohmänner systematisch
betrieben, haben sich bis heute kaum geändert. Sie werden
heute nur mit anderen Mitteln als damals verfolgt wie
zahlreiche Dokumentarfilme und literarische Werke zeigen.
Insofern ist das Vermächtnis Lumumbas immer noch aktuell,
gerade in Anbetracht der heutigen Situation Afrikas.
In diesem Zusammenhang erlangt die Frage der Macht besondere
Relevanz. Erbitterte Machtkämpfe prägen Afrika bis
in die Gegenwart. Es geht um die Ausnutzung der Ressourcen
für eine erwünschte, gezielte Entwicklung sowie um
Politik und Praxis von Demokratie in turbulenten Zeiten wie
den heutigen. Eine kritische Bestandsaufnahme der Politik,
die von der Mehrzahl der afrikanischen Staatsführer, bis auf
ganz wenige Ausnahmen, für die Befreiung Afrikas aus der
Unterentwicklung ins Werk gesetzt wurde, zeigt von den
1960er Jahren bis heute eklatante Versäumnisse in vielerlei
Hinsicht.
Macht, Politik, Ressourcen. Dieses Triptychon hat seit den
1960er Jahren akute Relevanz, vor allem im sub-saharischen
Afrika. Die Frage der Macht lässt sich nach der Art und Weise
analysieren, in der Interessenvereinigungen, Parteien, Organisationen
verschiedener Natur – seien es Gewerkschaften,
seien es neuerdings zivilgesellschaftliche Strukturen unterschiedlicher
Richtungen – zu ihr gelangen, an ihr beteiligt
werden und wie sie sich in Folge dessen organisieren; daran,
wie die Interessen der jeweiligen Bevölkerungen langfristig
vertreten werden; daran, ob deren Interessen aufgenommen
werden bzw. ob sich diese mit der exekutierten Politik
identifizieren oder nicht. Eine Demokratie, die universellen
Regeln auch praktisch Rechnung trägt, d. h. vor allem demokratische,
transparente, friedliche Wahlen ohne blutige
Ausschreitungen, lässt in Afrika generell auf sich warten. Das
aktuelle Beispiel Côte d’Ivore steht für viele Länder.
Auffällig ist in diesem Zusammenhang ein insgesamt düsteres
Afrika-Bild. Es ist bestimmt von Misswirtschaft, Korruption
bestimmter politischer Eliten, angefangen mit jenen
verschiedener Provenienz, die zum großen Teil nach der jeweiligen
Unabhängigkeit ihrer Länder an die Macht gelangten
und imperialistische bzw. neokolonialistische Interessen
vertraten und die häufig ihre Nachfolger auf diese Art der
Machtausübung vorbereiteten. Man schaue auf die aktuelle
Tendenz in Afrika, die Macht quasi-monarchistisch zu vererben,
sie z. B. auf den Sohn des Staatschefs übergehen zu
lassen, wie in Gabun bereits geschehen oder wie im Senegal
von Präsident Abdoulaye Wade für die bevorstehenden Präsidentenwahlen
offenbar geplant.
Offen oder geheim werden nicht selten Strategien entwickelt,
um die bestehende Situation aufrechtzuerhalten. Immer
dann, wenn innere Spannungen zu eskalieren drohen,
wenn sich politische Engpässe abzeichnen, die zu schrecklichen
Konfrontationen führen, zu blutigen Ausschreitungen,
wenn z. B. Bürger sich gegen Korruption oder Mangel an
Demokratie auflehnen. Immer dann, wenn ferngesteuerte
«ethnische» Kriege wie beim Genozid in Ruanda oder in Darfur ausbrechen, sind es oft fremde Mächte, die politischstrategische
Interessen verfolgen, sind es Waffenhändler
besonderen Formats und die Drahtzieher selbst, die u. a.
humanitäre Maßnahmen einleiten, um scheinbar tiefgreifende
Lösungen voranzutreiben. An der Wurzel des Übels aber
ändern sie nichts Grundsätzliches. Denken wir an Bertolt
Brechts: «Die Rohheit kommt nicht von der Rohheit, sondern
von den Geschäften, die ohne sie nicht mehr gemacht
werden können.» (Rede auf dem Schriftstellerkongress zur
Verteidigung der Kultur, Juni 1935.)
