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Hoffnung und Fatalismus

In Afghanistan hat sich unter der NATO-Besatzung für die Menschen nichts zum Besseren verändert

Von Khaled Waziri, Kabul *

In Afghanistan dauert das Warten auf die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl vom 5. April weiter an. Weil man noch Beschwerden untersuchen müsse, würden die offiziellen Zahlen erst am Samstag veröffentlicht, teilte die Kabuler Wahlkommission am Mittwoch mit – »Genauigkeit und Glaubwürdigkeit« müßten gewährleistet sein. Den letzten Teilergebnissen zufolge liegt der frühere Außenminister Abdullah Abdullah mit 44,4 Prozent vor dem ehemaligen Weltbankökonomen Aschraf Ghani, der demnach auf 33,2 Prozent kam. Erhält keiner der Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen, soll es am 28. Mai eine Stichwahl geben.

Die Sorge über Wahlfälschung überschattet die Freude über die offiziell vermeldete hohe Beteiligung. In der örtlichen Wahlkomission von Pul-e-Charkhi im Süden Kabuls wollte mir nach der Abstimmung zwar zunächst keiner dort Fälle von Manipulation bestätigen. Nachdem ich jedoch einen Tee mit Verantwortlichen des Ausschusses getrunken habe und diese etwas mehr Vertrauen gefaßt haben, gaben sie zu, daß es besonders in einigen südafghanischen Provinzen, in die sich aufgrund der extrem instabilen Situation kaum Wahlbeobachter getraut hätten, zumindest extrem unwahrscheinlich sei, daß alles korrekt verlaufen sei.

Offen ist auch, ob sich alle Kandidaten mit dem offiziellen Wahlergebnis abfinden werden. Da mehrere der Kandidaten zu den berüchtigsten Warlords Afghanistans gehören, könnte der Fall eintreten, daß einige von ihnen die Unruhen im Land wieder anheizen. Neben den Anschlägen, die mittlerweile fast zum Alltag der Menschen gehören, ist es diese Unsicherheit über die Zukunft Afghanistans, die dafür sorgt, daß besonders junge, gebildete Menschen, die eigentlich das Fundament für die Zukunft dieses Landes bilden müßten, häufig auf gepackten Koffern sitzen und die erstbeste Möglichkeit nutzen wollen, um das Land zu verlassen.

Die Stimmung in Afghanistan schwankt zwischen Hoffnung und Fatalismus. Trotz der vielen Kriege geben die Menschen nicht die Sehnsucht nach einem friedlichen Leben in ihrem Land auf. Zugleich ist bei Gesprächen beispielsweise mit Händlern auf dem historischen Markt »Mandaui« in Kabul den Menschen anzumerken, daß sie von der gerade abgehaltenen Wahl wenige Veränderungen zum Positiven erwarten. So hat ein Rosinenverkäufer dort auf die Frage nach der Präsidentschaftswahl zunächst nur ein müdes Lächeln übrig. Dann erklärt er, daß in den vergangenen Jahren in Afghanistan so viel schief gelaufen sei, daß er nicht wisse, warum eine solche Wahl daran etwas ändern könne. Er redet sich in Rage und spricht aus, was auch viele andere Afghanen in Gesprächen gesagt haben: »Was hat sich für die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung seit dem Einmarsch der NATO hier zum Besseren verändert? Es gibt Warlords und Familienclans, die durch die Unterstützung Amerikas zu großem Reichtum und sehr viel Macht gelangt sind. Der Großteil meiner Landsleute aber kämpft jeden Tag ums Überleben.«

Tatsächlich ist der Alltag in Afghanistan nicht nur durch die nach wie vor unfaßbar große Armut und durch Gewalt geprägt, sondern auch durch die Korruption. Oftmals werden Taxis an einem der vielen Checkpoints angehalten, wo vom Fahrer dann aus nichtigen Gründen eine »Steuer« verlangt wird. Doch eine Verallgemeinerung solcher Vorkommnisse wäre falsch. Bei weitem nicht alle afghanischen Soldaten oder Polizisten sind korrupt. Und das Verhalten derjenigen, die nach einer solchen »Steuer« verlangen, läßt sich meist auch dadurch erklären, daß die meisten der Sicherheitskräfte für ein so niedrigen Lohn ihren Dienst verrichten, daß viele allein von ihrem Gehalt nicht einmal ihre Familie ernähren könnten. Hinzu kommt, daß ein Großteil der heute in Afghanistan grassierenden Korruption aus dem Ausland importiert wurde. Dabei spielten gerade die USA eine Führungsrolle. Erst im vergangenen Jahr wurde beispielsweise bekannt, daß hochrangige CIA-Mitarbeiter häufiger mit Säcken, die mit Dollarnoten vollgestopft waren, im Regierungspalast von Staastchef Hamid Karsai anzutreffen waren.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 24. April 2014


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