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NATO wird "so lange bleiben wie nötig"

Rasmussen zur Afghanistan-Strategie *

Eine Woche vor der Präsidentenwahl in Afghanistan hat NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen das langfristige Engagement des Militärbündnisses am Hindukusch bekräftigt.

»Niemand weiß, wie lange es dauern wird. Aber wir werden so lange bleiben, wie es nötig ist, um Frieden und Stabilität nach Afghanistan zu bringen«, erklärte Rasmussen am Donnerstag in einem Video-Blog im Internet. Wichtig sei dabei vor allem, die Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei weiter zu verstärken.

In der nordafghanischen Provinz Kundus, dem Einsatzgebiet der Bundeswehr, entging unterdessen der ehemalige afghanische Präsident Burhannudin Rabbani einem Attentat. Sein Konvoi wurde nach Angaben des regionalen Gouverneurs von Talibanrebellen angegriffen. Polizisten vom Begleitschutz Rabbanis töteten bei einem Schusswechsel drei Rebellen. Rabbani blieb nach Angaben eines Mitarbeiters unversehrt, zwei Polizisten starben bei dem Schusswechsel. Rabbani macht derzeit Wahlkampf für den Kandidaten Abdullah Abdullah, den wichtigsten Herausforderer von Präsident Hamid Karsai bei der Wahl am 20. August. Neue Kämpfe und Anschläge forderten unterdessen mindestens 25 Menschenleben. In der südafghanischen Unruheprovinz Helmand starben elf Zivilisten, als deren Fahrzeug durch einen Sprengsatz zerstört wurde.

Auch drei britische Soldaten sind am Donnerstag (13. Aug.) in Afghanistan getötet worden. Die Männer kamen bei einer Explosion ums Leben, als sie sich zu Fuß auf Patrouille in der Helmand-Provinz befanden, wie das Verteidigungsministerium in London mitteilte. Damit erhöhte sich die Zahl der britischen Soldaten, die seit Beginn des Einsatzes gegen die Taliban im Jahr 2001 getötet wurden, auf insgesamt 199.

* Aus: Neues Deutschland, 14. August 2009


Solange sie wollen

Von Roland Etzel **

Afghanistans Präsident Hamid Karsai wird gestern aufgeatmet haben. Die NATO wird, so erfuhr er von deren neuem Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen aus Brüssel, noch »so lange bleiben, wie es nötig ist« für Frieden und Stabilität. Das ist für Karsai eine echte Jobgarantie, denn wenn auch nicht für Frieden und Stabilität, aber für ihn selbst wird es wohl sehr lange nötig sein. Mit den 100 000 Mann starken NATO- und US-Truppen im Land ist Karsai wenigstens noch eine Art Statthalter von Kabul. Zögen sie ab, sähe es für ihn sehr schnell sehr unerfreulich aus. Mitzugehen wäre dann die einzig erfolgversprechende lebenserhaltende Maßnahme für den amtierenden Präsidenten.

Was Rasmussen unter Stabilität versteht, blieb ungesagt. Aber mit der Klientel- und Cliquenwirtschaft Karsais wird schwerlich etwas anderes zu erreichen sein als der Ist-Zustand mit Besatzerwillkür, Terror und dem, was man sonst noch aus vergangenen dreißigjährigen Kriegen kennt. Die USA hätten nächste Woche gern einen weniger kompromittierten Quisling wählen lassen, fanden aber keinen, und so greift man denn wohl oder übel auf den abgehalfterten zurück. Damit aber perpetuiert sich die Begründung für weitere Besatzung von selbst. Rasmussen hätte also genauso gut sagen können: Wir bleiben solangewir wollen.

** Aus: Neues Deutschland, 14. August 2009 (Kommentar)


Allen Drohungen getrotzt

In Afghanistan zur Wahl zu kandidieren, kann für Frauen lebensgefährlich sein. Doch immer mehr wagen es. Zwei bewerben sich um das Präsidentenamt

Von Thomas Berger ***

Wenn am 20. August in Afghanistan ein neuer Präsident gewählt wird, gehen neben Amtsinhaber und Favorit Hamid Karsai 40 weitere Bewerber ins Rennen. Immerhin zwei von ihnen sind Frauen. Shahla Atta und Frozan Fana wissen, daß sie nicht einmal Außenseiterchancen haben. Doch sie sehen ihre Kandidatur auch als Aufruf an die Frauen im ganzen Land, sich nicht unterkriegen zu lassen. Ähnlich verhält es sich mit den Aspirantinnen auf die Plätze in den Provinzversammlungen, über deren Zusammensetzung zeitgleich mit den Präsidentenwahlen entschieden wird. 342 der insgesamt 3196 Bewerber für diese Mandate sind Frauen – lediglich 10,7 Prozent. Doch es sind 40 mehr als vor vier Jahren bei den ersten Wahlen. Und dies, obwohl es für Afghaninnen seither noch gefährlicher geworden ist, sich solcherart in die Öffentlichkeit zu wagen. Einige Kandidatinnen kommen aus den Familien hinlänglich bekannter Warlords, von denen sie als Alibifrauen ins Rennen geschickt werden. Die übergroße Mehrzahl der politisch aktiven Frauen aber riskiert das eigene Leben, wenn sie sich um ein Mandat bewerben.