Afrika bleibt nach wie vor ein Kontinent des Elends und der
Krisen. Obwohl seit den 1960er Jahren immer wieder die
Rede von Entwicklung ist, von entwicklungspolitischen
Strategien, muss letztendlich allem Gerede zum Trotz gesagt
werden, dass die grundlegende Frage der Entwicklung
Afrikas unbeantwortet bleibt. Die Probleme, mit denen Afrika
seit den Unabhängigkeiten konfrontiert ist, haben sich eher
verschärft. Eine kritische Bestandsaufnahme der verschiedenen
Versuche, mit dieser Situation der krassen Armut in jeder
Hinsicht fertig zu werden, bestätigt den pessimistischen
Blick auf die Entwicklung Afrikas. Die heutige Lage wird oft
erklärt durch:
Erstens: fehlende «Gute Regierungsführung» in den staatlichen
wie den privaten Sektoren, wodurch es an einem wirtschaftlichem
Klima im Interesse der Länder, insbesondere
für fortschrittliche Maßnahmen und Investitionen, mangelt;
Zweitens: fehlende Sanierung der Finanzen trotz der aufgezwungenen
Strukturanpassungsprogramme in den 1980er
Jahren.
Glaubwürdige, zukunftsweisende Ergebnisse der 2001
von der ehemaligen Organisation der Afrikanischen Einheit
(OAU) initiierten und später von der Afrikanischen Union getragenen
New Partnership for African Development (NEPAD)
lassen auf sich warten. Dieses Entwicklungsprogramm, basiert
auf zwei wesentlichen und neuen Partnerschaften, nämlich
einer neuen Partnerschaft unter Afrikanern selbst und
einer neuen Partnerschaft zwischen Afrika und der restlichen
Welt, insbesondere mit den Industrieländern. Dennoch oder
gerade deshalb ringt es verzweifelt mit dem eklatanten Gefälle,
dem unterschiedlichen Entwicklungsniveau der Partner
sowohl in Afrika wie auch zwischen Afrika und den traditionellen
Partnern in den Industrieländern; ganz zu schweigen
von den unterschiedlichen politischen Perspektiven in den
afrikanischen Ländern, die in der Tat oft nur Lippenbekenntnisse
zu NEPAD ablegen. Eine wirtschaftliche regionale Integration
lässt auf sich warten.
Wie schon angedeutet, sind im Allgemeinen politische Fehlentscheidungen
der gemeinsame Nenner der heutigen Situation
fast überall im subsaharischen Afrika. Zwar ist auf dem
afrikanischen Kontinent seit langem fast alles an Theorien,
Ideologien, Systemen und Modellen diskutiert und ausprobiert
worden. Nichts aber funktioniert im Sinne einer wirklich
zielgerichteten Entwicklung, die der Kultur Afrikas Rechnung
trägt und deren Hauptziel darin besteht, die Lebensbedingungen
der fast eine Milliarde Menschen in 54 Staaten bei
aller Unterschiedlichkeit im Entwicklungstempo von Region
zu Region zu verbessern.
Über das Scheitern nachhaltiger Entwicklung wird national
wie international viel nachgedacht; mit der Erkenntnis, dass
es an den notwendigen Voraussetzungen fehlt. Diese bestehen
insbesondere darin, konstitutionelle, rechtsstaatliche
Systeme und Demokratisierungsprozesse aufzubauen. Davon
ist das subsaharische Afrika weit entfernt. Immer wieder
wird auf undemokratische Weise die Verfassung geändert,
um korrupte Regimes wie etwa in Niger, Senegal oder demnächst
mit aller Wahrscheinlichkeit in Burkina Faso – um nur
einige Beispiele anzuführen – an der Macht zu halten.
Die demokratische Machtübernahme und Machtausübung
bleibt immer noch eine unbewältigte Herausforderung, was
verheerende Folgen hat. Oft, besonders seit dem Anfang
des neuen Jahrtausends, wird beispielsweise die Armutsbekämpfung,
der allgemeine Zugang zu Trinkwasser oder
Verbesserungen im Bereich Bildung und medizinischer Versorgung
allen anderen Zielen vorangestellt. Allerdings ohne
den Wurzeln dieser Armut nachzugehen, nämlich der Problematik
des Staates in Afrika, d. h. der Macht und ihrer Ausübung.
