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Macht.Politik.Ressourcen.

Ein halbes Jahrhundert (un)abhängige Entwicklung in Afrika

Von Maguèye Kassé *

Die Initiative der Rosa-Luxemburg-Stiftung (rls), der Deutsch-Afrikanischen Gesellschaft (dAfrig) und des Solidaritätsdienstes International (SODI!) ein so wichtiges und aktuelles Kolloquium in Leipzig zu organisieren, ist sehr zu begrüßen. Sie reiht sich nicht nur in viele andere Initiativen ein, die sich den 50 Jahren formaler Unabhängigkeit etlicher afrikanischer Länder, vor allem im Afrika südlich der Sahara, widmen. Dieser Anlass hat eine umso höhere Symbolik, als er mit dem 50. Todestag von Patrice Lumumba und der Wiederaufstellung seines Denkmals in Leipzig verbunden ist.

Lumumba war einer der vielversprechenden afrikanischen Führungspersönlichkeiten in der Zeit der Befreiung von kolonialer und neokolonialer Unterdrückung und der Ausplünderung der immensen Ressourcen. Er wird durch diese Konferenz nicht nur geehrt und gewürdigt, sein Schicksal gibt auch Anlass zur Besinnung auf die heutige Situation des afrikanischen Kontinents. Lumumba gehörte ebenso wie Ruben Um Niobe, Ernest Ouandié oder Amical Cabral – um nur einige gleichen Ranges zu nennen – zu einer Schar engagierter afrikanischer Patrioten der ersten Stunde, die ihr Engagement für ein neues Afrika, das sein Schicksal selbst in die Hand nehmen wollte, ohne sich fremdem Joch zu unterwerfen, mit dem Tod bezahlten. Die offen imperialistischen Ziele des belgischen Kolonialismus und der internationalen Konzerne, die noch bis heute keinen Hehl daraus machen, weshalb sie die Ermordung dieser afrikanischen Symbolfigur der 1950er Jahre mit Hilfe ihrer Strohmänner systematisch betrieben, haben sich bis heute kaum geändert. Sie werden heute nur mit anderen Mitteln als damals verfolgt wie zahlreiche Dokumentarfilme und literarische Werke zeigen. Insofern ist das Vermächtnis Lumumbas immer noch aktuell, gerade in Anbetracht der heutigen Situation Afrikas.

In diesem Zusammenhang erlangt die Frage der Macht besondere Relevanz. Erbitterte Machtkämpfe prägen Afrika bis in die Gegenwart. Es geht um die Ausnutzung der Ressourcen für eine erwünschte, gezielte Entwicklung sowie um Politik und Praxis von Demokratie in turbulenten Zeiten wie den heutigen. Eine kritische Bestandsaufnahme der Politik, die von der Mehrzahl der afrikanischen Staatsführer, bis auf ganz wenige Ausnahmen, für die Befreiung Afrikas aus der Unterentwicklung ins Werk gesetzt wurde, zeigt von den 1960er Jahren bis heute eklatante Versäumnisse in vielerlei Hinsicht.

Macht, Politik, Ressourcen. Dieses Triptychon hat seit den 1960er Jahren akute Relevanz, vor allem im sub-saharischen Afrika. Die Frage der Macht lässt sich nach der Art und Weise analysieren, in der Interessenvereinigungen, Parteien, Organisationen verschiedener Natur – seien es Gewerkschaften, seien es neuerdings zivilgesellschaftliche Strukturen unterschiedlicher Richtungen – zu ihr gelangen, an ihr beteiligt werden und wie sie sich in Folge dessen organisieren; daran, wie die Interessen der jeweiligen Bevölkerungen langfristig vertreten werden; daran, ob deren Interessen aufgenommen werden bzw. ob sich diese mit der exekutierten Politik identifizieren oder nicht. Eine Demokratie, die universellen Regeln auch praktisch Rechnung trägt, d. h. vor allem demokratische, transparente, friedliche Wahlen ohne blutige Ausschreitungen, lässt in Afrika generell auf sich warten. Das aktuelle Beispiel Côte d’Ivore steht für viele Länder.

