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Steinmeier: "Wir haben in Afghanistan viel erreicht" - "Schäfer: "Die Bilder aus den Tornados sind nicht für das Familienalbum"

Bundestagsdebatte zur Entsendung von Tornado-Aufklärern nach Afghanistan - 1. Lesung (die Reden im Wortlaut)

Im Folgenden dokumentieren wir die Bundestagsdebatte vom 28. Februar 2007 zur Entsendung von Tornado-Aufklärern nach Afghanistan. Die erste Lesung hat schon gezeigt, dass die Regierungsfraktionen gewillt sind, den Antrag der Bundesregierung abzunicken. Die Endabstimmung über den Tornado-Einsatz findet am 9. März statt.
Wir dokumentieren die Reden in der Reihenfolge, wie sie gehalten wurden, verzichten aber weitgehend auf Zwischenrufe und Beifallskundgebungen.
Es sprachen:


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
– Drucksache 16/4298 –

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesaußenminister, Dr. Frank-Walter Steinmeier.

Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Wieder einmal beschäftigt das Thema Afghanistan den Deutschen Bundestag. Schon fünf Jahre lang engagieren wir uns für Frieden und Wiederaufbau in diesem Land. Die Erinnerung an die Anschläge von Washington und New York beginnt langsam zu verblassen.

Alle Fraktionen haben damals hier, im Deutschen Bundestag, versichert, dass der Kampf gegen den Terror uns erstens Kraft und zweitens einen langen Atem abverlangen wird. So ist es gekommen. Unsere Geduld und unsere Beharrlichkeit bei der Durchsetzung unseres Konzeptes und der eingeschlagenen Politik werden jetzt auf die Probe gestellt. Diese Probe müssen wir bestehen.

Wir haben in Afghanistan viel erreicht. Besonders im Norden des Landes, wo die Bundeswehr arbeitet und Verantwortung trägt, hat sich die Situation verbessert. Wir haben Straßen und Schulen gebaut. Wir haben Brunnen gebohrt. Millionen von Flüchtlingen konnten zurückkehren. 7 Millionen Jungen und Mädchen können wieder eine Schule besuchen.

Es muss aber auch gesagt werden: Vor allem im Süden des Landes hat sich die Situation im vergangenen Jahr verschärft. Dort vollzieht sich der Wiederaufbau für viele Afghanen nicht schnell genug. Dort kämpfen die Taliban gegen den Fortschritt für die Menschen, weil er aus dem Westen kommt und weil er den Erfolg ihrer religiösen Ideologie untergräbt. Darum kämpfen die Talibankräfte dort nicht nur gegen die NATO, sondern zerstören auch gerade wieder aufgebaute Schulen und andere Projekte, die dem Wohle der Menschen dienen. Aus diesem Grund darf der Einfluss der Taliban im Süden und Südosten des Landes nicht weiter anwachsen.

Afghanistan wird nur dann eine gute Zukunft haben, wenn auch der Süden und der Osten des Landes von der wachsenden Stabilität, die wir im Norden sehen, profitieren. Diese Stabilität konnte erst durch das Tätigsein nicht nur der Bundeswehr, sondern auch vieler ziviler Hilfsorganisationen wachsen. Wir haben uns vielfach bei den Soldaten der deutschen Bundeswehr bedankt. Das wollen wir auch heute tun. Wir wollen uns heute aber auch bei den Helfern der vielen zivilen Hilfsorganisationen von dieser Stelle aus bedanken.

Wir können dennoch nicht darüber hinwegsehen, dass die gegensätzliche Entwicklung in den einzelnen Teilen Afghanistans, die ich gerade geschildert habe, auch das Bündnis, die Solidarität innerhalb der NATO, auf eine harte Probe stellt. Als vor Jahren verschiedene Verantwortlichkeitszonen in Afghanistan eingerichtet wurden, war das in dieser Form vielleicht noch nicht absehbar.

Obwohl sich das Anschlagsniveau im Norden – ich sprach gerade davon – im Laufe des letzten Jahres erhöht hat, ist die Lage in den unter deutschem Command stehenden Nordprovinzen immer noch stabiler und ruhiger als anderswo.

Andere Nationen – nicht nur die USA, sondern auch die Niederlande, Dänemark und Kanada – befinden sich im Süden des Landes in einem Einsatz, der viele ihrer Soldaten das Leben gekostet hat. Manche werfen uns und anderen vor, dass die Lastenverteilung im Bündnis manchmal nicht fair ist. Um das ganz klar zu sagen: Ich halte diesen Vorwurf, soweit er sich an uns gerichtet hat – in der Debatte vor dem letzten NATO-Gipfel in Riga haben das viele verfolgt –, für unberechtigt.

Denn es ist doch nach wie vor so, dass wir mit unseren 2 800 Soldaten zu den größten Truppenstellern innerhalb der ISAF gehören. Wir Deutsche haben in den vergangenen Monaten viel dafür getan, unsere politischen Anstrengungen für die Zukunft Afghanistans weiter zu erhöhen. Dies geschieht bilateral und durch europäische Initiativen.

Erst gestern hat die Bundesregierung angekündigt – Dank an den BMZ-Haushalt –, unseren Anteil für den zivilen Aufbau um weitere 20 Millionen Euro zu erhöhen. Dieses Geld wird auch in Zukunft für Schulausbildung, für Krankenversorgung und für Infrastruktur im weitesten Sinne zur Verfügung stehen. Nicht nur das: Sie wissen, dass wir uns auf europäischer Ebene mit anderen dafür eingesetzt haben, dass unsere Anstrengungen und die der Italiener beim Polizeiaufbau und beim Aufbau des Justizapparates von anderen europäischen Nationen unterstützt werden. Die entsprechenden Beschlüsse wurden im letzten Allgemeinen Rat vor zwei Wochen gefasst. Im NATO-Rat – auch das muss erwähnt werden – haben wir mit anderen eine Debatte über eine bessere Verknüpfung von zivilen und militärischen Maßnahmen angestrengt. Nicht nur das: Wir haben auch eine Debatte über den Stellenwert ziviler Wiederaufbaumaßnahmen angeregt.

Ich darf sagen: Ausnahmslos alle sehen die Notwendigkeit eines veränderten Auftritts der internationalen Staatengemeinschaft. Kein NATO-Mitglied hat ein Interesse daran, in Afghanistan von der dortigen Bevölkerung sozusagen als Teil einer seelenlosen Besatzungsarmee wahrgenommen zu werden.

Alle kennen den Anlass ihrer Präsenz. Der Anlass ihrer Präsenz ist: Afghanistan muss wieder auf die Beine kommen, muss alleine lebensfähig werden. Deshalb werden wir und viele andere ihre zivilen Wiederaufbauanstrengungen ausweiten. Sie haben heute Morgen gelesen, dass zum Beispiel Kanada die Eigenanstrengungen jetzt um weitere 100 Millionen Euro erhöht. Das ist erfreulich. Aber so erfreulich das ist, es macht unsere militärische Präsenz in Zukunft noch nicht überflüssig.

Die NATO hat beim Einsatz für den Frieden in der Vergangenheit zusätzliche Aufgaben übernommen und den Bedarf für weitere Hilfe angemeldet. Ich halte es für unabdingbar, an solche Hilfen zu denken, damit der Einsatz der ISAF insgesamt gelingt.

Ob das nun so ist oder nicht, ob der eine oder andere das wahrhaben will oder nicht: Die Aufklärung aus der Luft kann nun einmal – der Verteidigungsminister wird sicher darauf hinweisen – kein System so gewährleisten wie die RECCE-Tornados unserer Bundeswehr. Ihre Bilder verbessern das Lagebild für die ISAF-Mission, dienen damit auch dem Schutz der ISAF-Soldaten, und zwar in ganz Afghanistan, auch jener, die sich in besonders schwierigen Einsatzgebieten im Süden befinden. Letztlich kommt ein verbessertes Lagebild – um das geht es hier – auch den zivilen Helfern und der Bevölkerung in Afghanistan selbst zugute.

Die Entsendung der Tornados ist ein Zeichen unserer Unterstützung der ISAF und der NATO in Afghanistan in zweifellos schwieriger Zeit. Ich sage: Aus meiner Sicht sind wir diese Solidarität dem Bündnis schuldig. Deshalb sind wir bei der schwersten Aufgabe in der Geschichte dieses politisch-militärischen Bündnisses jetzt gefragt. Kanadier, Niederländer und US-Amerikaner bitten um die Tornados ausschließlich im Auftrag der ISAF-Mission. Ich kann Ihnen versichern: Aufklärungsergebnisse werden eingeschränkt und kontrolliert an die OEF-Mission übermittelt, die sich, wie Sie wissen, dem Kampf gegen den Terror widmet. So steht es im ISAFOperationsplan. Wir haben einen sogenannten Close Air Support in diesem Mandat explizit ausgeschlossen. Aber es wäre nicht ehrlich, wenn ich nicht hinzufügen würde: Die OEF ist natürlich kein Teufelswerk, weil sie militärisch für die langfristige Befriedung Afghanistans kämpft. Wir haben seit Anbeginn beides, ISAF und OEF, für notwendig gehalten. Vergessen wir bitte nicht: Auch die ISAFMission ist auf Hilfe durch OEF-Soldaten angewiesen.

Wie ich weiß, haben manche im Bundestag die Sorge, dass die Bundeswehr Zug um Zug in eine mehr oder weniger unkontrollierte militärische Auseinandersetzung hineinschlittert. Ich teile diese Sorge nicht. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir bestimmte Formen des Einsatzes der Tornados, nämlich den unmittelbaren Kampfbezug, ausdrücklich ausgeschlossen haben. Wir stellen die Tornados nur für Aufklärungszwecke zur Verfügung. Ich verstehe das Unwohlsein einiger Abgeordneter hier im Haus; das habe ich signalisiert. Viele fragen – diese Fragen haben mich erreicht –, ob der militärische Kampf im Süden Afghanistans nicht Ausdruck einer gewissen politischen Hilflosigkeit ist. Manche zweifeln, ob ein langfristiger Frieden in Afghanistan mit dem derzeitigen Konzept möglich ist, und fragen nach einer Exitstrategie.

Meine Damen und Herren, ich will all diesen unangenehmen Fragen nicht ausweichen, sondern eindeutig entgegnen: Nein, nach meiner festen Überzeugung ist der Afghanistaneinsatz nicht gescheitert. Er wäre nur dann gescheitert, wenn wir die erforderlichen Hilfen und Mittel für unsere politische Strategie zum Wiederaufbau, die natürlich weiterhin von militärischen Einsätzen begleitet sein muss, jetzt nicht zur Verfügung stellen.

Niemand will, dass die Bundeswehr bis zum Sankt- Nimmerleins-Tag in Afghanistan bleibt. Unser Konzept zielt darauf, dass die Region um Afghanistan ihre Konflikte langfristig selbst löst. Darum arbeiten wir gemeinsam mit anderen Partnern zum Beispiel daran, dass die Spannungen zwischen Afghanistan und Pakistan überwunden werden und der Boden für eine rationale Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Ländern bereitet wird. Wir haben die Außenminister Afghanistans und Pakistans gerade erst zum nächsten G-8-Außenministertreffen eingeladen, um die Möglichkeit einer konstruktiven Zusammenarbeit zu schaffen.

Ich komme zum Schluss. Wir müssen verhindern, dass Afghanistan wieder zu einer Ausbildungsstätte für den internationalen Terrorismus wird. Wir müssen den Menschen in Afghanistan demonstrieren, dass die Teilhabe an Wohlstand, an Bildung und Forschung bessere Chancen für ihre Kinder und Enkel birgt als ein Leben unter den Zwängen radikaler Islamisten. Ich habe das schon bei anderer Gelegenheit gesagt – der eine oder andere wird sich erinnern –, aber ich will es mit Nachdruck wiederholen: Afghanistan ist nur verloren, wenn wir es verloren geben.

