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Taliban kaufen

Korruption statt Menschenrechte

Von Norman Paech *

»Wie können wir die Entsendung von noch mehr Soldaten unseren Landsleuten am besten verkaufen?« Dieses scheint derzeit die drängendste Frage vor einer offensichtlich unvermeidlichen Entscheidung zu sein, die Bundeswehr für die nächsten Kämpfe deutlich aufzustocken. Das Auswärtige Amt greift dabei auf eine alte Taktik zurück, die Minister Westerwelle seit Tagen vor sich herträgt: den Feind nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Geld schwächen. Korrumpierung des Feindes durch Aufkauf gehört seit alters her zur Kriegführung, und sie wird auch ihre Erfolge vorweisen können. Doch auch wenn die Bestechung ganzer Völker in Vietnam wie einzelner Führer in Irak manche Schlacht erleichtert hat, zu einer Kriegswende hat sie nie geführt.

In Berlin hat man zwei Faktoren immer noch nicht begriffen, die dieser Taktik in Afghanistan ganz sicher keinen Erfolg bescheren werden. Tatsache ist, dass sich der Widerstand heute nur noch zu einem geringeren Teil aus fundamentalistischen Taliban rekrutiert. Gewiss gibt es viele, die aus Geldmangel und mangels jeglicher existenzieller Perspektive ihren Weg zum Widerstand gefunden haben. Sie jedoch aus dem Widerstand herauszukaufen, gelänge nur, wenn man ihnen eine wirkliche berufliche Zukunft oder eine monatliche Rente geben würde. Der entscheidende Faktor ist jedoch, dass das den ganzen Widerstand einigende Ziel die Beseitigung der fremden Besatzung ist. Und dieses Ziel wird man denen, die dafür zur Waffe gegriffen haben, nicht abkaufen können.

Eine weitere Tatsache ist die Korruption, die man zwar täglich beklagt, aber immer noch nicht begriffen hat. Sie ist nämlich nicht ein genetischer Defekt des Afghanen, wie er in unseren Medien dargestellt wird, sondern auch ein direktes Produkt der Besatzung. Wie das UN-Büro für Drogen und Verbrechen (UNODC) jetzt berichtet, haben Afghanen 2009 2,5 Milliarden Dollar an Bestechungsgeldern gezahlt. Das wird nur noch durch die 2,8 Milliarden Dollar aus dem Opium-Handel übertroffen. Das heißt, dass Bestechung und Drogen die beiden größten Einkommensquellen in Afghanistan sind. Die Afghanen sind über diesen Zustand ihrer Gesellschaft, den es vorher so nicht gab, selbst entsetzt. 59 Prozent bezeichnen die Korruption als ihre größte Sorge – noch vor der sich verschlechternden Sicherheit, der Armut und der Arbeitslosigkeit.

Doch das Büro weist auch daraufhin, dass die internationalen Kontraktfirmen, das US-Militär und die NGO tief in dieses Netz von Korruption und Bestechung verwoben sind. Was nutzen die Vorwürfe gegen Karzai, wenn gleichzeitig bekannt wird, dass sein Bruder auf der Gehaltsliste der CIA steht? Es gibt zahllose vergleichbare Fälle. Der US-Generalinspekteur für den Wiederaufbau räumt ein, dass sich drei Viertel seiner untersuchten Korruptionsfälle gegen Verdächtige aus dem Westen richten.

Diesen Markt will Westerwelle jetzt mit einem neuen Angebot betreten. Nur eines wird er damit mit Sicherheit erreichen: dass sich bei den Afghanen der Eindruck festsetzt, dass aus den drei Versprechen der westlichen Welt – Demokratie, Menschenrechte und Sicherheit –, schließlich nur die Korruption herausgekommen ist.

* Der Völkerrechtler Prof. Norman Paech war von 2005 bis 2009 außenpolitischer Sprecher der Bundestags-Linken.

Aus: Neues Deutschland, 28. Januar 2010



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