Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ein Sieg ist nicht in Sicht

Von Peter Preiß

Neue Hiobsbotschaften vom Hindukusch. Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich nach Angaben der Vereinten Nationen in den vergangenen Monaten nicht verbessert, sondern »dramatisch« verschlechtert. Von Januar bis April sind demnach an den Straßen fast doppelt so viele Bomben explodiert wie im Vorjahreszeitraum. Das geht aus einem am Samstag (19. Juni) veröffentlichen Bericht von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hervor. Im Zeitraum von April bis Juni wurden bei Kampfhandlungen in Afghanistan demnach 395 Zivilisten getötet. Für rund 70 Prozent dieser Todesfälle seien Aufständische verantwortlich, schreibt der UN-Chef - tatsächlich sind alle Opfer Folgen der Besatzung.

Die NATO reagierte am Samstag (19. Juni) auf den UN-Bericht mit Schönma­lerei. Die »internationalen Streitkräfte« machten Fortschritte, erklärte Brigadegeneral Josef Blotz. Es seien zwar weiter harte Kämpfe zu erwarten, aber das Blatt wende sich. So sei die Zahl der Zivilisten, die bei NATO-Einsätzen getötet oder verwundet wurden, in den vergangenen zwölf Wochen im Vergleich zum Vorjahr um 44,4 Prozent gesunken. Die US-Armee ihrerseits geht zwar davon aus, daß der Juni ange­sichts verstärkter Offensiven der verlustreichste Monat seit Beginn der Invastion Ende 2001 wird. Pentagon-Chef Robert Gates verklärte die Lage mit der Parole: »Wir gewinnen die Initiative zurück.«


Hier geht es zu unserer

tagesaktuellen Kriegschronik



Doch auch der aktuelle Lagebericht des Verteidigungsministeriums in Berlin zeichnet ein düsteres Bild für die ausländischen Soldaten. Die Widertandsaktivitäten gegen die NATO-Truppen nehmen kontinuierlich zu. Der nichtöffentlichen »Unterrichtung des Parlaments« zufolge gab es im Zeitraum vom 7. Juni bis 13. Juni (23. Kalenderwoche) in Afghanistan »694 Sicherheitsvorfälle«, darunter »109 Vorfälle von indirektem Beschuß (Mörser und Raketen)«. In der Woche davor registrierte die NATO 582 Angriffe auf die eigenen Truppen.

Nur die wenigsten dieser täglich bis zu 100 »Zwischenfälle« finden Eingang in die hiesige Medien. Nicht vermeiden läßt sich eine Berichterstattung, wenn die Bundeswehr zu Schaden kommt. So auch am Wochenende, nachdem bei zwei Angriffen fünf deutsche Soldaten verletzt wurden. Bei Feisabad wurde am Samstag abend eine Patrouille angegriffen; neben drei deutschen Soldaten wurde auch ein afghanischer Dolmetscher verletzt. In Kundus geriet am Sonntag morgen eine Gruppe deutscher Soldaten in eine Sprengfalle. Verletzt wurde Armeeangaben zufolge niemand, allerdings wurde ein geschütztes Radfahrzeug vom Typ »Dingo« beschädigt. Bei der Bergung dieses Fahrzeugs etwa zwei Stunden später sei ein weiterer Sprengsatz detoniert, zwei Soldaten seien leicht verletzt worden.

Bei drei weiteren Anschlägen starben am Sonntag insgesamt fünf Zivilisten - darunter drei Kinder. Am Freitag waren bei Kämpfen fünf NATO-Soldaten getötet worden, darunter drei US-Amerikaner und ein Brite. Insgesamt wurden in diesem Monat bereits 52 ausländische Soldaten getötet, darunter 34 Amerikaner. Der »tödlichste Monat« in dem neunjährigen Krieg war laut AP bisher der Juli 2009: Damals wurden 75 Soldaten getötet, darunter 44 Amerikaner.

Die Todesstatistik der Besatzer wird allerdings dadurch verfälscht, daß zunehmend mehr militärische Aufgaben an Söldner übertragen werden. Am Wochenende wurde bekannt, daß ein Ableger der berüchtigten Firma Blackwater, die sich nach reichlich Negativschlagzeilen mittlerweile XE Services nennt, den Schutz der US-Vertretungen in Herat und Masar-i-Scharif übernimmt.

* Aus: junge Welt, 21. Juni 2010


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zurück zur Homepage