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Karsai eröffnet Friedensrat

Erneute Aufforderung an Taliban zu Verhandlungen

Vor dem Hintergrund der angestrebten Verhandlungen mit den radikalislamischen Taliban hat der afghanische Präsident Hamid Karsai am Donnerstag (7. Okt.) in Kabul offiziell einen Friedensrat eröffnet.

»Das heutige Treffen eröffnet unseren Hohen Friedensrat«, sagte Karsai zu Beginn der Versammlung im hochgesicherten Präsidentenpalast in der afghanischen Hauptstadt. »Jede Provinz, jeder Bezirk und jedes Dorf erwartet Fortschritte von diesem Rat«, fügte er hinzu und rief die Taliban erneut dazu auf, ebenfalls an den Verhandlungstisch zu kommen.

Der Rat für Friedensverhandlungen mit den Taliban ist eine der wichtigsten Initiativen Karsais auf dem Weg zu Gesprächen mit den Aufständischen. Die Einrichtung des Rates war im Rahmen einer Friedensdschirga im Juni in Kabul beschlossen worden. Das Gremium soll die Verhandlungen mit den Taliban vorbereiten. Diese machten bisher immer den Abzug der ausländischen Truppen zur Vorbedingung für Gespräche. In den vergangenen Wochen hatte es jedoch mehrfach Berichte über bereits existierende geheime Gespräche gegeben.

Die afghanische Regierung führt nicht nur geheime Gespräche mit den Taliban, sondern steht nach Zeitungsinformationen gemeinsam mit Washington auch in Kontakt mit der Haqqani-Gruppe, die mit den Hauptwiderstand gegen US-Streitkräfte in Afghanistan leistet. Wie die britische Zeitung »Guardian« am Donnerstag unter Berufung auf pakistanische und arabische Vertreter berichtete, führte die Regierung von Karsai im Sommer direkte Gespräche mit Vertretern der Taliban-Verbündeten, die vom afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet aus operieren.

Nach den Informationen des »Guardian« hat sich das Haqqani-Netzwerk zu den Kontakten entschlossen, da es befürchtet, nach einem Friedensabkommen zwischen Karsai und den Taliban isoliert zu sein. Ihr Führer Sirajuddin Haqqani sei sich bewusst geworden, »dass er eines Tages ein Niemand sein könnte, wenn er sich an dem Prozess nicht beteiligt«, sagte ein mit den Gesprächen vertrauter Diplomat dem Blatt.

In Pakistan nehmen die Taliban immer mehr die Nachschubrouten für die NATO-Truppen im benachbarten Afghanistan ins Visier. Bei zwei Attacken setzten Angreifer am Mittwoch mindestens 44 NATO-Tanklaster in Brand, wie die pakistanische Polizei mitteilte. Mit den Angriffen vom Mittwoch stieg die Zahl der Attacken auf NATO-Laster auf fünf innerhalb einer Woche. Die NATO-Lkw sind derzeit verstärkt Angriffen ausgesetzt, weil Pakistan seit dem Tod dreier Soldaten durch einen US-Drohnenangriff vor einer Woche die wichtigste Versorgungsroute nach Afghanistan gesperrt hält. Die US-Botschafterin in Pakistan, Anne Patterson, entschuldigte sich am Mittwoch für diesen »schrecklichen Unfall«.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Oktober 2010


Deutscher Soldat getötet

Gysi: Bundeswehr muss raus aus Afghanistan **

Erneut ist ein deutscher Soldat bei einem Selbstmordanschlag der Taliban getötet worden. Sechs Soldaten seien bei dem Anschlag in der Provinz Baghlan im Norden verwundet worden, davon zwei schwer, sagte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg am Donnerstag (7. Okt.) in Berlin. Die Zahl der Verletzten wurde später mit 14 angegeben. Keiner von ihnen schwebe aber in Lebensgefahr, hieß es am 8. Oktober. Die Soldaten hatten den Auftrag, eine Zufahrtsstraße zu sichern.

Zu Guttenberg sprach im Bundestag von einer sehr traurigen Nachricht am 9. Jahrestag des Kriegsbeginns in Afghanistan. »Unsere Gedanken und Gebete sind bei den Soldaten und ihren Familien.« Der Minister verteidigte den Einsatz am Hindukusch. Es sei ein Einsatz, »der unserer Sicherheit dient und der in diesem Hause beschlossen wurde«. Damit sind bisher insgesamt 44 deutsche Soldaten am Hindukusch ums Leben gekommen.

