In unserem Namen: Ein schmutziger Krieg
Rückwirkungen auf die deutsche Gesellschaft: Moralische Maßstäbe verlieren ihre Bindungskraft
Von Hans Wallow *
»Wer Afghanistan befrieden will«, sagt Omar Sharif, »kann das von den Tadshiken lernen, die ihr
Land nach dem fünfjährigen Bürgerkrieg wieder schnell stabilisiert haben.« Maskierte Trupps hätten
die Kriegsverbrecher verhaftet, gefesselt und in den Amudarja geworfen, der an seinem Oberlauf die
Grenze zwischen Afghanistan und Tadshikistan bildet.
Der Tadshike Sharif, einst Mitstreiter des Nordallianz-Generals Ahmad Shah Massud, ist als General
und Chef des afghanischen Geheimdienstes im Norden Afghanistans Partner der Bundeswehr. Die
damaligen Opfer waren wie die heutigen paschtunische Stammesführer, die von hochrangigen
Tadshiken und Usbeken als Taliban denunziert werden.
Immer noch schwelt der Bürgerkrieg zwischen den großen Volksgruppen - Paschtunen, Tadshiken,
Usbeken und Hasara. In jeder dieser Gruppen gibt es Täter und Opfer zugleich. Im Norden, den die
Bundeswehr schützen soll, wurden hochrangige Paschtunen umgebracht, hauptsächlich
Landbesitzer, die enteignet werden sollten. Eines der jüngsten Opfer war ein Lehrer. Der Mörder
wurde von der afghanischen Polizei gefasst. Er gehörte zum afghanischen Geheimdienst und
musste wieder frei gelassen werden.
In diesem schmutzigen Krieg sind die Bundeswehr und ihre staatsgläubigen Offiziere mental
überfordert. Sie wissen nie genau, von wem sie nachts beschossen werden. Sind es Taliban oder
Drogenbanden, deren Transportrouten durch die Straßensperren unterbrochen werden? Es könnten
aber auch Milizen des Gouverneurs sein. Die Bundeswehr wird immer tiefer in den Morast des USamerikanischen
Krieges hineingezogen. Die Substanz des UNO-Mandats, das den Einsatz
legalisieren soll, ist längst ausgehöhlt. Nichts von den offiziellen Argumentationen ist mehr stimmig.
Die Rechtfertigung, für Demokratie und Menschenrechte zu kämpfen, ist vorgeschoben. Afghanistan
ist zerrissener denn je und nicht durch eine gewalttätige Intervention ausländischer Truppen zu
befrieden.
Diese Realität kommt in der typisch deutschen Diskussion neben Themen wie dem Bombenangriff
auf Menschen in Kundus nicht vor. Es fehlt auch jede Empathie mit den verbrannten Opfern. Kalt,
technokratisch und kleinkariert wird über Rechtsfragen und eine zweifellos desaströse
Informationspolitik gestritten. Über die Opfer spricht man nur unter dem Aspekt, wie hoch die Zahl
der zivilen Toten war und wer zu den bewaffneten Aufständischen gehörte, denn nur eine große
Zahl von Bewaffneten könnte den Bombenterror wohl juristisch, keineswegs aber moralisch
begründen. Dass ein afghanischer Mann ein Gewehr trägt, bedeutet in diesem Teil des Landes
nämlich noch lange nicht, dass er auch schießt. Ein afghanisches Sprichwort lautet: »Ohne seine
Waffe ist der Paschtune nackt.«
Nach UN-Angaben gibt es in Afghanistan etwa 200 000 aktive Kämpfer, die fälschlich alle Taliban
(Koranschüler) genannt werden. Sie sind in rund 2400 Gruppen islamistischer und nationalistischer
Paschtunen, lokaler Milizen, von Drogenhändlern (im Norden oft in staatlicher Funktion), Anti-
Zentralisten oder bewaffneten Zedernholzschmugglern organisiert.
In allen Kulturen der Welt, selbst in den archaischen, ist es verboten, Menschen zu verletzen oder
gar umzubringen (außer in Notfallsituationen). Menschen zu verbrennen ist eine bestialische Art zu
töten. Barbarisch ist deshalb auch der Subtext in der deutschen Diskussion. Aus ihm hört man
eindeutig die Botschaft: »Taliban darf man abfackeln.« Das markiert den ethischen Tiefpunkt im
politischen Diskurs seit Gründung der Bundesrepublik. Haben die jungen, zweifellos verblendeten
afghanischen Kämpfer, gleichgültig, zu welcher Gruppierung sie gehören, kein Lebensrecht? Wie
würden wir heute darüber urteilen, wenn die Alliierten kurz vor Kriegsende alle fanatischen
Hitlerjungen umgebracht hätten?
Jeder Kriegstote ist unabhängig von der nationalen Zugehörigkeit eine humanitäre Katastrophe.
Dass unsere Politiker das nicht mehr so sehen, ist ein untrügliches Zeichen für die schlimmen
Rückwirkungen des Krieges auf unsere Gesellschaft. Moralische Maßstäbe und juristische Regeln
verlieren auch im Inland ihre Bindungskraft. Wer nach den Untaten der afghanischen Aufständischen
und Kriminellen fragt, dem muss man antworten: Die Schuld der anderen relativiert keinesfalls die
eigene Schuld. Wenn man für Werte einsteht, die man selbst nicht einhält, ist die Aufgabe
gescheitert. Der sogenannte Krieg gegen den Terrorismus ist nur noch blutiger Betrug.
* Hans Wallow war 1990 bis 1998 Bundestagsabgeordneter der SPD. 2001 verließ er die Partei.
Aus: Neues Deutschland, 27. Januar 2010
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