Diejenigen, in deren Händen sie liegt, werden kaum
auf demokratische Weise (zum Beispiel durch Parlamente)
zur Rechenschaft gezogen. Die Millennium Development
Goals (MDG), die Millenniums-Entwicklungsziele, die im
Jahre 2000 beschlossen wurden, sahen vor, zwischen 1990
und 2015 die extreme Armut zu halbieren. Ausgangspunkt
waren detaillierte Sozialindikatoren, Afrika rückte mehr und
mehr in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Heute ist
aber festzustellen, dass der Rückstand Afrikas gegenüber
den anderen Entwicklungsregionen zunimmt. Wenn man
die Sozialindikatoren bei den Pro-Kopf Einkommen, gemessen
in Kaufkraftparitäten, vergleicht, liegt Afrika – und zwar
das subsaharische Afrika – weit hinten. Die Fortschritte bei
der Verringerung extremer Armut, bei der Beseitigung von
Unterernährung, bei Indizes wie Grundschulbesuch, Kindersterblichkeit
oder Müttersterblichkeit sind unzulänglich.
Es werden keine langfristigen Perspektiven aufgebaut, was
unter anderem durch Entwicklungshilfe erreicht werden soll.
Das alles führt nicht zu ökonomischer Entwicklung, die tiefgreifend
und strukturell angelegt ist. Der landwirtschaftliche
Sektor, um nur ein Beispiel anzuführen, ohne weiter auf die
Debatte zu entwicklungspolitischen Fragen einzugehen,
trägt in Afrika nicht zur Entwicklung bei. Abgesehen von
allen Überlegungen zum Übergang von kleinbäuerlicher Agrarproduktion
hin zu einer verarbeitenden (Agrar)Industrie,
ist festzustellen, dass die Landwirtschaft im Allgemeinen
noch nicht in der Lage ist, die Grundbedürfnisse zu decken
und den Bauern mehr Einkommen zu ermöglichen. Im Gegenteil,
wie im Senegal werden die Kleinbauern auch anderswo
einer doppelten Ausbeutung ausgesetzt. Einerseits setzt
der Staat niedrige Preise für ihre Produkte fest und koppelt
daran den Versuch sie zu enteignen, zugunsten einer den
Machthabern nahestehenden und von ihnen künstlich geschaffenen
finanziellen Oligarchie, einer neuen Klasse, die
sich durch Korruption immens und rasch bereichert. Andererseits
vollendet das gegenwärtige Welthandelsregime den
Rest der kontinuierlichen Verarmung dieses wichtigen und
strategischen Sektors. Wie in den 1960er Jahren verschlechtern
sich neuerdings die Terms of Trade wieder.
Machtausübung in Afrika sollte auch bedeuten, die unerlässlichen
politischen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt
kulturellen Voraussetzungen zu schaffen, damit die zahlreichen
Konflikte, die Afrika zum Kontinent der Kriege haben
werden lassen, beendet werden. «Von den 200 größeren
Kriegen zwischen 1945 und 1999 fanden mehr als ein Viertel,
nämlich 56 in Afrika statt. Von 48 subsaharischen Staaten
haben nur fünf seit 1945 keine kriegerischen Auseinandersetzungen
erlebt» (Jörg Goldberg: Afrika im Weltkapitalismus.
Überleben im Goldland, Institut für sozial-ökologische
Wirtschaftsforschung, Report Nr. 72, München Dezember
2007). Dies sind ethnische, regional und religiös geprägte
Konflikte mit verschiedenstem Hintergrund, verbunden mit
einem schwachen Staat, mit Interventionen fremder Staaten.
Das alles wird geschürt von den eigentlichen Nutznießern,
den Rüstungskonzernen. Damit ist nochmals die Frage der
Natur des Staates in Afrika aufgeworfen, im Zusammenhang
mit der nach der Demokratie und deren Ausübung.
Der Staat erscheint in den Augen Vieler als ein «fremdes
Monster». Die Dämonisierung des Staates, das fehlende Verständnis
seines Wirkens zum Wohle des Ganzen und nicht
nur dem elitärer Gruppen ist durch den niedrigen Stand des
politischen Bewusstseins der des Lesens und Schreibens
unkundigen afrikanischen Massen, durch kulturelle Aspekte
des Kampfes um Demokratie sowie religiöse Praktiken bedingt.