Vielen Dank.

Dr. Werner Hoyer (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal finde ich es gut, dass wir uns heute mit diesem Mandat befassen und in der nächsten Woche darüber entscheiden. Lange Zeit hat es nämlich so ausgesehen, als sollte der Deutsche Bundestag mit der Ausweitung dieses Mandates nicht befasst werden. Ich denke, diese Ausweitung des Mandates bringt eine solch neue Qualität der Mitwirkung der Bundeswehr mit sich, dass es unverzichtbar ist, dass der Deutsche Bundestag darüber entscheidet; denn wir halten ohne Wenn und Aber an der Parlamentsarmee fest.

Wir haben, als wir im Herbst über die Verlängerung von OEF und ISAF debattiert haben, gedacht, dass wir, um uns über die Entwicklung unserer mittel- und langfristigen Strategie für Afghanistan Gedanken zu machen, bis zum Ende dieses Jahres Zeit hätten. Denn wir wissen doch – in München ist es deutlich geworden –, dass zwei entscheidende, große Fragen offen sind: Wie sieht es mittel- und langfristig mit der Drogenproblematik aus? Wie sieht es mit der offenen Flanke Pakistan aus? Auf beide Fragen gibt es keine befriedigenden Antworten. Deswegen sind die Fragen der mittel- und langfristigen Entwicklung, die der Bundesminister eben angesprochen hat, auch für uns von herausragender Bedeutung.

Aber es sind keine technischen Fragen oder irgendwelche Nickeligkeiten, die dazu führen, dass es uns in der gegenwärtigen Diskussion so unwohl ist; ich spüre das bei Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen. Denn beide möglichen Entscheidungen, Ja oder Nein – eine Enthaltung kann es hier wohl nicht geben –, sind mit erheblichen Nachteilen und Bedenken verbunden. Was würde ein Nein des Deutschen Bundestages bedeuten? Es würde zumindest zwei große Probleme aufwerfen:

Wenn Deutschland eine Ressource, von der wir mehr oder die wir besser als jeder andere in der NATO zur Verfügung haben, verweigert, dann wird das im Zweifel an die Grundfesten des Bündnisses und unsere Fähigkeit, dort mitzuwirken, gehen; darüber müssen wir uns im Klaren sein.

Zum Zweiten müssen wir uns darüber im Klaren sein, was es bedeutet, wenn wir leichtfertig mit der Dimension Aufklärung umgehen, welche Risiken, welche Verantwortung wir auf uns nehmen, wenn wir es unmöglich machen, Ergebnisse von Aufklärungsaktivitäten zur Verfügung zu stellen, die nicht nur dazu dienen können, Ziele zu identifizieren, sondern die zunächst einmal dazu dienen, überhaupt Lagebilder zu erstellen, die die Operation unserer eigenen Kräfte und die unserer Partner in Afghanistan und damit auch das Leben der Menschen in Afghanistan, auch im Hinblick auf die Vermeidung von Kollateralschäden, sicherer machen können. Das ist die eine Seite.

Auf der anderen Seite, liebe Kolleginnen und Kollegen, spüre ich überall, dass kaum einer hier Lust hat, sich geradezu auf eine schiefe Ebene zu begeben, mög- licherweise in etwas hineinzurutschen, was wir hinterher nicht mehr kontrollieren können, hineinzurutschen in eine Operationsführung, die wir, einschließlich der Bundesregierung, neulich bei der Verlängerung von OEF und auch im Vorfeld des NATO-Gipfels von Riga noch deutlich kritisiert haben. Deswegen ist es wichtig, dass hier Brandmauern eingezogen werden. Wichtig ist hier aber auch, dass sich die Rhetorik ändert. Ich sage einmal für meine Fraktion: Jeder rhetorische Versuch des NATO-Generalsekretärs, der mehr auf die amerikanische Kultur ausgerichtet ist als auf die europäische, bringt mehr Neinstimmen für die Operation in meiner Fraktion. Wir erwarten dringend, dass innerhalb der NATO rhetorisch abgerüstet wird, insbesondere bei dem zivilen politischen Führer dieses Bündnisses.

Wir dürfen auch nicht übersehen, was es bedeuten würde, wenn wir nicht hinreichend Einfluss nehmen auf die Kommandokette. Da sind gestern bei uns in der Fraktion wichtige Antworten vom Verteidigungsminister gegeben worden.

Die Bundesregierung hat das Abstimmungsverhalten vieler hier im Hause, auch aus unserer Fraktion, noch immer in der Hand, glaube ich. Wir wollen eben sehen, dass tatsächlich ein Strategiewechsel des Bündnisses auch insofern sichtbar wird, als die Priorität des Politischen vor dem Militärischen wieder deutlich erkennbar wird; dass die Aufbauarbeit nicht nur als Nebenkriegsschauplatz begriffen wird, sondern als unsere Hauptaufgabe.

Gleichwohl vergessen wir nicht, weswegen wir überhaupt in Afghanistan sind, nämlich um nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 al-Qaida und die Taliban zu bekämpfen und den Terrorismus, der von diesen Organisationen ausgeht, aus unserem eigenen Lande herauszuhalten; das darf man bei all dem nicht vergessen.

Die Bundesregierung wird uns auch deutlich machen müssen, dass sie sich der Verantwortung für ISAF insgesamt bewusst ist. Es wird ja häufig so getan, als würden wir schöne, saubere Aufgaben im Norden wahrnehmen, während andere im Süden die Drecksarbeit machen. So ist es nicht. Wir müssen uns klarmachen: Die NATO basiert im Grunde auf dem Konsensprinzip; das gilt dann auch für eine NATO-Operation wie ISAF. Wir dürfen nach meiner Auffassung auch nicht ungerecht sein gegenüber unseren Partnern, wenn wir unseren Ansatz im Norden – die Vernetzung von Zivilem und Militärischem – für überlegen halten. Allerdings müssen wir dem auch Taten folgen lassen. Ich finde, die Ansätze im Bereich Polizeizusammenarbeit, Justiz, Entwicklungspolitik sind eher mäßig. Die Art der Zusammenarbeit mit der militärischen Seite ist es ebenfalls.

Von daher müssen wir sehr aufpassen, dass wir die anderen nicht in ein falsches Licht rücken. Das gilt auch für die Weitergabe von Ergebnissen. Dabei – das mag Sie vielleicht überraschen – bin ich sehr viel großzügiger als der Herr Bundesminister. Denn ich bin der Auffassung, dass es auch unter Bündnisgesichtspunkten fatal wäre, wenn wir über Aufklärungsergebnisse verfügen würden, die für OEF-Operationen wichtig sein könnten, und sie verweigern würden mit der Folge, dass Soldaten unserer Bündnispartner zu Schaden kommen. Auch das könnten wir nicht vertreten.

Wir Liberalen werden den Antrag unvoreingenommen prüfen und am nächsten Dienstag darüber entscheiden. Wir sind uns der Verantwortung, die wir tragen, in beiden Richtungen völlig bewusst.

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidigung:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat entschieden, der Bitte der NATO zu entsprechen und die Lücke hinsichtlich der Fähigkeiten zur Luftaufklärung in Afghanistan zu schließen, und sie bittet das Parlament, diese Entscheidung mit großer Zustimmung mitzutragen.

Was ist der Sinn und Zweck, diese Aufklärungslücke zu schließen? Tatsache ist, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan im letzten Jahr verschlechtert hat. Es ist eine erhebliche Zunahme der Zahl der Selbstmordanschläge und Angriffe auf unsere Soldaten – sei es mit Panzerfäusten oder anderen Geschossen – zu verzeichnen. Ich habe deshalb schon im letzten Jahr entschieden, dass der Schutz unserer Soldaten erhöht wird, und zwar durch geschützte Fahrzeuge, aber auch durch unsere Aufklärungsdrohne LUNA, die der Aufklärung in einem Radius von 40 Kilometern dient.

Jetzt geht es darum, die Aufklärungslücke für Gesamtafghanistan zu schließen, auch im Interesse des Schutzes unserer Soldaten, der Soldaten von ISAF, der Wiederaufbauteams, aber auch der zivilen Bevölkerung. Dies entspricht der Bitte der NATO, und es ist der Grund, warum wir um Zustimmung für dieses Mandat nachsuchen.

Wir haben mit der NATO abgestimmt, wie wir die Verantwortung wahrnehmen. Daran hat sich auch trotz der einen oder anderen Irritation, die sich in der letzten Woche vielleicht ergeben hat, nichts geändert. Tatsache ist: Wir haben zunächst im Norden die Verantwortung übernommen. Dann haben die Italiener im Westen die Verantwortung übernommen, die Briten, Kanadier und Niederländer im Süden, die Amerikaner im Osten und die Franzosen in Kabul.

Die Ausweitung auf den Süden ist im Juli letzten Jahres und auf den Osten im Oktober des letzten Jahres abgeschlossen worden. Das hatte zur Folge, dass jetzt auch die Amerikaner und die Briten dem ISAF-Mandat und damit auch der NATO-Kommandoführung unterworfen sind und dass wir eine Gesamtverantwortung für Sicherheit und Wiederaufbau in Afghanistan haben.

Das hat auch etwas damit zu tun, wie sich nunmehr die Verantwortung unserer Soldaten in den Kommandostrukturen darstellt. Manchmal wird argumentiert, die Kommandostruktur sei einseitig durch die Vereinigten Staaten von Amerika geprägt. Dies ist nicht zutreffend. Tatsache ist: Wir haben heute eine Kommandostruktur mit dem NATO-Oberbefehlshaber, General Craddock – einem Amerikaner –, aber in der NATO-Kommandostruktur in Brunssum ist unser General Ramms für Afghanistan verantwortlich. In der unmittelbaren Kommandostruktur in Afghanistan ist General McNeil, ein Amerikaner, zuständig, aber Stabschef im Hauptquartier der ISAF ist unser General Kasdorf.

Ich will damit deutlich machen, was für die Umsetzung, die militärische Verantwortung und die Gesamtstrategie, die wir für notwendig erachten – ich komme gleich darauf zurück –, nämlich militärische Sicherheit zu gewährleisten, aber auch den Wiederaufbau voranzutreiben, gilt: ohne Sicherheit keine Entwicklung, aber ohne Entwicklung auch keine Sicherheit. Das ist die Philosophie, die sicherstellt, dass wir in Afghanistan erfolgreich sein werden.

Unsere Tornados haben hervorragende Fähigkeiten; der Außenminister hat darauf hingewiesen. Sie können bei der Tagaufklärung in einer Höhe von bis zu 8,5 Kilometern auch bei schlechtem Wetter und einer Geschwindigkeit von über 1 000 km/h exakte Bilder liefern und Nachtaufklärung durch Infrarot betreiben. Sie gewährleisten damit, dass Schutzfunktionen verhältnismäßiger und angemessener wahrgenommen und dass damit Risiken im Vorfeld beseitigt werden können. Das macht den Schutz deutlich, den die Tornados gewährleisten. Die Soldaten der Bundeswehr operieren mit einem Mandat der Vereinten Nationen, und zwar sowohl im Rahmen von ISAF als auch im Rahmen von OEF. Wir operieren auf der Grundlage des Völkerrechtes. Andere Darstellungen entsprechen nicht der Wahrheit; diese will ich hier deutlich zurückweisen.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat entschieden, dass selbstverständlich beide Mandate unterstützt werden; denn die Operation „Enduring Freedom“, die der Terrorismusbekämpfung dient, zielt genauso auf die Gewährleistung der Sicherheit, die Stabilisierung und den Wiederaufbau ab wie das ISAF-Mandat. Deshalb haben wir klar und deutlich gemacht, dass die Anforderung der Tornados durch ISAF erfolgt, dass aber dann, wenn es notwendig ist – so ist die Formulierung im Operationsplan –, die entsprechenden Daten an die OEF weitergegeben werden. Nur so kann Sicherheit im gesamten Umfeld hergestellt werden und die ISAF zusätzliche Sicherheit gewährleisten.

