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Afghanistan-Krieg: Neue Diskussion über Bundeswehrbeteiligung entfacht / Dänemark will mehr für das Militär tun

Unterschiedliche Signale aus NATO-Staaten - Struck will mit Taliban verhandeln - Obamas "Vietnam"?

Die Situation ist paradox: Je mehr Truppen aus den USA und anderen NATO-Staaten nach Afghanistan entstandt werden, desto stärker wird der militärische Widerstand im Land. Und je einiger sich die Experten darin sind, dass dieser Krieg militärisch nicht zu gewinnen sei, desto mehr wird in den Krieg investiert. Drei Artikel, die wir im Folgenden dokumentieren, handeln von diesem Paradoxon - und plädieren zugleich für das Nächstliegende: den Abzug der Truppen aus Afghanistan zu organisieren.



Streit um Exit-Strategie

Von Frank Brendle *

Die zunehmenden Verluste der Bundeswehr in Afghanistan haben am Wochenende zu einer kontroversen Debatte in der Regierungskoalition über eine mögliche »Exit«-Strategie geführt. Kaum waren in Leipzig die Särge der drei Soldaten ausgeladen, die vorige Woche während eines Angriffs afghanischer Rebellen ums Leben kamen - schon ging der Streit darüber los, wie es in Afghanistan weitergehen soll. Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Peter Ramsauer, forderte eine Ausstiegsstrategie. Die Soldaten sollten »nicht einen Tag länger in Afghanistan bleiben als unbedingt nötig«, sagte er der Bild am Sonntag.

Als Vorbild nannte Ramsauer den schrittweisen Abzug der Bundeswehr aus dem Kosovo. SPD-Fraktionschef Peter Struck, der früher selbst Verteidigungsminister war, forderte im Spiegel hingegen zum Durchhalten auf: »Ich befürchte, das kann noch zehn Jahre dauern.« Er sehe »keinen Grund, jetzt aufzugeben« und zu sagen, die deutschen Soldaten seien »leider umsonst gestorben«. Allerdings müßten die Erwartungen an den Einsatz »deutlich heruntergefahren werden«. Es ist freilich der tägliche Besatzerterror der westlichen Staaten, der maßgeblich zur Radikalisierung des afghanischen Widerstandes beiträgt.

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, setzt dagegen darauf, den Krieg noch energischer zu führen. Die »sehr restriktive Auslegung« der Rechtslage beim deutschen Einsatz müsse überwunden werden. Die Soldaten müßten aktiv gegen erkannte Aufständische vorgehen können, »um nicht immer auf die Schlachtbank geführt zu werden«, formulierte Deutschlands höchster Soldat im Focus. Und Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) gab sich nach außen hin unbeeindruckt und behauptete weiterhin, Deutschland führe keinen Krieg, sondern betreibe »zivilen Aufbau und militärische Sicherheit parallel«.

Intern ist bei den Militärs indes das große Leichenzählen losgegangen. Wenige Wochen vor Einweihung des »Ehrenmals der Bundeswehr« in Berlin, das die Opferbereitschaft der Truppe beflügeln soll, hat die Suche nach »heroischen« Vorbildern groteske Züge angenommen. War bisher von knapp 3000 Soldaten die Rede, die namentlich geehrt werden sollen, werden jetzt 27000 Soldaten auf ihre Vorbildwürdigkeit geprüft. Das teilte gestern die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke mit. Das Verteidigungsministerium habe ihr mitgeteilt, daß diese Zahl all jene Bundeswehrangehörigen umfasse, die seit 1956 »im und außer Dienst verstorben« sind. Das Ministerium überprüfe derzeit, »welche dieser Personen die Voraussetzung für die Nennung am Ehrenmal erfüllen«, heiße es in dem Schreiben. Auf ihrer Homepage gibt die Bundeswehr hingegen weiter an, seit ihrer Gründung seien 2990 Soldaten während des Dienstes verstorben.

Die Explosion der »Heldenzahlen« ist wohl Ausdruck großer Nervosität. Immerhin wird dadurch der tödliche Sportunfall am Wochenende auf dieselbe Stufe gestellt wie der Tod im Gefecht. Politisch brisant ist der Umstand, daß etwa ein Krebstod durch Kettenrauchen auf das gleiche Niveau gehoben wird wie der Krebstod jener Luftwaffenangehörigen, die von der Bundeswehr jahrzehntelang vor stark strahlende Radargeräte gesetzt worden waren.

