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Flexibilität durch Wortbruch

Obama ändert Zeitplan für Truppenabzug aus Afghanistan. USA wollen offenbar auch zwei Stützpunkte behalten. Präsident Ghani zu Besuch in Washington

Von Knut Mellenthin *

Barack Obama hat wieder einmal ein Versprechen gebrochen: Seine gerade mal zehn Monate alte Ankündigung, dass die Personalzahl der US-Truppen in Afghanistan im Laufe des Jahres 2015 halbiert würde, landete am Dienstag in der Tonne. Dass das geschehen würde, war von Anfang an leicht vorauszusagen. Schon seit Monaten war es Gegenstand von Gerüchten, Spekulationen und Andeutungen führender US-Militärs. Jetzt ist es amtlich, ohne dass der US-Präsident sich genau auf einen neuen Zeitplan festlegen mochte. »Flexibilität« heißt das Zauberwort, nach dem im Grunde alles wieder offen ist.

Am 27. Mai 2014 hatte Obama seinen Untertanen mitgeteilt, dass die in Afghanistan stationierten amerikanischen Truppen – damals waren es noch über 30.000 Soldaten – bis zum Jahresende weitgehend abgezogen würden. Danach hätte nur noch ein stark verkleinertes Kontingent von 9.800 Soldaten dort bleiben sollen, das im Laufe des Jahres 2015 ungefähr auf die Hälfte reduziert werden sollte. Ein Jahr später, Ende 2016, werde sich die militärische Präsenz der USA auf den Schutz der Botschaft beschränken, hieß es damals. Das wurde alles in allem auf eine Personalstärke von 1.000 Mann taxiert.

Als Obama am Dienstag zusammen mit seinem afghanischen Kollegen Aschraf Ghani vor die Presse trat, gab er bekannt, dass die derzeitige Zahl von 9.800 Soldaten im Laufe dieses Jahres nicht gesenkt werden solle. Für das nächste Jahr nannte der US-Präsident keine Einzelheiten. Er versprach aber, dass es bei dem Plan bleiben solle, die meisten Truppen bis Ende 2016 abzuziehen. »Diese Flexibilität ist Ausdruck unserer neu belebten Partnerschaft mit Afghanistan«, erklärte Obama. Damit meint er vor allem den Präsidentenwechsel in Kabul. Statt des immer wieder aufsässigen Hamid Karsai, der sich ständig über getötete Zivilisten beklagte, regiert mit Ghani seit September 2014 ein Mann, der sich so dankbar, unterwürfig und garantiert zuverlässig benimmt, wie man das nicht nur in Washington, sondern auch in der Öffentlichkeit der USA gern hat und erwartet.

Ghani hatte schon seit seinem Amtsantritt darauf gedrängt, die Anwesenheit US-amerikanischer und anderer NATO-Truppen im Land über Ende 2016 hinaus zu verlängern. In dieser Woche absolviert er einen viertägigen Besuch in den Vereinigten Staaten. Am Montag traf er unter anderem Verteidigungsminister Ashton Carter, hohe Militärs und – das ist für das Land am Rande des Bankrotts besonders wichtig – Finanzminister Jack Lew. Am Dienstag war er Gast im Weißen Haus, und am Mittwoch hielt er eine Rede im Kongress. Am heutigen Donnerstag hält er sich in New York auf, wo er unter anderem mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, zusammentreffen soll.

Die jetzt bekannt gemachte Entscheidung Obamas bedeutet wahrscheinlich auch, dass die USA ihre Militärstützpunkte in Kandahar und Dschalalabad zumindest bis ins Jahr 2016 hinein behalten werden. Versprochen hatte Obama vor zehn Monaten, dass sie im Laufe dieses Jahres geschlossen werden würden und dass die US-Truppen dann nur noch von Kabul und Bagram aus operieren würden. Dass dieser Plan geändert worden sei, hatten US-Medien schon vor einer Woche berichtet. Das Weiße Haus weigerte sich damals, dazu einen Kommentar abzugeben.

Die Stärke der ausländischen Truppen, die auch nach dem großartig gefeierten Pseudoabzug Ende Dezember immer noch im Land sind, wird in westlichen Medien meist mit 12.000 Soldaten angegeben. Die Website der NATO nennt für den 26. Februar eine Summe von 13.195 Soldaten. Auch diese Zahl ist aber noch zu niedrig. In dieser Tabelle stehen die USA lediglich mit 6.839 Mann. Das sind rund 3.000 weniger als ihre offizielle Mannschaftsstärke. Die Differenz ergibt sich daraus, dass diese Soldaten nicht der neuen NATO-Mission »Resolute Support« unterstellt sind, sondern unter eigenem Kommando Kampfeinsätze, einschließlich Luftangriffe, gegen Aufständische durchführen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. März 2015


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