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"Weiter so" - "Ein Abzug der Bundeswehr wäre jetzt verantwortungslos" - "Mehr Sicherheit ist nur durch Truppenabzug zu erreichen"

Die Parteien im Deutschen Bundestag positionieren sich - Reaktionen auf den Tod der Polizisten

Die uneinsichtigen Reaktionen der etablierten Parteien auf den Tod der drei Polizisten in Kabul waren zu erwarten gewesen. Ein trotziges "Weiter so", man kann mit Fug und Recht auch sagen: "Augen zu und durch", ist das Motto der Kernaussagen von vier Bundestagsparteien, die Grünen ausdrücklich eingeschlossen. Letztere unterscheiden sich von der Regierungskoalition lediglich dadurch, dass sie das "Weiter so" zeitlich begrenzt wissen wollen - und dass sie stets betonen, wie schwer sie sich bei ihren Entscheidungen tun. Dass die Partei DIE LINKE anders argumentiert, war ebenfalls zu erwarten. Die Nähe zur Position der Friedensbewegung ist nicht zu übersehen. (Siehe hierzu die aktuelle Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag.)
Im Folgenden dokumentieren wir ein paar aktuelle Stellungnahmen der Fraktionen. Sie geben einen Vorgeschmack auf die öffentliche Diskussion in den nächsten Wochen, wenn die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Bundestag ansteht. Da werden alle Register der Volksverdummung gezogen, wie der Kommentar des FDP-Sprechers zeigt, der für den Fall eines Abzugs der Bundeswehr prophezeit: "Dann würden Menschen dort wieder gesteinigt, weil sie Musik hören, oder gehängt, weil sie Fußball spielen."
Die Friedensbewegung ist jedenfalls gewarnt und sollte sich geistige Schienbeinschoner anlegen. Die Informationen, die in unserem Afghanistan-Dossier verfügbar sind, sind hierfür hoffentlich eine brauchbare Grundlage.


Kampf gegen den Terror kann gewonnen werden, "Krieg gegen den Terror" niemals

Zu den drei getöteten deutschen Polizisten in Afghanistan erklärt Wolfgang Gehrcke, Sprecher für internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE:

Es ist furchtbar, dass erneut drei Bürger unseres Landes durch einen Anschlag in Afghanistan ihr Leben verloren haben. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen der Opfer. DIE LINKE war und ist ein entschiedener Gegner von terroristischen Anschlägen und Kriegen. Der Kampf gegen den Terror kann gewonnen werden, ein „Krieg gegen den Terror“ niemals.

Seit langem ist nicht zu widerlegen, dass auch Deutschland in Afghanistan mehr und mehr als Besatzungsmacht wahrgenommen wird. Deutsche Tornados, deutsche Teilhabe an der Operation Enduring Freedom (OEF), die Debatte, den militärischen Einsatz in Afghanistan auszuweiten, wie es die Bundesregierung offensichtlich für nötig hält, sind der Weg weiter in die Sackgasse des Krieges. DIE LINKE tritt für eine grundsätzliche Wende in der deutschen Afghanistanpolitik ein.

Die Bundeswehr darf in Afghanistan nicht weiter aufgestockt sowie die Einsatzgebiete nicht ausgeweitet werden. Im Gegenteil: eine durchdachte Exit-Strategie muss schnellst möglichst entwickelt und umgesetzt werden. Eine neue Afghanistanpolitik fordert rasche und deutliche Zeichen. Solch ein Zeichen wäre, wenn der Deutsche Bundestag den Tornado-Einsatz und die deutsche Beteiligung an der Operation Enduring Freedom beendet und ein Konzept für den Truppenabzug vorlegt. Deutsche Außenpolitik muss in Afghanistan eine nationale Aussöhnung unterstützen.

