Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Humanitäre Hilfe unter Kriegsbedingungen kaum möglich

Ein Positionspapier von terre des hommes: "Den Krieg in Afghanistan stoppen!"

Seit dem 7.Oktober 2001 fallen Bomben auf ein Land, das zu den ärmsten der Welt gehört. Die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan steigt täglich. Hunderttausende sind vom Hungertod bedroht.

Das Kinderhilfswerk terre des hommes fordert ein Ende der Angriffe, um humanitäre Hilfe zu ermöglichen und eine Eskalation des Konflikts zu vermeiden.

Die verheerenden Anschläge in den USA haben die Bedrohung durch internationale Terrornetzwerke deutlich gemacht. Tausende unschuldige Menschen aus über 60 Nationen und allen Kulturen dieser Welt sind am 11. Sep­tember 2001 in New York, Washington und Pennsylvania Opfer eines entsetzlichen Verbrechens geworden. Dieses wurde vermutlich geplant und ausgeführt von Terroristen, die sich dabei auf den Kampf der islamischen Welt gegen den Westen berufen. Die Terroranschläge sind das Ergebnis einer jahrzehntelangen Radikalisierung islamischer Bewegungen.

Armut, globale Ungerechtigkeiten und fehlende Entwicklungsperspektiven, gepaart mit undemokratischen Regimen, verbauen den Menschen in vielen Ländern alle Chancen auf ein besseres Leben. Dies ist der Nährboden einer tiefen Unzufriedenheit, in dem sich Terrorismus und Fanatismus leicht entfalten können.

Dabei handelt es sich nicht um einen Kulturkampf zwischen westlicher und islamischer Welt. Es gibt aber gerade in islamischen Ländern Menschen, die aufgrund der geschichtlichen und wirtschaftlichen Entwicklung das Gefühl haben, vom Westen benachteiligt und ausgebeutet zu werden. Dies verursacht eine starke Abneigung gegen westliche Werte und die Überhöhung des westlichen way of life. Nur ein Dialog der Kulturen, nicht der Kampf der Kulturen bieten einen Ausweg aus dieser Situation.

Der internationale Terrorismus ist nicht besiegt, wenn Osama Bin Laden getötet ist und seine Ausbildungslager in Afghanistan zerstört sind. Ebenso wenig ist er besiegt, wenn das Taliban-Regime überwunden ist. Er wird nicht besiegt werden, solange die terroristischen Netzwerke in der westlichen Welt Geldwäsche, Waffen- und Drogenhandel für ihre Zwecke nutzen können.

Den Kampf gegen den Terrorismus kann man nicht mit Gewalt gewinnen. Gewalt ist die Logik und Sprache der Terroristen - sie führt nur zu einer Eskalation des Konflikts und einer weiteren Destabilisierung.

Nötig ist eine Gesamtstrategie mit kurz- und mittelfristigen Maßnahmen. Die Verfolgung von Terroristen und die Zerstörung ihrer Netzwerke müssen nach Grundsätzen der Gezieltheit und Angemessenheit erfolgen. Zur Verurteilung gefasster Täter und Hintermänner ist die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes voranzutreiben.

Die Grundlage der Anti-Terror-Maßnahmen muss ein entwicklungspolitisches Konzept sein, in dessen Mittelpunkt die Armutsbekämpfung, die Über­windung der Kluft zwischen Arm und Reich und die Schaffung gerechterer Handelsbedingungen steht. Dazu gehören ein umfassender Schuldenerlass für arme Länder; der Abbau von Schutzzöllen und damit die Öffnung der westlichen Märkte für Produkte dieser Länder; soziale und ökologische Mindeststandards für nationale und internationale Unternehmen, die in den armen Ländern produzieren.

Die Weltwirtschaft muss so verändert werden, dass auch arme Länder eine Chance haben. Konfliktschlichtung und Konfliktprävention müssen weltweit gestärkt werden. Menschenrechtsverletzungen dürfen in keiner Region der Welt billigend in Kauf genommen oder aktiv unterstützt werden.

Nur eine solche Kehrtwende in der Weltpolitik wird dazu beitragen, Terroristen den Rückhalt in der Bevölkerung zu entziehen. Nur so ist der Kampf gegen den Terror wirklich zu gewinnen.

Der Beitrag von terre des hommes

terre des hommes Deutschland wurde im Januar 1967 unter dem Eindruck des Vietnam-Krieges gegründet. Seit fast 35 Jahren bildet die Hilfe für Kinder und Jugendliche, die Opfer von Krieg und Gewalt sind, einen Schwerpunkt unserer Arbeit.

