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Vasallenschicksal

USA drohen Karsai mit Totalabzug

Von Werner Pirker *

Afghanistans Präsident Hamid Karsai macht Mätzchen. So sehen das jedenfalls seine Vorgesetzten in Washington. Und drohen mit einem Totalabzug der ausländischen Interventen, sollte der Statthalter in Kabul das Truppenabkommen mit der NATO nicht fristgerecht unterschreiben. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob Karsai die amerikanische Drohung überhaupt als solche wahrnimmt.

Denn daß er seit Monaten seine Unterschrift unter dem Papier verzögert, läßt vermuten, daß ihm an einer weiteren Präsenz von ­NATO-Truppen nicht so sehr gelegen ist – jedenfalls nicht zu den von den USA diktierten Bedingungen. Washington hatte es als selbstverständlich angenommen, daß seine am Hindukusch über 2014 hinaus stationierten Soldaten weiterhin Immunität genießen, das heißt, von den afghanischen Behörden für ihren kriegsverbrecherischen Umgang mit der Zivilbevölkerung nicht belangt werden können. Das konnte selbst ein Präsident von Washingtons Gnaden, der sich in den vergangenen Jahren des öfteren zumindest verbal schützend vor seine ständigen Besatzerübergriffen ausgesetzten Landsleute gestellt hatte, nicht so ohne weiteres hinnehmen. Er forderte, daß es keine Operationen von ausländischen Soldaten mehr in Wohngebieten geben dürfe. Der Friedensprozeß mit den Taliban müsse in Gang gesetzt werden. Zudem sollen freie Wahlen stattfinden.

Aber die Obama-Administration läßt sich von Kabul keine Vorschriften machen und zeigt, daß sie Afghanistan auch weiterhin nicht in die Unabhängigkeit entlassen will und daß die von ihr beanspruchten Souveränitätsrechte über das Land am Hindukusch nicht das geringste mit Menschenrechten und Demokratie zu tun haben. Dazu paßt, daß die USA bei fortgesetzter Befehlsverweigerung durch den afghanischen Präsidenten auch die zivile Hilfe für das gepeinigte Land in Frage stellen.

Mitten in die Ankündigungen des Westens, seinen afghanischen Marionetten den militärischen Beistand zu verwehren, sollten die sich nicht erpressen lassen, erreichte die Meldung vom Tod eines fünfjährigen afghanischen Kindes die Weltöffentlichkeit: Die US-Soldaten hatten geglaubt, in ihm einen Taliban entdeckt zu haben.

In Washington setzt man offenbar auf die abschreckende Wirkung des irakischen Beispiels. Das Zweistromland ist von den US-Interventen allein gelassen worden, nachdem seine von der Besatzungsmacht installierte Regierung ähnliche Forderungen wie Karsai gestellt hatte. Das von Schiiten dominierte Regime in Bagdad sieht sich nun mit sunnitischen Terrorbanden konfrontiert, die in Syrien für die USA einen Regimewechsel besorgen sollten, dabei scheiterten und sich nun im Irak dafür schadlos halten wollen. Washington aber hat seinen irakischen Verbündeten deutlich gemacht, daß sie sich gefälligst allein mit den Al-Qaida-Leuten herumschlagen sollen. Ob das Karsai doch noch zu einer Änderung seiner Haltung bewegen wird?

* Aus: junge Welt, Samstag, 11, Januar 2014


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