Mehr Militär in Afghanistan ist weniger Sicherheit – für die deutschen Soldaten, für Entwicklungshelferinnen und –helfer ebenso wie für die afghanische Zivilbevölkerung. Mehr Sicherheit ist nur durch Truppenabzug und ziviles Engagement zu erreichen.


SPD

Gert Weisskirchen, außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion:

Afghanistan braucht ein Klima der Sicherheit, damit die Afghanen ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen können. Afghanistan darf nicht erneut zum Trainingslager und sicheren Hafen für terroristische Aktivitäten werden. Für jedes Mädchen, das in der Schule ohne Angst lernen kann, lohnt es sich, dass der Bundestag die dafür nötigen Mandate nach dem Kabinettsbeschluss demnächst entscheidet.

Die internationale Staatengemeinschaft soll so lange im Rahmen der Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats in Afghanistan bleiben, wie es die demokratisch gewählte Regierung für erforderlich hält. Afghanistan auf dem Weg zu einer sich selbst entwickelnden guten Regierungsform und beim zivilen Aufbau zu unterstützen, wird dazu beitragen, die Region des Mittleren Ostens Schritt für Schritt zu stabilisieren. Die zu beschließenden Mandate dienen diesem Ziel.


CDU/CSU

Eckart von Klaeden, außenpolitischer Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion:

Der erste und wichtigste Grund für einen Afghanistaneinsatz ist nicht humanitärer Natur, sondern unsere eigene Sicherheit: Afghanistan war eine Brutstätte des internationalen Terrorismus, Basis der Al Qaida, und es war richtig, dagegen vorzugehen und dabei auch das radikalislamische Talibanregime zu beseitigen. Ein zweiter Grund ist: Es geht nicht um eine Auseinandersetzung zwischen dem Westen und dem Islam – der Kern der Auseinandersetzung ist vielmehr der innerislamische Konflikt über das richtige Maß der Öffnung und Modernisierung der muslimischen Gesellschaften. Diese Öffnung wird von den Radikalen buchstäblich mit allen Mitteln bekämpft, weltweit, und dabei wird geschaut: Wie verhält sich der Westen in dieser globalen Auseinandersetzung zwischen Moderaten und Fundamentalisten? Es ist daher nötig, dass wir nicht durch Reden, sondern durch Taten zeigen, dass die Kooperation mit dem Westen sich lohnt, dass dadurch ein afghanischer Staat entsteht, der den Interessen der Bevölkerung dient. Wir wollen der afghanischen Bevölkerung helfen, wieder in Frieden zu leben. Wie es in Afghanistan weitergeht, entscheidet mit darüber, ob in diesem globalen Konflikt, der auch in deutschen Moscheen stattfindet, die Moderaten oder die Fundamentalisten gestärkt werden.

Darüber hinaus gibt es übergeordnete Aspekte: Der Afghanistaneinsatz ist das bisher größte Projekt der Nato, ein voreiliger Abzug würde der Leistungsfähigkeit des Bündnisses ein schlechtes Zeugnis ausstellen und es schwer beschädigen. Alle, die für eine multilaterale Außenpolitik sind, müssen das größte Interesse an einem Erfolg des Einsatzes haben – ein Misserfolg wäre Wasser auf den Mühlen jener, die schon immer gesagt haben, so ein Einsatz lasse sich nur mit einer Koalition der Willigen durchführen. Zu guter Letzt: Es werden drei Gründe für einen Abzug immer wieder genannt: Von Afghanistan gehe keine Gefahr mehr aus; der Kampf gegen Al Qaida in Afghanistan sei militärisch gewonnen; eine Gesellschaft wie die afghanische lasse sich ohnehin nicht stabilisieren. Alle drei halte ich für falsch. Trotz beeindruckender Erfolge ist die Gefahr noch nicht gebannt: Die Sicherheitslage verschlechtert sich, der Drogenanbau weitet sich aus. Auch wenn Afghanistan heute kein sicherer Hafen mehr für Al Qaida ist, darf das Land nicht wieder in den Zustand vor der Intervention zurückfallen. Und wir müssen alles tun, um eine Rückkehr der Radikalen an die Macht zu verhindern. Dazu muss Afghanistan so stabil werden, dass sich die Entwicklung des Landes nach einem Abzug der Nato fortsetzen kann. Es geht um selbsttragende Stabilität, nicht um den Aufbau eines Staates nach westlichem Maßstab oder Vorbild. Das ist ein ehrgeiziges, aber erreichbares Ziel, für das wir aber mehr Geduld und Engagement als bisher brauchen.