Es ist ein entscheidender Punkt, dass nicht nur die Regierungschefs in Riga, sondern auch die Außen- und die Verteidigungsminister die Bedeutung dieser Gesamtstrategie für die praktische Umsetzung deutlich unterstrichen haben und dass sich alle sehr nachdrücklich dazu bekannt haben. Wenn sich nun in Afghanistan die zivile und die militärische Seite mit der dortigen Regierung beispielsweise in einem wöchentlichen Rhythmus treffen, um Maßnahmen abzustimmen, dann halte ich das für den richtigen Weg; denn entscheidend ist, dass wir nicht nur Sicherheit herstellen, sondern auch den Wiederaufbau vorantreiben, um so die Herzen der Menschen zu gewinnen. Nur so werden wir bei unserem Versuch erfolgreich sein, Afghanistan zu stabilisieren und in eine positive Zukunft zu führen.

Die Bundeswehr hat bereits 630 Projekte in Angriff genommen, von Schulen, Kindergärten über den Straßenbau und die Wasserversorgung bis hin zu Krankenhäusern. Wir planen seitens der Bundesregierung, bis zum Jahr 2010 insgesamt 900 Millionen Euro hier zu investieren. Die Entwicklungsministerin hat nun einen Betrag von 20 Millionen Euro hinzugefügt. Es ist notwendig und wichtig, dass wir in einem sicheren Umfeld die Wiederaufbaumaßnahmen vorantreiben, um dafür zu sorgen, dass Afghanistan in der Lage ist, seine Sicherheit selber zu gewährleisten. Selbstverständlich helfen wir mit, Streitkräfte und Polizeistrukturen in Afghanistan aufzubauen. Durch gemeinsame Operationen von ISAF sowie afghanischen Streitkräften und afghanischer Polizei wird der Aufbau einer Sicherheitsphilosophie gewährleistet, die letztlich zu einer selbsttragenden Sicherheit führt; das ist unser Ziel. Wir wollen, dass dieses Land, das nun eine demokratisch gewählte Regierung und ein demokratisch gewähltes Parlament hat und das sich in einer Entwicklungsphase befindet, die dadurch gekennzeichnet ist, dass immerhin wieder 7 Millionen Kinder zur Schule gehen und dass 80 Prozent der Bevölkerung basismedizinisch versorgt werden – Erfolge sind also durchaus festzustellen –, in Zukunft in der Lage ist, für seine Sicherheit selber zu sorgen und einen eigenen Weg in eine gute Zukunft zu gehen.

Deshalb bitte ich Sie, diese Entscheidung der Bundesregierung zu unterstützen. Ich halte das auch im Hinblick auf unsere Soldatinnen und Soldaten für notwendig. Ich will noch einmal unterstreichen: Der Tornado hat zwei Fähigkeiten. Er hat die Aufklärungsfähigkeit, und er hat die Kampffähigkeit. Es wird jetzt eindeutig die Aufklärungsfähigkeit nachgefragt. Selbstverständlich ist der Selbstschutz gegeben. Aber ich will auch deutlich sagen: Der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan ist mit Risiken verbunden. Er ist mit Risiken auch für Leib und Leben unserer Soldaten verbunden. Sie machen dies im Interesse unserer Sicherheit und einer Entwicklung, die dazu beiträgt, dass Afghanistan nicht wieder zu einem Ausbildungszentrum für Terroristen wird. Um all das und um eine positive Entwicklung zu gewährleisten – dazu dient jetzt unsere Entscheidung, mit der Aufklärungsfähigkeit eine Lücke zu schließen. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung.

Besten Dank.

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesem Haus fallen wichtige Entscheidungen, noch wichtigere und ganz besonders wichtige. Diese hier ist ganz besonders wichtig. Es geht um die Frage: Verstrickt sich die Bundesrepublik mit der Entsendung der Tornados mehr und mehr in ein Kriegsgeschehen, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt, oder werden mit dem Nein zur Entsendung der Tornados die Weichen für einen Truppenabzug und für den zivilen Aufbau des Landes gestellt? Das ist die Grundfrage.

Machen wir uns nichts vor: Mit den sechs bis acht Tornados werden wir ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil eines robusten Kampfeinsatzes, der mit einer Frühjahrsoffensive der NATO – so heißt es – beginnt, dessen Ende aber ungewiss ist. Machen wir uns nichts vor: Die Bilder aus den Tornados sind nicht für das Familienalbum und nicht für die Wetterkarte. Hier werden als militärisch wichtig erachtete Ziele aufgeklärt, die dann mit militärischen Mitteln – sprich: Bomben und Raketen – bekämpft werden sollen. Dass die gesamte NATO-Armada inzwischen nicht unbeträchtlich aufgestockt wird, zeigt, wie ernst man das meint. Außerdem sollen die Tornados die britischen Harriers ersetzen, die damit für unmittelbare Kampfeinsätze frei werden. Gewalteskalation ist vorprogrammiert. Umso wichtiger ist hier jetzt unser Nein.

ISAF war ursprünglich eine reine Schutztruppe der NATO zur Sicherung des zivilen Aufbaus. Zeitgleich wurde ein harter Kampf, ein harter Krieg gegen den Terror im Süden des Landes geführt. Jetzt haben wir eine Ausweitung von ISAF. Man hätte annehmen können, dass die allzu robusten Kampfverbände durch eine Schutztruppe ersetzt würden. Aber wir erleben eine eigenartige Umkehrung: ISAF führt heute Luftkrieg, ISAF ist inzwischen an robusten Bodenoperationen beteiligt. ISAF und „Enduring Freedom“ sind zwar formal noch getrennte, aber nicht mehr zu trennende Militäreinsätze, und die Tornadoerkenntnisse werden für diese Kriegshandlungen genutzt werden.

Wir sollten in diesem Zusammenhang die Hinweise aus dem Kreis von CDU/CSU-Kollegen, der Kollegen Wimmer und Gauweiler, sehr ernst nehmen, die sagen: Der Einsatz der deutschen Tornados kommt einer Teilnahme an Militäraktionen gleich, die vom Völkerrecht und vom gültigen NATO-Vertrag nicht gedeckt sind. – Genauso ist es.

Aus dem Irak ist doch zu lernen. Mit überlegenen Streitkräften einen Krieg zu gewinnen, ist gar nicht so schwierig. Mission accomplished, Mission erfüllt. Aber eine dauerhafte Befriedung und eine nachhaltige demokratische Entwicklung sind nicht zu erreichen, dies nicht zuletzt deshalb, weil viele Unschuldige sterben und Menschen unter diesen Zerstörungen leiden müssen. Die Militärs können Ihnen nicht garantieren, dass sie Schmuggelkarawanen und lose Talibantrupps genau auseinanderhalten können. Sie können nicht garantieren, dass man untergetauchte Widerstandskämpfer und Zivilisten fein säuberlich auseinanderhalten kann. Deshalb ist klar: Es werden Unschuldige getötet werden, und das werden bewaffnete Dschihadisten als Rechtfertigung dafür nehmen, dass sie den Terror hierher tragen. Wenn wir dabei sind, wenn an der Gewaltspirale gedreht wird, dann ist es nicht aus der Luft gegriffen, zu sagen: Deutschlands Sicherheit wird am Hindukusch gefährdet.

Terroristen muss man entgegentreten – wohl wahr! –; aber man darf ihnen keinerlei Nährboden bieten. Darüber, wie man diesen Nährboden trockenlegt, muss gesprochen werden. Gesprochen werden muss über den Frust und den Zorn der Menschen, vor allem im Süden und Osten des Landes. Dass es nicht vorangeht, dass sich die Lage verschlechtert hat, zeigen neuere Studien, die Sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen, zum Beispiel die vom Senlis Council. Wir haben heute Morgen festgestellt, dass die Regierung diese Studie gar nicht kennt. So ist die Lage.

Die Befürworter der Tornadoentsendung setzen ihre Hoffnung jetzt auf eine Art Doppelstrategie: einerseits mehr Krieg, andererseits mehr Entwicklungsinvestitionen. Aber das ist nicht einmal ein Nullsummenspiel. Wie viele Mittel vor Ort tatsächlich ankommen, steht auf einem anderen Blatt.

Afghanistan gilt als das erste Beispiel eines von außen erzwungenen Regimewechsels. Heute gilt es auch als Referenzprojekt für die NATO, um zu zeigen, wie man gescheiterte Staaten aufzubauen gedenkt. Ich glaube, dieser Weg führt in die Sackgasse. Wir sollten daher umkehren, ehe es zu spät ist.

Das sieht übrigens die überwiegende Mehrzahl der Deutschen genauso. Diese Menschen sind gegen die Tornadoentsendung. Wenn Politiker der Großen Koalition jetzt laut darüber nachdenken, ob wir zukünftig mehr Vorratsbeschlüsse des Parlaments brauchen, so zeugt das, wie ich finde, nicht von urdemokratischer Gesinnung. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Hören Sie auf die Leute! Ändern Sie Ihre Politik! Fangen Sie damit an, die deutschen Truppen aus Afghanistan zurückzuziehen! Danke.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man von der Linken und der PDS einmal konkret hören würde, wie nach ihrer Vorstellung der internationale Terrorismus effektiv bekämpft, die zivile Gesellschaft in Afghanistan unter den jetzt im Lande herrschenden Bedingungen gestärkt und der Staat aufgebaut werden können, dann würden sie an Glaubwürdigkeit gewinnen. Aber dazu sagen die Linken in diesen Debatten nie etwas.

Ich will für meine Fraktion sagen, dass wir zum deutschen und internationalen zivilen und auch militärischen Engagement in Afghanistan im Grundsatz stehen. Wir stehen zu ISAF als der klassischen Verbindung von militärischer Sicherheit auf der einen Seite und zivilem Aufbau und Nation-Building auf der anderen Seite.

Wir haben über den Antrag der Bundesregierung zu entscheiden, ob man das ISAF-Mandat um den Einsatz von sechs bis acht Tornados ergänzen soll. Das ist eine schwierige Situation, die ich erläutern will. Die Situation ist schwierig, weil nicht ganz klar ist – Herr Hoyer, erst nach Prüfung dieser Frage wird meine Fraktion nächsten Dienstag endgültig entscheiden –, ob der vieldiskutierte Strategiewechsel im Zusammenhang mit dem, was in Afghanistan bezüglich ISAF geschieht, tatsächlich stattfindet oder ob er nur auf der Ebene verbaler Bekundungen, sozusagen PR-mäßig bzw. proklamatorisch, abläuft. Es geht darum, ob er vor Ort, also da, wo die Menschen sind, wirklich umgesetzt wird. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt eine schwer entscheidbare Frage.

Mitglieder unserer Fraktion haben in unserer heutigen Fraktionssitzung gesagt: Ich bin für ISAF und den damit verbundenen Ansatz. – Diese Kollegen sind aber skeptisch, ob dieser Ansatz unter den jetzigen Bedingungen durch den Einsatz von Tornados gestärkt werden kann. Andere Mitglieder unserer Fraktion sagen: Jawohl, wir unterstützen dies, weil wir die Hoffnung haben, dass ein Strategiewechsel stattfindet und dass der Einsatz von Tornados diesem Strategiewechsel sogar zugute kommt. So ist die Lage bei uns.