Auffällig ist in diesem Zusammenhang ein insgesamt düsteres Afrika-Bild. Es ist bestimmt von Misswirtschaft, Korruption bestimmter politischer Eliten, angefangen mit jenen verschiedener Provenienz, die zum großen Teil nach der jeweiligen Unabhängigkeit ihrer Länder an die Macht gelangten und imperialistische bzw. neokolonialistische Interessen vertraten und die häufig ihre Nachfolger auf diese Art der Machtausübung vorbereiteten. Man schaue auf die aktuelle Tendenz in Afrika, die Macht quasi-monarchistisch zu vererben, sie z. B. auf den Sohn des Staatschefs übergehen zu lassen, wie in Gabun bereits geschehen oder wie im Senegal von Präsident Abdoulaye Wade für die bevorstehenden Präsidentenwahlen offenbar geplant.

Offen oder geheim werden nicht selten Strategien entwickelt, um die bestehende Situation aufrechtzuerhalten. Immer dann, wenn innere Spannungen zu eskalieren drohen, wenn sich politische Engpässe abzeichnen, die zu schrecklichen Konfrontationen führen, zu blutigen Ausschreitungen, wenn z. B. Bürger sich gegen Korruption oder Mangel an Demokratie auflehnen. Immer dann, wenn ferngesteuerte «ethnische» Kriege wie beim Genozid in Ruanda oder in Darfur ausbrechen, sind es oft fremde Mächte, die politischstrategische Interessen verfolgen, sind es Waffenhändler besonderen Formats und die Drahtzieher selbst, die u. a. humanitäre Maßnahmen einleiten, um scheinbar tiefgreifende Lösungen voranzutreiben. An der Wurzel des Übels aber ändern sie nichts Grundsätzliches. Denken wir an Bertolt Brechts: «Die Rohheit kommt nicht von der Rohheit, sondern von den Geschäften, die ohne sie nicht mehr gemacht werden können.» (Rede auf dem Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur, Juni 1935.)

Afrika bleibt nach wie vor ein Kontinent des Elends und der Krisen. Obwohl seit den 1960er Jahren immer wieder die Rede von Entwicklung ist, von entwicklungspolitischen Strategien, muss letztendlich allem Gerede zum Trotz gesagt werden, dass die grundlegende Frage der Entwicklung Afrikas unbeantwortet bleibt. Die Probleme, mit denen Afrika seit den Unabhängigkeiten konfrontiert ist, haben sich eher verschärft. Eine kritische Bestandsaufnahme der verschiedenen Versuche, mit dieser Situation der krassen Armut in jeder Hinsicht fertig zu werden, bestätigt den pessimistischen Blick auf die Entwicklung Afrikas. Die heutige Lage wird oft erklärt durch:

Erstens: fehlende «Gute Regierungsführung» in den staatlichen wie den privaten Sektoren, wodurch es an einem wirtschaftlichem Klima im Interesse der Länder, insbesondere für fortschrittliche Maßnahmen und Investitionen, mangelt;

Zweitens: fehlende Sanierung der Finanzen trotz der aufgezwungenen Strukturanpassungsprogramme in den 1980er Jahren.

Glaubwürdige, zukunftsweisende Ergebnisse der 2001 von der ehemaligen Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) initiierten und später von der Afrikanischen Union getragenen New Partnership for African Development (NEPAD) lassen auf sich warten. Dieses Entwicklungsprogramm, basiert auf zwei wesentlichen und neuen Partnerschaften, nämlich einer neuen Partnerschaft unter Afrikanern selbst und einer neuen Partnerschaft zwischen Afrika und der restlichen Welt, insbesondere mit den Industrieländern. Dennoch oder gerade deshalb ringt es verzweifelt mit dem eklatanten Gefälle, dem unterschiedlichen Entwicklungsniveau der Partner sowohl in Afrika wie auch zwischen Afrika und den traditionellen Partnern in den Industrieländern; ganz zu schweigen von den unterschiedlichen politischen Perspektiven in den afrikanischen Ländern, die in der Tat oft nur Lippenbekenntnisse zu NEPAD ablegen. Eine wirtschaftliche regionale Integration lässt auf sich warten.

Wie schon angedeutet, sind im Allgemeinen politische Fehlentscheidungen der gemeinsame Nenner der heutigen Situation fast überall im subsaharischen Afrika. Zwar ist auf dem afrikanischen Kontinent seit langem fast alles an Theorien, Ideologien, Systemen und Modellen diskutiert und ausprobiert worden. Nichts aber funktioniert im Sinne einer wirklich zielgerichteten Entwicklung, die der Kultur Afrikas Rechnung trägt und deren Hauptziel darin besteht, die Lebensbedingungen der fast eine Milliarde Menschen in 54 Staaten bei aller Unterschiedlichkeit im Entwicklungstempo von Region zu Region zu verbessern.