Die Köpfe und Herzen der Afghanen sind militärisch nicht zu gewinnen, aber das Militär ist zum Schutz des Aufbaus unverzichtbar. Das haben die jüngsten Morde an drei Deutschen in Kabul und die Entführungen und Hinrichtungen ausländischer Geiseln in den letzten Wochen wieder auf entsetzliche Weise deutlich gemacht. Die Taliban glauben, uns so einschüchtern und auf die innenpolitische Diskussion in Deutschland in ihrem Sinne Einfluss nehmen zu können. Deswegen dürfen wir gerade jetzt an unserer Entschlossenheit keinen Zweifel lassen.


FDP

Dirk Niebel, Generalsekretär:

Der Anschlag bei Kabul zeigt, wie gefährlich aber auch notwendig die deutsche Hilfe dort ist. Ein Abzug der Bundeswehr wäre jetzt verantwortungslos. Dann würden Menschen dort wieder gesteinigt, weil sie Musik hören, oder gehängt, weil sie Fußball spielen. Es gibt positive Entwicklungen beim Aufbau einer Zivilgesellschaft in Afghanistan, zu denen Deutschland beitragen konnte. Die müssen jetzt stabilisiert werden. Taliban und Al Qaida würden einen deutschen Abzug als Erfolg ihrer Terrorstrategie werten – mit unabsehbaren Folgen auch für uns in Deutschland.

Vor dem Hintergrund der traditionell ausgeprägten afghanisch-deutschen Beziehungen sollten wir einen spürbaren Beitrag zum zivilen Aufbau leisten. Das liegt zugleich im Sicherheitsinteresse Deutschlands und unserer Verbündeten. Eine militärische Absicherung der Aufbauleistungen ist unumgänglich. Ein Ungleichgewicht zugunsten des Militärischen dürfen wir aber nicht zulassen. Für ausnahmslos alle Truppen in Afghanistan muss der Grundsatz gelten, Vertrauen bei der Bevölkerung zu schaffen.

Es kann aber keinen Automatismus für das Afghanistanengagement geben. Unsere Zustimmung zur Verlängerung der Mandate hängt von der Bundesregierung ab. Sie muss klare politische Vorgaben machen: Was will sie mit den Einsätzen erreichen und in welcher Zeit? Die Bundesregierung muss dann auch deutlich sagen, wann die einheimischen Autoritäten in der Lage sein sollen, die Staatsgewalt selbst auszuüben als Bedingung für den Rückzug der Nato. Zusätzliche Truppen bringen uns einer Lösung ebenso wenig näher wie der Traum von einer Demokratie nach unserem Ebenbild. Es geht dort aber sehr wohl um Freiheit und Menschenwürde bei Achtung der traditionellen Gegebenheiten.


BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN

Claudia Roth, Bundesparteivorsitzende:

Wie elementar diese Frage ist, verdeutlicht die gestrige Ermordung der drei deutschen Polizisten. Ich trauere um die Getöteten. Meine Anteilnahme gehört den Angehörigen und Freunden. Kann ich im Bundestag zustimmen, deutsche Staatsangehörige in solch gefährliche Mission zu schicken? Diese Frage gehört zu den schwierigsten, die man sich als Parlamentarierin stellen muss.