* Aus: junge Welt, 29. Juni 2009


Dänemark rüstet sich für Afghanistan-Krieg

Kopenhagen stockt Verteidigungshaushalt auf / Volkssozialisten stimmen erstmals mit ja

Von Andreas Knudsen, Kopenhagen **


Jahrelang verharrte der dänische Verteidigungshaushalt konstant bei 2,7 Milliarden Euro. In den kommenden fünf Jahren stehen pro Jahr 94 Millionen Euro mehr zur Verfügung.

Nur die Rot-Grüne Einheitsliste tanzte aus der Reihe. Nach dreimonatigen Verhandlungen einigten sich die verteidigungspolitischen Sprecher der im dänischen Parlament vertretenen Parteien bis auf die Rot-Grüne Einheitsliste auf den Rahmenplan der Verteidigungsausgaben der nächsten fünf Jahre. Diese lagen seit vielen Jahren stabil bei 2,7 Milliarden Euro jährlich, doch die aktivistische Außenpolitik der letzten Jahre, insbesondere die Teilnahme am Krieg in Afghanistan und an Marineoperationen am Horn von Afrika, haben längst diesen finanziellen Rahmen gesprengt. Ab nächstem Jahr kann Verteidigungsminister Søren Gade über jährlich 94 Millionen Euro zusätzlich disponieren, um insbesondere Material für die rund 700 Soldaten in Afghanistan und zusätzliches Übungsgerät für die Vorbereitung der nächsten Einheiten zu kaufen und die Munitionslager wieder aufzufüllen.

Neben den bürgerlichen Regierungsparteien werden auch die Sozialdemokraten, die liberalen Radikalen und die Volkssozialisten für die erhöhten Rüstungsausgaben stimmen. Sie verhandelten geschlossen als Block und behandelten die Verhandlungen zum Verteidigungshaushalt als eine wichtige Probe für die erhoffte künftige Regierungsverantwortung. Deshalb war es äußerst wichtig für die Mitte-Links-Parteien, dass die Volkssozialisten erstmals mit Ja stimmen werden.

Die Reaktionen konservativer und liberaler Politiker zeigten, dass man sich im Regierungslager unsicher ist, ob man sich freuen soll oder eher trauern, denn damit bekommen sie auch Vetorecht bei eventuellen Änderungen. Die Mitte-Links-Parteien hatten im Wesentlichen nur eine Forderung während der Verhandlungen. Die Streitkräfte müssen wesentlich besser werden und dafür ihre Ausgaben steuern und beim Materialeinkauf sichern, dass die neue Technik auch für den vorgesehenen Zweck anwendbar ist.

Um die Verteidigungsausgaben nicht weiter explodieren zu lassen, wurde darüber hinaus vereinbart, die Anzahl der operativ einsetzbaren F16-Flugzeuge von 48 auf 30 zu reduzieren. Von den Verhandlungen ausgeklammert wurde die Frage, welche und wieviele Flugzeuge Dänemark als Nachfolgemodell für die F16 kaufen soll. Die Reduzierung deutet an, dass man sehr wahrscheinlich 30 Flugzeuge kaufen wird. Auch das Heer muss sparen und die Anzahl der Panzer von 57 auf 34 reduzieren. Besser hat es die Marine getroffen. Sie kann sich darauf freuen, neue Hubschrauber für einige Schiffe kaufen zu dürfen, muss sich aber gleichzeitig darauf einstellen, zwei ihrer Korvetten ausmustern zu müssen.

Die Stinger-Luftabwehrraketen wurden als weniger wichtig in der heutigen sicherheitspolitischen Lage in Europa angesehen und werden ausgemustert. Dafür soll im Cyberspace kräftig aufgerüstet werden, um der elektronischen Kriegsführung entgegentreten zu können.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Juni 2009

Comment in "The Guardian" (Excerpts)

Obama must call off this folly before Afghanistan becomes his Vietnam

Senseless slaughter and anti-western hysteria are all America and Britain's billions have paid for in a counterproductive war

by Simon Jenkins ***


If good intentions ever paved a road to hell, they are doing so in Afghanistan. History rarely declares when folly turns to ­disaster, but it does so now. Barack Obama and his amanuensis, Gordon Brown, are uncannily repeating the route taken by American leaders in Vietnam from 1963 to 1975. Galbraith once said that the best thing about the Great Depression was that it warned against another. Does the same apply to Vietnam?

