"Aggressive Suche" nach undichter Stelle
USA: Pentagon greift Wikileaks scharf an *
US-Verteidigungsminister Robert Gates will nach der Veröffentlichung
zehntausender überwiegend geheimer Militärakten zum Afghanistankrieg
entschlossen und »aggressiv« nach der undichten Stelle suchen. Bei der
Untersuchung soll die Bundespolizeibehörde FBI helfen, teilte Gates am
Donnerstag (29. Juli) in Washington mit.
Insgesamt geht es um mehr als 90 000 Dokumente, die dem Internetprojekt
Wikileaks zugespielt worden waren. Gates kündigte tief gehende
Ermittlungen an, um die Entstehung der »groben Sicherheitsverletzung«
aufzuklären, die Verantwortlichen zu finden und festzustellen, welche
Informationen durch das Leck unbrauchbar geworden seien. Das Militär
werde außerdem Maßnahmen ergreifen, um geheime Informationen besser zu
sichern und diejenigen US-Soldaten und Afghanen zu schützen, die durch
das Leck in Gefahr geraten seien.
US-Generalstabschef Michael Mullen griff den Chef der Website, Julian
Assange, scharf an. Er warf ihm vor, die Sicherheit anderer Menschen
aufs Spiel zu setzen, um seine eigene Meinung deutlich zu machen.
Laut Medienberichten führt die Spur zu dem bereits verdächtigen
Obergefreiten Bradley Manning, der für das US-Heer Geheimdienstmaterial
analysiert. Nach Angaben der Zeitung »Wall Street Journal«
(Freitagsausgabe) haben Militärermittler nun auf dem Computer des
22-jährigen Obergefreiten konkrete Beweise gefunden, die ihn mit der
Veröffentlichung der geheimen Akten in Verbindung verbringen. Damit
rückt Manning in den Mittelpunkt der Ermittlungen. Bisher hatte ihn das
Verteidigungsministerium lediglich als »Person von Interesse«
bezeichnet. Er ist bereits wegen eines anderen Informationslecks
angeklagt. Vermutlich geht es dabei um die Wikileaks-Veröffentlichung
von drastischen Videoaufnahmen einer tödlichen US-Hubschrauberattacke in
Irak, mit dem die Enthüllungs- Webseite im April für Aufsehen sorgte.
Erste Untersuchungen seines Computers hätten ergeben, dass Manning
vertrauliche Dokumente aus dem Afghanistan-Einsatz heruntergeladen
hatte, schrieb die Zeitung weiter. Mannings Spezialgebiet ist eigentlich
der Konflikt in Irak. Das Militär untersucht auch, ob er Zivilisten
herangezogen hat, um das Geheimaterial an Wikileaks weiterzuleiten.
Freunde und Bekannte des 22-Jährigen wurden nach Angaben der Zeitung von
Militärermittlern befragt. Die Ermittler wollten feststellen, ob die
Betreffenden in letzter Zeit E-Mail oder Post von Manning erhalten haben.
Die im Internet veröffentlichten Unterlagen sind größtenteils Jahre alt,
stammen aus der Zeit zwischen 2004 und 2009. Sie enthalten weitgehend
bereits bekanntes Material, aber auch Angaben über die Art und Weise
militärischer und geheimdienstlicher Operationen. »Die Folgen der
Veröffentlichung auf dem Schlachtfeld können ernst und gefährlich für
unsere Truppen, unsere Verbündeten und afghanischen Partner sein«, sagte
Gates. »Und sie können sehr wohl unsere Beziehungen und unser Ansehen in
diesem Schlüsselteil der Welt beschädigen.«
Auch Mullen nahm den Wikileaks-Gründer ins Visier. Assange könne über
das Gute, das er und seine Quelle zu verfolgen glaubten, sagen, was er
wolle, so der Generalstabschef. »Aber die Wahrheit ist, dass Sie schon
das Blut eines jungen Soldaten oder einer afghanischen Familie an ihren
Händen kleben haben könnten«, erklärte er in Richtung Assange.
Das Pentagon habe die »moralische Verpflichtung«, alles Mögliche zu tun,
»um die Folgen zu begrenzen, besonders für jene, die mit uns
zusammengearbeitet und ihr Vertrauen in uns gesetzt haben, die nun zur
Zielscheibe von Vergeltungsmaßnahmen werden könnten. Dieses Ministerium
führt eine gründliche, aggressive Untersuchung durch, um herauszufinden,
wie diese undichte Stelle entstanden ist, um die Person oder die
Personen zu identifizieren, die dafür verantwortlich sind«.
Mullen sagte, dass die Veröffentlichung der Unterlagen zwar keine
Auswirkungen auf die Afghanistan-Strategie hätten. Aber »das schiere
Ausmaß und die Reichweite der Sammlung« zwängen zu einer »sorgfältigen
Prüfung, in welchem Maße künftige taktische Operationen betroffen und
das Leben unserer Soldaten und afghanischen Partnern gefährdet sein
könnten«.
* Aus: Neues Deutschland, 31. Juli 2010
Obama schlägt zurück
Von Arnold Schölzel **
Friedensnobelpreisträger und US-Präsident Barack Obama zeigt Härte: Neue
Enthüllungen über die Lage in Ländern, in denen die USA gerade Krieg
führen, oder über Kriegsverbrechen sollen nun durch die
US-Bundespolizei, das FBI, unterbunden werden. Das erscheint nötig, denn
selbst die offiziell zugelassenen Nachrichten aus Afghanistan sind
schlecht. So wurde der Juli mit mindestens 63 dort getöteten US-Soldaten
für seine Streitkräfte zum verlustreichsten Monat seit Beginn des
Krieges vor knapp neun Jahren. Wie die NATO am Freitag mitteilte, kamen
am Donnerstag bei zwei Explosionen im Süden des Landes drei US-Soldaten
ums Leben. Die genannte Zahl von 63 Todesopfern basiert auf einer
Zählung der Nachrichtenagentur AP auf der Grundlage von Militärangaben.