Ich fordere die Bundesregierung auf, bei dem, was sie heute hier tut, und bei dem, was sie im Ausschuss tut, deutlich zu machen – dazu habe ich zu wenig gehört –, in welcher Weise sie durch nationales Engagement, aber auch durch internationales Engagement, also durch Engagement auf der Ebene der NATO oder in bilateralen Gesprächen, etwa mit den Amerikanern, diesen Strategiewechsel wirklich effektiv voranbringt.

Da müssen wir abschichten, Herr Verteidigungsminister. Meiner Fraktion fällt eine Entscheidung manchmal schwer, weil wir viele unsinnige Begründungen für den Tornadoeinsatz hören, die es tatsächlich nicht sein können, manchmal – das ist unser Eindruck – nach dem Muster: Lasst uns schnell Ja sagen, damit wir als Deutsche nicht mit Soldaten vor Ort im Süden Afghanistans mehr tun müssen. – Das ist natürlich keine Begründung für einen Tornadoeinsatz, über den das Parlament abstimmen soll, sondern eine Ausrede, um eine grundsätzlichere und schwierigere Debatte abzuwenden.

Als Sie, Herr Verteidigungsminister Jung, gesagt haben, mit dem Tornadoeinsatz könnten wir 2 000 potenzielle talibanische Selbstmordattentäter bekämpfen oder aufklären, war das natürlich blanker Unsinn. Sorry, das war blanker Unsinn. Sie können vielleicht Bewegungen der Taliban und Veränderungen im Süden und im Osten des Landes beobachten und damit mehr Sicherheit für die ISAF-Truppen und vielleicht auch für den zivilen Aufbau schaffen, aber Selbstmordattentäter können Sie mit den Tornados nicht identifizieren. Das halten wir für blanken Unsinn, und Sie sollten die Öffentlichkeit mit solchen Begründungen verschonen.

Frau Bundeskanzlerin und Herr Außenminister, wenn der Strategiewechsel tatsächlich stattfinden soll, dann sehen auch wir Möglichkeiten, durch einen Tornadoeinsatz dazu einen Beitrag zu leisten. Aber dann müssen wir über andere Punkte reden. Erstens müssen wir über die Polizei reden. Beim Polizeiaufbau, für den die Deutschen ja verantwortlich sind, sind wir nicht so weit, wie wir sein müssten. Die 42 Polizeiausbilder, die wir dort im Land haben, reichen nicht aus. Meine Fraktion hat eine Verdreifachung gefordert; Sie haben darauf bislang nicht reagiert. Jetzt höre ich, Frau Bundeskanzlerin, dass auf europäischer Ebene mehr für den Polizeiaufbau getan werden soll. Sagen Sie nächste Woche im Ausschuss konkret, wie dies geschehen soll! Überzeugen Sie uns davon, dass es um eine effektive Verbesserung des Polizeiaufbaus geht und nicht nur um einen Letter of Intent oder eine Proklamation! Überzeugen Sie uns davon, dass hier tatsächlich mehr gemacht wird!

Zweitens. Ich kenne kein überzeugendes Konzept der Bundesregierung bei der wichtigen und entscheidenden Frage der Drogenbekämpfung. Die Vorstellung, aus der Luft Drogenfelder anzugreifen, reicht bei einem Land, dessen Ökonomie tief durch Drogenökonomie gekennzeichnet ist, nicht aus. Hier gibt es keine einfache Antwort, aber wir müssen an einem Konzept arbeiten – auch das würde zur Glaubwürdigkeit beitragen –, das die internationalen Partner im Rahmen von ISAF gemeinsam tragen. Es darf nicht sein, dass der eine dieses und der andere jenes sagt.

Drittens. Wir müssen mehr für den zivilen Aufbau tun. Jetzt höre ich, dass die Bundesregierung zusätzlich zu den bisher vorgesehenen 80 Millionen weitere 20 Millionen geben will. Das ist gut, aber trotzdem behaupte ich: Es ist zu wenig. Die Kanadier haben ihren Beitrag um 200 Millionen erhöht, die Amerikaner um viel, viel mehr.

Viertens. Zu Pakistan würde ich gerne von Ihnen, Herr Außenminister, im Ausschuss oder hier an dieser Stelle wissen, welche Initiativen Sie anregen, damit Pakistan auch durch internationalen Druck aus seiner Zwitterrolle – das Land gibt vor, die Terroristen zu bekämpfen, und unterstützt sie andererseits – herauskommen kann.

Ich komme zum Schluss. Je mehr Sie die Perspektive des Strategiewechsels stärken, umso klarer wird die Unterstützung in diesem Haus sein. Meine Fraktion bekennt sich zu ISAF, sie hat aber noch unterschiedliche Positionen zu der Frage, ob der Einsatz der Tornados richtig ist oder nicht. Es liegt an Ihnen, die Bedenken auszuräumen, aber mit klaren Konzepten und Begründungen.

Vielen Dank.

Walter Kolbow (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch die SPD-Bundestagsfraktion ist der Meinung, dass es gut ist, dass wir heute über diesen Antrag der Bundesregierung diskutieren und eine politische Entscheidung hier in diesem Parlament einer juristischen Auslegung vorziehen.

Natürlich sind die Fragen, die gestellt worden sind, bis zur Entscheidung im Deutschen Bundestag in der nächsten Woche noch zu beantworten. Aber es ist auch schon eine Reihe von Antworten gegeben worden. Wenn man will, dann kann man diese Antworten zu seiner Entscheidungsfindung heranziehen.

Auch im Interesse der Zeitersparnis will ich hier auf das verweisen dürfen, was der Außenminister und der Verteidigungsminister zu den politischen, strategischen, aber auch technisch-militärischen Abläufen gesagt haben. Eines ist sicherlich richtig: Die Frage des Tornadoeinsatzes ist der äußere Anlass; aber der Fortgang in Afghanistan, die Entwicklung Afghanistans und natürlich auch die militärische Absicherung der Zukunft Afghanistans – das ist das Entscheidende.

Deswegen müssen wir uns natürlich auch mit dem Unbehagen – nicht nur in der Bürgerschaft, sondern auch hier im Parlament – auseinandersetzen sowie des Weiteren die Ratlosigkeit, die sich einschleicht, und die um sich greifende Enttäuschung über das zu niedrige Tempo bei Veränderungen und über Rückschläge beim Wiederaufbau in Afghanistan aufgreifen; wir müssen die Situation analysieren und definieren. Es ist richtig, dass es die meisten Mängel und Defizite beim Wiederaufbau im Süden und Osten gibt.

Aschermittwoch war ein guter Tag für Afghanistan und für die internationale Gemeinschaft. Da ist das „Deutsche Haus“ in Kunduz eröffnet worden, wo unsere vier Ministerien, die das integrierte Afghanistankonzept in der NATO, in den Vereinten Nationen und in der Europäischen Union vertreten, deutlich gemacht haben, dass sie Anlaufstationen für die Afghaninnen und Afghanen, Ratgeber und Informationsgeber sind. Wir, die Kollegen, die unter Federführung unseres Fraktionsvorsitzenden dort waren, haben von den afghanischen Gästen den Auftrag bekommen, dem deutschen Parlament zuzurufen: Bitte entsendet die Tornados! Wir wollen Sicherheit im Fortschritt unseres Landes und beim zivilen Wiederaufbau haben! – Gleiches ist uns in Masar-i-Scharif von säkularen und nichtsäkularen Teilnehmerinnen und Teilnehmern solcher Gesprächsrunden gesagt worden.

Also: Greifen wir es auf! Setzen wir im Süden und Osten fort, was wir – wir wollen uns da nicht hervortun, aber sollten das doch selbstbewusst sagen dürfen – im Norden begonnen haben!

Ich bin schon der Meinung, verehrter Herr Kollege Kuhn, dass der Strategiewechsel greift. Wenn Sie sich die „development zones“ der Briten und auch die Entwicklung bei unseren amerikanischen Partnern anschauen, stellen Sie in diesem Zusammenhang Fortschritte fest. Die PRTs, die Stabilitätsinseln, von denen aus in die Provinzen hinein das zivile Wiederaufbauelement gestärkt werden soll, sind mittlerweile unter ISAFKommando, und unsere Verbündeten nehmen mehr und mehr die Ansicht auf, dass es ohne Fortschritt beim zivilen Wiederaufbau nicht geht.

Ich erwähne die 200 Millionen Dollar der Kanadier. Ich will an dieser Stelle einmal sagen dürfen, dass unsere kanadischen Freunde in Afghanistan einen beispielhaften Dienst leisten.

2 000 Soldaten und Soldatinnen von 33 000 insgesamt sind im Süden Afghanistans. Sie haben jetzt 200 Millionen Dollar für den zivilen Wiederaufbau für den Süden gegeben, natürlich auch deshalb, weil die Freunde in Kanada erkannt haben, dass mit Mitteln für den zivilen Aufbau auch Selbstschutz betrieben wird sowie natürlich den Afghaninnen und Afghanen genutzt wird.

Das vermisse ich bei der sogenannten politischen Linken in diesem Hause.

Sie überinterpretieren das Militärische, und Sie sagen kein Wort zum Gedanken des Schutzes unserer Soldatinnen und Soldaten, kein Wort zum Gedanken des Schutzes der zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und kein Wort zum Schutz der afghanischen Bürgerinnen und Bürger vor terroristischen Anschlägen der Taliban.

Nun ein Satz zu denen, die der Meinung sind, wir würden uns hier völkerrechtswidrig verhalten. Dies sind Mandate, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der Inhaber des internationalen Gewaltmonopols, beschlossen hat. In deren Rahmen handeln wir.

Unser Selbstverständnis, das der politischen, aber auch der militärischen Leitung, nicht nur im Verteidigungsministerium, das Selbstverständnis dieser Republik spricht für sich; völkerrechtswidrige Einsätze finden nicht statt.

Ich denke, dass wir angesichts der Guerillataktik der Taliban und des Risikos einer fortschreitenden Entfremdung der Bevölkerung aus verschiedenen Gründen, auch wegen der Vernichtung von Mohnanbauflächen ohne ausreichende Alternativen, verpflichtet sind, gerade im Süden und im Osten verstärkt auf Stabilisierungsstrategien zu setzen. Ich denke, wo immer es geht, sollten wir auf die gewonnenen lokalen und regionalen Erkenntnisse und auf die Unterstützung von Kräften aus diesem Bereich setzen; darauf sollten wir nicht verzichten. Politische Komplementärkomponenten sollten wir auf nationaler, aber auch auf internationaler Ebene weiterentwickeln.

Frau Bundeskanzlerin, Herr Außenminister, Herr Verteidigungsminister, ich denke, dass da auch von der Europäischen Union, die ein 600-Millionen-Euro-Programm eingebracht hat, insgesamt noch mehr getan werden kann, um die NATO zu ergänzen, die natürlich ein politischer Partner ist, ein Partner, der aber mit seinem militärischen Know-how recht verstandene ergänzende Unterstützung seitens der Zivilmacht Europa gut gebrauchen kann.

Wir von der SPD-Bundestagsfraktion werden uns diese Woche noch Zeit nehmen, bis wir zu einer Entscheidung kommen, und zwar aus Respekt vor den kritischen Nachfragen und den Gewissensgründen, die zu einer anderen Entscheidung führen können als zu der möglichen Entscheidung der Mehrheit für eine Entsendung. Wir müssen dies sehr aufmerksam abwägen und an das anknüpfen, was der Außenminister zum Schluss gesagt hat:

Afghanistan ist nur verloren, wenn wir es verloren geben.

