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Kabul will Gewalt ausblenden

Afghanische Regierung verbietet Journalisten am Wahltag Berichterstattung über Terrorakte *

Nach den schweren Anschlägen in den vergangenen Tagen blieb die Lage in Afghanistan unmittelbar vor der Präsidentenwahl an diesem Donnerstag (20. Aug.) bis auf einige gewaltsame Vorfälle in Kabul und im Land relativ ruhig.

Laut einem Polizeibericht stürmten Bewaffnete am Mittwoch (19. Aug.) eine Bank in Kabul und verschanzten sich. Erst nach einem mehrstündigen Feuergefecht sei es Polizisten gelungen, das Gebäude einzunehmen und drei Angreifer zu erschießen. Bei den Getöteten handele es sich um Aufständische, hieß es.

In der Stadt Kundus schlugen zudem zwei Raketen ein. Der Provinzregierung zufolge richteten sie keinen Schaden an. Die Geschosse seien aus dem Unruhedistrikt Char Darah abgefeuert worden. Dort ist derzeit die Bundeswehr im Einsatz, um afghanische Sicherheitskräfte bei der Absicherung der Wahl zu unterstützen.

Im Süden des Landes kamen vier afghanische Polizisten bei einem Luftangriff des US-Militärs ums Leben. Wie ein Regierungssprecher in der Provinz Ghasni mitteilte, hatten Kämpfer der Taliban zunächst einen Polizeiposten angegriffen. Die afghanischen Einsatzkräfte hätten daraufhin Luftunterstützung der US-Truppen angefordert. Dabei seien »zahlreiche Aufständische« und »leider auch vier unserer Polizisten« getötet worden, sagte der Sprecher.

Der afghanische Präsident Hamid Karsai rief seine Landsleute zu einer regen Teilnahme an den Präsidenten- und Provinzwahlen auf. »Ich hoffe, dass Millionen unserer Landsleute morgen für die Stabilität, den Frieden und den Fortschritt des Landes stimmen werden«, sagte Karsai am Mittwoch vor Journalisten in Kabul.

Derweil drohte die afghanische Regierung ausländischen Journalisten mit der Ausweisung, sollten diese trotz Verbots über Gewalttaten während des Votums berichten. Einheimische Medienbetriebe würden dichtgemacht, wenn sie gegen das Verbot verstießen, sagte ein afghanischer Außenamtssprecher am Mittwoch. Bei der Präsidentenwahl handle es sich um eine außergewöhnliche Situation, daher müssten sich alle Medien an das Verbot halten, sagte er.

Die Entscheidung, keine Berichterstattung über Gewalt am Wahltag zu gestatten, hatte der Nationale Sicherheitsrat Afghanistans am Dienstag getroffen. Damit solle verhindert werden, dass sich die Wahlberechtigten aus Angst nicht an die Urnen wagen, hieß es. Über die Wahl an sich könne dagegen am Donnerstag ungehindert berichtet werden. Die Maßnahme zog am Mittwoch eine Welle der Empörung bei einheimischen und ausländischen Berichterstattern in Afghanistan nach sich.

Die LINKE forderte die Bundesregierung auf, endlich die Realitäten in Afghanistan zu akzeptieren. Frieden und demokratische Entwicklung könne man nicht herbeibomben, kritisierte der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Oskar Lafontaine. »Die Lage in Afghanistan vor den Wahlen wird immer desolater und kritischer. Es gibt mehr Opfer in der Zivilbevölkerung als je zuvor. Der Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan führt zu einem weiteren Erstarken der Taliban und holt den Terror ins eigene Land.« Nur Gewaltverzicht, Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie würden einen Ausweg aus der afghanischen Sackgasse eröffnen, betonte der Linkspolitiker. »Der Abzug der Bundeswehr ist ohne Alternative und muss unverzüglich beginnen.«

* Aus: Neues Deutschland, 20. August 2009


Raus aus Afghanistan

Linke-Chef fordert Truppenabzug. Taliban greifen vor Wahl symbolträchtig Kabul an

Von Rüdiger Göbel **

Mit scharfen Worten hat Linke-Chef Oskar Lafontaine den scheidenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck für seine »Durchhalteparolen zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan« kritisiert. Der frühere Verteidigungsminister hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aufgefordert, sich deutlicher zum Kampfeinsatz am Hindukusch zu bekennen. »Die Lage in Afghanistan vor den Wahlen wird immer desolater und kritischer. Es gibt mehr Opfer in der Zivilbevölkerung als je zuvor.

Der Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan führt zu einem weiteren Erstarken der Taliban und holt den Terror ins eigene Land«, erklärte Lafontaine am Mittwoch. »Wenn nun selbst bei Abgeordneten von CSU, CDU und FDP, darunter der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe, langsam die Erkenntnis wächst, daß der Krieg in Afghanistan nicht zu gewinnen ist, sollte die SPD-Führung endlich begreifen, wie weit sie sich mit ihrem sturen Festhalten am Kriegseinsatz von der Politik Willy Brandts entfernt hat.« Die Bundesregierung, und auch Peter Struck, sollten endlich die Realitäten in Afghanistan akzeptieren. Frieden und demokratische Entwicklung könne man nicht herbeibomben, so Lafontaine. »Nur Gewaltverzicht, Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie eröffnen einen Ausweg aus der afghanischen Sackgasse. Der Abzug der Bundeswehr ist ohne Alternative und muß unverzüglich beginnen.«

In Afghanistan, wo in den von den Besatzungsgegnern nicht kontrollierten Gebieten heute ein neuer Präsident gewählt werden soll, ist die Zahl der Anschläge und Angriffe von etwa 32 auf durchschnittlich 48 pro Tag gestiegen. Dies geht aus Angaben der NATO-Truppen hervor. Offensichtlich gelang es den Taliban, in die militärisch stark gesicherte afghanische Hauptstadt Kabul vorzudringen. Am Mittwoch gab es Gefechte um eine Bank in der Altstadt. Ein Sprecher der Taliban sprach davon, mehrere Kommandos seien unterwegs und warteten auf Befehle.

Vertreter westlicher Geheimdienste befürchten bei der Präsidentenwahl »chaotische Verhältnisse«. Es gebe angesichts der dauernden schweren Angriffe in den vergangenen Tagen selbst auf den Präsidentenpalast in Kabul »keinen richtigen Überblick mehr über die Lage im Land«, erklärte am Mittwoch ein CIA-Angehöriger der Nachrichtenagentur ddp.

Die vom Westen gestützte Regierung in Kabul wies die Journalisten an, heute nicht über Gewaltakte zu berichten. Ausländischen Pressevertretern wurde mit der Ausweisung gedroht, sollten sie gegen das Verbot verstoßen. Einheimische Medienbetriebe würden dichtgemacht, sagte ein afghanischer Außenamtssprecher am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP. Die Zensurentscheidung hatte der Nationale Sicherheitsrat Afghanistans am Dienstag getroffen. Damit solle verhindert werden, daß sich die Wahlberechtigten aus Angst nicht an die Urnen wagen, hieß es. Über die Wahl selbst darf berichtet werden. Über gute Nachrichten freut sich Präsident Hamid Karsai.

** Aus: junge Welt, 20. August 2009


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