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Die Arroganz der Plünderer

2008 im Rückblick: Afrika. Die neokoloniale Jagd nach Bodenschätzen erzeugt permanent Elend, Krieg und Massenfluchten

Von Gerd Schumann *

Interventionsziel Afrika: Mit Simbabwe, Somalia und Kongo benannte der Westen kurz vor der Jahreswende gleich drei subsaharische Regionen, in denen dringend ausländisches Militär vonnöten sei. Zudem stand die sudanesische Westprovinz Darfur auch 2008 weiter ganz oben auf der Eingreifliste, in der bereits acht UN- und vier EU-Kontingente verzeichnet sind. Manches Mal erschien es in den vergangenen zwölf Monaten, als sei in Sachen Afrika die Weltuhr zurückgedreht in die Zeit der kolonialistischen Willkür. Nach 1884/85 beispielsweise, als auf der Berliner Kongo-Konferenz imperialistische Einflußsphären mit Linealstrichen gezogen wurden.

Weitgehend abgekoppelt vom rasenden globalen Akkumulationsprozeß des Kapitals, gedrängt in eine unbedeutende Randrolle der Weltpolitik und verleumdet als archaischer, zivilisationsferner Kontinent bedeutet Nachdenken über Afrika zuallererst, Arroganz und Selbstherrlichkeit des neoliberal-entfesselten Kolonialismus zu benennen. Die im Ostkongo vom aufständischen Rebellenführer Laurent Nkunda ausgehende Gewalt wurde nun einmal im Zusammenspiel mit eben jenen Kräften initiiert, die nach robusten Mandaten und schnellen Eingreiftruppen rufen.

Das schwerbewaffnete Tauziehen um den Ostkongo als wichtigem Teil der zentralafrikanischen Große-Seen-Schatzkammer ebenso wie um die sudanesischen Provinzen Darfur und Südsudan hielt auch 2008 an und wird weiterhin anhalten. Es hat – geschätzt – mindestens sechs Millionen Menschen ihr Leben gekostet, soll absehbar zur Stationierung von über 40000 UN-Blauhelmen in den beiden Gegenden führen – die weltweit größten Kontingente. Die Begehrlichkeiten der US-gesponserten Regierungen in Kongos Nachbarländern Ruanda und Uganda werden ebenso ungebrochen bleiben, wie in der südsudanesischen Provinzhauptstadt Juba.

Grenzen in Frage gestellt

Sie kollidieren unterdessen aktuell unweigerlich mit den Interessen Kinshasas wie auch Khartums. Die Regierenden dort wollen offensichtlich ihren Zugriff auf die nationalen Bodenschätze sichern und befinden sich mit diesem Ansinnen innerhalb der Logik der territorialen Integrität. Auf diese kann sich die Demokratische Republik Kongo (DRK) ebenso berufen wie die Republik Sudan, selbst wenn die Staatsgrenzen in Afrika einst kolonial diktiert wurden. Allerdings verstärkte sich im vergangenen Jahr der Eindruck, daß die vom Imperialismus angezettelten Verteilungskämpfe auf dem afrikanischen Kontinent zunehmend dessen einst selbst verfügten künstlichen Grenzziehungen in Frage stellen.

Im ölreichen Südsudan soll bereits 2011 ein Referendum über die Bildung eines eigenen Staats und also die Abtrennung von Khartum entscheiden. In weiser Voraussicht unternimmt das Imperium mit den USA an der Spitze seit Jahren alles mögliche zur Schwächung des Zentralstaats. Da kommen Rebellenbewegungen in Darfur gerade gelegen. Sie ernten westliche Sympathien und auch Handfesteres, und der Ruf nach UN-Truppen verbindet ihre Interessen mit denen der nicht nur von Washington hofierten südsudanesischen Machthaber. Diese bereiten sich in ihrer Boomtown Juba – sie liegt grenznah zu Uganda und Kongo – militärisch auf 2011 und die Erringung eines eigenen Staats vor. Die Informationen, wonach die 33 Panzer T-72, die Panzerfäuste, Flugabwehrgeschütze, Raketenwerfer und Munition an Bord des vor der somalischen Provinz Puntland von Piraten gekaperten unter ukrainischer Flagge fahrenden Frachtschiffs »Faina« für Südsudan bestimmt waren, klingen fundiert.

Nkundas Forderung

Im Ostkongo fordert Nkunda, der den dortigen Krieg vom Zaune brach, als alter Kumpan des ruandischen Staatspräsidenten Paul Kagame von der Regierung in der periphär gelegenen kongolesischen Hauptstadt Kinshasa nicht nur, daß die – für beide Seiten lukrativen – Wirtschaftsverträge mit der Volksrepublik China aufgekündigt und durch Abkommen mit ehemaligen Kolonialmächten ersetzt werden – Milliardenprojekte, die den Tausch von wertvollen Rohstoffen gegen dringende Infrastrukturmaßnahmen sowie Qualifizierung für einheimische Arbeiter vorsehen, und zwar im Ostkongo ebenso wie in der Provinz Katanga. Der Rebellengeneral will zudem gleichberechtigt mit der Regierung verhandeln – auch über die territoriale Integrität der DRK.

