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Deutsche Besatzer stärker unter Druck

Bundeswehr veröffentlicht nun doch Statistik zu »sicherheitsrelevanten Zwischenfällen« in Nordafghanistan *

Die Angriffe auf die im Norden Afghanistans stationierten Einheiten der Bundeswehr haben stark zugenommen. Im vergangenen Jahr wurden dort bis November 1660 »sicherheitsrelevante Zwischenfälle« erfaßt und damit bereits 35 Prozent mehr als im gesamten Vorjahr. Die Bundeswehr gab diese Zahlen auf Nachfrage der Deutschen Presseagentur (dpa) bekannt, die diese am Dienstag veröffentlichte. Am selben Tag hatte die sogenannte Internationale Schutztruppe (Isaf) zuvor ihre Statistik, ebenfalls auf Nachfrage, publiziert. Die deutschen Streitkräfte hatten noch in der vergangenen Woche mitgeteilt, keine derartige Auflistung mehr veröffentlichen zu wollen (siehe jW vom 8. Januar). Das Einsatzführungskommando begründete dies mit ungenauen und verzögerten Angaben der afghanischen Sicherheitskräfte. Nun verwies es darauf, daß das Material nur »deutlich eingeschränkt belastbar« sei.

Nach Zählweise der ISAF ist die Menge der »feindlichen Angriffe« in Nordafghanistan im ersten Halbjahr 2013 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sogar um 99 Prozent und in den zweiten sechs Monaten um 26 Prozent gestiegen. »Bundeswehr und ISAF versuchen, die wachsenden Probleme in Afghanistan weiter totzuschweigen«, kommentierte Alexander Neu, seit Dienstag Obmann der Linkspartei im Verteidigungsausschuß. »Die Bundesregierung erteilte in den letzten Monaten selbst dem Parlament keine präzisen Auskünfte mehr über das Ausmaß ›sicherheitsrelevanter Vorfälle‹.«

Der ISAF-Kampfeinsatz läuft mit dem Jahr 2014 aus. Nach dessen Ende plant die NATO einen Nachfolgeeinsatz namens »Resolute Support« (Entschlossene Unterstützung). Die Bundeswehr will sich daran mit bis zu 800 Soldaten beteiligen. Darin sieht Neu auch die Gründe für die Verschleierungstaktik: Die Bundesregierung bezeichne eine positive Sicherheitslage als zentrale Voraussetzung für die Teilnahme der Bundeswehr an der Post-Isaf-Mission. Das jedoch bedeute angesichts der bedrohlichen Sicherheitslage »logischerweise den vollständigen Abzug«.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 16. Januar 2014


Gefährlicher Trend: Taliban verstärken ihre Angriffe

Bei einem NATO-Bombardement unweit von Kabul starben sieben Kinder und eine Frau

Von Olaf Standke **


Afghanistans Präsident Karsai hat die USA erneut für den Tod von Zivilisten verantwortlich gemacht. Auch Anschläge und Angriffe der Taliban haben 2013 zugenommen.

Die angekündigte ISAF-Untersuchung des Todes eines vierjährigen Jungen durch Schüsse US-amerikanischer Soldaten ist noch nicht abgeschlossen, da belastet ein neuer Vorfall das amerikanisch-afghanische Verhältnis: Bei einem NATO-Luftangriff sind nach Angaben der Kabuler Regierung sieben Kinder und eine Frau getötet worden. Die ISAF meldete lediglich tödliche Gefechte mit Aufständischen, bei denen auch Luftunterstützung angefordert worden sei. Präsident Hamid Karsai hat das US-Militär am Donnerstag erneut aufgefordert, »alle Operationen gegen afghanische Dörfer und Wohngebiete vollständig zu stoppen«.

Zwölf Jahre nach Beginn des Krieges am Hindukusch und ein knappes Jahr vor dem weitgehenden Abzug der NATO-geführten Kampfverbände ist die Sicherheitslage der Bevölkerung am Hindukusch nach wie vor prekär. Auch Anschläge und Angriffe der Taliban fordern immer wieder zivile Opfer. Ihre Zahl stieg laut einer Statistik der Vereinten Nationen bis Ende Oktober 2013 verglichen mit dem Vorjahreszeitraum um 13 Prozent. Die UNO hat 2568 getötete und 4826 verwundete Zivilisten erfasst. Die Asia Foundation veröffentlichte kürzlich ihre jährliche Umfrage; danach haben 59 Prozent der Befragten Angst um die eigene Sicherheit oder die ihrer Familie – zwölf Prozent mehr als 2012. Laut James Dobbins, US-Sonderbeauftragter für Afghanistan, verlassen inzwischen erstmals seit 2001 mehr Afghanen ihre Heimat als zurückkehren.

Auch im nordafghanischen Verantwortungsbereich der Bundeswehr hat die Gewalt zugenommen. Nach Angaben des Einsatzführungskommandos lag die Zahl »sicherheitsrelevanter Zwischenfälle« im Vorjahr schon im November mit 1660 rund 35 Prozent über jener für das ganze Jahr 2012. In der Statistik der internationalen Schutztruppe ISAF wuchs die Zahl »feindlicher Angriffe« in dieser Region im ersten Halbjahr 2013 sogar um 99 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Wobei ISAF wie Bundeswehr nur ungern Zahlen veröffentlichen und gern auf die Unzuverlässigkeit afghanischer Angaben verweisen. Die Bundeswehr begründet die Zunahme der »Zwischenfälle« unter anderem mit dem »sehr hohen Operationstempo« der afghanischen Armee und Polizei im Kampf gegen die Aufständischen. In dieser Lesart ist sie damit »eine Folge von Stabilisierungsbemühungen« – bei denen nach Angaben des Kabuler Innenministeriums allein in dem Ende März 2013 abgelaufenen afghanischen Kalenderjahr 1800 Polizisten getötet worden seien.

Auch das Auswärtige Amt versucht, die Probleme herunterzuspielen: Die Sicherheitslage sei im Norden weiterhin weniger angespannt als in anderen Landesteilen: »Schwerpunkte der Kämpfe liegen im Süden und Osten des Landes.«

Nach dem ISAF-Abzug plant der Nordatlantik-Pakt eine kleinere Nachfolgemission (»Resolute Support«) zur Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte, wobei auch Kampftruppen stationiert bleiben sollen. Die Bundeswehr will sich mit bis zu 800 Soldaten an dem Einsatz beteiligen. Allerdings ist dafür ein Sicherheitsabkommen zwischen Kabul und Washington Voraussetzung.

Präsident Karsai will, dass der Vertrag erst von seinem im April zu wählenden Nachfolger signiert wird, was der Obama-Regierung zu spät ist. Washington droht damit, dass zudem die Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte und die zivile Wiederaufbauhilfe im Lande ohne ein Abkommen gefährdet wären. Inzwischen hat auch Angela Merkel im Streit um die Vereinbarung mit Karsai telefoniert, wie am Donnerstag bestätigt wurde. Aus Kabul ist zu hören, der Präsident habe die Bundeskanzlerin wissen lassen, dass nun die USA am Zuge seien.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 17. Januar 2014


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