Afrikaner identifizieren sich kaum mit dem Staat und
dessen Apparat. Hinzu kommt, dass sich nur sehr allmählich
eine Zivilgesellschaft etabliert oder sich mit viel Mühe und
gegen große Widerstände behauptet. Die Rolle der Zivilgesellschaft
erweist sich als sehr wichtig. Das zeigen verschiedene
Versuche einen demokratischen Prozess voranzubringen,
wie jüngst im Senegal mit den sogenannten «Assises
nationales» (Nationalversammlung). Sie waren ein Dorn im
Auge der Regierenden, erst recht als sie nach einem Jahr
tiefgreifender Reflexionen ein alternatives Modell von Demokratie
und Machtausübung vorstellten. Jede teilnehmende
politische Gruppierung musste sich dazu verpflichten, die
Schlussfolgerungen in die Tat umzusetzen. Mit fortschrittlichen
und demokratischen Parteien versuchen die «Assises
nationales», den Druck auf die Regierung zu erhöhen und
sowohl eine Abkehr vom reaktionären Kurs zu erzwingen als
auch gegen die neoliberale Stoßrichtung der Geberländer
und der Handelspartner in der Europäischen Union, zum Beispiel
in Bezug auf die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen,
vorzugehen.
Resümierend kann man sagen, dass die afrikanischen politischen
Eliten von heute im Großen und Ganzen keinen
Bruch mit ihren Vorgängern vollzogen haben, die während
der Sklaverei und des Kolonialismus Handlanger fremder Unterdrückung
waren. Man kann sie als Parasiten der afrikanischen
Volkswirtschaften charakterisieren. Dieses parasitäre
Bürgertum, das sich des Staatsapparats für eigene ausbeuterische
Interessen bedient, hat sich mit dem Ziel etabliert,
die immensen Ressourcen Afrikas für fremde Mächte zur
Verfügung zu stellen. Es begnügt sich mit einer subalternen
Rolle bei der Verwaltung dieser Ressourcen zugunsten der
fremden Konzerne. Es bildet eine parasitäre Klasse, deren
Reichtum auf Korruption beruht, und es spielt dementsprechend
keine historische Rolle. Diese Form der Bereicherung
infiziert auch die Organisationen der Arbeiter und Werktätigen
und schwächt sie. Hinzu kommt die Zersplitterung der
Gewerkschaften, die deren Durchsetzungsfähigkeit lähmt.
Eigentliche Grundlage dieser Entwicklung ist jedoch die
wachsende Verarmung der Massen, was vor allem bedeutet,
dass sich eine monströse informelle Wirtschaft herausbildet,
die sich der rechtlichen Regelung entzieht. Afrika südlich der
Sahara ist geprägt durch informelle Märkte und die Situation
verschlechtert sich weiter durch die Art und Weise, mit der
China in einigen afrikanischen Ländern Präsenz zeigt, wie
zum Beispiel im Senegal.
Wenn es um Ressourcen geht, geht es vor allem um den
Zugang zu diesen Ressourcen und ihre Bewirtschaftung. Je
nach dem, in wessen Händen die Kontrolle liegt, entscheidet
dies über die mögliche Verbesserung der sozioökonomischen
Lage der Afrikaner. Sie müssen beteiligt werden. Insofern
ist die Bewirtschaftung der Ressourcen ein wichtiger
Indikator des gesamtwirtschaftlichen Fortschritts und einer
Politik zugunsten der Bevölkerung. Die weltwirtschaftliche
Rolle Afrikas als Rohstofflieferant hat sich seit dem Ende des
Sklavenhandels und der Kolonialzeit kaum geändert. Nach
Schätzung vieler Spezialisten dominieren in Afrikas Export
noch immer nicht erneuerbare Rohstoffe. Neben Mineralien
sind auch einige andere interessant für den Weltmarkt.
Von dem aus Asien angetriebenen Rohstoffboom profitiert
Afrika beträchtlich. Das derzeit wichtigste afrikanische
Exportprodukt ist Erdöl, auf das 42 Prozent der Exporte
entfallen, und allein dies erklärt den Wettlauf um Afrika.