Vietnam began with Kennedy's noble 1963 intervention, to keep the communist menace at bay and thus make the world safe for democracy. That is what George Bush and Tony Blair said of ­terrorism and Afghanistan. Vietnam escalated as the Diem regime in Saigon failed to contain Vietcong aggression and was deposed with American ­collusion. By 1965, despite Congress scepticism, American advisers, then planes, then ground forces were deployed. Allies were begged to join but few agreed - and not Britain.

The presence of Americans on Asian soil turned a local insurgency into a regional crusade. Foreign aid rallied to the Vietcong cause to resist what was seen as a neo-imperialist invasion. The hard-pressed Americans resorted to ever more extensive bombing, deep inside neighbouring countries, despite ­evidence that it was ineffective and politically counterproductive.

No amount of superior firepower could quell a peasant army that came and went by night and could terrorise or merge into the local population. Tales of American atrocities rolled in each month. The army counted success not in territory held but in enemy dead. A desperate attempt to "train and equip" a new Vietnamese army made it as corrupt as it was unreliable. Billions of dollars were wasted. A treaty with the Vietcong in 1973 did little to hide the humiliation of eventual defeat.

Every one of these steps is being re-enacted in Afghanistan. Every sane observer, even serving generals and diplomats, admit that "we are not winning" and show no sign of doing so. The head of the British army, Sir Richard Dannatt, remarked recently on the "mistakes" of Iraq as metaphor for Afghanistan. He has been supported by warnings from his officers on the ground.

(...)

Generals are entitled to plead for more resources and yet claim that ­victory is just round the corner, even when they know it is not. They must lead men into battle. A heavier guilt lies with liberal apologists for this war on both sides of the Atlantic who continue to invent excuses for its failure and offer glib preconditions for victory.

A classic is a long editorial in ­Monday's New York Times, congratulating Barack Obama on "sending more troops to the fight" but claiming that there were still not enough. (...)

(...) The way to achieve victory was for the Pentagon, already spending a stupefying $60bn in Afghanistan, to spend a further $20bn - increasing the size of the Afghan army from 90,000 to 250,000. This was because ordinary Afghans "must begin to trust their own government".

These lines might have been written in 1972 by General Westmoreland in his Saigon bunker. The New York Times has clearly never seen the Afghan army, or police, in action. Eight years of training costing $15bn have been near useless, when men simply decline to fight except to defend their homes. Any Afghan pundit will attest that training a Pashtun to fight a Pashtun is a waste of money, while training a Tajik to the same end is a waste of time. (...)

Neither the Pentagon nor the British Ministry of Defence will win Afghanistan through firepower. The strategy of "hearts and minds plus" cannot be realistic, turning Afghanistan into a vast and indefinite barracks with hundreds of thousands of western soldiers sitting atop a colonial Babel of administrators and professionals. It will never be secure. It offers Afghanistan a promise only of relentless war, one that Afghans outside Kabul know that warlords, drug cartels and Taliban sympathisers are winning.

The 2001 policy of invading, ­capturing Osama bin Laden and ­ridding the region of terrorist bases has been tested to destruction and failed. ­Strategy is reduced to the senseless slaughter of hundreds of young western soldiers and thousands of Afghans. (...)

Vietnam destroyed two presidents, ­Johnson and Nixon, and ­destroyed the global confidence of a ­generation of young Americans. ­Afghanistan - ­obscenely dubbed the "good war" - could do the same. There will soon be 68,000 American troops in that country, making a mockery of Donald Rumsfeld's 2001 tactic of hit and run, which at least had the virtue of coherence.

(...)

Obama is trapped by past policy ­mistakes as were Kennedy and Johnson, cheered by an offstage chorus crying, "if only" and "not enough" and "just one more surge". He and Petraeus have to find a means and a language to ­disengage from Afghanistan, to allow the anti-western hysteria of the Muslim world - which the west has done so much to foster - now to cool. It is hard to imagine a greater tragedy than for the most exciting American president in a generation to be led by a senseless intervention into a repeat of America's greatest postwar debacle. (...)

Source: The Guardian (online), 25 June 2009; www.guardian.co.uk [Excerpts]
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