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Neuer Afghanistan-General hat über Vietnam promoviert

Obama feuerte den lästerhaften McChrystal, ernannte den diplomatischen Petraeus und hält an erfolgloser Kriegsstrategie fest

Von René Heilig *

US-Präsident Barack Obama hat den bisherigen US- und ISAF-Kommandeur in Afghanistan, Stanley McChrystal, gefeuert. Nun erwartet er vom erfahrenen Irak-Krieger David Petraeus, dass die US-Strategie am Hindukusch aufgeht.

Der plötzliche Wechsel an der Spitze des Afghanistan-Kommandos war durch einen Bericht im Magazin »Rolling Stone« ausgelöst worden. Darin sind McChrystal und Mitarbeiter seines Stabes mit höchst abfälligen Bemerkungen über führende US-Politiker zitiert. Obama wurde als ahnungslos und Vizepräsident Joe Biden als unbedeutend hingestellt. Man zog über den Sondergesandten Richard Holbrooke, über Sicherheitsberater Jim Jones und den Botschafter in Kabul, Karl Eikenberry, her.

Obama zitierte den General am Mittwoch (23. Juni) nach Washington und beendete dessen Karriere. Als der Präsident und Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte dann den Vier-Sterne-General David Petraeus als Nachfolger für das US- und ISAF-Kommando in Afghanistan vorstellte, vermied er den Eindruck, dass damit auch ein Strategiewechsel verbunden ist. Dennoch kommt der Personalwechsel zu einem höchst ungünstigen Zeitpunkt. Die neue Afghanistan-Strategie und die dazu auf der Londoner Konferenz Anfang des Jahres beschlossenen Maßnahmen der westlichen Koalition sind mit der Person McChrystal eng verbunden.

Doch man kommt nicht recht voran. Die Ausbildung afghanischer Polizisten und Militärs ist jenseits offizieller Verlautbarungen. Wirtschaftshilfe bleibt aus. Vor zwei Wochen wurde die geplante Großoffensive in der Provinz Kandahar abgesagt. Im Norden verstärkt sich der Widerstand. So kommen auch in den USA ernste Zweifel auf, ob der von Obama versprochene US-Abzugsbeginn im Sommer kommenden Jahres zu halten ist. Das hat natürlich Auswirkungen auf die anderen Truppensteller, auch auf Deutschland.

McChrystal hatte im vergangenen September in einer Lageeinschätzung geschrieben, sollte in den nächsten zwölf Monaten keine Trendumkehr in Afghanistan erreicht werden, riskiere man »ein Ergebnis, bei dem ein Sieg über den Aufstand nicht länger möglich ist«. Es ist nicht vorstellbar, dass General Petraeus das Ruder in den verbleibenden drei Monaten herumreißen kann. In diesem Jahr hat der Einsatz am Hindukusch nach Zählung des unabhängigen Internetdienstes icasualties.org bereits rund 300 ausländische Soldaten das Leben gekostet – mehr als im gesamten Jahr 2008. Im vergangenen Jahr starben über 500 ausländische Soldaten. Allein in dem noch nicht beendeten Monat Juni sind über 80 tote Sicherheitskräfte zu beklagen.

Im Gegensatz zur Kritik aus Washington hatte McChrystal stets die volle Unterstützung der NATO. Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen stellte sich noch am Mittwoch (23. Juni) hinter den Oberbefehlshaber der ISAF-Truppen. Der deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hielt sich bereits vor dem vollzogenen Wachwechsel aus Personellem heraus und betonte, er erwarte »keinen Bruch in der Strategie«. Petraeus habe bereits als Oberbefehlshaber in Irak »mit klugen Schritten eine Perspektive aufgezeigt und umgesetzt«. Ob die zum Frieden führt, ist noch nicht bewiesen.

David H. Petraeus (58) hat bereits in Irak eine – aus US-Sicht – relativ glückliche Hand bei der sogenannten Aufstandsbekämpfung bewiesen. Der neue Afghanistan-Oberbefehlshaber gilt als ein »politischer« General. Am Dienstag soll er vor dem US-Senat erscheinen, der seine Zustimmung zur Ernennung geben muss.

Petraeus ahnt die Konsequenzen, die aus einer möglichen Niederlage am Hindukusch resultieren: Der Titel seiner Promotion lautet: »Das amerikanische Militär und die Lehren aus Vietnam«.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Juni 2010


Der alte Neue

Von Olaf Standke **

David Petraeus also für Stanley McChrystal. Der Neue auf dem Posten des NATO-Oberbefehlshabers am Hindukusch ist so neu nicht, die Strategie soll ohnehin die alte bleiben, und die Taliban haben schon angekündigt, ihren Kampf wie gehabt fortzusetzen. Auch Bundesverteidigungsminister Guttenberg, der so tat, als hänge das Wohl und Wehe Afghanistans allein vom geschassten General mit dem losen Mundwerk ab, wird schnell zur Tagesordnung übergehen. Und die verspricht nichts Gutes. Denn McChrystal hinterlässt ein schweres Erbe. Er hatte auf eine massive Aufstockung der ausländischen Truppen gesetzt und auf »Großoffensiven«, die inzwischen verschoben und zum längeren »militärischen Prozess« umgedeutet werden.

Mit anderen Worten: Auch die Strategie von Präsident Obama droht zu scheitern. Und Petraeus war als Chef des US-Zentralkommandos in diese Ausrichtung federführend eingebunden. Er habe als Oberbefehlshaber in Irak »mit klugen Schritten eine Perspektive aufgezeigt und umgesetzt«, lobt Guttenberg nun ihn über den grünen Klee. Doch wie weit das Zweistromland von einer nachhaltigen Befriedung und von lebenswerten Perspektiven für alle Bewohner entfernt ist, zeigen die täglichen Meldungen über Anschläge, Armut und Korruption. Ein Großteil der US-Truppen aus Irak wurde inzwischen an den Hindukusch verlegt. So lange Generäle das Vorgehen in Afghanistan bestimmen, wird der Krieg weitergehen.

** Aus: Neues Deutschland, 25. Juni 2010 (Kommentar)


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