Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Mehrheit der US-Amerikaner lehnt Krieg am Hindukusch ab

Truppenverstärkung bis Mitte nächsten Jahres

Von Max Böhnel, New York *

Die USA wiederholten am Hindukusch die Fehler der Sowjetunion, sagt Russlands Botschafter in Kabul, Andrej Awetisjan, mit Blick auf den 30. Jahrestag des Einmarschs der Sowjetarmee. Das zivile Engagement sei seit Beginn des internationalen Einsatzes vor acht Jahren sehr vernachlässigt worden. Der Krieg in Afghanistan könne aber militärisch nicht gewonnen werden.

Neun Tage nach Barack Obamas Rede in der Militärakademie West Point, in der der USA-Präsident die Truppenverstärkung um 30 000 Mann in Afghanistan ankündigte, erhielt der »war president« in Oslo den Friedensnobelpreis. Am selben Tag versammelte sich vor dem New Yorker UN-Hauptquartier eine kleine Gruppe von Kriegsgegnern der »War Resisters League«. In einem Schweigemarsch zogen zwei Dutzend Friedensaktivisten durch Manhattan. Auf den Schultern trugen sie selbst gebaute Särge, die an die bereits Getöteten und die zukünftigen Opfer des Afghanistankrieges erinnern sollten - auf US-amerikanischer wie auf afghanischer Seite. »Kein Friedensnobelpreis für den Kriegspräsidenten«, war das Motto dieses stillen Protests. Doch kaum ein Passant nahm davon Kenntnis. Die Demonstration der 1923 gegründeten »War Resisters League« war den Medien keine Zeile, keinen Satz wert.

»Obamas Krieg« nannte das wöchentlich erscheinende »Time Magazine« die jüngsten außenpolitischen Anstrengungen Washingtons. Obama hatte in seiner West-Point-Rede die Truppenverstärkung »zum schnellstmöglichen Zeitpunkt« angekündigt und gleichzeitig den »Beginn des Abzugs unserer Streitkräfte aus Afghanistan« für den Juli 2011 angegeben, also in 18 Monaten. Das Ziel der Truppenverstärkung bestehe darin, die Verankerung Al Qaidas in Afghanistan zu verhindern. Darüber hinaus würden die USA die Taliban zurückdrängen, um sie von einer Machtübernahme abzuhalten. Der Erfolg in Afghanistan sei »unmittelbar mit der Partnerschaft mit Pakistan verknüpft«. Und die USA würden die afghanische Führung dabei unterstützen, diejenigen Taliban in die Regierung aufzunehmen, die der Gewalt abschwörten und die Menschenrechte respektieren.

Die Liste der Auslassungen in Obamas Rede ist lang. Er erwähnte weder, wann der Truppenabzug abgeschlossen sein wird, noch wie die immensen Kosten beglichen werden sollen. Die ethnischen Konflikte Afghanistans und die Zusammensetzung seiner Armee, die über 100 000 privaten Söldner im Lande sowie die in Afghanistan wie in Pakistan wachsende Opposition gegen die USA-Präsenz ließ Obama ebenso unerwähnt wie die Rolle der wichtigsten regionalen Kraft Indien.

Dass der seit acht Jahren geführte Afghanistan-Krieg in der Tat längst »Obamas Krieg« ist, unterstreichen die Zahlen der auf Seiten der USA getöteten Soldaten. Ein Drittel, etwa 300, starben in den ersten elf Monaten seiner Präsidentschaft. Solche Zahlen helfen, das Unbehagen der US-amerikanischen Öffentlichkeit an dem nach wie vor unpopulären Krieg zu erklären. In einer von der Nachrichtenagentur AP in Auftrag gegebenen Umfrage von Mitte Dezember sagten 57 Prozent der Befragten, sie lehnten den Afghanistan-Krieg ab, während 39 Prozent ihn befürworten. »NBC News« und das »Wall Street Journal« ermittelten fast zur selben Zeit, dass 56 Prozent einen Abzugsbeginn im Juli 2011 für unwahrscheinlich halten. Dieser Skepsis steht die veröffentlichte Meinung gegenüber. Die unabhängige Medienbeobachterorganisation »Fairness and Accuracy in Media« fand heraus, dass kriegsbefürwortende Kolumnisten, Kommentatoren und Politiker in viel größerem Maße zu Wort kommen und interviewt werden als Kriegsgegner oder Skeptiker. In der »Washington Post« ist das Verhältnis etwa zehn zu eins, in der »New York Times« fünf zu eins.

