Humanitäre Hilfe unter Kriegsbedingungen kaum möglich
Ein Positionspapier von terre des hommes: "Den Krieg in Afghanistan stoppen!"
Seit dem 7.Oktober 2001 fallen Bomben auf ein Land, das zu den ärmsten der Welt gehört. Die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan
steigt täglich. Hunderttausende sind vom Hungertod bedroht.
Das Kinderhilfswerk terre des hommes fordert ein Ende der Angriffe, um humanitäre Hilfe zu ermöglichen und eine
Eskalation des Konflikts zu vermeiden.
Die verheerenden Anschläge in den USA haben die Bedrohung durch internationale Terrornetzwerke deutlich gemacht. Tausende
unschuldige Menschen aus über 60 Nationen und allen Kulturen dieser Welt sind am 11. September 2001 in New York, Washington und
Pennsylvania Opfer eines entsetzlichen Verbrechens geworden. Dieses wurde vermutlich geplant und ausgeführt von Terroristen, die sich
dabei auf den Kampf der islamischen Welt gegen den Westen berufen. Die Terroranschläge sind das Ergebnis einer jahrzehntelangen
Radikalisierung islamischer Bewegungen.
Armut, globale Ungerechtigkeiten und fehlende Entwicklungsperspektiven, gepaart mit undemokratischen Regimen, verbauen den
Menschen in vielen Ländern alle Chancen auf ein besseres Leben. Dies ist der Nährboden einer tiefen Unzufriedenheit, in dem sich
Terrorismus und Fanatismus leicht entfalten können.
Dabei handelt es sich nicht um einen Kulturkampf zwischen westlicher und islamischer Welt. Es gibt aber gerade in islamischen Ländern
Menschen, die aufgrund der geschichtlichen und wirtschaftlichen Entwicklung das Gefühl haben, vom Westen benachteiligt und ausgebeutet
zu werden. Dies verursacht eine starke Abneigung gegen westliche Werte und die Überhöhung des westlichen way of life. Nur ein Dialog
der Kulturen, nicht der Kampf der Kulturen bieten einen Ausweg aus dieser Situation.
Der internationale Terrorismus ist nicht besiegt, wenn Osama Bin Laden getötet ist und seine Ausbildungslager in Afghanistan zerstört sind.
Ebenso wenig ist er besiegt, wenn das Taliban-Regime überwunden ist. Er wird nicht besiegt werden, solange die terroristischen
Netzwerke in der westlichen Welt Geldwäsche, Waffen- und Drogenhandel für ihre Zwecke nutzen können.
Den Kampf gegen den Terrorismus kann man nicht mit Gewalt gewinnen. Gewalt ist die Logik und Sprache der Terroristen - sie führt nur
zu einer Eskalation des Konflikts und einer weiteren Destabilisierung.
Nötig ist eine Gesamtstrategie mit kurz- und mittelfristigen Maßnahmen. Die Verfolgung von Terroristen und die Zerstörung ihrer
Netzwerke müssen nach Grundsätzen der Gezieltheit und Angemessenheit erfolgen. Zur Verurteilung gefasster Täter und Hintermänner ist
die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes voranzutreiben.
Die Grundlage der Anti-Terror-Maßnahmen muss ein entwicklungspolitisches Konzept sein, in dessen Mittelpunkt die Armutsbekämpfung,
die Überwindung der Kluft zwischen Arm und Reich und die Schaffung gerechterer Handelsbedingungen steht. Dazu gehören ein
umfassender Schuldenerlass für arme Länder; der Abbau von Schutzzöllen und damit die Öffnung der westlichen Märkte für Produkte
dieser Länder; soziale und ökologische Mindeststandards für nationale und internationale Unternehmen, die in den armen Ländern
produzieren.
Die Weltwirtschaft muss so verändert werden, dass auch arme Länder eine Chance haben. Konfliktschlichtung und Konfliktprävention
müssen weltweit gestärkt werden. Menschenrechtsverletzungen dürfen in keiner Region der Welt billigend in Kauf genommen oder aktiv
unterstützt werden.
Nur eine solche Kehrtwende in der Weltpolitik wird dazu beitragen, Terroristen den Rückhalt in der Bevölkerung zu entziehen. Nur so ist
der Kampf gegen den Terror wirklich zu gewinnen.
Der Beitrag von terre des hommes
terre des hommes Deutschland wurde im Januar 1967 unter dem Eindruck des Vietnam-Krieges gegründet. Seit fast 35 Jahren bildet die
Hilfe für Kinder und Jugendliche, die Opfer von Krieg und Gewalt sind, einen Schwerpunkt unserer Arbeit.
