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Afghanistan-Krieg ist nicht zu gewinnen

Britischer General skeptisch / Steinmeier taktiert

»Wir werden diesen Krieg nicht gewinnen.«. So zitiert die britische »Sunday Times« Brigadegeneral Mark Carleton-Smith. Der ist Chef der 16. Assault Brigade, die der deutschen luftbeweglichen Division entspricht, und derzeit mal wieder in Afghanistan eingesetzt wird. Der britische Kommandeur hält einen durchschlagenden militärischen Sieg gegen »die Aufständischen« für unmöglich. Es gehe stattdessen darum, den »Aufstand« auf ein »handhabbares Maß« zurückzudrängen, damit er keine strategische Bedrohung darstellt und künftig von den afghanischen Streitkräften bewältigt werden könne. Die Taliban müssten in eine langfristige Lösung einbezogen werden. »Wenn die Taliban bereit wären, auf der anderen Seite des Tisches zu sitzen und über eine politische Einigung zu sprechen, dann ist das genau die Art Fortschritt, die Aufstände wie diesen beendet«, sagte der General.

Auch in Deutschland gibt es neue Debatten über den Afghanistan-Einsatz. Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier will die deutsche Beteiligung am Anti-Terrorkampf in Afghanistan und damit den Einsatz der vom Bundestag bewilligten 100 Angehörigen des Kommandos Spezialkräfte an der US-Operation »Enduring Freedom« beenden. Die Elitesoldaten seien in den vergangenen drei Jahren »kein einziges Mal« eingesetzt worden. Die CSU fordert neuerdings eine Ausstiegsstrategie. Er erwarte von der Kanzlerin klare Perspektiven für die Beendigung »in absehbarer Zeit«, sagte CSU-Landesgruppenchef, Peter Ramsauer.

Am Dienstag (7. Okt.) berät das Parlament die Aufstockung des ISAF-Kontingents um 1000 auf 4500 Soldaten.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Oktober 2008


Besatzungsgegner des Tages: Willy Wimmer **

Die Friedensbewegung bekommt Unterstützung aus der Union. Kurz vor der entscheidenden Sitzung des Bundestages am 7. Oktober fordert der CDU-Verteidigungspolitiker Willy Wimmer einen sofortigen Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan. »Die Bundeswehr sollte besser heute als morgen abziehen«, sagte Wimmer laut Vorabmeldung der in Essen erscheinenden Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (Samstagausgabe). Der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium befürchtet, daß die Angriffe der US-Armee an der afghanisch-pakistanischen Grenze die Lage weiter eskalieren lassen. »Die Amerikaner ziehen uns mit ihrer verhängnisvollen Politik immer tiefer in diesen Sumpf«, so Wimmer. Man könne davon ausgehen, »daß die USA Afghanistan als fortwährenden Truppenübungsplatz in Gang halten wollen«. Daran dürfe sich die Bundeswehr nicht beteiligen. »Die deutschen Soldaten sind keine Handelsware für US-Generäle«.

Die Abzugsforderung wird unterstützt von dem Militärhistoriker und Nahostexperten Gwynne Dyer. In seinem gerade erschienenen Buch »Nach Irak und Afghanistan. Was kommt, wenn die westlichen Truppen gehen?« (Campus) bringt der Kanadier die ganze Absurdität der Besatzung auf den Punkt: »Die Vorstellung, daß etwa 50000 NATO-Soldaten aus einem Dutzend verschiedener Länder, von denen weniger als ein Prozent 100 Wörter in irgendeiner afghanischen Sprache kennen, eine Gesellschaft von 25 Millionen Menschen verwandeln werden, ist Hybris auf Stelzen.« Was immer nach dem Abrücken der westlichen Truppen auch geschehe, dürfte unabhängig davon sein, ob sie nun im kommenden Frühjahr oder erst in fünf Jahren dem Land den Rücken kehren. Nüchtern konstatiert Dyer: »Das Afghanistan nach der Besatzung wird nicht das Traumgespinst einer wohlhabenden, frauenfreundlichen, demokratischen Gesellschaft sein, das einigen Neokonservativen auf der Höhe ihrer Hybris vorschwebte.« (rg)

** Aus: junge Welt, 4. Oktober 2008

Dokumentiert:

War on Taliban cannot be won, says army chief

Christina Lamb Helmand, Afghanistan ***

Britain's most senior military commander in Afghanistan has warned that the war against the Taliban cannot be won. Brigadier Mark Carleton-Smith said the British public should not expect a “decisive military victory” but should be prepared for a possible deal with the Taliban.

His assessment followed the leaking of a memo from a French diplomat who claimed that Sir Sherard Cowper-Coles, the British ambassador in Kabul, had told him the current strategy was “doomed to fail”.

Carleton-Smith, commander of 16 Air Assault Brigade, which has just completed its second tour of Afghanistan, said it was necessary to “lower our expectations”. He said: “We’re not going to win this war. It’s about reducing it to a manageable level of insurgency that’s not a strategic threat and can be managed by the Afghan army.”

The brigadier added: “We may well leave with there still being a low but steady ebb of rural insurgency . . . I don’t think we should expect that when we go there won’t be roaming bands of armed men in this part of the world. That would be unrealistic and probably incredible.”

Carleton-Smith insisted that his forces had “taken the sting out of the Taliban for 2008”. But his brigade has sustained heavy losses in the southern province of Helmand in the past six months, with 32 killed and 170 injured. In an interview with The Sunday Times, he added his voice to a growing number of people arguing that the conflict in Afghanistan could be resolved only through a political settlement that could include the Taliban.

“We want to change the nature of the debate from one where disputes are settled through the barrel of the gun to one where it is done through negotiations,” Carleton-Smith said.

“If the Taliban were prepared to sit on the other side of the table and talk about a political settlement, then that’s precisely the sort of progress that concludes insurgencies like this. That shouldn’t make people uncomfortable.”

Last week Gulab Mangal, the governor of Helmand, said the Taliban controlled more than half the province despite the increased presence of British forces.

*** Sunday Times, 5 october 2008; www.timesonline.co.uk




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