Über das Scheitern nachhaltiger Entwicklung wird national wie international viel nachgedacht; mit der Erkenntnis, dass es an den notwendigen Voraussetzungen fehlt. Diese bestehen insbesondere darin, konstitutionelle, rechtsstaatliche Systeme und Demokratisierungsprozesse aufzubauen. Davon ist das subsaharische Afrika weit entfernt. Immer wieder wird auf undemokratische Weise die Verfassung geändert, um korrupte Regimes wie etwa in Niger, Senegal oder demnächst mit aller Wahrscheinlichkeit in Burkina Faso – um nur einige Beispiele anzuführen – an der Macht zu halten.

Die demokratische Machtübernahme und Machtausübung bleibt immer noch eine unbewältigte Herausforderung, was verheerende Folgen hat. Oft, besonders seit dem Anfang des neuen Jahrtausends, wird beispielsweise die Armutsbekämpfung, der allgemeine Zugang zu Trinkwasser oder Verbesserungen im Bereich Bildung und medizinischer Versorgung allen anderen Zielen vorangestellt. Allerdings ohne den Wurzeln dieser Armut nachzugehen, nämlich der Problematik des Staates in Afrika, d. h. der Macht und ihrer Ausübung. Diejenigen, in deren Händen sie liegt, werden kaum auf demokratische Weise (zum Beispiel durch Parlamente) zur Rechenschaft gezogen. Die Millennium Development Goals (MDG), die Millenniums-Entwicklungsziele, die im Jahre 2000 beschlossen wurden, sahen vor, zwischen 1990 und 2015 die extreme Armut zu halbieren. Ausgangspunkt waren detaillierte Sozialindikatoren, Afrika rückte mehr und mehr in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Heute ist aber festzustellen, dass der Rückstand Afrikas gegenüber den anderen Entwicklungsregionen zunimmt. Wenn man die Sozialindikatoren bei den Pro-Kopf Einkommen, gemessen in Kaufkraftparitäten, vergleicht, liegt Afrika – und zwar das subsaharische Afrika – weit hinten. Die Fortschritte bei der Verringerung extremer Armut, bei der Beseitigung von Unterernährung, bei Indizes wie Grundschulbesuch, Kindersterblichkeit oder Müttersterblichkeit sind unzulänglich.

Es werden keine langfristigen Perspektiven aufgebaut, was unter anderem durch Entwicklungshilfe erreicht werden soll. Das alles führt nicht zu ökonomischer Entwicklung, die tiefgreifend und strukturell angelegt ist. Der landwirtschaftliche Sektor, um nur ein Beispiel anzuführen, ohne weiter auf die Debatte zu entwicklungspolitischen Fragen einzugehen, trägt in Afrika nicht zur Entwicklung bei. Abgesehen von allen Überlegungen zum Übergang von kleinbäuerlicher Agrarproduktion hin zu einer verarbeitenden (Agrar)Industrie, ist festzustellen, dass die Landwirtschaft im Allgemeinen noch nicht in der Lage ist, die Grundbedürfnisse zu decken und den Bauern mehr Einkommen zu ermöglichen. Im Gegenteil, wie im Senegal werden die Kleinbauern auch anderswo einer doppelten Ausbeutung ausgesetzt. Einerseits setzt der Staat niedrige Preise für ihre Produkte fest und koppelt daran den Versuch sie zu enteignen, zugunsten einer den Machthabern nahestehenden und von ihnen künstlich geschaffenen finanziellen Oligarchie, einer neuen Klasse, die sich durch Korruption immens und rasch bereichert. Andererseits vollendet das gegenwärtige Welthandelsregime den Rest der kontinuierlichen Verarmung dieses wichtigen und strategischen Sektors. Wie in den 1960er Jahren verschlechtern sich neuerdings die Terms of Trade wieder.