Nimmt man aber den Fall Nigeria, das größte und bevölkerungsreichste
Land Afrikas, dann zeigt sich, dass dieses
Land geprägt ist von der Korruption politischer Eliten, die
mit den Exporterlösen weder Wirtschaft noch Infrastruktur
entwickeln oder modernisieren. Aber während jetzt noch
der Wettlauf alter und neuer Mächte um Afrika stattfindet,
darf die Tatsache nicht übersehen werden, dass das Ende
der Vorräte absehbar ist (auf ganz Afrika entfallen zwölf
Prozent der Weltölförderung, es hat aber nur knapp sieben
Prozent der Weltölreserven – vgl. Goldberg). Man spricht
oft von knapper werdenden Ressourcen und steigenden
Rohstoffpreisen. Das erklärt, warum Afrika entgegen seiner
scheinbar marginalen weltwirtschaftlichen Rolle erneut
zum Objekt der Begierde geworden ist. Wenn zugleich der
Eigenverbrauch niedrig ist, muss man wohl vom «Fluch der
Ressourcen» sprechen. Bis auf wenige afrikanische Länder
werden die Gewinne aus dem Export von Bodenschätzen
kaum in öffentliche Güter reinvestiert. Ungeachtet vieler
Versuche, die Wirtschaft zu diversifizieren, sind viele Volkswirtschaften
durch die Abhängigkeit vom Export besonderer
Bodenschätze störanfällig. Auch wenn bedeutende
Vorkommen an Kupfer (im Süden der Demokratischen Republik
Kongo oder in Sambia) sowie Gold und Diamanten
(Südafrika, Botswana, Angola, Liberia, Sierra Leone) und
Erdöl in Nigeria und Gabun, neben Libyen und in neuster
Zeit vor den Küsten Angolas und Äquatorialguineas sowie
im Südsudan und Tschad erschlossen werden, eines bleibt
konstant: Bodenschätze sind für die Wirtschaft eines Landes
häufig von Nachteil. Rohstoffreiche Länder vernachlässigen
den Ausbau anderer Wirtschaftsbereiche. Ein Großteil
der Rohstoffe wird zur Weiterverarbeitung exportiert, weil
keinerlei Interesse besteht, die Rohstoffe vor Ort zu verarbeiten,
ungeachtet der billigen Arbeitskräfte. Diese Tatsache
erinnert an die Kolonialzeit. Die afrikanischen Staaten
bleiben dadurch auf ewig Konsumenten von importierten
Fertigerzeugnissen.
Nun gilt es, der asymmetrischen Bindung Afrikas an die kapitalistische,
neoliberale Weltwirtschaft und die Bindung an
die neoliberale Dominanz mitsamt ihren gesamtgesellschaftlichen
Auswirkungen ein Ende setzen. Obwohl manchmal
eine «Standortbestimmung» derjenigen Akteure, die Interesse
an einer progressiven gesellschaftlichen Transformation
haben, durch viele Faktoren erheblich erschwert erscheint,
muss trotzdem daran gearbeitet werden. Die schon erwähnten
«Assises nationales» in Senegal haben gezeigt: Es ist
möglich, verschiedene Akteure der gesellschaftlichen Transformation
in einem demokratischen Prozess zusammenzubringen,
um 50 Jahre afrikanischer formaler Unabhängigkeit
endlich qualitativ revolutionär neu und demokratisch zu gestalten.
Dafür ist es höchste Zeit.