Das wollen wir nicht. Wir knüpfen verantwortungsbewusst an unsere im Jahre 2001 getroffene Grundsatzentscheidung an, Afghanistan zu helfen, zu stärken und zu einem vollen Mitglied der internationalen Gemeinschaft zu machen.

Danke schön.

Birgit Homburger (FDP):

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Wir diskutieren heute über einen Antrag der Bundesregierung zu einem Mandat, das für die Bundeswehr eine neue Qualität des Einsatzes in Afghanistan bedeutet. Deshalb ist es gut, dass wir heute im Deutschen Bundestag über dieses Mandat diskutieren. Gerade in den letzten Wochen hat es immer wieder Versuche gegeben, die Bundeswehr zu einer Regierungsarmee zu entwickeln. Das ist eine völlig falsche Entwicklung; sie stößt auf entschiedenen Widerstand der FDP. Ich denke, es ist gut, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist. Das bringen wir heute mit dieser Diskussion zum Ausdruck.

Der Auftrag, um den es hier geht, ist ein Aufklärungsauftrag. Es ist gerade in den letzten Tagen immer wieder darüber diskutiert worden, was mit den Aufklärungsdaten passieren soll. Der Bundesaußenminister hat hier gesagt, sie würden „eingeschränkt“ weitergegeben. Im Antrag heißt es: „restriktive“ Übermittlung. Da frage ich mich natürlich: Wird hier in irgendeiner Form die Praxis verändert? Das ist wahrscheinlich nicht der Fall. Dann soll die Bundesregierung aber auch dazu stehen. Die Aufklärungsdaten werden weitergegeben, auch an die Operation „Enduring Freedom“. Alles andere wäre weltfremd, es wäre – ich sage es ausdrücklich dazu – in bestimmten Situationen auch nicht verantwortbar. Daraus leitet sich ganz klar ab: Wenn die Bundeswehr Aufklärungsmaterial liefert, muss damit auch ein Einfluss auf die Kampfführung verbunden sein. Hier erwarten wir eine klare Aussage der Bundesregierung dazu, welchen Einfluss wir hier haben.

Für die FDP-Bundestagsfraktion sind vier Punkte von zentraler Bedeutung:

Erstens. Wir sind der Auffassung, dass es eine deutliche Verstärkung der Anstrengungen in der zivil-militärischen Zusammenarbeit und beim Wiederaufbau geben muss. Wir sind nicht bereit, einfach nur eine zusätzliche militärische Maßnahme zu beschließen; denn mit militärischen Maßnahmen allein werden die Probleme nicht zu lösen sein. Wir brauchen verstärkte Wiederaufbauanstrengungen. Wir von der FDP-Bundestagsfraktion erwarten, dass die Bundesregierung nicht nur allgemeine Erklärungen hierzu abgibt, sondern das aufgreift und uns noch einmal darlegt, wie sie in den Bereichen, die sie selbst beeinflussen kann, beispielsweise bei der Polizeiausbildung, weiterkommen will und welche konkreten Schritte sie in diese Richtung tatsächlich unternimmt.

Zweitens. Nach den Diskussionen der letzten Wochen innerhalb der NATO muss die Frage erlaubt sein – auch darauf erwarten wir eine Antwort von der Bundesregierung –, ob mit diesem Mandat das Ende der Fahnenstange bei den Anforderungen an Deutschland erreicht ist oder ob mit immer weiteren Anforderungen zu rechnen ist. Es muss aus unserer Sicht sichergestellt sein, dass das jetzige Mandat keinen Einstieg in einen generellen Einsatz von Bodentruppen im Süden Afghanistans darstellt.

Ein dritter Punkt, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ist für uns von ganz entscheidender Bedeutung. Sie haben beschlossen, dass die voraussichtlichen zusätzlichen Kosten in Höhe von 35 Millionen Euro für diesen Einsatz bis zum 13. Oktober aus dem Verteidigungshaushalt erbracht werden sollen. Ich halte diese Entscheidung für falsch. Ich denke, wer zusätzliche Einsätze beschließt, muss das dafür nötige Geld auch aus dem allgemeinen Haushalt bereitstellen.

Sie haben sich jetzt anders entschieden. Wir erwarten nun aber, dass Sie uns darlegen, wie sichergestellt wird, dass das nicht zulasten der Ausrüstung und Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz geht.

Ein letzter Punkt, der vierte, der aus unserer Sicht von zentraler Bedeutung ist: Ich finde es nicht gut, dass sich die mangelhafte Informationspolitik der Bundesregierung gegenüber dem Parlament auch bei diesem Mandat, das Sie jetzt zur Abstimmung stellen, weiter fortsetzt.

Bis heute haben Sie uns die Einsichtnahme in das Anforderungsschreiben der NATO verwehrt. Die FDP hält das für nicht hinnehmbar. Es ist doch nicht so, dass es sich bei diesem Schreiben um ein Privatschreiben handeln würde. Es handelt sich um eine offizielle Anforderung der NATO. Wir sind der Auffassung, dass es möglich sein muss, dass auch das Parlament Einsicht in dieses Anforderungsschreiben erhält. Wir fordern die Bundesregierung ausdrücklich auf, das jetzt noch nachzuholen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir machen uns die Abwägung nicht leicht. Ich möchte den Damen und Herren der Bundesregierung einfach nur mit auf den Weg geben: Es lohnt sich, die offenen Fragen zu beantworten.

Vielen Dank.

Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt den Antrag der Bundesregierung auf die Entsendung von Aufklärungstornados und eine Aufstockung der personellen Obergrenze auf bis zu 3 500 Soldaten. Es handelt sich um eine notwendige Ergänzung des bestehenden ISAF-Mandats. Es geht darum, eine durch die Ausweitung des ISAF-Einsatzes auf ganz Afghanistan entstandene Fähigkeitslücke bei der Aufklärung aus der Luft zu schließen. Das ist notwendig, um bei der derzeitigen Zuspitzung der Lage in Afghanistan Gefahren besser und rechtzeitiger zu erkennen und damit unsere Soldaten, unsere Bündnispartner, die zivilen Aufbauhelfer und die Bevölkerung in Afghanistan besser vor Terrorangriffen durch die Taliban und durch al-Qaida zu schützen. Besserer Schutz durch verbesserte Aufklärung – darum geht es; darum unterstützen wir diese Maßnahme.

Dass diese Fähigkeiten nicht nur im mandatierten Einsatzgebiet im Norden eingesetzt werden sollen, sondern in ganz Afghanistan, vor allem eben auch im Süden und im Osten, wo die Gefahren am größten sind, versteht sich, auch aus Gründen der Bündnissolidarität, von selbst. Weil es sich hierbei um eine nicht unbedeutende Erweiterung des laufenden Mandats handelt, halten auch wir es, nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit für unsere Soldaten, für richtig, gemäß dem Antrag der Bundesregierung ein ergänzendes Mandat zu beschließen.

Diplomaten in Kabul sprechen von 2007 als dem Jahr der Weichenstellung für Afghanistans Zukunft. Es gibt stichhaltige Hinweise darauf, dass die Taliban intensiv eine Frühjahrsoffensive vorbereiten, vor allem mit Angriffen in den südafghanischen Provinzen. Wenn es für diese Zuspitzung der Gefahrenlage noch eines Hinweises bedurft hätte, dann ist dieser mit dem gestrigen Selbstmordanschlag während des Besuchs von US-Vizepräsident Cheney vor der amerikanischen Basis in Bagram erfolgt. Wir sind froh, dass der amerikanische Vizepräsident unverletzt geblieben ist. Wir verurteilen diesen Anschlag nachdrücklich und bedauern die Opfer dieses Anschlages wie auch die Opfer der vielen anderen Anschläge.

Die Anschläge vom 11. September 2001 auf New York und Washington und auch die nachfolgenden Anschläge, etwa in London oder Madrid, wurden möglich, weil sich Afghanistan zu einem Trainingszentrum für Terroristen entwickelt hatte. Das aber zeigt, wie wichtig die Aufgabe von ISAF und OEF ist, zu verhindern, dass diese Kräfte wieder die Oberhand gewinnen und Afghanistan erneut ein Failing State wird, von dem eine terroristische Bedrohung für die internationale Gemeinschaft und damit auch für unsere Sicherheit ausgeht. Das darf nicht wieder der Fall sein.

Dass diese Gefahr besteht, ist nicht von der Hand zu weisen. In ihrem neuesten Propagandavideo drohen die Taliban und al-Qaida mit 4 000 bereitstehenden Selbstmordattentätern und 10 000 Dschihadkämpfern. Durch die Entsendung der Tornados können wir durch Aufklärung über deren Aktivitäten unsere Bündnispartner unterstützen.

In diesem Punkt, Herr Kollege Kuhn, muss ich Ihre Darstellung korrigieren. Für eine effiziente Bekämpfung dieser Terrorkräfte muss es auch möglich sein, die Ergebnisse unserer Aufklärungsflüge unseren Verbündeten, wie es im Mandat heißt, restriktiv zur Verfügung zu stellen. Das ist nicht nur eine Frage der Solidarität mit unseren Bündnispartnern, zumal ja auch die Bundeswehr mit einem gültigen Mandat an OEF beteiligt ist. Je erfolgreicher unsere Verbündeten im Kampf gegen die Taliban und al-Qaida sind, desto besser kann ISAF seine Stabilisierungsaufgabe wahrnehmen.

Ich sage für meine Fraktion mit aller Deutlichkeit: Wir halten an der bestehenden Aufteilung in Regionalkommandos fest. Deutschland leistet mit der Verantwortung für fünf Wiederaufbauteams in neun nordafghanischen Provinzen einen erfolgreichen Beitrag zur Stabilisierung Afghanistans. Die Sicherheitsrisiken im Norden des Landes sind zwar von anderer Qualität als im Süden – der Außenminister hat es dargestellt –; doch auch unsere Soldaten leisten einen gefährlichen und unverzichtbaren Einsatz. Dafür möchte ich unseren Soldatinnen und Soldaten besonders danken.

Zu unserer besonderen Verantwortung für das Regionalkommando Nord gehört auch, dass die Bundeswehr für begrenzte Unterstützungsmaßnahmen in Gesamtafghanistan eingesetzt werden kann, und zwar, wie es im ISAF-Mandat wörtlich heißt:

… für zeitlich und im Umfang begrenzte Unterstützungsmaßnahmen, sofern diese Unterstützungsmaßnahmen zur Erfüllung des ISAF-Gesamtauftrages unabweisbar sind.

In dieser Debatte sollte deshalb auch gesagt werden, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass unsere Partner im Süden uns aufgrund der zugespitzten Krisensituation zur Unterstützung anfordern. Dann sollten wir in der Lage sein, effektiv und robust zu helfen. Auch das gehört zur Bündnissolidarität.

Wir beraten heute über einen militärischen Einsatz.
Doch haben alle Vorredner zu Recht auf die zivilen Unterstützungsleistungen hingewiesen. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die Aufstockung der deutschen Afghanistanhilfe um 20 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro im Jahr, und zwar auch im Süden.

Im Januar konstatierten die Teilnehmer des internationalen Koordinierungstreffens für Afghanistan drei besonders wichtige Faktoren für die zivilen Aufbauleistungen:
erstens die fortgesetzte Reform des Sicherheitssektors,
zweitens eine bessere Verknüpfung ziviler und militärischer Maßnahmen und
drittens die Steigerung der afghanischen Eigenverantwortung.