Bisher galt der Monat Juni 2010 als der mit den höchsten Verlusten: 104
Angehörige der Besatzungstruppen in Afghanistan kamen ums Leben,
darunter 60 US-Soldaten.
Obama bereitete die Jagd auf Verräter und das Ingangsetzen der
Geheimdienstmaschinerie mit einer Patriotismus-Show vor. Er erschien am
Donnerstag (29. Juli) zunächst als erster US-Präsident überhaupt in der
Quasselsendung des US-Fernsehsenders ABC, »The View«, in der
Mittelstandsdamen über Wichtiges im Leben reden: neue Frisuren, Kleider
und Prominentenklatsch. Obama machte mit, wurde aber auch nach einem
Rückzug vom Hindukusch gefragt. Er antwortete u.a. wegweisend: »In
Afghanistan haben wir noch viel Arbeit vor uns.« Anschließend, so
berichtete Spiegel online am Freitag, versammelte der Präsident seine
wichtigsten Berater im abhörsicheren Lageraum des Weißen Hauses.
Einziges Thema: Afghanistan und Pakistan. Das wichtigste Resultat
verkündete US-Verteidigungsminister Robert Gates, der von 1991 bis 1993
auch schon die CIA geleitet hat, vor der Presse: Das FBI, das auch
Zivilisten vor Bundesgerichten anklagen kann, wird bei der Suche nach
undichten Stellen eingeschaltet. Gates kündigte eine »aggressive«
Fahndung nach Verrätern an. Einer steht offenbar fest: Laut einem
Bericht des Wall Street Journal wird der 22jährige Gefreite und
Mitarbeiter des US-Militärgeheimdienstes Bradley Manning für die jüngste
Veröffentlichung von 92000 Dokumenten verantwortlich gemacht. Er soll
der Internetplattform Wikileaks auch ein Video aus dem Jahr 2007, das
die Ermordung von Zivilpersonen in Bagdad durch Killer in einem
US-Militärhubschrauber zeigt, zugespielt haben soll. Es sorgte im April
international für Aufsehen. Manning muß sich wegen des Verdachts, er
habe 150000 Datensätze von Computern heruntergeladen, vor Gericht
verantworten.
Gates ließ offen, ob gegen den australischen Staatsbürger Julian
Assange, Betreiber von Wikileaks, oder gegen Medien, die dessen
Material verwendeten, ermittelt werden soll. Der Minister: »Die Folgen
auf dem Schlachtfeld durch die Herausgabe dieser Dokumente können für
unsere Soldaten, unsere Verbündeten und unsere afghanischen Partner
schwerwiegend und gefährlich sein. Sie können auch unsere Beziehungen
und unseren Ruf in dieser entscheidenden Weltregion beschädigen.«
Die Einheimischen im Kriegsgebiet haben andere Sorgen: Nach einem
tödlichen Verkehrsunfall mit Beteiligung von Fahrzeugen der NATO-Truppe
ISAF protestierten am Freitag Dutzende Menschen vor der US-Botschaft in
Kabul. Fernsehbilder zeigten am Freitag mindestens ein gepanzertes Auto,
das in Flammen stand. Nach Angaben eines AFP-Reporters warfen junge
Männer Steine und skandierten »Tod den Ausländern«.
** Aus: junge Welt, 31. Juli 2010
Netz-Aufklärer
Von Uwe Sattler ***
Getroffene Hunde bellen. Und momentan wird laut gebellt in Washington.
»Aggressiv« lässt Pentagon-Chef Gates nach der undichten Stelle suchen,
über die Geheimdokumente des US-Verteidigungsministeriums zum
Afghanistan-Krieg an die Enthüllungs-Website WikiLeaks gelangten. Der
mutmaßliche Informant wurde bereits weggesperrt; WikiLeaks-Chef Assange
zum Handlanger von Taliban-Terroristen gestempelt.
Dass die Betriebsamkeit den Image-Schaden wieder gutmachen könnte, ist
illusorisch. Im Gegenteil: Im Mutterland des Internet und einem der
Vorreiterstaaten der Informationsfreiheit wird das Vorgehen gegen den
Überbringer der Nachricht kaum gut ankommen. Zudem wird für immer mehr
US-Bürger offenkundig, dass nicht WikiLeaks das Leben der Soldaten am
Hindukusch gefährdet, sondern die Regierung von Barack Obama.
Auch wenn die digitalen Aufklärer nicht unmittelbar die US-Strategie in
Afghanistan ändern können - das politische Klima über die USA hinaus
beeinflussen die Veröffentlichungen durchaus. Am Sonntag begannen die
Niederlande mit dem Abzug ihrer Soldaten vom Hindukusch, in Frankreich
weicht der nationale Konsens zum Afghanistan-Einsatz auf, in Deutschland
wird die Debatte weiter angeheizt durch die offensichtliche Beteiligung
der Bundeswehr an der gezielten Tötung von Taliban-Kommandeuren. Dies
wurde jetzt bekannt - durch die von WikiLeaks veröffentlichten Berichte.
*** Aus: Neues Deutschland, 2. August 2010 (Kommentar)
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