Derweil arbeitet die Armee mit Hochdruck an der Logistik für die Truppenverstärkung. Generalstabschef Michael Mullen zeigt sich zuversichtlich, dass der Großteil der 30 000 Soldaten bis Mitte nächsten Jahres in Afghanistan ist.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Dezember 2009


Die Kriegssondersteuer

Von Reiner Oschmann **

Die parlamentarische Auseinandersetzung um die Gesundheitsreform in den USA ist von tiefen Gräben und offenem Hass zwischen Republikanern und Obamas regierenden Demokraten geprägt, doch in der Finanzierung des Krieges in Afghanistan gibt es in den Kernpunkten weit gehende Einigkeit. Das zeigte sich in beiden Kammern des Kongresses, als jetzt mit großer Mehrheit der Rüstungsetat für das am 1. Oktober begonnene Haushaltsjahr gebilligt wurde. Die Gegenstimmen bei den Republikanern wollten vielfach nur noch eine größere Kriegskasse.

Zu Beginn der Weihnachtswoche ist der größte USA-Rüstungshaushalt aller Zeiten von Präsident und Friedensnobelpreisträger Barack Obama in Kraft gesetzt worden. Er sieht 636 Milliarden Dollar (436 Milliarden Euro) vor. 128,3 Milliarden davon sind für die Kriege in Irak und Afghanistan ausgewiesen. Doch die Regierung hat mit Obamas Afghanistan-Rede in der Militärakademie in West Point signalisiert, dass allein die angekündigte Aufstockung um 30 000 weitere US-Soldaten am Hindukusch mindestens zusätzliche 30 Milliarden Dollar kosten wird.

Die klaren Parlamentsmehrheiten für die neuen Kriegsgelder können nicht über die wachsende Unruhe unter Obamas Demokraten hinwegtäuschen. Manche Senatoren wie Russ Feingold (Wisconsin) erklärten ihre Zustimmung für die Afghanistan-Gelder nur, weil sie so die Taktik der Republikaner vereiteln wollten, mit einer Verschleppung der Abstimmung über den Verteidigungsetat indirekt der Gesundheitsreform den Todesstoß zu versetzen. David Obey, Vorsitzender des einflussreichen Bewilligungsausschusses im Repräsentantenhaus und wie Feingold aus Wisconsin, warnte den Präsidenten jetzt bei einem Treffen im Weißen Haus vor Parallelen in der Eskalation des Krieges in Afghanistan und Pakistan mit dem Einsatz in Vietnam. Obey (71) gehört zu den Demokraten, die das Bündnis der USA mit der korrupten Regierung von Präsident Hamid Karsai für verhängnisvoll halten. Zugleich fordert er, dass jene, die Veränderungen im Gesundheitssystem nur dann zustimmen wollen, wenn sie das Haushaltsdefizit nicht vergrößern, diese Messlatte auch bei den Kriegskosten anlegen müssten.

Obey regt deshalb eine »Kriegssondersteuer« an, um die Lasten auf breitere Steuerzahler-Schultern zu verteilen. Dafür wird es im Kongress vorläufig keine Mehrheit geben. Der hitziger werdende Streit erinnert jedoch daran, dass die USA in Afghanistan in einem immer teureren und unpopuläreren Krieg stecken. Wie damals in Vietnam.

** Aus: Neues Deutschland, 24. Dezember 2009


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur USA-Seite

Zurück zur Homepage