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Karsais Verdacht

Der afghanische Präsident vermutet angeblich, daß US-amerikanische Dienststellen hinter Anschlägen in seinem Land stehen

Von Knut Mellenthin *

Afghanistans Präsident Hamid Karsai verdächtigt die USA, hinter einer Reihe von Anschlägen zu stehen, die den Taliban zugeschrieben werden. Das behauptete zumindest die Washington Post am Dienstag. Als einzige Quelle gab das Blatt einen namenlosen »hochrangigen Funktionär« aus der Umgebung Karsais an, der mit dessen Sichtweise sympathisiere. Aus dem Präsidentenamt gab es dazu keine Stellungnahme. Dieser Kontext läßt die Möglichkeit offen, daß der Artikel Teil der von Politikern der beiden großen US-Parteien betriebenen Kampagne gegen das afghanische Staatsoberhaupt ist. Nicht unbedingt ausgeschlossen ist dennoch, daß einige darin enthaltene Aussagen wahr oder halbwahr sind.

Der Washington Post zufolge soll Karsai schon seit einigen Jahren eine Liste führen, auf der »Dutzende« Attentate und bewaffnete Angriffe verzeichnet sind, die seiner Ansicht nach von US-Dienststellen organisiert worden sein könnten. Auf dieser Liste stünden Attacken auf das Justizministerium in Kabul im Februar 2009 und auf ein Gerichtsgebäude in der westafghanischen Provinz Farah. Bei letzterem Angriff waren im April 2013 über 50 Menschen getötet worden. Aktuell besonders brisant: Angeblich verdächtigt Karsai die USA auch, hinter dem Bombenanschlag vom 17. Januar auf das Kabuler Restaurant La Taverna du Liban gestanden zu haben. Dabei wurden 21 Menschen getötet, darunter 13 Ausländer.

Einer der Verdachtsgründe von Karsai sei laut Washington Post, daß sich mehrere besonders spektakuläre Anschläge und Angriffe kurz nach dem Bekanntwerden von zivilen Opfern durch Militäroperationen der USA und ihrer Verbündeten ereignet hätten. Karsai vermute, daß die US-Regierung auf diese Weise von den »Kollateralschäden« ihrer Kriegführung ablenken wolle. Nur zwei Tage vor dem Anschlag auf das Kabuler Restaurant waren bei einem US-amerikanischen Luftangriff unter anderem sieben Kinder und eine Frau getötet worden.

Mehrere Kongreßmitglieder forderten nach dem Erscheinen des Artikels der Washington Post, daß die US-Regierung Karsai noch vor der Präsidentenwahl am 5. April, zu der er nicht mehr antreten darf, »fallenlassen« solle. Unter diesen Politikern sind die republikanische Senatorin Kelly Ayotte und ihre demokratische Kollegin Claire McCaskill, vor allem aber der einflußreiche republikanische Senator John McCain. Der Hardliner hatte Anfang Januar zusammen mit seinem Kollegen und Parteifreund Lindsey Graham Kabul besucht, um Karsai zu drängen, das im November vereinbarte Stationierungsabkommen mit den USA zu unterzeichnen.

Am vergangenen Wochenende hatte die afghanische Regierung ihre Entscheidung bekanntgegeben, 37 von insgesamt 88 Gefangenen der früher vom US-Militär geführten Haftanstalt auf dem Stützpunkt Bagram freizulassen. Das war von US-Politikern und Militärs heftig kritisiert worden, da es sich um »Terroristen« handele, die »Blut an den Händen« hätten. Seinerseits hatte Karsai zu den Haftentlassungen erklärt, daß Bagram unter US-amerikanischer Regie eine »Fabrik zur Taliban-Herstellung« gewesen sei. »Unschuldige Menschen« seien dort »gefoltert, gedemütigt und zu gefährlichen Kriminellen gemacht« worden.

In seiner Rede zur Lage der Nation am Dienstag abend sprach US-Präsident Barack Obama wieder einmal davon, daß die USA ihre »Mission« in Afghanistan zum Ende dieses Jahres abschließen würden. Tatsächlich will die US-Regierung aber ungefähr 10000 Soldaten auch über diesen Termin hinaus in Afghanistan lassen und dort auch mehrere Stützpunkte bis mindestens 2024 behalten. Die New York Times befaßte sich am Sonntag in einem langen Artikel mit den Sorgen US-amerikanischer Militärs und Geheimdienstler, daß ohne starke »Präsenz« in Afghanistan die Fortsetzung der Drohnenangriffe gegen Ziele in Pakistan gefährdet sei. Andere nahe genug gelegene Standorte in der Region kämen aus politischen Gründen kaum in Frage.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. Januar 2014


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