Linksfraktionschef Gregor Gysi hat nach dem Anschlag erneut den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan gefordert. »Das tragische Ereignis am 9. Jahrestag des Beginns des Afghanistan-Krieges führt noch einmal vor Augen, dass der Krieg die Lage in Afghanistan um keinen Deut verbessert hat«, teilte Gysi am Donnerstag mit. »Noch nie wurden so viele ausländische Soldaten getötet und verletzt wie in diesem Jahr.« Gysi betonte: »Die Bundeswehr muss endlich raus aus Afghanistan.«

** Aus: Neues Deutschland, 8. Oktober 2010


Chronologie: Gefallene Soldaten in Afghanistan

Beim Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan sind bisher 44 deutsche Soldaten ums Leben gekommen, davon starben 27 bei Anschlägen und Gefechten.
  • 7. Oktober 2010: Ein Selbstmordanschlag der Taliban reißt einen Bundeswehrsoldaten in den Tod. Sechs Soldaten werden verletzt, davon zwei schwer.
  • 15. April 2010: Bei zwei Anschlägen nahe der nordafghanischen Stadt Baghlan fallen vier Bundeswehrsoldaten. Drei sterben in ihrem gepanzerten Fahrzeug «Eagle IV» bei der Detonation einer ferngezündeten Sprengfalle. Ein Oberstabsarzt kommt ums Leben, als sein gepanzertes Sanitätsfahrzeug von Aufständischen beschossen wird. Fünf weitere Soldaten werden verletzt.
  • 2. April 2010: Bei schweren Gefechten im Unruhedistrikt Char Darah südwestlich von Kundus-Stadt werden drei Bundeswehrsoldaten getötet. Acht weitere Deutsche werden bei den stundenlangen Kämpfen schwer verletzt.
  • 23. Juni 2009: Nach einem Feuergefecht in der Region Kundus sterben drei Bundeswehrsoldaten. Sie waren bei einem Ausweichmanöver mit ihrem Transportpanzer vom Typ «Fuchs» umgekippt und in einem Graben liegengeblieben.
  • 29. April 2009: In der Nähe der Stadt Kundus gerät eine Patrouille der Bundeswehr in einen Hinterhalt. Ein deutscher Soldat kommt ums Leben, vier weitere werden verletzt. Wenige Stunden zuvor waren bei einem Attentat in der Nähe des deutschen Feldlagers Kundus fünf deutsche Soldaten leicht verletzt worden.
  • 20. Oktober 2008: Zwei deutsche Soldaten sterben bei einem Selbstmordanschlag nahe der Stadt Kundus. Die radikal-islamischen Taliban bekennen sich zu dem Anschlag.
  • 27. August 2008: Eine Patrouille der Bundeswehr gerät in der Nähe von Kundus in eine Sprengfalle. Ein Soldat erliegt seinen Verletzungen, drei weitere werden verletzt.
  • 6. August 2008: Bei einem Selbstmordanschlag nahe Kundus werden drei Soldaten verletzt, zwei von ihnen schwer. Einer stirbt Anfang Oktober 2009 an den Spätfolgen.
  • 19. Mai 2007: Bei einem Selbstmordanschlag eines Taliban- Terroristen auf einem Markt in Kundus werden drei Soldaten einer Fußpatrouille getötet, zwei weitere verletzt.
  • 14. November 2005: In Kabul reißt ein Selbstmordattentäter einen Bundeswehrsoldaten mit in den Tod, zwei weitere werden verletzt.
  • 25. Juni 2005: In der an Kundus angrenzenden Provinz Tachar kommen bei einer routinemäßigen Entwaffnungsaktion im Distrikt Rustak zwei deutsche Soldaten ums Leben. Die Bundeswehr geht zunächst von einem Unfall aus. Später stellt sich heraus, dass die Soldaten in eine Sprengfalle geraten waren.
  • 7. Juni 2003: In Kabul werden bei einem Selbstmordattentat 4 Bundeswehrsoldaten getötet und 29 verletzt. Ein mit 150 Kilogramm Sprengstoff beladenes Taxi explodierte neben einem Bundeswehrbus.
  • 29. Mai 2003: Ein Geländewagen fährt in der Nähe des deutschen ISAF-Camps in Kabul auf eine Mine. Ein deutscher Soldat stirbt.
dpa, 7. Oktober 2010


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