Nicht nur den fundamentalistischen Taliban, die einen Untergrundkampf gegen das vom Westen gestützte Establishment führen, ist jegliche Kandidatur von Frauen ein Dorn im Auge. Die Gesellschaft als Ganzes ist extrem konservativ-patriarchal geprägt. So durften die drei Provinzialratskandidatinnen im südafghanischen Kandahar bisher im Wahlkampf nicht offen auftreten, wie die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua unter Berufung auf Sima Samar, die Vorsitzende der unabhängigen nationalen Menschenrechtskommis­sion, berichtete. Die Sicherheitslage wie auch die allgemeinen Vorbehalte in der Gesellschaft machten es Frauen unmöglich, ihre politischen Grundrechte wahrzunehmen, sagte Samar auf einer Pressekonferenz am 9.August. Eine Kandidatin im nördlichen Takhar sei direkt bedroht worden. Auf von Unbekannten verbreiteten Flugblättern sei sie vor »ernsthaften Konsequenzen« gewarnt worden, sollte sie an ihrer Bewerbung festhalten.

Geringe Chancen

Solche Erfahrungen dürften ein Grund dafür sein, daß Präsidentschaftskandidatin Frozan Fana eher zurückhaltend auftritt. Politisch beruft sich die 49jährige in erster Linie auf das Werk ihres 2002 von einem Mob ermordeten Mannes, eines früheren Ministers, das sie fortzusetzen gedenke. Im Programm der Ärztin dominieren Allgemeinplätze. Ihr Hauptziel ist die Verbesserung des Gesundheitssystems. Mit ihrem dezenten Outfit gibt sie möglichst wenig Anlaß für Kritik.

Ganz anders ihre Konkurrentin Shahla Atta: Sie trägt Makeup und zeigt ihr Gesicht unter einem locker fallenden Tuch – eine Kampfansage an alle, die jede Frau am liebsten noch immer unter die Burka stecken wollen. Politisch steht die 47jährige Parlamentsabgeordnete eindeutig links. Inhaltlich bezieht sie sich oft auf Expräsident Mohammed Daud, der 1973 den König gestürzt hatte und 1978 einem internen Putsch zum Opfer fiel. Den damals eingeleiteten Modernisierungskurs gelte es ebenso fortzusetzen wie den Kampf gegen die Korruption. »Milliarden Dollar sind verschwendet worden. Doch bevor Karsai dies ändert, sind meine Enkel alt und grau. Also müssen wir Frauen ran«, sagte sie einer US-Reporterin. Doch selbst in der vergleichsweise liberalen Hauptstadtregion kann sie einen Wahlkampf kaum führen. »Für uns ist es sogar schon schwierig, einfach ein paar Leute einzuladen, um beim Tee über Ideen und Vorhaben zu sprechen«, schildert Shinkai Kharokhel, eine andere Parlamentsabgeordnete, die Lage.

Mordanschläge

Bei den ersten Präsidentschaftswahlen 2004 hatte die damals einzige Kandidatin Massouda Jalal mit dem sechsten Platz unter 18 Kandidaten trotz lediglich 1,1 Prozent der Stimmen einen Achtungserfolg errungen. Für Fana und Atta ist selbst mit einem so bescheidenen Ergebnis nicht zu rechnen, weil sie nicht überregional bekannt sind. Zudem ist von einer geeinten Frauenbewegung, die wenigstens einer Kandidatin zu einem nennenswerten Stimmenanteil verhelfen könnte, nichts zu sehen. Die »Afghanischen Schwestern«, eine große Organisation mit 16000 Aktivistinnen, unterstützen Exfinanzminister Ashraf Ghani, der neben dem früheren Außenminister Abdullah Abdullah der einzige ist, der gegen Karsai Chancen hat. Der Liberale verspricht in seinem Wahlprogramm unter anderem die Schaffung von 300000 Jobs für Frauen und von 40 Uni-Dozentinnenstellen.

Daß es lebensgefährlich ist, die korrupte afghanische Männerwelt herauszufordern, weiß keine so gut wie Malalai Joya. »Ich weiß nicht, wie viele Tage ich noch zu leben habe«, sagte die 30jährige Ende Juli in London, wo sie ihr gerade erschienenes Buch mit dem Titel »Raising my Voice« vorstellte. Aufgewachsen in afghanischen Flüchtlingscamps im Iran und in Pakistan, hatte sie unter der Taliban-Herrschaft eine geheime Mädchenschule betrieben und war nach dem Sturz des radikalen Regimes erst 23jährig in die Nationalversammlung gewählt worden. Von Anfang an hatte sie dort in drastischer Offenheit die für die Zerstörung des Landes verantwortlichen Warlords angegriffen. Nachdem sie vor gut zwei Jahren das hohe Haus mit einem Zoo verglichen hatte, wurden ihr die Abgeordnetenrechte entzogen. Fünf Attentate hat sie seither überlebt.

Jede Frau, die zu Wahlen antritt, weiß, wie viele Polizistinnen, Verwaltungsbeamtinnen, Journalistinnen und Politikerinnen bereits ermordet worden sind. Von den 4,5 Millionen wahlberechtigten Afghanen sind immerhin 38 Prozent Frauen. Damit diese wenigstens von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können, wollen die »Afghanischen Schwestern« in schwer zugänglichen Gebieten Fahrgemeinschaften zu den Wahllokalen anbieten. Ganz unabhängig davon, wo die Frauen dann ihr Kreuzchen machen.

*** Aus: junge Welt, 14. August 2009


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