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"Wir bringen Frieden"

Von Rüdiger Göbel *

In der Provinz Helmand warten Tausende NATO-Soldaten auf den Angriffsbefehl zur größten Offensive seit Beginn der Afghanistan-Invasion im Jahr 2001. Ziel der von einheimischen Hilfstruppen unterstützten Operation mit dem Codenamen »Muschtarak« (»gemeinsam«) ist die Vertreibung der Taliban aus der Region. Vor den Bombardements haben die US-Streitkräfte eine Beschwichtigungskampagne gestartet. Am Freitag verteilten die Besatzer Flugblätter mit der Warnung, die Aufständischen »nicht zu beherbergen und nicht auf eigene Grundstücke zu lassen«. Auf den in der Stadt Marja verteilten Flyern hieß es weiter: »Die Truppen kommen, um Ihnen zu helfen. Wir bringen Frieden.« Dieselben Parolen wurden über Lautsprecherdurchsagen verbreitet und im Radio verlesen. Allein, die Bevölkerung glaubt der Propaganda nicht. Agenturberichten zufolge verließen bereits rund 400 Familien die Region. Die Behörden breiten sich auf eine noch größere Zahl von Flüchtlingen vor. Marja zählt etwa 80000 Einwohner.

Laut Basler Zeitung bereiten sich insgesamt 20000 Soldaten auf »die größte Schlacht« im Afghanistan-Krieg vor. Zur Kriegführung heißt in dem Schweizer Blatt: »Die Offensive wird zum größten Teil von Fußtruppen durchgeführt, da das Terrain rund um Marja von Bewässerungskanälen durchzogen ist, die vor Jahrzehnten von der amerikanischen Regierung selbst gebaut wurden, um die Landwirtschaft in Helmand zu fördern, und sich später aber leider auch als ideal für den Anbau von Mohn zeigten.«

In der Provinz Paktia gehen die afghanischen Behörden derweil Vorwürfen nach, wonach bei einem Militäreinsatz wieder Zivilpersonen getötet worden sind. Die Besatzer behaupten, beim gemeinsamen Vorgehen mit afghanischen Soldaten seien mehrere Aufständische getötet worden.

Die Agentur AP verwies auf Widersprüche bei der NATO-Version: In einer ersten Mitteilung hieß es demnach, bei der Durchsuchung eines Anwesens habe die Einheit eine »grausige Entdeckung« gemacht: In einem Nebenraum seien die Leichen von drei gefesselten und geknebelten Frauen versteckt gewesen. In einer zweiten Stellungnahme Stunden später war – ohne weitere Erklärung der widersprüchlichen Angaben – die Rede von zwei gefesselten und geknebelten Frauenleichen und zwei toten Männern.

Überlebende der Kommandoak­tion werfen den Besatzern vor, fünf Unschuldige liquidiert zu haben. Ein Familienangehöriger der Toten schilderte AP den Vorfall telefonisch: In dem Haus waren demnach etwa 20 Menschen zusammengekommen, um die Geburt eines Sohnes zu feiern. US-Spezialkräfte umstellten das Anwesen. Ein Mann, der in den Hof hinaustrat, um nach dem Grund zu fragen, wurde niedergeschossen. Ebenso ein zweiter. Die übrigen Anwesenden wurden aus dem Haus geholt, sie mußten sich hinknien und wurden gefesselt. Der Lokalpolitiker Schahjesta Dschan Ahadi erklärte, an der Operation seien keine afghanischen Soldaten beteiligt gewesen.

Das Nachrichtenmagazin Stern berichtet in seiner aktuellen Ausgabe, die Besatzungstruppen in Afghanistan arbeiten geheime Todeslisten ab. Auf diesen sollen die Namen hoher und mittlerer Kommandeure stehen, die erst aufgespürt und dann entweder gefangen genommen (Code »c« für »capture«) oder auch getötet werden (»k« für »kill«). An solchen Aktionen ist neben amerikanischen Spezialeinheiten auch das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr beteiligt.

* junge Welt, 13. Februar 2010


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