Heute hat sich das von uns entwickelte Konzept der sogenannten PRTs im Bündnis durchgesetzt. Die Bundesregierung hat in den NATO-Gremien immer den zivil-militärischen Ansatz vertreten. Jetzt zeigt sich, wie richtig dieses Konzept ist.

Bei der Reform des Sicherheitssektors hat Deutschland mit 40 Polizeiausbildern mehr als 15 000 afghanische Polizeikräfte für die mittlere und höhere Laufbahn ausgebildet. Ab Mai sollen diese Anstrengungen in eine ESVP-Mission übergehen, wodurch die Zahl der Ausbilder, Herr Kollege Kuhn, auf 160 erhöht wird und flächendeckender ausgebildet werden kann.

Zudem sollen 70 Rechtsexperten entsandt werden, die Italien beim Aufbau der afghanischen Justiz ablösen. Diese europäische Bündelung im Sicherheitssektor ist richtig. Was nützt eine gut ausgebildete Polizei, die Drogenhändler dingfest macht, wenn diese hinterher nicht vor Gericht gestellt werden können?

Afghanistan kann nicht gewonnen werden, wenn nicht im Süden Stabilität geschaffen wird. Die Bevölkerung dort muss schneller die Vorteile der internationalen Hilfe spüren. Dazu gehören zunächst die Grundversorgung mit Wasser und Strom auf dem Lande, ein ständiger Dialog mit lokalen Vertretern und eine effiziente Entwicklungshilfe. Entwicklungsprojekte müssen zudem als afghanische Projekte erkennbar sein. Dies ist wichtig für das Selbstbewusstsein dieses stolzen Volkes und für eine größere Loyalität der Bevölkerung gegenüber der Regierung Karzai.

Gestatten Sie mir zum Schluss ein Wort zu Pakistan. Dort werden islamistische Terroristen ausgebildet und ausgerüstet. Diese dringen dann über die 2 500 Kilometer lange Grenze wieder in den Süden Afghanistans ein. Pakistan ist ein unverzichtbarer Partner zur Stabilisierung Afghanistans. Wir müssen beide Regierungen, die Regierung in Kabul und die Regierung in Islamabad, für eine stärkere Zusammenarbeit beim Aufbau einer gemeinsamen, wirksamen Grenzkontrolle gewinnen.

Wir müssen von unserem pakistanischen Partner mehr Unterstützung und Kooperation im Kampf gegen den Terror einfordern. Aber man darf ihn nicht wie im Zusammenhang mit der amerikanisch-indischen Nuklearkooperation im vergangenen März vor den Kopf stoßen.

Wir brauchen ein modernes und moderates Pakistan als wichtigen Partner für die Bewältigung der Herausforderungen in Afghanistan, aber auch im Mittleren und Nahen Osten insgesamt.

Vielen Dank.

Monika Knoche (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!
Herr Kolbow, ich muss schon sagen: Was Sie hier an einem Punkt vorgetragen haben, stimmt überhaupt nicht: Die OEF hat kein UNO-Mandat. Sie können sich doch nicht hier hinstellen und sagen, dass das alles verfassungs- und völkerrechtlich vollkommen gedeckt sei! Selbst die ISAF verändert ihren Auftrag.

– Entschuldigen Sie bitte! Was sind denn die Gründe, die einige Abgeordnete in diesem Haus dazu bewogen haben, die Frage zu stellen, ob sich der Deutsche Bundestag nach den Maßgaben unserer Verfassung mit dieser Frage heute überhaupt beschäftigen kann?

Das hat doch nichts damit zu tun, ob wir eine Parlamentsarmee haben oder nicht. Entscheidend ist vielmehr die Frage, ob es verfassungsrechtlich richtig ist, in diesem Rahmen zu verfahren. Wer denkt denn heute eigentlich noch an die Verfassung, wenn es um die Ausweitung der Einsätze im Rahmen der Kriegsführung und damit um ein verändertes NATO-Selbstverständnis geht? Das ist die wichtige Frage, die wir zu stellen haben.

Es ist auch nicht statthaft, hier euphemistisch, ironisch oder sarkastisch aufzutreten. Herr Steinmeier, hier stellt sich nicht die Frage nach der Geduld. Man kann nicht nach sechs Jahren Krieg gegen Terror für noch mehr Geduld werben, sondern man muss die Frage stellen, ob es richtig oder falsch ist, den Kampf gegen den Terror mit Mitteln des Krieges zu führen.

Der Afghanistaneinsatz – das weiß die Bevölkerung – ist nicht auf dem Willen des gesamten Hauses gegründet. Die Linke hat sich immer dagegen ausgesprochen. Herr Kuhn und Herr Steinmeier, Sie wissen ganz genau, dass damals, als es um den Afghanistankrieg ging, beide Regierungsparteien ihre Fraktionen mehr oder weniger durch die Vertrauensfrage genötigt haben, diesem Kriegseinsatz zuzustimmen.

Tun Sie nicht so, als werde diesem Krieg in diesem Haus und in diesem Land nicht widersprochen! Das ist einfach nicht wahr.

Man kann nicht, weil die militärische Strategie nicht erfolgreich ist, sagen: Wir müssen noch mehr – von unserer Warte aus – Falsches tun. – Ist dies angesichts der zu erwartenden Frühjahrsoffensive und der grauenvollen Ankündigung, dass schon 2 000 Selbstmordattentäter bereitstehen, wirklich richtig? Man muss sich diese Dimension einmal vorstellen. Dieser Einsatz, der der OEF dienlich sein soll, steht damit in Zusammenhang, was seitens der CDU/CSU formuliert worden ist: Dieser Konflikt kann den Erfolg nicht konterkarieren. – Welchen Erfolg, bitte sehr, kann dieser Krieg gegen den Terror vorweisen? Wenn wir die Kriterien von Good Governance heranziehen, müssen wir doch offen sagen: Die Regierung Karzai ist von Korruption durchdrungen, und die Drogenbarone sitzen in der Regierung.

Da sind doch keine Mohnfelder abzubrennen. Vielmehr muss die Frage gestellt werden, ob das Ziel der ISAF, diese Regierung zu schützen, überhaupt erfüllt werden kann.

Wir argumentieren zielstrebig und lassen uns auch nicht von einer verantwortungsvollen Exit-Strategie abbringen. Diese Exit-Strategie sieht nicht vor, dass morgen die Soldaten zurückgezogen werden. Sie gewährleistet vielmehr den Polizeiaufbau, sichert die zivilen Infrastrukturen, stärkt kontinuierlich und massiv die Situation der Frauen und beinhaltet eine neue Drogenpolitik. Sie müssen die Frage beantworten, ob die Rekrutierung der Taliban nicht ursächlich etwas damit zu tun hat, dass der Krieg gegen den Terror das falsche Mittel war.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Schockenhoff. Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):

Liebe Frau Kollegin Knoche, ich setze Sie darüber in Kenntnis, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Resolution 1373 die Operation „Enduring Freedom“ mandatiert hat und dass damit eine eindeutige völkerrechtliche Rechtsgrundlage für diese Operation gegeben ist.

Monika Knoche (DIE LINKE):

Ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen: Wir in der Fraktion diskutieren über eine solche Frage mit großer Ernsthaftigkeit. Ob die OEF nur erwähnt wird oder ob sie ein originäres Mandat hat, ist schon ein Unterschied. Aber ich möchte etwas anderes sagen:

Ist die CDU/CSU nicht in der Lage, denjenigen prominenten und sehr kenntnisreichen Vertretern ihrer Fraktion, die verfassungsrechtliche Bedenken erhoben haben, einige Minuten Redezeit einzuräumen, damit sie diese hier vorne vortragen können? Das stünde meiner Ansicht nach der CDU/CSU viel mehr an, als hier so zu tun, als gebe es keine verfassungsrechtlichen Bedenken und als seien alle Tätigkeiten, die vor Ort militärisch durchgeführt werden, von der UNO gedeckt. Das wird in Zweifel gezogen. Diese Zweifel sollten Sie nicht nivellieren.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zu 90 Prozent dieses Hauses sind wir uns in der Schlüsselfrage einig: Wie kann die internationale Gemeinschaft und dabei unverzichtbar ISAF in diesem sehr kritischen Jahr für Afghanistan zum Erfolg kommen? Wer jetzt von Exit-Strategie redet, vermittelt völlig kontraproduktive Botschaften: Entmutigung für diejenigen Menschen, die Aufbau und Frieden in Afghanistan wollen, und Ermutigung für diejenigen, die genau das Gegenteil vorhaben.

Nun komme ich aber zum Thema. Aus militärischer Sicht ist ein Tornado in Afghanistan nützlich für mehr Flexibilität bei der Aufklärung; je flexibler und präziser die Aufklärung, desto besser. Allerdings muss man ehrlicherweise dazusagen, dass auch in Militärkreisen die Dringlichkeit des Tornados für die Sicherheit von ISAF, gelinde gesagt, strittig ist. Es ist aber eine Verharmlosung, wenn der Tornadoeinsatz nur als Hilfs- und Schutzeinsatz beschrieben wird. Natürlich hat er diese Teilfunktion. Vor allem im Süden hat er aber selbstverständlich auch die Teilfunktion der Kampfunterstützung. Das lässt sich nicht bestreiten.

Für mich und meine Fraktion ist klar – das ist keine Grundsatzfrage –, dass in Afghanistan an verschiedenen Stellen gekämpft werden muss. Die Frage ist allerdings, wie und nach welcher Strategie die Kämpfe dort ablaufen. Dazu muss man zur Kenntnis nehmen, was ein hochangesehener Thinktank aus London, das Senlis Council, zweimal in Studien gesagt hat, zuletzt in diesem Februar: Es habe im Süden – bezogen auf die Provinzen Helmand und Kandahar – „mehr Zerstörung als Aufbau“ gegeben, und es wurden „Freunde verloren und Feinde gewonnen“. – Hierzu muss die Bundesregierung etwas sagen. Bis heute Vormittag konnte die Bundesregierung dazu nichts sagen. Ich möchte sehr, dass sie diese Aussagen widerlegen kann. Das ist ein wichtiger Kontext für den Einsatz der Tornados.

Ein anderer Punkt ist der Strategiewechsel. Seit mehr als einem halben Jahr wird dieser gefordert. Es geht um die Gewichtung der militärischen und der zivilen Säule, es geht um Koordination und Kohärenz. Auf dem NATO-Gipfel wurde dies ebenfalls beschworen. Wenn man genauer hinschaut, muss man feststellen, dass die Umsetzung dieses Strategiewechsels in Trippelschritten erfolgt, wo die Zeit enorm drängt.

Es ist gut, dass das Schlüsselprojekt Polizeiaufbau jetzt mit der EU läuft. Aber wir müssen – anders als bisher – den Anspruch an den Herausforderungen messen. Bezogen auf die Herausforderungen geschieht hier noch viel zu wenig.

Die Drogenbekämpfung läuft ungebremst kontraproduktiv mit dem Vorrang für die Felderzerstörung. Solange in diesen Fragen keine Klarheit über die richtige Richtung herrscht und solange kein deutlicher Strategiewandel glaubwürdig gemacht wird, so lange kann ich eine Zustimmung nicht empfehlen.

Vor fünf Monaten hatten wir 14 Parlamentarierinnen aus Afghanistan hier. Ich wiederhole, was ich denen damals gesagt habe: Erstens. Wir wissen, warum wir in Afghanistan sind. Zweitens. Wir lassen Sie nicht im Stich. Drittens. Wir versprechen, dass wir die notwendigen Strategieänderungen forcieren. – Sie haben gehört, dass wir in unserer Fraktion bezogen auf den Einsatz der Tornados uneinig sind. Aber bezogen auf diese Botschaft – und das ist unser Wille – sind wir uns sehr einig, ich glaube, auch mit dem größten Teil dieses Hauses.
Danke.