Machtausübung in Afrika sollte auch bedeuten, die unerlässlichen politischen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt kulturellen Voraussetzungen zu schaffen, damit die zahlreichen Konflikte, die Afrika zum Kontinent der Kriege haben werden lassen, beendet werden. «Von den 200 größeren Kriegen zwischen 1945 und 1999 fanden mehr als ein Viertel, nämlich 56 in Afrika statt. Von 48 subsaharischen Staaten haben nur fünf seit 1945 keine kriegerischen Auseinandersetzungen erlebt» (Jörg Goldberg: Afrika im Weltkapitalismus. Überleben im Goldland, Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung, Report Nr. 72, München Dezember 2007). Dies sind ethnische, regional und religiös geprägte Konflikte mit verschiedenstem Hintergrund, verbunden mit einem schwachen Staat, mit Interventionen fremder Staaten. Das alles wird geschürt von den eigentlichen Nutznießern, den Rüstungskonzernen. Damit ist nochmals die Frage der Natur des Staates in Afrika aufgeworfen, im Zusammenhang mit der nach der Demokratie und deren Ausübung.

Der Staat erscheint in den Augen Vieler als ein «fremdes Monster». Die Dämonisierung des Staates, das fehlende Verständnis seines Wirkens zum Wohle des Ganzen und nicht nur dem elitärer Gruppen ist durch den niedrigen Stand des politischen Bewusstseins der des Lesens und Schreibens unkundigen afrikanischen Massen, durch kulturelle Aspekte des Kampfes um Demokratie sowie religiöse Praktiken bedingt. Afrikaner identifizieren sich kaum mit dem Staat und dessen Apparat. Hinzu kommt, dass sich nur sehr allmählich eine Zivilgesellschaft etabliert oder sich mit viel Mühe und gegen große Widerstände behauptet. Die Rolle der Zivilgesellschaft erweist sich als sehr wichtig. Das zeigen verschiedene Versuche einen demokratischen Prozess voranzubringen, wie jüngst im Senegal mit den sogenannten «Assises nationales» (Nationalversammlung). Sie waren ein Dorn im Auge der Regierenden, erst recht als sie nach einem Jahr tiefgreifender Reflexionen ein alternatives Modell von Demokratie und Machtausübung vorstellten. Jede teilnehmende politische Gruppierung musste sich dazu verpflichten, die Schlussfolgerungen in die Tat umzusetzen. Mit fortschrittlichen und demokratischen Parteien versuchen die «Assises nationales», den Druck auf die Regierung zu erhöhen und sowohl eine Abkehr vom reaktionären Kurs zu erzwingen als auch gegen die neoliberale Stoßrichtung der Geberländer und der Handelspartner in der Europäischen Union, zum Beispiel in Bezug auf die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, vorzugehen.

Resümierend kann man sagen, dass die afrikanischen politischen Eliten von heute im Großen und Ganzen keinen Bruch mit ihren Vorgängern vollzogen haben, die während der Sklaverei und des Kolonialismus Handlanger fremder Unterdrückung waren. Man kann sie als Parasiten der afrikanischen Volkswirtschaften charakterisieren. Dieses parasitäre Bürgertum, das sich des Staatsapparats für eigene ausbeuterische Interessen bedient, hat sich mit dem Ziel etabliert, die immensen Ressourcen Afrikas für fremde Mächte zur Verfügung zu stellen. Es begnügt sich mit einer subalternen Rolle bei der Verwaltung dieser Ressourcen zugunsten der fremden Konzerne. Es bildet eine parasitäre Klasse, deren Reichtum auf Korruption beruht, und es spielt dementsprechend keine historische Rolle. Diese Form der Bereicherung infiziert auch die Organisationen der Arbeiter und Werktätigen und schwächt sie. Hinzu kommt die Zersplitterung der Gewerkschaften, die deren Durchsetzungsfähigkeit lähmt. Eigentliche Grundlage dieser Entwicklung ist jedoch die wachsende Verarmung der Massen, was vor allem bedeutet, dass sich eine monströse informelle Wirtschaft herausbildet, die sich der rechtlichen Regelung entzieht. Afrika südlich der Sahara ist geprägt durch informelle Märkte und die Situation verschlechtert sich weiter durch die Art und Weise, mit der China in einigen afrikanischen Ländern Präsenz zeigt, wie zum Beispiel im Senegal.