Eine Abspaltung der reichen, an Sambia grenzenden Provinz Katanga, wie bereits nach der Unabhängigkeit des Landes zwischen 1960 und 1963 geschehen, befürchtet die Zentralregierung seit Jahren. Dabei ging und geht es um die – nach Chile – zweitgrößten Kupfervorkommen der Erde, wobei das kongolesische Erz mit 3,5 Prozent wesentlich kupferhaltiger ist als das chilenische (0,5 Prozent). Der Weltmarktpreis für Kupfer stieg zudem im vergangenen Jahrzehnt auf das 16fache und liegt derzeit bei etwa 8000 Dollar pro Tonne. Kinshasa allerdings sieht von den in den ehemals staatlichen Minen erwirtschafteten Profiten herzlich wenig: Ein den Regierenden unter Joseph Kabila 2003 – also weit vor den »demokratischen Wahlen« von 2005 – von der Weltbank diktiertes Bergbaugesetz sorgte für die Privatisierung und für Steuerbefreiungen von bis zu 30 Jahren. Und folglich für den Ausverkauf der Landesschätze zu Niedrigstpreisen – wenn überhaupt bezahlt wird.

Handel mit Gold

Das gilt seit nun über zehn Jahren besonders für die kongolesische Ostprovinz Ituri. Diese liegt im Herzen der vielleicht goldreichsten Region der Erde. Sie grenzt an Uganda – ein nicht mit Rohstoffen gesegnetes Land, das trotzdem seit Jahren zu den weltweit größten Goldexporteuren gehört. So produzierte Kampala im Jahr 2003 selbst ganze 40 Kilo Gold, exportierte jedoch vier Tonnen – 2002 betrug das Verhältnis gar 2,6 Kilo zu 7,6 Tonnen.

Schon 1998, zu Beginn des zweiten Krieges um die Rohstoffe des kongolesischen Nordostens, »als Truppen aus Ruanda und Uganda in das Land eindrangen, wurde die Region von Soldaten aus Kampala besetzt, die das Gold per Flugzeug direkt nach Hause transportierten« (Le Monde diplomatique, 12/2005) – ein prototypisches Beispiel für den Umgang auch mit den weiteren Objekten der Begierde wie Coltan, Diamanten, Kobalt, deren Verkauf traumhafte Profite bringt. Solange sie durch Plünderungen zustande kommen und nahezu ungehindert realisiert werden können, werden sich die Reichen in Übersee nicht um Herkunft und Transportwege scheren.

Die Diktatur des Nordens über große Teile vor allem des subsaharischen Afrika schreibt auch die Tragödien, die sich im ölreichen Nigeria und vor deren Küsten abspielen, wo Tanker gestohlenes Öl aufnehmen und in die USA transportieren; wo bewaffnete Gruppen, die sich selbst als Befreiungsbewegungen betrachten, Ölplattformen kapern und Personal entführen. Die erpreßten Gelder werden dann – so heißt es zumindest – auch verteilt. Ob die Piraten in den nordöstlichen Küstengewässern zwischen Horn von Afrika und Somalia ähnliches tun, wurde bisher nicht bekannt.

Störtebekers Nachfahren

Bekannt ist, daß viele von ihnen versucht haben, der Not durch Immigra­tion nach Norden zu entkommen. Aus dem Inneren des Kontinents wie etwa dem Südsudan, Darfur, dem Ostkongo und Katanga kommend, strandeten sie im staatlich nicht existenten Somalia oder weiter nördlich davon. Raus aus den Kriegsgebieten, den Ausbeutungsregionen, wo Tagelöhner Gold in Sklavenarbeit abbauen. Nun gefährden sie als Freibeuter den Warenverkehr wie ihre Urväter unter der Totenkopfflagge vor 600 Jahren.

Den Hamburger Pfeffersäcken, die einst den Hafen der Hansestadt zum größten Kolonialwarenumschlagplatz der europäischen Nordens und Ostens auszubauen gedachten, gefiel dies seinerzeit ebensowenig wie heute den grenzenlos agierenden Dealern in den Zentralen des Weltimperialismus. Mrs. Rice und Monsieur Sarkozy fordern, die Piratennester an Land auszuräuchern. Und derweil die deutsche Marine vor der Küste kreuzt, gibt ein Mitglied der Stern-Chefredaktion Nachhilfeunterricht in Geschichte. Die Hanse hätte bei Klaus Störtebeker und dessen gefangenen »Likedeeler« (Gleichteiler) nur eine Lösung des Problems gekannt: »Kopf ab!«

* Aus: junge Welt, 31. Dezember 2008


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