Bundestag beschließt Teilnahme an Afghanistan-Truppe
Überwältigende Mehrheit - UN-Mandat - Kritik
Mit einer überwältigenden Mehrheit hat der Bundestag am 22. Dezember 2001 die Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan gebilligt. An der Abstimmung nahmen 581 Angeordnete teil. Enthaltungen gab es bei der SPD (2), den Grünen (4) und der CDU/CSU (1). Nein-Stimmen gab es
bei SPD (1, Gudrun Roos), der CDU/CSU (2), der FDP (1), der PDS (30,
komplett) und bei der fraktionslosen Abgeordneten (1, ehem. SPD).
Nach dem Beschluss kann die Regierung bis zu 1.200
Soldaten nach Kabul entsenden. Der Einsatz ist
zunächst auf sechs Monate befristet und wird
in den nächsten Tagen beginnen. Verteidigungsminister Scharping stellte den Soldaten in Ausssicht, dass sie Weihnachten noch zu Hause verbringen könnten.
Nach Angaben der Bundesregierung sollen neben
Infanterieeinheiten auch Hubschrauberkräfte,
Lufttransporteinheiten, Stabsoffiziere und
Unterstützungskräfte - dazu zählen etwa Fernmelder
oder Sanitäter - bereitgestellt werden. Die Deutschen
sollen mit niederländischen und dänischen Soldaten ein
gemeinsames Teilkontingent von bis zu 1.450 Soldaten
bilden.Die Kosten für den Einsatz werden laut
Verteidigungsministerium bei bis zu 340 Millionen Euro
(665 Millionen Mark) für einen sechsmonatigen Einsatz
liegen.
So soll der deutsche Truppenbeitrag aussehen:
Dem Beschluss vorausgegangen war die Resolution 1386 des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (UNO) vom 20. Dezember. Diese
Resolution ist auf Grundlage des Art. VII der Charta der Vereinten
Nationen verabschiedet worden. Die UN-Friedensmission läuft unter dem Namen "International Security Assistance Force" (ISAF).
Insgesamt ist die Entsendung von bis zu 1.200
Soldaten vorgesehen. Niederländische und dänische
Truppenteile sollen in ein gemeinsames Kontingent von bis zu
1.450 Soldaten integriert werden. Der Einsatz der Bundeswehr
ist bis zum 20. Juni 2002 befristet.
Die verfassungsrechtlichen Grundlagen stellen sich in den Augen der Bundesregierung so dar:
Verfassungsrechtliche Grundlage für den Einsatz deutscher Soldaten in
dieser Friedensmission ist Artikel 24 Abs. 2 des Grundgesetzes. Dieser
regelt das Vorgehen im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver
Sicherheit. Gleichzeitig hat die Bundeskabinett die Resolutionen 1386,
1383 und 1378 des Sicherheitsrates zugrunde gelegt.
Auftrag:
Die "Petersberger Konferenz" vom 27. November bis zum 5. Dezember
endete mit der "Vereinbarung über provisorische Regelungen in
Afghanistan bis zum Wiederaufbau dauerhafter Regierungsinstitutionen"
(Bonn Vereinbarung). Danach wird am 22. Dezember eine vorläufige
Regierung die Geschäfte in Afghanistan aufnehmen. Für den Aufbau einer
Demokratie ist jetzt der Einsatz einer internationalen Friedenstruppe
notwendig, um diesen Prozess zu unterstützen. Gleichzeitig soll beim
Aufbau eigener Kräfte zum Schutz des Landes geholfen werden und die
Arbeit des Personals der UNO in sicherem Umfeld gewährleistet werden.
Dabei fallen folgende Aufgaben an:
-
Verlegung in das Einsatzgebiet
-
Eigensicherung
-
Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul
und Umgebung
-
im Bedarfsfall Eigenevakuierung sowie Rückverlegung.
Einzusetzende Kräfte:
Es werden folgende Kräfte für den Einsatz bereitgestellt:
-
Infanteriekräfte
- Hubschrauberkräfte
- Unterstützungskräfte
- Lufttransportkräfte
- Kräfte für die Beteiligung an internationalen Hauptquartieren.
