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Unter militärischer Befehlsgewalt

Inge Höger über die Gründe ihrer abgesagten Dienstreise nach Afghanistan

Drei Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag wollten keinen militärischen Schutz während einer Afghanistan-Reise. Norman Paech fuhr trotzdem, Inge Höger und Heike Hänsel sagten die Reise ab. Mit Inge Höger sprach für das "Neue Deutschland" ND-Mitarbeiter Günter Frech.



ND: Frau Höger, Sie haben gerade eine Reise nach Afghanistan abgesagt. Warum?

Höger: Heike Hänsel, Norman Paech und ich wollten uns als Abgeordnete des Deutschen Bundestages vor Ort ein Bild über den zivilen Aufbau machen. Mein Antrag auf eine Dienstreise wurde abgelehnt, da ich keinen Besuch in den Stützpunkten der Bundeswehr vorgesehen hatte. Wir haben die Reise dann als Fraktionsreise geplant.

Als Mitglied des Verteidigungsausschusses muss Sie doch interessieren, was die Bundeswehr in Afghanistan so treibt.

Zur Bundeswehr und mit der Bundeswehr fahren alle Abgeordneten, wenn sie nach Afghanistan reisen. Wir wollten aber keine militärische, sondern ausdrücklich eine rein zivile Reise unternehmen.

Und das war unmöglich?

In Afghanistan herrscht Krieg und so mussten wir uns Gedanken über unsere Sicherheit machen. Dafür zuständig ist die Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes. Nach zähem Ringen wurde ein Konzept für unsere Sicherheit gefunden, mit dem wir uns halbwegs arrangieren konnten. Aber im Laufe der weiteren Planungen wurde ein ziviles Sicherheitsprogramm von Seiten des Auswärtigen Amtes für unmöglich erklärt. Mit dem Argument, die Sicherheitslage in Afghanistan lasse nichts anderes zu, hat das Auswärtige Amt einfach die Bundeswehr eingeschaltet. Beispielsweise wurde die Programmplanung für Kunduz gegen unseren ausdrücklichen Willen ausnahmslos in die Hände des militärisch dominierten örtlichen Wiederaufbauteams (PRT) gelegt.

Von Seiten des Auswärtigen Amtes wurde versucht, uns klar zu machen, dass »üblicherweise« politische Reisen nach Afghanistan durch die und mit der Bundeswehr organisiert werden. Das schließt bewaffneten Schutz durch die Bundeswehr und das Fahren mit großen Militärfahrzeugen ein. Das wollten wir auf keinen Fall.

Warum nicht?

Erstens, weil wir beispielsweise durch militärische Begleitung Projekte von afghanischen Nichtregierungsorganisationen gefährdet hätten. Zweitens: die Bundeswehr hätte uns unter ihren Schutzbefehl gestellt. Das heißt, nicht wir, sondern die Bundeswehr bestimmt, wo es lang zu gehen hat. So wäre es uns als Abgeordnete nicht möglich gewesen, selbstgewählten Zielen zu folgen.

Warum reicht die Sicherung durch die Personenschützer des Bundeskriminalamtes nicht aus?

Das müssen Sie das Auswärtige Amt und die Bundeswehr fragen. Die Begleitung durch BKA-Leute war uns eigentlich schon zu martialisch, doch wir hatten einen Kompromiss ausgehandelt – die wären auch bewaffnet gewesen, aber ohne Uniform und wir hätten uns in zivilen gepanzerten Fahrzeugen bewegt. Zudem signalisierten uns einige Projekte, die wir besuchen wollten, dass sie große Probleme mit militärischem Begleitschutz hätten.

Wie ist das zu verstehen?

Der vermeintliche Wiederaufbau Afghanistans wird von der Bundeswehr in sogenannter zivil-militärischer Zusammenarbeit organisiert. Es gibt viele Akteurinnen und Akteure – und um die ging es uns –, die bewusst außerhalb dieses Komplexes agieren. Menschen, die in solchen Projekten arbeiten, gaben uns zu verstehen, dass sie sich durch eine militärische Begleitung bedroht fühlen. Sie wollen nicht mit Militär jeglicher Art in Verbindung gebracht werden. Das ist doch zu respektieren – schließlich geht es um das Leben der Mitarbeiter und den Bestand der Projekte!

Um was für Projekte handelt es sich dabei?

Das sind Projekte in den Bereichen Bildung für Frauen, Einsatz für Frauenrechte und soziale Gerechtigkeit, Landwirtschaft und vor allem Friedensarbeit. Hier gibt es viele Mediationsprojekte und Initiativen gegen die Straflosigkeit für Kriegsverbrechen, die uns sehr interessiert hätten.

Heike Hänsel und Sie sind nun nicht in Afghanistan, Norman Paech ist trotzdem gefahren ...

... seine Reise hat jetzt einen etwas anderen Charakter und er wird uns über die militärische Dominanz berichten können. Im übrigen halten Frau Hänsel und ich das Anliegen unserer Reise aufrecht und wir werden relativ schnell einen neuen Anlauf unternehmen.

* Aus: Neues Deutschland, 14. April 2009


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