* Vortrag von Prof. Dr. Maguèye Kassé auf dem von SODI!, dAfrig und
rls gemeinsam organisierten Kolloquium "Macht.Politik.Ressourcen." am 15. Januar 2011 in Leipzig. Maguèye Kassé ist Professor im Département de Langues et Civilisations Germaniques an der Faculté des lettres et Sciences Humaines der Universität Cheikh Anta Diop in Dakar (Senegal). Er ist zudem Direktor der Association sénégalaise d’appui aux politiques alternatives pour le développement, einem Partner der rls. (Kontakt: kassemagueye@yahoo.fr.; +221776435317)
Wider die Vereinfachung
Gedanken aus dem Korreferat von Andreas Bohne *
In seinem Vortrag verzichtet Maguèye Kassé völlig zu Recht
darauf, die politische und ökonomische Entwicklung Afrikas
seit Lumumbas Tod in einer These zusammenzufassen. Es ist
auch nicht möglich, eine These für das Spannungsfeld und
den gesamten Zeitraum von 50 Jahren abzuleiten. Zwar hat
sich das Dominanzverhalten im Verhältnis EU(ropa) zu Afrika
fortgesetzt. Daneben sind aber innerafrikanische Formen wie
Macht ausgeübt wird, hemmungslose Bereicherung und Verteilungskonflikte
ebenso ausschlaggebend für die politische
und sozioökonomische Entwicklung. Die Verbindung beider
Aspekte führt zu einer komplexen Situation, die eine Vereinfachung
nicht zulässt. Dies kann anhand des Metaphernpaares
«Ressourcenfluch» – «Ressourcensegen» beispielhaft gezeigt
werden.
Durchaus ist Afrika von einem Rohstofffluch betroffen: So
ist die «Holländische Krankheit» in einigen Ländern zu beobachten,
d. h. die Einnahmen aus dem Rohstoffexport lassen
andere Produktionsaktivitäten als überflüssig oder unrentabel
erscheinen, da – Dank der Exporteinnahmen – alles
andere «günstiger» importiert werden kann. Daher könnte
geschlussfolgert werden, dass es einen Zusammenhang
zwischen Ressourcenreichtum und einer bestimmten Form
von Machtausübung im nachkolonialen Afrika gäbe. Konkret,
dass ressourcenreiche Staaten zwangsläufig autoritäre Regierung
haben; oder dass rohstoffreiche Länder wie Kongo,
Nigeria oder Sierra Leone von Bürgerkriegen, schwachen
Institutionen und Korruption unvermeidlich heimgesucht
werden.
Widerlegen jedoch nicht Beispiele wie Angola, Botswana,
Sambia, Namibia und Südafrika – bekanntermaßen ebenfalls
rohstoffreiche Staaten – diese «Regel» und stellen trotzdem
stabile Demokratien dar? Auch muss darauf hingewiesen
werden, dass afrikanische Staaten von einem Wirtschaftswachstum
profitieren, das auf Ressourcenexport beruht, was
es diesen Ländern erlaubt, zunehmend unabhängig von internationalen
Gebern und deren Einflussnahme auf die Politikgestaltung
zu agieren. Nach Prägung durch den europäischen
Kolonialismus und postkolonialer Konditionierung kommt
diesem Aspekt wesentliche Bedeutung zu.
Eine bislang wenig beachtete Entwicklung ist, wenn die ehemaligen
Kolonien, die über Macht und Ressourcen verfügen,
«zurückschlagen». Ein Beispiel dafür ist Sonangol. Das staatseigene
Mineralölunternehmen Angolas, drängt seit einiger
Zeit zunehmend auf den portugiesischen und damit auf den
europäischen Markt. Daneben hat Sonangol 2009 die Ausschreibung
um ein irakisches Ölfeld gewonnen. Hier zeigt
sich das Bild eines Unternehmens aus einem Entwicklungsland,
das selbst zum «Global Player» wird. Grundlage dieser
Entwicklung ist gerade der Ressourcenreichtum, also ist er
vielleicht doch ein Segen?
Das zeigt, eine eindeutige Einschätzung ist nicht möglich.
Die Frage ist jedoch, wie der Fluch gezielt in einen Segen
verwandelt werden kann: Ein Ansatzpunkt ist die wachsende
afrikanische Zivilgesellschaft, die auf Korruption und Machtmissbrauch
reagiert und Druck ausübt. Weitere Ansatzpunkte
sind (verpflichtende) Richtlinieninitiativen und Transparenz
im Handel. Eine andere Frage, die sich ebenfalls stellt, ist die,
ob die Investitionen afrikanischer Konzerne nicht vielleicht
nur eine geographische Umkehr des neoliberalen Entwicklungspfades
darstellen.
** Andreas Bohne ist Projektbearbeiter Afrika beim Solidaritätsdienst international e. V. (SODI). Die vertretene Meinung ist persönlich.
Die beiden Texte wurden veröffentlicht in der Reihe "Standpunkte international" (03/2011) der Rosa-Luxemburg-Stiftung: www.rosalux.de (pdf-Datei, externer Link).
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