Die Schweizer Stiftung terre des hommes (Lausanne) hilft seit 1995 mit mehreren Projekten den Menschen in Afghanistan und wird dabei
von terre des hommes Deutschland unterstützt. terre des hommes ist eine der wenigen Hilfsorganisationen, deren Projekte in Afghanistan
auch nach dem Beginn der amerikanischen Angriffe weitergeführt werden - in Kabul sowie in Rustaq im Norden des Landes.
160 einheimische terre des hommes-Mitarbeiter setzen sich in sechs Straßenkinderzentren, in Schulen und Kliniken, in
Mutter-Kind-Gesundheitsprogrammen und in der Dorfentwicklung für ihre Landsleute ein - letztes Jahr profitierten 500.000 Menschen
von dieser Unterstützung. Gegenwärtig werden verschiedenste Nothilfemaßnahmen geplant und realisiert, darunter die Verteilung von
Medikamenten und Nahrungsmitteln, Impfkampagnen für Zehntausende Kinder und die Versorgung von Flüchtlingskindern in Peschawar
(Pakistan).
Krieg ist kein geeignetes Mittel - Möglichkeiten einer politischen Lösung
Jeder Krieg bedeutet den Tod von Zivilisten, die langfristige Zerstörung der Lebensbedingungen, er bedeutet Hunger, Elend, Flucht,
Vertreibung und unermessliches menschliches Leid. Zu lange hatte die internationale Gemeinschaft schon vor dem 11.September hilflos
und desinteressiert zugesehen oder sogar aktiv dazu beigetragen, dass sich die Logik von Gewalt und Krieg in Afghanistan durchsetzen
konnte. Langer Atem und Sensibilität sind jetzt zur zur Lösung dieses Konfliktes erforderlich. Die Horrorvision eines erneuten jahrelangen
Bürgerkrieges mit den Taliban, dann als Guerillabewegung, die aus den Bergen heraus operiert, darf nicht Wirklichkeit werden. Tragfähige
Lösungen können nur aus dem Land selbst kommen. Dessen Realitäten dürfen unter dem herrschenden politischen und militärischen
Erfolgsdruck nicht verdrängt werden. Auch dieser Krieg bewirkt eine weitere Eskalation der Gewalt, in Afghanistan und seinen
Nachbarländern, und erschwert politische Lösungen für die Zukunft.
Deshalb fordert terre des hommes Deutschland das Ende des Krieges und eine sofortige humanitäre Hilfsaktion für die Menschen in
Afghanistan.
Weiterhin dringend notwendig:
-
Stopp jeglicher Waffenlieferungen in die Krisenregion
- Rückkehr zu Verhandlungen und Diplomatie mit allen Konfliktparteien
- Waffenstillstand und anschließende Entwaffnung aller Konfliktparteien. Dies sollte unter UN-Mandat durch eine internationale
Truppe, möglichst unter Beteiligung islamischer Staaten, überwacht werden.
- Friedensverhandlungen für die ganze Region unter dem Schutz der Vereinten Nationen; dabei Einbeziehung aller Beteiligter und der
Nachbarländer
- Machtvakuum und Chaos auf staatlicher und lokaler Ebene müssen unbedingt verhindert werden
- Schnelle Versorgung der Bevölkerung mit einer Art "Marshall-Plan", der international finanziert wird
- Lokale Autoritäten, Dorfälteste usw. müssen bei der Versorgung der Bevölkerung mit einbezogen werden, um das Mißtrauen der
Menschen abzubauen
- Langfristiger Plan zum Wiederaufbau des Landes mit massiver internationaler Unterstützung
- Die Versöhnung der verfeindeten Stämme muss innerhalb des Wiederaufbauplanes gezielt gefördert werden, damit ein Gefühl der
nationalen Einheit entsteht
- Afghanische und internationale Nicht-Regierungsorganisationen sollten beim Wiederaufbau eine wichtige Rolle spielen
Traditionell genießt Deutschland hohes Ansehen in Afghanistan. Hierzulande gibt es eine große afghanische Exilgemeinschaft. Außerdem
hat Deutschland im Jahr 2001 den Vorsitz in der internationalen »Afghanistan Support Group«, welche die humanitäre Hilfe für das Land
koordiniert. Deutschland könnte deshalb beim Wiederaufbau Afghanistans eine führende Rolle übernehmen. Eine Beteiligung an
militärischen Aktionen würde die Glaubwürdigkeit dramatisch reduzieren.
Wir fordern die Bundesregierung auf, sich für die sofortige Beendigung der Kriegshandlungen und die Rückkehr zu
Diplomatie und Verhandlungen einzusetzen.
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