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"Aufbauwelle" oder zweite Angriffswelle?

Afghanistan: Deutschland soll "energisch Kurs halten" - Rückzug wäre "Sieg der Taliban"

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel aus der Tagespresse, die sich mit dem offenkundigen Wiedererstarken der Taliban in Afghanistan befassen.



Zweite Angriffswelle

Von Arnold Schölzel *

Geiselnahme in Afghanistan? Da helfen nur Soldaten. Der Militaristenlogik folgte SPD-Generalsekretär Hubertus Heil, als er am Montag (23. Juli) in Berlin erklärte: »Wir wollen eine zweite Aufbauwelle in Afghanistan.« Mehr deutsche Truppen schloß er unter Hinweis auf die Ausbildung afghanischer Kräfte nicht aus. Die Idee hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bereits vor Wochen lanciert, beim Kommandeur der sogenannten internationalen Schutztruppe in Afghanistan (ISAF), Dan McNeill, war sie am Sonntag auf positive Resonanz gestoßen.

Die Debatte über die »Landesverteidigung am Hindukusch« soll zu einem bundesdeutsch-konsequenten Ende geführt werden – zu einer zweiten Angriffswelle. Bei den anstehenden Entscheidungen des Bundestages im September und Oktober über die Bundeswehr-Mandate für Afghanistan wird es um mehr, nicht um weniger Militäreinsatz gehen. So holte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag im Beisein mehrerer Minister Rat: bei einem Vertreter der im letzten Jahrzehnt kriegshetzerischsten deutschen Partei, dem Grünen-Politiker und Joseph-Fischer-Vertrauten Tom Koenigs, seit Februar 2006 UN-Sondergesandter für Afghanistan. Der warnte denn auch nach dem Treffen im Kanzleramt vor einem Abzug deutscher Truppen und mahnte: »Wir werden zusätzliche Unterstützung benötigen«, ohne konkret eine Aufstockung der deutschen Truppenpräsenz zu verlangen. Dafür ist das deutsche Gemüt noch nicht reif.

Das läßt sich ändern. Im Stil des grünen Fanatismus für Menschenrechtskriege erklärte Koenigs, unabdingbar sei vor allem die Durchsetzung des Rechtsstaats, notfalls mit militärischen Mitteln. Für die UNO komme es in der gegenwärtig schwierigen Phase darauf an, daß die Partnerländer und vor allem Deutschland »energisch den Kurs halten«. Stärke sei notwendig zur Stabilisierung des ganzen Landes. Dieser propagandistischen Vorlage mußte sich die Kanzlerin nur noch anschließen.

Kritiker des Afghanistan-Einsatzes in den Koalitionsparteien kamen am Dienstag (24. Juli) vor allem in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung zu Wort. Halbherzig Niels Annen, Ulla Burchardt und Christel Humme aus der SPD-Bundestagsfraktion, mit ätzendem Realismus der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler: »Unter dem Schutz der NATO« verkomme selbst die Hauptstadt Kabul »zu einem Tummelplatz von Drogenbaronen und ihren Helfern«. Während von den USA praktisch straffrei gestellte Söldner als »private Sicherheitskräfte« in Kabul ihr Unwesen trieben, verarme der Großteil der Bevölkerung. Gauweiler weiter: Angesichts dieser verheerenden Verhältnisse sei es »fraglich, ob Widerstandshandlungen einer durch solche Lebensumstände geplagten Bevölkerung tatsächlich als ›Terrorismus‹ eingestuft werden dürfen.« Die Durchsetzung des Rechtsstaats schreitet trotz derartigem Defätismus voran: Afghanische Behörden meldeten am Dienstag, daß bei Kämpfen im Süden des Landes bis zu 75 mutmaßliche Taliban getötet wurden.

Die Überführung der Leiche des in Geiselhaft gestorbenen Bauingenieurs nach Deutschland ist für den heutigen Mittwoch (25. Juli) geplant. Keine offizielle Stellungnahme gab es am Dienstag zu einem ARD-Bericht, wonach »Tornado«-Flugzeuge der Bundeswehr dazu beigetragen hätten, die Geiseln zu lokalisieren. Der ARD zufolge sollen sich der überlebende Deutsche, mindestens vier seiner afghanischen Kollegen und die vermutlich paschtunischen Entführer in der Südostprovinz Ghazni befinden.

* Aus junge Welt, 25. juli 2007


NATO will mehr Soldaten für Afghanistan

Friedensbewegung fordert Truppenabzug vom Hindukusch und mobilisiert nach Berlin

Von Wera Richter **

Unübersichtlich« fand das Auswärtige Amt am Mittwoch nachmittag (25. Juli) die Nachrichtenlage bezüglich eines in Afghanistan entführten deutschen Journalisten. Während der Gouverneur der nordafghanischen Provinz Kunar mitteilte, der Journalist sei wieder frei, wollte Außenamtssprecher Martin Jäger nicht bestätigen, daß der vermißte Stern-Reporter Christoph Reuter wieder in Freiheit sei. Der Stern stellte schließlich klar, daß dieser nie entführt worden war.

Bei all dem Durcheinander steht fest: Das Kriegstrommeln geht weiter. Am Mittwoch (25. Juli) sprach sich auch Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) für den Verbleib der Bundeswehr am Hindukusch aus. Ein militärischer Rückzug wäre »ein Sieg der Terroristen und eine Ermutigung für Gewalttäter« mit »kaum abschätzbaren Folgen auch für uns in Europa und in Deutschland«, so die Ministerin in der Passauer Neuen Presse (Mittwochausgabe). Mehr statt weniger Soldaten für Afghanistan forderte nach dem Kommandeur der sogenannten internationalen Schutztruppe (ISAF), Dan McNeill, am Mittwoch auch NATO-General Egon Ramms. »Es wäre gut, wenn wir weitere Kräfte in den Süden verlegen könnten«, so Ramms im Deutschlandradio Kultur. Er sprach sich zudem für die Zusammenlegung mit der »Operation Enduring Freedom«, die unter US-Befehl steht, unter NATO-Kommando aus. Mit Blick auf die Deutschen sagte sie: »Man kann auch Spezialkräfte unter dem Dach von ISAF einsetzen.«

Für den Bundesausschuß Friedensratschlag stellte Peter Strutynski am Mittwoch noch einmal klar, daß »bis hin zur Bewaffnung schon jetzt keine Unterschiede zwischen ISAF-Truppen und der US-geführten »Koalition der Willigen« besteht. In den letzten Wochen und Monaten hätten sich außerdem die Vorfälle gehäuft, bei denen Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, bei ISAF-Operationen ums Leben gekommen seien. Der Bundesausschuß Friedensratschlag will den Druck auf die Bundesregierung, den Einsatz deutscher Soldaten am Hindukusch endlich zu beenden, in den kommenden Wochen verstärken. Höhepunkt der Aktionen wird eine Friedensdemonstration am 15. September in Berlin sein.

** Aus junge Welt, 26. juli 2007


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