Die Schweizer Stiftung terre des hommes (Lausanne) hilft seit 1995 mit mehreren Projekten den Menschen in Afghanistan und wird dabei von terre des hommes Deutschland unterstützt. terre des hommes ist eine der wenigen Hilfsorganisationen, deren Projekte in Afghanistan auch nach dem Beginn der amerikanischen Angriffe weitergeführt werden - in Kabul sowie in Rustaq im Norden des Landes.

160 einheimische terre des hommes-Mitarbeiter setzen sich in sechs Straßenkinderzentren, in Schulen und Kliniken, in Mutter-Kind-Gesundheits­programmen und in der Dorfentwicklung für ihre Landsleute ein - letztes Jahr profitierten 500.000 Menschen von dieser Unterstützung. Gegenwärtig werden verschiedenste Nothilfemaßnahmen geplant und realisiert, darunter die Verteilung von Medikamenten und Nahrungsmitteln, Impfkampagnen für Zehntausende Kinder und die Versorgung von Flüchtlingskindern in Peschawar (Pakistan).

Krieg ist kein geeignetes Mittel - Möglichkeiten einer politischen Lösung

Jeder Krieg bedeutet den Tod von Zivilisten, die langfristige Zerstörung der Lebensbedingungen, er bedeutet Hunger, Elend, Flucht, Vertreibung und unermessliches menschliches Leid. Zu lange hatte die internationale Gemeinschaft schon vor dem 11.September hilflos und desinteressiert zugesehen oder sogar aktiv dazu beigetragen, dass sich die Logik von Gewalt und Krieg in Afghanistan durchsetzen konnte. Langer Atem und Sensibilität sind jetzt zur zur Lösung dieses Konfliktes erforderlich. Die Horrorvision eines erneuten jahrelangen Bürgerkrieges mit den Taliban, dann als Guerillabewegung, die aus den Bergen heraus operiert, darf nicht Wirklichkeit werden. Tragfähige Lösungen können nur aus dem Land selbst kommen. Dessen Realitäten dürfen unter dem herrschenden politischen und militärischen Erfolgsdruck nicht verdrängt werden. Auch dieser Krieg bewirkt eine weitere Eskalation der Gewalt, in Afghanistan und seinen Nachbarländern, und erschwert politische Lösungen für die Zukunft.

Deshalb fordert terre des hommes Deutschland das Ende des Krieges und eine sofortige humanitäre Hilfsaktion für die Menschen in Afghanistan.

Weiterhin dringend notwendig:
  • Stopp jeglicher Waffenlieferungen in die Krisenregion
  • Rückkehr zu Verhandlungen und Diplomatie mit allen Konfliktparteien
  • Waffenstillstand und anschließende Entwaffnung aller Konfliktparteien. Dies sollte unter UN-Mandat durch eine internationale Truppe, möglichst unter Beteiligung islamischer Staaten, überwacht werden.
  • Friedensverhandlungen für die ganze Region unter dem Schutz der Vereinten Nationen; dabei Einbeziehung aller Beteiligter und der Nachbarländer
  • Machtvakuum und Chaos auf staatlicher und lokaler Ebene müssen unbedingt verhindert werden
  • Schnelle Versorgung der Bevölkerung mit einer Art "Marshall-Plan", der international finanziert wird
  • Lokale Autoritäten, Dorfälteste usw. müssen bei der Versorgung der Bevölkerung mit einbezogen werden, um das Mißtrauen der Menschen abzubauen
  • Langfristiger Plan zum Wiederaufbau des Landes mit massiver internationaler Unterstützung
  • Die Versöhnung der verfeindeten Stämme muss innerhalb des Wiederaufbauplanes gezielt gefördert werden, damit ein Gefühl der nationalen Einheit entsteht
  • Afghanische und internationale Nicht-Regierungsorganisationen sollten beim Wiederaufbau eine wichtige Rolle spielen
Traditionell genießt Deutschland hohes Ansehen in Afghanistan. Hierzulande gibt es eine große afghanische Exilgemeinschaft. Außerdem hat Deutschland im Jahr 2001 den Vorsitz in der internationalen »Afghanistan Support Group«, welche die humanitäre Hilfe für das Land koordiniert. Deutschland könnte deshalb beim Wiederaufbau Afghanistans eine führende Rolle übernehmen. Eine Beteiligung an militärischen Aktionen würde die Glaubwürdigkeit dramatisch reduzieren.

Wir fordern die Bundesregierung auf, sich für die sofortige Beendigung der Kriegshandlungen und die Rückkehr zu Diplomatie und Verhandlungen einzusetzen.


Zu weiteren Beiträgen über Afghanistan

Zurück zur Homepage