Wenn es um Ressourcen geht, geht es vor allem um den Zugang zu diesen Ressourcen und ihre Bewirtschaftung. Je nach dem, in wessen Händen die Kontrolle liegt, entscheidet dies über die mögliche Verbesserung der sozioökonomischen Lage der Afrikaner. Sie müssen beteiligt werden. Insofern ist die Bewirtschaftung der Ressourcen ein wichtiger Indikator des gesamtwirtschaftlichen Fortschritts und einer Politik zugunsten der Bevölkerung. Die weltwirtschaftliche Rolle Afrikas als Rohstofflieferant hat sich seit dem Ende des Sklavenhandels und der Kolonialzeit kaum geändert. Nach Schätzung vieler Spezialisten dominieren in Afrikas Export noch immer nicht erneuerbare Rohstoffe. Neben Mineralien sind auch einige andere interessant für den Weltmarkt. Von dem aus Asien angetriebenen Rohstoffboom profitiert Afrika beträchtlich. Das derzeit wichtigste afrikanische Exportprodukt ist Erdöl, auf das 42 Prozent der Exporte entfallen, und allein dies erklärt den Wettlauf um Afrika. Nimmt man aber den Fall Nigeria, das größte und bevölkerungsreichste Land Afrikas, dann zeigt sich, dass dieses Land geprägt ist von der Korruption politischer Eliten, die mit den Exporterlösen weder Wirtschaft noch Infrastruktur entwickeln oder modernisieren. Aber während jetzt noch der Wettlauf alter und neuer Mächte um Afrika stattfindet, darf die Tatsache nicht übersehen werden, dass das Ende der Vorräte absehbar ist (auf ganz Afrika entfallen zwölf Prozent der Weltölförderung, es hat aber nur knapp sieben Prozent der Weltölreserven – vgl. Goldberg). Man spricht oft von knapper werdenden Ressourcen und steigenden Rohstoffpreisen. Das erklärt, warum Afrika entgegen seiner scheinbar marginalen weltwirtschaftlichen Rolle erneut zum Objekt der Begierde geworden ist. Wenn zugleich der Eigenverbrauch niedrig ist, muss man wohl vom «Fluch der Ressourcen» sprechen. Bis auf wenige afrikanische Länder werden die Gewinne aus dem Export von Bodenschätzen kaum in öffentliche Güter reinvestiert. Ungeachtet vieler Versuche, die Wirtschaft zu diversifizieren, sind viele Volkswirtschaften durch die Abhängigkeit vom Export besonderer Bodenschätze störanfällig. Auch wenn bedeutende Vorkommen an Kupfer (im Süden der Demokratischen Republik Kongo oder in Sambia) sowie Gold und Diamanten (Südafrika, Botswana, Angola, Liberia, Sierra Leone) und Erdöl in Nigeria und Gabun, neben Libyen und in neuster Zeit vor den Küsten Angolas und Äquatorialguineas sowie im Südsudan und Tschad erschlossen werden, eines bleibt konstant: Bodenschätze sind für die Wirtschaft eines Landes häufig von Nachteil. Rohstoffreiche Länder vernachlässigen den Ausbau anderer Wirtschaftsbereiche. Ein Großteil der Rohstoffe wird zur Weiterverarbeitung exportiert, weil keinerlei Interesse besteht, die Rohstoffe vor Ort zu verarbeiten, ungeachtet der billigen Arbeitskräfte. Diese Tatsache erinnert an die Kolonialzeit. Die afrikanischen Staaten bleiben dadurch auf ewig Konsumenten von importierten Fertigerzeugnissen.

Nun gilt es, der asymmetrischen Bindung Afrikas an die kapitalistische, neoliberale Weltwirtschaft und die Bindung an die neoliberale Dominanz mitsamt ihren gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen ein Ende setzen. Obwohl manchmal eine «Standortbestimmung» derjenigen Akteure, die Interesse an einer progressiven gesellschaftlichen Transformation haben, durch viele Faktoren erheblich erschwert erscheint, muss trotzdem daran gearbeitet werden. Die schon erwähnten «Assises nationales» in Senegal haben gezeigt: Es ist möglich, verschiedene Akteure der gesellschaftlichen Transformation in einem demokratischen Prozess zusammenzubringen, um 50 Jahre afrikanischer formaler Unabhängigkeit endlich qualitativ revolutionär neu und demokratisch zu gestalten. Dafür ist es höchste Zeit.