Status und Rechte:
Diese richten sich nach der zwischen der Leitnation und der vorläufigen
Regierung Afghanistans zu treffenden Vereinbarungen. Großbritannien
wird als Leitnation die erforderlichen Vereinbarungen mit Afghanistan und
den truppenstellenden Nationen schließen. In einem Schreiben des
britischen Außenministers vom 19. Dezember wurde gegenüber dem
Generalsekretär der UNO die Bereitschaft erklärt, die Führung der
Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe für etwa drei Monate,
jedoch nicht länger als bis zum 30. April 2002, zu übernehmen.
Die Sicherheitstruppe ist autorisiert zur Durchsetzung der Resolution 1386
alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer
Gewalt zu ergreifen, um den Auftrag durchzusetzen. Die Wahrnehmung
des Rechts zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung bleibt
davon unberührt. Den im Rahmen dieser Operation eingesetzten Kräften
wird auch die Befugnis zur Wahrnehmung des Rechts auf bewaffnete
Nothilfe zugunsten Jedermann erteilt.
Einsatzgebiet:
Einsatzgebiet ist Kabul und Umgebung. Im übrigen Gebiet Afghanistans
dürfen die deutschen Streitkräfte über die Wahrnehmung des
individuellen und kollektiven Selbstverteidigungsrechts und des
Nothilferechts hinaus nur zum Zwecke des Zugangs und der Logistik mit
der erforderlichen Eigensicherung sowie für Abstimmungsgespräche
eingesetzt werden.
Personaleinsatz:
Es werden bis zu 1.200 Soldaten mit entsprechender Ausrüstung
eingesetzt. Dazu gehören:
-
Berufssoldaten, Soldaten auf Zeit und
aufgrund freiwilliger Verpflichtung für besondere
Auslandsverwendungen
-
Grundwehrdienstleistende, die freiwillig zusätzlichen Wehrdienst
leisten
-
Reservisten und frühere, nicht mehr wehrpflichtige Soldaten und
frühere Soldatinnen sowie Ungediente, die berufsbezogen
eingesetzt werden sollen.
Finanzierung:
Die einsatzbedingten Ausgaben werden im Haushaltsjahr 2002 für den
Zeitraum von sechs Monaten rund 340 Millionen Euro betragen. Sofern die
Kosten für die deutsche Beteiligung an Enduring Freedom und an der
internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan den Betrag
von 153,4 Millionen Euro (300 Millionen Mark) übersteigen, werden die
einsatzbedingten Zusatzkosten aus dem Gesamthaushalt finanziert.
Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte bei der Petersberger Konferenz für
eine deutsche Beteiligung eine räumliche und zeitliche Begrenzung sowie
ein robustes Mandat gefordert. Diese Forderungen sind durch die
Resolution 1386 erfüllt worden.
PDS-Fraktion lehnt den Einsatz ab - Stellungnahme von Wolfgang Gehrcke
Der außenpolitische Sprecher und Vizevorsitzende der
PDS-Bundestagsfraktion, Wolfgang Gehrcke, kritisiert
das Mandat der internationalen Schutztruppe für
Afghanistan und den dafür geplanten Bundeswehreinsatz.
Er erklärt:
Das UNO-Mandat für die Sicherheits-Unterstützungstruppe in
Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF)
ist kein eindeutiges Signal für ein Ende des Krieges in
Afghanistan, geschweige denn für ein Ende der
US-Kriegsabsichten in anderen Teilen der Welt. Es ist auch
kein Mandat für eine eigentlich erforderliche
UNO-Friedensmission. Notwendig wäre vorrangig die Sicherung
der Hilfen für die afghanische Bevölkerung und eine
Verhinderung von Kampfhandlungen:
Bei ISAF handelt sich um einen Erzwingungseinsatz nach
Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen. Die
Zusammensetzung der Truppe ist von Staaten geprägt, die an
den Kampfhandlungen beteiligt waren und sind bzw. direkte
oder geostrategischen Interessen in Afghanistan haben. So
sind z.B. Großbritannien ("Führungsnation" der Aktion) als
ehemalige Kolonialmacht oder die Türkei als Bündnispartner
der Nordallianz weder glaubwürdig noch angemessen.
Das Nebeneinander von "Sicherheitstruppe" und andauernden
Kampfeinsätzen ist nicht akzeptabel – die Unterordnung der
ISAF unter die US-Interessen erst recht nicht. Noch finden
Kämpfe statt, wird bombardiert, bauen die USA als
hauptsächlich kriegführende Macht ihre Stützpunkte in und um
Afghanistan weiter aus. Die ISAF wird zum Anhängsel der
übermächtigen Kriegsparteien USA und Großbritannien. Zudem
hat Großbritannien als "Führungsnation" des Einsatzes
erklärt, dass das US-Central Command auch über die
Schutztruppe das letzte Wort haben wird.