Ich bin überzeugt davon, dass es gute Gründe für die zeitweilige Anwesenheit deutscher Soldaten und Polizisten in Afghanistan gibt. Zurzeit sind etwas mehr als 3000 deutsche Soldaten und Soldatinnen im Rahmen von Isaf dort. Isaf ist mit einem klaren UN-Mandat ausgestattet und auf Bitten der gewählten afghanischen Regierung im Land. Die multinationale Truppe hat den Auftrag, Afghanistans Regierung zu unterstützen und ein sicheres Umfeld für die Entwicklung des Landes zu schaffen. Deutsche Soldaten sind also aus Gründen von Solidarität und Hilfe für die Menschen in Afghanistan. Bei Besuchen in Afghanistan erhalten wir – gerade aus der Zivilgesellschaft – immer wieder eine eindeutige Botschaft: Bitte lasst uns nicht im Stich! Wenn ihr abzieht, kehrt der Bürgerkrieg der 90er zurück!

Nun liegt die Frage nahe, warum ausgerechnet deutsche Soldaten oder Polizisten in einen solch gefährlichen Einsatz gehen? Wir engagieren uns auch dort, weil Deutschland ein Interesse an einer stabilen internationalen Ordnung hat, die nicht auf dem Recht des Stärkeren, sondern auf den Grundsätzen des Völkerrechts beruht. Dreh- und Angelpunkt eines solchen internationalen Systems sind die Vereinten Nationen. Als Mitglied der Vereinten Nationen, der OSZE, der EU und der Nato ist die Bundesrepublik auch verpflichtet, ihren angemessenen Beitrag zur kollektiven Sicherheit und zum Erhalt des Weltfriedens zu leisten.

Damit aber nicht genug. Der furchtbare Anschlag auf das World Trade Center hat nicht nur den USA, sondern allen Demokratien gegolten. Die Hintermänner dieses Anschlages hatten in Afghanistan unter der Herrschaft der Taliban einen sicheren Hafen, von dem aus sie ungestört ihre Taten planen konnten. Daher haben wir Grüne nach dem 11. September einer Unterstützung der amerikanisch geführten Operation Enduring Freedom zur Bekämpfung des Terrorismus zugestimmt.

Im Gegensatz zu anderen Parteien haben wir uns die Zustimmung zu oder auch die Ablehnung von Militäreinsätzen nie leicht gemacht. Kontinuierlich haben wir unsere Position hinterfragt, uns ein Bild vor Ort gemacht und die Argumente dafür und dagegen abgewogen. Daher haben wir uns gegen eine deutsche Beteiligung am Irakkrieg gestemmt und unsere Position zu Enduring Freedom verändert. Seit 2006 unterstützen wir diese Mission, anders als Isaf, nicht mehr, weil das Vorgehen der USA im Süden Afghanistans nicht mehr Sicherheit schafft, sondern durch die vielen zivilen Opfer nur Hass und Gewalt verstärkt. Deutsche Soldaten dürfen zu einer solchen Eskalation nicht beitragen, daher lehnen wir eine Ausweitung des deutschen Mandates auf Afghanistans Süden ab. Auch habe ich dem Tornadoeinsatz im Bundestag nicht zugestimmt. Die 70 Millionen Euro Kosten wären besser in den zivilen Wiederaufbau investiert.

Wir fordern daher die Bundesregierung auf, sich in der Nato für ein Vorgehen einzusetzen, das die Bekämpfung des Terrorismus in Einklang mit dem Schutz der Zivilbevölkerung bringt. Ziel muss sein, dass sich Afghanistan ohne Einmischung von außen selber regieren und die internationale Gemeinschaft mittelfristig den Einsatz erfolgreich beenden kann. Militär kann helfen, ein Zeitfenster für einen Wiederaufbau zu schaffen. Militär selber kann diesen Wiederaufbau aber nicht leisten. Daher müssen die zivilen Anstrengungen verstärkt werden.

Quelle: Websites der Fraktionen, Der Tagesspiegel vom 16. August 2007 (online)


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