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Petraeus: Wir fühlen uns geehrt, jetzt gemeinsam operieren zu können

US-General zum Einsatz in Afghanistan. David Petraeus im Gespräch mit Wolfgang Labuhn (Deutschlandfunk) *


Der Kommandeur der internationalen Afghanistan-Schutztruppe, US-General David Petraeus, hat den stärkeren Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch gewürdigt. Die deutschen Einheiten leisteten erheblich mehr als noch vor wenigen Monaten. Vor allem in den Provinzen Baghlan und Kunduz gehe die Bundeswehr in beeindruckender Weise gegen Aufständische vor.

Dirk Müller: Bis 2014 soll der Einsatz in Afghanistan offiziell noch dauern. Bis dahin sollen die meisten Soldaten der internationalen Schutztruppe ISAF abgezogen sein, auch die deutschen Kontingente. Der Krieg gegen die Taliban und andere Aufständische wird für die westlichen Truppen immer verlustreicher. Viele Beobachter sagen, die Schlacht ist längst verloren. - Mein Kollege Wolfgang Labuhn hatte Gelegenheit zu einem Gespräch mit US-General David Petraeus. Er ist der Chef der ISAF-Truppe am Hindukusch.


Wolfgang Labuhn: General Petraeus, Sie haben die Hoffnungen auf einen baldigen Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan gedämpft. Wie lange werden die ISAF-Truppen, darunter das deutsche Kontingent, denn nun in Afghanistan bleiben müssen, fünf Jahre, zehn Jahre?

David Petraeus: Auf dem NATO-Gipfeltreffen in Lissabon ist als wichtigstes Ziel beschlossen worden, dass afghanische Kräfte bis Ende 2014 im ganzen Land für die Sicherheitsaufgaben verantwortlich sein sollen. Ursprünglich hatte Präsident Karsai dieses Ziel formuliert. Als Ergebnis des Lissabon-Gipfels haben es sich nun auch die Staats- beziehungsweise. Regierungschefs der NATO zueigen gemacht. Ich halte dies für ein sehr wichtiges Ziel, ich halte es auch für ein realistisches Ziel. In Lissabon wurde aber auch festgehalten, dass die Unterstützung für Afghanistan danach auf verschiedene Weise weitergehen wird. Doch diese Unterstützung in den kommenden Jahren wird sich sehr deutlich von der jetzigen unterscheiden.

Labuhn: Das deutsche Militärengagement in Afghanistan ist in Deutschland sehr unpopulär. Der deutsche Außenminister spricht nun von der Möglichkeit, 2012 mit ersten Reduzierungen der deutschen Einheiten beginnen zu können. Teilen Sie diese Ansicht?

Petraeus: Zunächst einmal werden wir 2011 den Übergabeprozess einleiten. Das heißt, gewisse Aufgaben werden nach und nach den afghanischen Sicherheitskräften und den kommunalen Stellen übertragen. In Lissabon wurde vereinbart, diesen Prozess von der jeweiligen Lage vor Ort abhängig zu machen. Dabei werden unsere Truppen aber nicht komplett abgezogen, sondern zunächst nur ausgedünnt. Es wird da kein Wettrennen zum Ausgang geben. Vielleicht werden einige der frei werdenden Einheiten quasi "reinvestiert" in bereits geräumten, aber neu umkämpften Gebieten. Dieser Prozess könnte aber auch bedeuten, dass einige Truppenteile sich auf den Weg nach Hause machen. Das wird alles von der jeweiligen Situation vor Ort abhängen.

Labuhn: Der deutsche Außenminister meint ferner, die Sicherheitsverantwortung für mindestens eine Provinz im Norden bereits im kommenden Jahr den afghanischen Kräften übergeben zu können. Entspricht dies auch Ihrer Planung?

Petraeus: Auch dieser Prozess wird gemeinsam entschieden werden. Es wird letztlich eine politische Entscheidung afghanischer Stellen und der NATO sein. Es gibt eine gemeinsame Übertragungsinstanz beider Seiten, die diesen Prozess leiten wird. Wir haben eine erste Bewertung des Möglichen abgeliefert, und vielleicht wird es dann auch möglich sein. Doch auch hier gilt: Es wird davon abhängen, wie die Lage vor Ort sich zum möglichen Übergabezeitpunkt darstellt.

Labuhn: Sie haben den deutschen Beitrag zur Bekämpfung von Aufständischen in Nordafghanistan gelobt. Dennoch: Könnte das von Deutschland geführte ISAF-Regionalkommando Nord nicht noch mehr zur Verbesserung der Sicherheitslage in Gebieten unternehmen, die weiterhin von Taliban-Kräften kontrolliert werden?

Petraeus: Eigentlich wollen wir ja die afghanischen Sicherheitskräfte in die Lage versetzen, mehr zu tun, ehrlich gesagt. Die deutschen Einheiten leisten bereits erheblich mehr als noch vor wenigen Monaten. Sie sind umgruppiert worden, die Bataillone sind jetzt als Eingreiftruppen aufgestellt worden, die vor allem in den Provinzen Baghlan und Kundus Operationen gegen Aufständische durchführen. Sie tun dies in einer sehr beeindruckenden Weise, wie ich gesehen habe, als ich die Einheiten vor Ort besuchte und an Patrouillen teilnahm. Unsere gemeinsame Anstrengung ist darauf gerichtet, die Zahl der afghanischen Truppen zu erhöhen, damit sie einige jener Aufgaben übernehmen können.

