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Afghanistan: Betrug prägte Wahlen

Rund ein Viertel der Stimmen ist ungültig

Wegen massenhaften Betrugs bei den Parlamentswahlen in Afghanistan hat die Wahlkommission des Landes fast ein Viertel der abgegebenen Stimmen für ungültig erklärt.

1,3 Millionen der insgesamt rund 5,6 Millionen Stimmen seien nicht gewertet worden; 4,26 Millionen Stimmen seien gültig. Das erklärte einen Monat nach der Wahl der Vorsitzende der Wahlkommission IEC, Fazel Ahmad Manawi, am Mittwoch (20. Okt.) bei der Bekanntgabe der vorläufigen Ergebnisse in Kabul.

Die IEC war bei der Abstimmung am 18. September von 10,5 Millionen Wahlberechtigten ausgegangen. Unabhängige Wahlbeobachter hatten Betrug und Unregelmäßigkeiten angeprangert. Bei der Wahlbeschwerdekommission ECC waren mehr als 4600 Proteste eingegangen, die vor Bekanntgabe eines amtlichen Endergebnisses geprüft werden müssen. Die Flut an Eingaben verzögert den Prozess. Die IEC erklärte, mit dem amtlichen Endergebnis sei nicht vor Mitte November zu rechnen.

Die IEC gab am Mittwoch (20. Okt.) die 249 vorläufigen Gewinner der Parlamentswahl bekannt. Manawi betonte: »Dies ist eine vorläufige Liste, die sich ändern kann, wenn die endgültige und bestätigte Liste verkündet wird.« Nach dem vorläufigen Ergebnissen wurden 69 Frauen ins Unterhaus (Wolesi Dschirga) gewählt. Frauen haben damit einen Sitz mehr, als ihnen die Verfassung garantiert.

Bei der Abstimmung bewarben sich mehr als 2500 Kandidaten – darunter über 400 Frauen – um die 249 Sitze im Unterhaus. Die Wähler vergaben ihre Stimme nicht an Parteien, sondern an einzelne Abgeordnete, die einem politischen Lager nicht immer eindeutig zuzuordnen sind. Daher war zunächst auch unklar, ob das Lager des afghanischen Präsident Hamid Karsai künftig eine Mehrheit in der Volksvertretung haben wird. Der Präsident wird in Afghanistan nicht vom Parlament, sondern direkt von der Bevölkerung gewählt.

Die IEC hatte bereits am Sonntag (17. Okt.) vorläufige Resultate mitteilen wollen, die Verkündung dann aber verschoben. Ursprünglich plante die Kommission, am 9. Oktober vorläufige und am 30. Oktober endgültige Ergebnisse vorzulegen. Der Wahltag war von mehr als 400 gewaltsamen Zwischenfällen überschattet worden. Dutzende Menschen starben.

Bereits die Präsidentschaftswahl 2009 war von massivem Betrug überschattet worden, den unabhängige Wahlbeobachter vor allem dem Lager Karsais angelastet hatten. Zwischen Karsai und der internationalen Gemeinschaft war es daraufhin zu schweren Spannungen gekommen.

* Aus: Neues Deutschland, 21. Oktober 2010


Wahl in Frage gestellt

Afghanischer Exminister zu Manipulationen **

Angesichts der hohen Zahl ungültiger Stimmen hat der frühere afghanische Wiederaufbauminister Amin Farhang die Parlamentswahl in seiner Heimat in Frage gestellt. »Wenn ein Viertel der Stimmen für ungültig erklärt wird, dann stellt das die ganze Wahl in Frage«, sagte er der in Halle erscheinenden »Mitteldeutschen Zeitung« vom Donnerstag. Die Bevölkerung werde dem neuen Parlament »skeptisch gegenüberstehen«. Eine »gewisse Unsicherheit« werde bei der Bevölkerung bleiben. Ob die Wahl annulliert werde, sei aber die Entscheidung der Wahlkommission.

Farhang zufolge versuchten offenbar lokale Machthaber, mit finanziellen Mitteln die Wahl vom 18. September zu beeinflussen. »Und in einem bitterarmen Land wie Afghanistan spielt Geld eine große Rolle.« Fast jede vierte der 5,6 Millionen bei der Parlamentswahl abgegebenen Stimmen wurde von der Unabhängigen Wahlkommission für ungültig erklärt. Zudem stehen Dutzende Kandidaten unter Manipulationsverdacht.

Der Afghanistan-Experte Winfried Nachtwei, der bis 2009 Bundestagsabgeordneter der Grünen war, sagte der Zeitung, Afghanistan habe »die größte Betrugsrate bei international unterstützten Wahlen«. Insofern seien die Meldungen zu Unregelmäßigkeiten bei dem Votum nicht überraschend. Dass nun die Fakten offen auf den Tisch gelegt würden, sei jedoch ein »Glaubwürdigkeitsgewinn«.

Bei Anschlägen und Angriffen in Afghanistan sind mindestens 16 Menschen ums Leben gekommen, darunter acht Kinder. Die Kinder starben bei einem schweren Bombenanschlag in der südwestlichen Provinz Nimros. Den Angaben zufolge waren die Opfer in einem Kleinbus auf dem Weg zu einer Hochzeitsfeier, als am Straßenrand ein Sprengsatz explodierte.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Oktober 2010


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