Detlef Dzembritzki (SPD):

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dankbar, dass wir diese Diskussion hier führen können. Mancher Beitrag, der heute eingebracht worden ist, war notwendig und hilfreich. Dies signalisiert, dass wir diese Diskussion fortsetzen müssen, und zwar – ich appelliere dazu zum wiederholten Male – nicht nur dann, wenn es um ein militärisches Mandat geht.

Ich komme gerade aus Afghanistan. Ich war in der letzten Woche dort, erst gemeinsam mit unserem Fraktionsvorsitzenden und Walter Kolbow in Kunduz und Masar-i-Scharif und dann in Kabul. Ich will nicht arrogant oder borniert erscheinen, aber wenn ich gemessen an meinen Eindrücken von dieser Reise diese Diskussion verfolge, werde ich nachdenklich.

Ich will vorweg einige Eindrücke wiedergeben: Es ist immer wieder spannend, unsere Bundeswehr im Einsatz zu erleben. In Masar-i-Scharif habe ich im April des vergangenen Jahres in einer Einöde mit Mühe und Not in einem Zelt ein bisschen Schatten gefunden. Heute gibt es dort – das ist eine beachtliche logistische Leistung – ein Zentrum, das der Bundeswehr vor Ort strategische Möglichkeiten an die Hand gibt, das den Schutz der Soldaten gewährleistet und die Möglichkeit eröffnet, in die Provinz hineinzuwirken.

Andererseits habe ich aber ein Land gesehen, in dem, wenn man sich die Handys und die Autos wegdenkt, eine Situation vorherrscht, wie sie in Deutschland möglicherweise nach dem Dreißigjährigen Krieg bestand.

Wenn ich vor diesem Hintergrund manche Forderung und manchen Diskussionsbeitrag betrachte, muss ich fragen: Was erwarten wir eigentlich? Was hat sich in fünf Jahren überhaupt verändern können? – Die Menschen dort haben zum Teil noch höhere Erwartungen gehabt; deshalb ist ihre Enttäuschung umso größer. Wir müssen daher immer wieder überlegen, wie wir ausgleichen können, wie wir helfen können, wie wir Hoffnung machen können, wie wir mit konkreten Projekten das tägliche Überleben sichern und Perspektiven eröffnen können. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Deswegen bin ich immer wieder dankbar, wenn die zivile Komponente hier eingebracht wird.

Ich finde es wirklich gut – das ist eine der Botschaften, die mich nach meiner Rückkehr erfreut haben –, dass wir im Rahmen der Afghanistanhilfe jetzt 20 Millionen Euro zusätzlich einbringen.

Man kann sich natürlich noch mehr wünschen; aber dank dieser 20 Millionen Euro haben wir jetzt eine dreistellige Summe, 100 Millionen Euro, zur Verfügung. Ich finde, das ist eine ganz wichtige Botschaft.

Wir müssten viel mehr Zeit haben, um die kritischen Argumente aufnehmen zu können. Ich habe mich immer für einen Strategiewechsel ausgesprochen. Wir müssen die Diskussion darüber aber so führen, dass wir nicht borniert und arrogant erscheinen.

Die PRTs haben übrigens die Amerikaner erfunden; das sage ich der Gerechtigkeit wegen.

Wir wissen, dass die USA ungefähr 50 Prozent der materiellen Ressourcen in Afghanistan einbringen. Die Polizei ist zu Recht angesprochen worden. Ich könnte einiges dazu sagen, auch im positiven Sinne. Wir haben einen Etat von 12 Millionen Euro. Die Amerikaner geben mehr als 1 Milliarde Dollar in dieses Projekt. In diesem Zusammenhang müsste man eigentlich über unser richtiges Konzept und das bedenkliche Konzept der amerikanischen Kollegen diskutieren. Ich frage einmal rhetorisch:

Sind wir eigentlich richtig aufgestellt? Versetzen wir unsere Regierung in die Lage, all das einzubringen – auch in den internationalen Diskussionsprozessen –, was notwendig wäre, um einen Strategiewechsel zu begünstigen?

Ich bin der Meinung, dass zusätzliche Unterstützung notwendig ist. Man müsste schauen, ob die Botschaften wirklich optimal ausgestattet sind, ob die personelle Ausstattung des BMZ wirklich optimal ist, ob unsere Haushaltsordnung in Kabul eingehalten werden muss oder ob wir uns nicht flexiblerer Instrumente bedienen sollten? Können wir vielleicht zu einer Auftragswirtschaft kommen, die sich an dem Notwendigen ausrichtet und nicht an der Kameralistik der Bundesrepublik Deutschland?

Auch wenn ich damit in einer Diskussion über den Einsatz von Tornados kleinkariert erscheinen könnte, will ich Ihnen eines sagen: Lieber Kollege Kuhn, Sie haben zu Recht die Polizei angesprochen. Das Team, das zurzeit vor Ort ist – sie sind immer für ein Jahr dort –, hat einen hervorragenden Eindruck auf mich gemacht. Es sind hochmotivierte Kollegen; sie sind unwahrscheinlich sympathisch, aus meiner Sicht auch sehr erfolgreich. Unterhalten Sie sich einmal mit den Kollegen! Diese Kollegen haben mir erzählt – ich muss jetzt zum Innenminister schauen –, dass die Bundesreisekostenordnung angewandt wird, was zur Folge hat – das ist abstrus –, dass ein lediger Polizist die Heimreisekosten nicht erstattet bekommt, obwohl er zu Hause zwei Kinder und eine feste Partnerin hat. Ich will das nicht ausdehnen; aber solange eine Bundesregierung, ein Innenministerium nicht in der Lage ist, ein Höchstmaß an Flexibilität zu gewährleisten, um die jungen Leute für den Einsatz zu motivieren, frage ich mich, wie wir unsere Vorschläge für die Weiterentwicklung Afghanistans umsetzen wollen.

Ich habe das ein wenig ironisch eingebracht, um aufzuzeigen, wie sehr wir selbst Gefangene unserer eigenen Perfektion sind, was zur Folge hat, dass wir uns nicht in der Weise entwickeln können, wie es eigentlich notwendig wäre.

Aus meiner Sicht signalisieren uns alle – das haben die Gespräche mit den Regierungsmitgliedern gezeigt, mit dem Außenminister, der als Gesprächspartner am stärksten etwas einbringen kann, und mit dem Innenminister; aber ich denke hier auch an Tom Koenigs und Herrn Vendrell von der Europäischen Union –, dass sie den Tornadoeinsatz begrüßen, unterstützen und dass das letztendlich – ich muss das aufgrund der Kürze der Zeit so sagen – eine notwendige Aktion ist, um unsere Solidarität mit unseren Partnerinnen und Partnern zu zeigen. Ich stelle einmal die rhetorische Frage – über die sollten wir einmal in den Ausschüssen diskutieren –, wie eigentlich unsere Haltung ist, wenn die Kanadier oder die Niederländer sagen, dass sie nach Hause gehen. Wie sieht denn dann unsere Gesamtkonzeption aus? Ich schließe mich hier Winnie Nachtwei an, dessen Appell ich voll unterstreiche. Wir haben den Parlamentarierinnen zugesagt, dass wir sie nicht allein lassen. Dann müssen wir aber insgesamt eine Atmosphäre herstellen, die von Solidarität und gemeinsamer Verantwortung getragen ist. Wir müssen unseren Job so gut machen, dass wir die Chance haben, dort zum Erfolg zu kommen.

Häufig wird von einer Exit-Strategie gesprochen. Ich empfehle allen Kolleginnen und Kollegen – im Grunde wäre es eine viel spannendere Debatte gewesen, wenn wir darüber diskutiert hätten, welche Verpflichtungen die Regierung eingegangen ist, und zwar nicht nur im Zusammenhang mit den Tornados –, sich einmal den Afghanistan Compact anzusehen. Darin ist die Strategie beschrieben. Dort steht, welche Aufgaben wir im zivilen und im militärischen Bereich, also zum Schutz, zu bewältigen haben und wie wir Afghanistan ausstatten und unterstützen wollen, bevor wir, wenn die Selbstständigkeit erreicht ist, das Land wieder verlassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns diesen Schritt machen und diesem Tornadoeinsatz zustimmen, und lassen Sie uns gleichzeitig die immer wieder erklärte Verpflichtung realisieren, den zivilen Aufbau voranzutreiben.

Vielen Dank.

Gert Winkelmeier (fraktionslos):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich weiß nicht, ob es Ihnen ähnlich gegangen ist wie mir. Bei der Lektüre des heute zur Debatte stehenden Antrages habe ich das Wort „Tornado“ gesucht. Wir reden seit Monaten über die Verlegung von Tornados nach Afghanistan. Im Antrag der Bundesregierung suchte und suchte ich die Tornados. Ich fand aber nur „Fähigkeiten“, so weit das Auge reicht, Fähigkeiten zu allem und jedem: zur Sicherung, zur logistischen Unterstützung, zur Führung, zur sanitätsdienstlichen Versorgung usw. Ich war schon ganz verzweifelt und wollte aufgeben. Ich glaubte, ich hätte die in allen Medien tobende Tornadodebatte der letzten Monate bloß geträumt. Doch da kamen sie doch noch, die Tornados, ganz hinten unter Punkt 7 und unter Punkt 10, ganz klein und winzig, unschuldig, ganz versteckt, unter ferner liefen mit den Worten „darüber hinaus“ eingeleitet, so als ginge es noch um ein paar Gummibärchen für die Soldaten, damit sie sich fern der Heimat nicht so einsam fühlen. Aber immerhin kommt Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierung, dann doch noch das Wort „Aufklärungsflugzeug“ aus der Feder. Da ist Ihnen beim Korrekturlesen wohl der Schrecken in die Glieder gefahren; denn unter Punkt 10 haben Sie die Tornados ganz flugs wieder zu einem „Einsatzmodul“ verniedlicht. Das klingt so technisch harmlos, und die Menschen kriegen nicht so schnell mit, dass es um Krieg geht. Schön verschleiern wollen Sie das.

Das Wort „Tornado“ taucht übrigens nur zweimal in Ihrem Antrag auf, der Begriff „Fähigkeiten“ dagegen siebenmal. Wissen Sie was? Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Lassen Sie das Wort „Soldaten“ bei zukünftigen Anträgen doch auch weg. Ersetzen Sie es durch das Wort „Fähigkeiten“. Das hätte zwei Vorteile: Erstens könnte man sich die weibliche Form einsparen. Zweitens müssten Sie dann auch nicht mehr über Ehrenmale nachdenken, zum Beispiel Ehrenmale für abhandengekommene Fähigkeiten.

Dem Herrn Bundestagspräsidenten kann und will ich keine Vorschriften machen. Ich kann nur sagen: Wäre ich an seiner Stelle gewesen, hätte ich dieses mit den Koalitionsspitzen ausgehandelte Orwellsche Neusprechwerk nicht entgegengenommen. Es stellt den Versuch dar, das Parlament und die Öffentlichkeit zu verdummen. Ich hätte zur Bundeskanzlerin gesagt: Thema verfehlt, setzen, sechs!