Labuhn: Die US-Armee setzt jetzt schwere Kampfpanzer in Afghanistan ein, um die Kampfkraft gegen die Taliban-Kräfte zu erhöhen. Deutschland ist stolz auf seinen Leopard-2-Panzer, den man für einen den besten der Welt hält. Sollte dieser Panzer nicht auch im Norden eingesetzt werden, um dort die deutschen Kampffähigkeiten zu verbessern?

Petraeus: Wir setzen diese Panzer - eigentlich ist es nur eine Kompanie mit 12 Panzern - hauptsächlich wegen ihrer optischen Ausstattung ein, wegen ihrer weitreichenden Wärmebild-Technologie zum Beispiel, aber auch wegen des Schutzes, den sie bieten, und wegen ihrer Beweglichkeit, nicht so sehr wegen ihrer Kanone. Sie sollen in flachen Wüstengebieten eingesetzt werden, um dort Aufständische aufzuspüren, die aus ihren Rückzugsgebieten zurückkehren. Dieses Problem sehe ich nicht in den Gebieten, in denen deutsche Truppen eingesetzt werden. Auch das Gelände dort ist anders. Der Einsatz schwerer Kampfpanzer im Norden ist also nur eine sehr entfernte Möglichkeit.

Labuhn: Deutsche Kommandeure im Norden beschweren sich über die zu geringe Feuerkraft ihrer Einheiten dort. Erst die Verlegung amerikanischer Luftlandetruppen und Kampfhubschrauber nach Mazar-i Scharif habe die Situation verbessert. Heißt das nicht, dass die deutschen Einheiten nicht ausreichend bewaffnet sind, um dort operieren zu können?

Petraeus: Ich bin mit deutschen Soldaten unterwegs gewesen. Sie haben sehr gute gepanzerte Fahrzeuge, nicht gerade Leopard-Panzer, aber gepanzerte Radfahrzeuge, die für den dortigen Einsatz sogar besser geeignet sind, und die auch über die nötige Feuerkraft verfügen. Ich möchte hinzufügen, dass wir uns geehrt fühlen, jetzt zusammen operieren zu können und dabei auch die Kampfhubschrauber einbringen können, die wir auch allen anderen ISAF-Nationen in Afghanistan zur Verfügung stellen, wo immer diese operieren.

Labuhn: NATO und ISAF erproben in Afghanistan eine neue Strategie, bei der gemeinsam mit den afghanischen Sicherheitskräften die Kontrolle über Gebiete erlangt und gehalten werden soll, in denen sie vorher nicht waren. Können Sie uns kurz berichten, wie die Aktion verläuft?

Petraeus: Auf dem Gipfeltreffen von Lissabon habe ich die Einschätzung abgegeben, dass wir die Taliban in vielen Landesteilen gestoppt haben, keineswegs überall, aber doch vielerorts. Und in einigen wichtigen Gebieten haben wir die Sache auch umgedreht. Dazu gehört unter anderem die Provinz Kabul, wo ein Sechstel der afghanischen Bevölkerung lebt. Und dort - abgesehen von einem Bezirk - haben nun die afghanischen Kräfte die Sicherheitsverantwortung, ebenso in einigen wichtigen Bezirken westlich von Kandahar, in der Mitte der Provinz Helmand und an anderen Orten, wo der Prozess umgesetzt wird. Das sind wichtige Erfolge. Und die deutschen Truppen sind an ähnlichen Aktivitäten in Baghlan und Kundus beteiligt, wo es ebenfalls wichtige Bezirke gibt, die von Taliban-Kräften gesäubert wurden und die nun von einer Kombination aus ISAF-Kräften - darunter deutsche Einheiten - und afghanischen Einheiten gehalten werden.

Labuhn: General, thank you very much.

Petraeus: Bitte schön.

Müller: Mein Kollege Wolfgang Labuhn im Gespräch mit US-General David Petraeus, Chef der ISAF-Truppe in Afghanistan.

* Aus: Deutschlandfunk, 25. November 2010; www.dradio.de


Danke, General, aber ...

Von René Heilig **

Ach ja, dieser US-General Petraeus ist schon ein netter Typ. Der kommt nicht so ungehobelt daher wie sein Vorgänger, der die Deutschen in Afghanistan als faul und feige betrachtete. Nein, Petraeus kommt zu seinen Untergebenen nach Deutschland und sagt danke. Nicht nur dem Guttenberg; nein, auch gestern früh im Radio: » Die deutschen Einheiten leisten bereits erheblich mehr als noch vor wenigen Monaten. Sie sind umgruppiert worden, die Bataillone sind jetzt als Eingreiftruppen aufgestellt worden, die vor allem in den Provinzen Baghlan und Kundus Operationen gegen Aufständische durchführen. Sie tun dies in einer sehr beeindruckenden Weise.«

Danke, General, nur: Was sind »Eingreiftruppen«? So etwas hat doch die Bundeswehr gar nicht in Afghanistan, sagt die Bundeswehr und das sagt auch die Regierung, wenn sie – wie demnächst wieder – eine Mandatsverlängerung erreichen will. Da redet man von »Ausbildungs- und Schutzbataillonen«, also quasi von Fachleuten, die afghanischen Kameraden zeigen, wie man die Mütze so ordentlich trägt, dass die Bürger stolz sind auf ihre uniformierten Söhne. Was die »beeindruckende Weise« betrifft, mit der die Bundeswehr operiert – in Dänemark läuft gerade ein Film über dessen Afganistan-»Ausbilder«. Er schockiert, denn er zeigt in erschreckender Weise den Job moderner Krieger. Nicht nur die Kampfanzüge von Dänen und Deutschen sind nahezu identisch.

** Aus: Neues Deutschland, 26. November 2010 (Kommentar)


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