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Kein Abzug ohne Antonows

NATO in Afghanistan auf Moskau angewiesen

Von René Heilig *

Aus guten – nicht nur wirtschaftlichen – Gründen mag man in Berlin nicht lustvoll in Embargorufe gegen Russland einstimmen. Denn: Ohne Putin kommt die Bundeswehr nicht gut raus aus Afghanistan.

Vor wenigen Tagen auf dem Flugfeld von Camp Marmal in Afghanistan: Generalmajor Bernd Schütt, Kommandeur des Regionalkommandos Nord, ließ es sich nicht nehmen, seinen »Büffel« zu verabschieden. Der Bergepanzer hat den Bundeswehrsoldaten treu gedient. Jetzt verstaute man das letzte bis dahin in Afghanistan verbliebene Bundeswehr-Kettenfahrzeug in einer Antonow An-124 und ab ging es in Richtung Trabzon. An der türkischen Schwarzmeerküste werden die Fahrzeuge umgeladen und per Seetransport zurück nach Deutschland gebracht.

Am 31. Dezember 2014 endet die ISAF-Mission in Afghanistan. Zugleich bereitet man den Nachfolgeeinsatz vor. Doch der kommt mit wesentlich weniger Soldaten, Waffen und Gerätschaften aus. Ein Teil der Technik wird den afghanischen Sicherheitskräften überlassen, einen anderen Teil, bei dem der Rücktransport zu teuer wäre, deklariert man als Schrott. Alles, was sensibel ist, wird direkt nach Hause geflogen, anderes geht per Eisenbahn auf die Transitreise durch Usbekistan, Tadschikistan, Kasachstan und Russland.

Russland? Natürlich, denn die NATO hat bereits 2003 ein entsprechendes Abkommen geschlossen. Seit 2009 nutzten die ISAF-Mitgliedsarmeen das Northern Distribution Network, um nichtmilitärischen Nachschub nach Afghanistan zu bringen. Bis zu 60 000 Container hat die russische Seite pro Jahr gezählt. Und dafür kassiert.

Die Strecke ist für den Abtransport nicht ganz so bedeutend. Doch auch der jetzt umso bedeutsamere Lufttransport wäre ohne die Russen – im Verbund mit den Ukrainern – nicht denkbar. Betrachtet man die logistischen Fähigkeiten der Bundeswehr – ganz gleich auf welchem Erdteil – muss man Bestnoten erteilen. Doch bei der Lufttransportkapazität sieht sie alt aus. Der erste neuartige Lufttransporter A400M wird – um Jahre verspätet – erst im Jahr 2015 von Airbus an die Bundeswehr übergeben werden. Und auch dann werden die Erwartungen noch größer sein als seine Leistungen.

Die Kluft zwischen globalem Einmischungsanspruch und Lufttransportvermögen ist bei allen NATO-Staaten – ausgenommen die USA – riesengroß. Um dieses Manko zu kaschieren, hat man in Russland und der Ukraine Transportmöglichkeiten eingekauft und Mitte 2004 die Strategic Airlift Interim Solution – kurz SALIS – gegründet. Bis zu sechs Antonow An-124 – jede kann bis zu 150 Tonnen Fracht laden – standen fortan in Leipzig bereit, um NATO-Material zu fliegen. Die Maschinen flogen einst für die Sowjetarmee. Noch immer sind zumindest die russischen Flugzeuge Bestandteil von Moskaus Transportreserve. Dort könnte man also jederzeit »Eigenbedarf« anmelden.

Dann wären die westlichen Vertragspartner – zu denen neben Deutschland Belgien, Kanada, Tschechien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Ungarn, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, die Slowakei, Slowenien und Großbritannien gehören – »gekniffen«. Denn die An-124 erledigen einen Gutteil des Rücktransports aus Afghanistan. »Der verläuft insgesamt planmäßig«, beantwortet ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums die »nd«-Nachfrage. Man habe »bis zum 20. März insgesamt 764 Fahrzeuge und rund 1570 ›Container-Äquivalente‹ an sonstigem Material aus Afghanistan zurücktransportiert«. Gibt es Probleme mit Russland? Nein, die Aussetzung der Zusammenarbeit mit Russland »hat bisher keinerlei Auswirkungen auf die Rückverlegung«, und es gebe »bisher auch keinerlei Signale, dass es zu Einschränkungen kommen könnte«, heißt es. Hinzugefügt ist jedoch der Satz: »Wir hätten bei Bedarf jedoch auch noch genügend Ausweichrouten.« Doch das gilt allenfalls für den Land- und Schiffstransport. Die SALIS-Flieger dürfen nicht ausfallen. Sonst gibt es eine ganze Reihe militärische und politische Probleme.

Vizeadmiral Manfred Nielson, Chef der Bundeswehr-Streitkräftebasis, lobte jüngst die großen Leistungen seiner Logistik-Leute in Trabzon – damit natürlich indirekt auch die der gemieteten Flugzeuge samt Besatzungen. Bereits im Februar hatten die zwischen dem deutschen Afghanistan-Camp Marmal und dem Schwarzmeer-Umschlagplatz Trabzon 800 Flugstunden über 500 000 Kilometer zurückgelegt – was etwa zwölf Erdumrundungen entspricht. Dabei wurden 7900 Tonnen Material mit 465 Fahrzeugen und etwa 25 000 Einzelartikeln transportiert.

Auch die noch ausstehenden »Restarbeiten« sind gewaltig. Doch es geht nicht nur um den Afghanistan-Abzug der NATO. Auch die EU ist auf die »Russenflieger« angewiesen. Jüngst hat der Bundestag die deutsche Teilnahme am EU-Militäreinsatz in der Zentralafrikanischen Republik beschlossen. Das Parlament will – so wie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) – keine Kampftruppen schicken und bietet daher umfangreichen Logistik-Service für andere an. Dazu gehört auch »der strategische Lufttransport über den zivilen Anbieter SALIS«.

* Aus: neues deutschland, Freitag 25. April 2014


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