Denn dieser Antrag ist die würdelose Fortsetzung der unsäglichen Versuche der Bundesregierung, einen glasklaren Kampfeinsatz in so etwas wie einen humanitären Einsatz umzulügen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie einen Blick in die Lehrunterlagen der Luftwaffe werfen, werden Sie Folgendes feststellen: Bei den sogenannten Recce-Tornados handelt es sich um „Luftkriegsmittel“, die im Rahmen verbundener Luftkriegsoperationen zur Aufklärung eingesetzt werden. Luftkriegsoperationen finden also nicht im Krankenhaus statt.

Mangels einer gegnerischen Luftwaffe dienen sie in Afghanistan der Bekämpfung des Gegners am Boden. Aufklärung ist nicht nur integraler Bestandteil dieses offensiven Krieges aus der Luft, sondern seine unabdingbare Voraussetzung. Dies wird durch das Adjektiv „verbunden“ ausgedrückt. Im Klartext: Ohne Luftbilder keine Bomben. Bomben führen zu Kollateralschäden, also zur Tötung unschuldiger Zivilisten. Herr Kuhn, die Stärkung der Zivilgesellschaft werden wir mit Sicherheit nicht durch den Einsatz zusätzlicher Bomben erreichen. Dass es um Bomben geht, wird im Antrag durch die Verwendung anderer Begriffe kaschiert.

Die Abgeordneten, die dem zustimmen, halten den Krieg gegen Afghanen, die sich gegen ihre Besatzer wehren, offensichtlich für richtig und wollen rund 35 Millionen Euro dafür ausgeben. Herr Verteidigungsminister, ich fordere Sie auf: Stehen Sie bitte auch sprachlich zu Ihrem Antrag, nennen Sie die Dinge beim Namen, und drücken Sie sie nicht verschlüsselt aus. Oder schämen Sie sich Ihrer kriegerischen Absichten?

Tarnen, Täuschen und Tricksen hat in diesem Land Tradition. Wie sagte der damalige Kanzler nach dem Beginn der Bombardierung Jugoslawiens am 24. März 1999 im Bundestag? Ich zitiere: „Wir führen keinen Krieg.“ Zur gleichen Zeit schossen die 14 deutschen ECR-Tornados den Jagdbombern den Weg für ihre tödliche Last frei. Bei diesem Krieg, der laut Herrn Schröder keiner war, kamen übrigens über 2 000 unbeteiligte Zivilisten zu Tode, und das nicht vor Gram über die Lügen, die vorher verbreitet worden waren.

Herr Kolbow, es ist wichtig, die Hirne und die Herzen der Menschen in Afghanistan zu gewinnen. Das schafft man bestimmt nicht dadurch, dass man mehrere Tornados dorthin schickt, die aufklären sollen, was andere Flugzeuge dann mit Bomben vollenden.

Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/ CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte wirft die Fragen auf, welches Bild von Afghanistan wir unserer Entscheidung zugrunde legen und welches Bild von Einsatzstrukturen und Rechtsgrundlagen unsere Entscheidung bestimmt. Ich muss sagen: Was die Rechtsgrundlagen anbelangt, war Ihr Auftritt, Frau Knoche, bemerkenswert.

An dieser Stelle danke ich dem Kollegen Schockenhoff: Lesen bildet und hebt gelegentlich das Niveau der eigenen Rede.

Ich komme auf unser Bild von Afghanistan zu sprechen. Sicherlich ist es wenig hilfreich, nur die Erfolge in den Vordergrund zu stellen. Ebenso wenig hilfreich ist es, nur die Defizite zu betonen. Fatal wird es allerdings dann, meine Damen und Herren von der Linken, wenn bewusst falsche Bilder gezeichnet und scheinbare Realitäten in die Welt gesetzt werden, um letztlich nur innenpolitischen Stimmungslagen zu genügen. Das reicht nicht aus; denn der Konflikt in Afghanistan nimmt mit Sicherheit keine Rücksicht darauf, was uns innenpolitisch zuzumuten ist. Hier sollten wir sehr vorsichtig argumentieren. Was ist ein realistisches Bild von Afghanistan? Von beiden Ministern wurde angesprochen, dass sich die Lage im Jahre 2006 verschlechtert hat. Manche sprechen sogar von einer dramatischen Verschlechterung. Ein deutliches Wiedererstarken der Taliban ist unbestreitbar. Der Bundesaußenminister hat darauf hingewiesen – andere auch –: Die Sicherheitsstatistiken machen deutlich, dass sich die Zukunft Afghanistans im Süden des Landes entscheiden wird. Nur wenn es gelingt, die Sicherheit auch im Süden wiederherzustellen und zu gewährleisten, dass die Bevölkerung ihre Grundbedürfnisse befriedigen kann, kann einem Erstarken der Taliban, einer Hinwendung zu den Taliban, plausibel und anständig entgegengewirkt werden. Gerade vor diesem Hintergrund macht das vernetzte Sicherheitskonzept, das der Bundesverteidigungsminister angesprochen hat, Sinn, und es bringt mich zu der Einschätzung, Herr Kollege Schäfer, dass wir unsere Soldaten eben nicht aus Afghanistan abziehen dürfen; dass wir dieses Land eben nicht in die Verantwortung der zivilen Kräfte übergeben und sich selbst überlassen können; dass wir eben nicht davon ausgehen können, dass Afghanistan in absehbarer Zeit ohne zivile wie militärische Hilfe und Unterstützung von außen funktionsfähig sein wird. Alles andere würde bedeuten, einer Illusion zu erliegen.

Angesichts des Wiedererstarkens der Taliban darf auch einmal ein Blick zurück gewagt werden: Im Jahr 2001 kontrollierten die Taliban etwa 90 Prozent Afghanistans. Damals war es Mädchen verboten, zur Schule zu gehen. Kino, Fernsehen, Internet, Kameras, Video, weltliche Musik – das alles war damals verboten. Frauen war jegliche Arbeit außerhalb des Hauses verboten; das führte dazu, dass viele Frauen dazu gezwungen waren, auf der Straße zu betteln.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Herr Dr. zu Guttenberg, Sie argumentieren ähnlich wie der Außenminister und der Verteidigungsminister damit, dass sich die Lage in Afghanistan verschlechtert hat. Ich glaube, in diesem Punkt kann es keine Differenz geben. Mich würde interessieren, ob Sie auch etwas dazu sagen können, warum sich die Lage in Afghanistan dermaßen dramatisch verschlechtert hat, welche Hintergründe möglicherweise dazu geführt haben. Es nützt ja nichts, zu sagen: „Es ist alles schlechter geworden – wir haben nichts damit zu tun“, wenn man nicht über die Hintergründe nachdenkt und argumentiert. Darum möchte ich Sie gerne bitten.

Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/ CSU):

Herr Kollege Gehrcke, vielen Dank für diese Nachfrage. Ihre Nachfrage bezieht sich im Grunde auf den Süden und auf den Osten Afghanistans. Im Norden Afghanistans hat sich die Lage alles andere als verschlechtert, und zwar gerade aufgrund der Tatsache, dass wir dort einem vernetzten Konzept nachgegangen sind – das allerdings Soldaten impliziert. Diese Notwendigkeit, Soldaten zu haben, wollen Sie weiterhin absprechen. Ich möchte nicht wissen, wie es um den Norden Afghanistans heute ohne eine dortige Stationierung von Soldaten stünde!

Blicken wir noch einmal zurück auf die Zeit der Taliban – diese Zeit blenden Sie ja völlig aus, Herr Gehrcke –: Frauen hatten keine Rechte, sie mussten ihren Körper verhüllen. Frauen war ärztliche Behandlung nur in männlicher Begleitung und nur durch weibliche Ärzte erlaubt. – Dies muss man sich wieder einmal in Erinnerung rufen! – Sie konnten also im Grunde überhaupt nicht behandelt werden; denn eine berufliche Tätigkeit war Frauen ja nicht erlaubt. Frauen durften das Haus nur in Begleitung männlicher Verwandtschaft verlassen. Männer wurden inhaftiert und es wurde ihnen die Prügelstrafe angedroht, wenn zum Beispiel der Bart zu kurz war. Mutmaßlichen Verbrechern wurden Körperteile amputiert. Es gab öffentliche Hinrichtungen, Steinigungen und Erschießungen. Es gab die Zerstörung von Götterbildnissen und ähnliche Dinge. Meine Damen und Herren, Herr Gehrcke, wir sollten uns auch daran erinnern, wenn es darum geht, unser Afghanistan-Engagement der letzten Jahre zu beurteilen! Auch das muss von unserer Seite berücksichtigt werden!

Der entscheidende Faktor ist das Zusammenspiel von zivilem Aufbau und militärischer Befriedung. Wir müssen uns bewusst sein: Verabschieden wir uns jetzt bzw. in absehbarer Zeit – das ist gerade Ihr Vorschlag, Herr Gehrcke – von einer dieser Komponenten, dann geben wir Afghanistan auf, dann geben wir diese Regierung auf, und dann geben wir faktisch die Menschen in diesem Lande auf. Das kann nicht gewollt sein, das kann nicht unser Ziel sein!

Das soll nicht bedeuten, dass wir nicht gelegentlich auch selbstkritisch sein müssen, dass „zivilmilitärische“ Konzepte kein Verbesserungspotenzial enthielten und die Abstimmung zwischen diesen beiden Komponenten nicht weiter optimiert werden könnte. Es soll auch nicht bedeuten, dass eine tatsächliche konzeptionelle Ressortkohärenz zwischen den beteiligten Ressorts nicht stattfinden darf und soll. Insbesondere müssen nämlich die Konzepte der unterschiedlichen Bündnispartner zusammengeführt werden.

Zu OEF und ISAF: Grenzziehungen zwischen Mandaten sollten Trennlinien nicht kaschieren, sondern verdeutlichen. Es bleibt eine Aufgabe für uns alle – in der Zukunft auch für die Bundesregierung –, uns immer wieder deutlich zu machen, wo diese Trennlinien verlaufen. Schließlich darf der heute diskutierte und in meinen Augen sehr wichtige Ausweitungsschritt nicht dazu führen, dass ein klaffend offenes Einfallstor für weitere Begehrlichkeiten gegenüber unseren Soldaten entsteht.

Darauf dürfen wir als Abgeordnete des Bundestags hinweisen. Wir dürfen Afghanistan nicht aufgeben. Wir müssen im Rahmen dessen bleiben, was wir auch tatsächlich anbieten und leisten können. Wir dürfen uns keiner Illusion hingeben: Bis sich Afghanistan – auch im Interesse unserer eigenen Sicherheit – aus eigener Kraft über Wasser halten kann und wird, werden noch einige Jahre vergehen. Diese Zeit werden wir brauchen. Aber wir müssen dieses Ziel konsequent verfolgen. Deswegen ist unsere Unterstützung angebracht, und diese Unterstützung werden wir nächste Woche auch leisten.

Herzlichen Dank.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Herr Kollege zu Guttenberg, Ihre Antwort war, ehrlich gesagt, keine Antwort auf meine Frage, und das Der Krieg und auch die UN-Resolution hatten – wenn ich das abschließend ansprechen darf – einen Hintergrund, nämlich die Abwehr einer unmittelbaren Gefahr. Diese unmittelbare Gefahr besteht nicht mehr. Deswegen gibt es keine rechtliche Grundlage für das, was heute auf den Weg gebracht wird.

Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/ CSU):

Herr Kollege Gehrcke, vielen Dank. Ich finde es bemerkenswert, dass Sie die heutige UN-Mission in einem Atemzug mit der Besatzung Russlands nennen.

Das mag Ihrer Romantik entsprechen; unserer entspricht es nicht.

Herzlichen Dank.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4298 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Quelle: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht. 81. Sitzung, Berlin, 28. Februar 2007 (Plenarprotokoll 16/81); Internet: http://dip.bundestag.de/btp/16/16081.pdf


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