Es gibt auch keinen zwingenden Grund, eine solche Mission
als Kapitel VII-Einsatz (Zwangsmaßnahme) durchzuführen. In
den UN-Einsätzen auf dem Balkan hat sich ein Verständnis von
Kapitel-VI-Missionen durchgesetzt, das beinhaltet, dass die
beteiligten Truppen nicht nur das Recht auf
Selbstverteidigung haben, sondern immer auch das Recht,
ihren Auftrag tatsächlich durchzusetzen ("mission-defence").
Die Pflicht zur humanitären Nothilfe besteht völkerrechtlich
ohnehin. Was die unter einem Kapitel-VI-Mandat agierenden
Truppen aber nicht dürften, ist "Friedenserzwingung", d.h.
Kriegführung gegen örtliche Konfliktparteien.
Die ISAF kommt nicht der Bevölkerung zugute. Sie soll nur
die afghanische Regierung sichern. Afghanistan braucht
dringend Hilfe von außen: Bei der Lebensmittelversorgung der
Bevölkerung, bei der zügigen Rückkehr der Flüchtlinge, beim
Wiederaufbau der Infrastruktur, bei der Minenräumung, bei
der Entwicklung zivilgesellschaftlicher, demokratischer
Strukturen. Vordringlich ist jetzt die alltägliche
Versorgung der Menschen. Darauf sollte sich die
internationale Unterstützung konzentrieren. Die Verteilung
der Lebensmittel an die wirklich Bedürftigen und die
Sicherung der Transportwege ist ein schwieriges Unterfangen.
Eine UN-Mission, die bei dieser Aufgabe die
Übergangsverwaltung mit allen gebotenen Mitteln unterstützen
würde, könnte sinnvoll sein; eine Truppe, die lediglich dem
Schutz Übergangsregierung dient, nicht.
Wir lehnen eine Weltordnung ab, in der ein weltpolitischer
Akteur Krieg führt, und ein anderer Teil für die Schäden
dieses Krieges haften soll. Es nicht akzeptabel, dass die
eine Seite (wie in diesem Falle USA und Russland)
Kriegsparteien aufrüstet, während sich Andere über
Entmilitarisierung und zivile Konfliktnachsorge Gedanken
machen sollen. Es ist auch nicht akzeptabel, dass die USA
durch den Einsatz von Splitter-Bomben praktisch fern
verlegte Minen in großem Umfang in ein Land bringen; diese
gemeingefährlichen Waffen aber dann vom Roten Kreuz geräumt
werden sollen. Außerdem: Die USA haben mit ihrem Krieg einen
nicht unerheblichen Anteil an der katastrophalen
Versorgungslage der Menschen in Afghanistan (s. die
Bombardierung der Versorgungslager des Internationalen Roten
Kreuzes). Gerade die USA müssten sich am Wiederaufbau
beteiligen. Die Zeichen verdichten sich jedoch, dass deren
Kriegskarawane weiterzieht. Während sie andernorts
militärisch zuschlagen, soll die UNO für
Nachkriegsstabilität sorgen. Diese "Lastenteilung" kann
keine Grundlage einer Weltordnungspolitik sein.
Die US-Regierung betont allenthalben, dass ein langer
Feldzug bevorstehe. Als nächste Ziele gelten Somalia, Sudan,
Jemen und der Irak. Eine gewaltsame Beseitigung Saddam
Husseins z.B. liefe auf den nächsten "mittleren Krieg"
hinaus – mit unabsehbaren Folgen. Israels und Indiens
Vorgehen beim Krieg gegen den Terrorismus nach dem Vorbild
der USA verschärft die Lage zusätzlich. Wir bestehen darauf,
dass aus dieser Gewaltspirale ausgestiegen wird. Statt
uneingeschränkter Gefolgschaft mit den USA, fordern wir eine
eigenständige europäische Position, die sich auf die Lösung
der Konfliktursachen fokussiert. Für welche
"Konflikt-Nachsorge" soll sonst als nächstes ein Mandat
erteilt werden?
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