* Vortrag von Prof. Dr. Maguèye Kassé auf dem von SODI!, dAfrig und rls gemeinsam organisierten Kolloquium "Macht.Politik.Ressourcen." am 15. Januar 2011 in Leipzig. Maguèye Kassé ist Professor im Département de Langues et Civilisations Germaniques an der Faculté des lettres et Sciences Humaines der Universität Cheikh Anta Diop in Dakar (Senegal). Er ist zudem Direktor der Association sénégalaise d’appui aux politiques alternatives pour le développement, einem Partner der rls. (Kontakt: kassemagueye@yahoo.fr.; +221776435317)


Wider die Vereinfachung

Gedanken aus dem Korreferat von Andreas Bohne *

In seinem Vortrag verzichtet Maguèye Kassé völlig zu Recht darauf, die politische und ökonomische Entwicklung Afrikas seit Lumumbas Tod in einer These zusammenzufassen. Es ist auch nicht möglich, eine These für das Spannungsfeld und den gesamten Zeitraum von 50 Jahren abzuleiten. Zwar hat sich das Dominanzverhalten im Verhältnis EU(ropa) zu Afrika fortgesetzt. Daneben sind aber innerafrikanische Formen wie Macht ausgeübt wird, hemmungslose Bereicherung und Verteilungskonflikte ebenso ausschlaggebend für die politische und sozioökonomische Entwicklung. Die Verbindung beider Aspekte führt zu einer komplexen Situation, die eine Vereinfachung nicht zulässt. Dies kann anhand des Metaphernpaares «Ressourcenfluch» – «Ressourcensegen» beispielhaft gezeigt werden.

Durchaus ist Afrika von einem Rohstofffluch betroffen: So ist die «Holländische Krankheit» in einigen Ländern zu beobachten, d. h. die Einnahmen aus dem Rohstoffexport lassen andere Produktionsaktivitäten als überflüssig oder unrentabel erscheinen, da – Dank der Exporteinnahmen – alles andere «günstiger» importiert werden kann. Daher könnte geschlussfolgert werden, dass es einen Zusammenhang zwischen Ressourcenreichtum und einer bestimmten Form von Machtausübung im nachkolonialen Afrika gäbe. Konkret, dass ressourcenreiche Staaten zwangsläufig autoritäre Regierung haben; oder dass rohstoffreiche Länder wie Kongo, Nigeria oder Sierra Leone von Bürgerkriegen, schwachen Institutionen und Korruption unvermeidlich heimgesucht werden.

Widerlegen jedoch nicht Beispiele wie Angola, Botswana, Sambia, Namibia und Südafrika – bekanntermaßen ebenfalls rohstoffreiche Staaten – diese «Regel» und stellen trotzdem stabile Demokratien dar? Auch muss darauf hingewiesen werden, dass afrikanische Staaten von einem Wirtschaftswachstum profitieren, das auf Ressourcenexport beruht, was es diesen Ländern erlaubt, zunehmend unabhängig von internationalen Gebern und deren Einflussnahme auf die Politikgestaltung zu agieren. Nach Prägung durch den europäischen Kolonialismus und postkolonialer Konditionierung kommt diesem Aspekt wesentliche Bedeutung zu.

Eine bislang wenig beachtete Entwicklung ist, wenn die ehemaligen Kolonien, die über Macht und Ressourcen verfügen, «zurückschlagen». Ein Beispiel dafür ist Sonangol. Das staatseigene Mineralölunternehmen Angolas, drängt seit einiger Zeit zunehmend auf den portugiesischen und damit auf den europäischen Markt. Daneben hat Sonangol 2009 die Ausschreibung um ein irakisches Ölfeld gewonnen. Hier zeigt sich das Bild eines Unternehmens aus einem Entwicklungsland, das selbst zum «Global Player» wird. Grundlage dieser Entwicklung ist gerade der Ressourcenreichtum, also ist er vielleicht doch ein Segen?

Das zeigt, eine eindeutige Einschätzung ist nicht möglich. Die Frage ist jedoch, wie der Fluch gezielt in einen Segen verwandelt werden kann: Ein Ansatzpunkt ist die wachsende afrikanische Zivilgesellschaft, die auf Korruption und Machtmissbrauch reagiert und Druck ausübt. Weitere Ansatzpunkte sind (verpflichtende) Richtlinieninitiativen und Transparenz im Handel. Eine andere Frage, die sich ebenfalls stellt, ist die, ob die Investitionen afrikanischer Konzerne nicht vielleicht nur eine geographische Umkehr des neoliberalen Entwicklungspfades darstellen.

** Andreas Bohne ist Projektbearbeiter Afrika beim Solidaritätsdienst international e. V. (SODI). Die vertretene Meinung ist persönlich.

Die beiden Texte wurden veröffentlicht in der Reihe "Standpunkte international" (03/2011) der Rosa-Luxemburg-Stiftung: www.rosalux.de (pdf-Datei, externer Link).

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