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Frage an Karlsruhe: Beging Klein Kriegsverbrechen?

Bundesanwaltschaft zeigt sich wenig geneigt zu Untersuchung des Bombenangriffs / Minister Guttenberg nennt tödlichen Luftschlag angemessen

Von René Heilig *

Nach dem verheerenden Angriff am 4. September auf zwei Tanklastwagen in Afghanistan wird nun die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens entscheiden. Der Angriff war vom Bundeswehroberst Georg Klein befohlen worden. Zu klären ist jetzt, ob in Afghanistan ein bewaffneter Konflikt herrscht. Falls ja, müsste bei der Beurteilung des Vorfalls statt des deutschen Strafrechts internationales Völkerrecht angewandt werden.

US-Kampfjets hatten am 4. September auf Befehl des Bundeswehr-Befehlshabers in Kundus, Oberst Georg Klein, zwei Tanklastzüge bombardiert, die von Taliban gekapert worden waren. Der Angriff war – entgegen der Ansicht des Generalinspekteurs Wolfgang Schneiderhan – militärisch nicht notwendig. Zudem wurden dabei zahlreiche Zivilisten umgebracht. Die Anzahl der Opfer, so sagt das Verteidigungsministerium unter Berufung auf einen NATO-Bericht, sei nicht zu ermitteln. Die Zahl der Toten liege zwischen 17 und 142.

Ursprünglich hatte sich die Leipziger Staatsanwaltschaft mit dem Fall beschäftigt, ihn aber alsbald an die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft abgegeben. Die nun wiederum lehnte am Freitag (6. Nov.) eine Zuständigkeit ab.

Als erste deutsche Anklagebehörde sind die sächsischen Ermittler zu dem Schluss gekommen, dass es sich in Afghanistan um einen »bewaffneten Konflikt« handelt, der nicht nach dem üblichen Strafrecht, sondern völkerstrafrechtlich zu beurteilen ist. Würde dem die Bundesanwaltschaft zustimmen, wäre dies eine neue Qualität in der Einschätzung der Situation in Afghanistan.

Die Staatsanwälte können sich in gewisser Weise auf den neuen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg berufen. Er hatte in der vergangenen Woche öffentlich erklärt: »In Teilen Afghanistans gibt es fraglos kriegsähnliche Zustände.« Und weiter sagte der CSU-Politiker gegenüber »Bild«: »Ich selbst verstehe jeden Soldaten, der sagt: ›In Afghanistan ist Krieg, egal, ob ich nun von ausländischen Streitkräften oder von Taliban-Terroristen angegriffen, verwundet oder getötet werde.‹«

Noch lässt die Bundesanwaltschaft wenig Engagement zur Übernahme des Falles erkennen. Man ließ verlauten: »Nach vorläufiger Bewertung der Erkenntnisse aus allgemein zugänglichen Quellen ergeben sich bisher keine tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat deutscher Soldaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch.« Die Sache ist in der Tat politisch diffizil. Die Einstufung der Lage in Afghanistan als »bewaffneter Konflikt« hätte weit reichende rechtliche Konsequenzen. Die Anwendung des Völkerstrafgesetzbuches bedeutet auch, dass Handlungen der Soldaten am humanitären Völkerrecht zu messen sind. Das beinhaltet die Verpflichtung, unbeteiligte Zivilisten zu schonen. Trotz vieler Auslegungsversuche gilt: Wer dagegen verstößt, muss – so die Beweise entsprechend eindeutig sind – als Kriegsverbrecher behandelt werden. Ob die Beweise im »Fall Klein« eindeutig genug sind, um Anklage über das normale Strafrecht hinaus zu erheben, müssen die Bundesanwälte erklären. Die sind an die Weisungen der Bundesregierung gebunden. Das Justizministerium wird von der liberalen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger geführt.

Der von seinen Kameraden als ruhig und besonnen geschilderte Bundeswehroberst Klein ist in Bedrängnis. Fazit des NATO-Untersuchungsberichts: Der Vorfall hätte nicht passieren können, wenn alle Befehle und Vorschriften eingehalten worden wären. Doch nicht nur er, sondern die politischen Führungen von Rot-Grün, Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb, die den Afghanistan-Einsatz mit Parlamentsvollmacht betrieben und betreiben, sind in Bedrängnis. Daher ist kaum zu erwarten, dass die Karlsruher Bundesanwälte sich für zuständig im Sinne des Völkerrechts erklären. Zumal der Verteidigungsminister inzwischen »zurück rudert«. Guttenberg hat gestern (6. Nov.) den Luftangriff als »angemessen« bezeichnet – so wie eine Woche zuvor bereits sein Generalinspekteur Schneiderhan.

Angesichts der bewaffneten Auseinandersetzungen in Afghanistan rechnet der evangelische Militärbischof Martin Dutzmann mit weiteren ähnlichen Vorfällen. Kriegerische Auseinandersetzungen, so sagte er gegenüber epd, seien immer unübersichtlich, dabei passierten auch Fehler.

* Aus: Neues Deutschland, 7. November 2009

Aus der Presseschau des Deutschlandfunks, 7. November 2009

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU nimmt Stellung zu den Äußerungen des Verteidigungsministers zu dem Rakentenangriff in Afghanistan:
"Guttenberg taktiert. Bei der Beurteilung des von Bundeswehr-Oberst Klein ausgelösten Bombardements am Hindukusch verpackt er seinen Freispruch in eine doppelte Botschaft: Ja, es gab Verfahrensfehler, sagt er. Und: Nein, sie waren nicht ausschlaggebend, denn der Beschuss war alternativlos. Dass dabei Zivilisten starben, bedauert der Mann von Herzen. Zur Verteidigung des Ministers sei angeführt, dass er mehr Empathie mit den Opfern erkennen lässt als sein Amtsvorgänger Jung. Mehr Offenheit im Umgang mit dem Vorfall aber simuliert er bloß. Auch er scheint nicht zu verstehen, dass derjenige die Parlamentsarmee am besten führt, der ihr Tun möglichst transparent und damit demokratisch kontrollierbar macht", konstatiert die FRANKFURTER RUNDSCHAU.

Die SCHWERINER VOLKSZEITUNG verweist auf einen anderen Aspekt:
"Neben der politischen geht es jetzt insbesondere um die juristische Aufarbeitung des Geschehens. Die zuständige Staatsanwaltschaft Dresden hat mit einem Paukenschlag reagiert. Die Bundesanwaltschaft soll prüfen, ob hier nicht normales Strafrecht, sondern Völkerstrafrecht angewendet werden muss. Bejaht Karlsruhe dies, wäre es das unwiderrufliche Ende der verharmlosenden Bezeichnungen für den Einsatz in Afghanistan. Oberst Klein, der in schwieriger Lage eine Entscheidung getroffen hat, müsste sich aufgrund hoher Hürden, die das Völkerstrafrecht setzt, kaum auf eine Anklage als Kriegsverbrecher einstellen", erläutert die SCHWERINER VOLKSZEITUNG.

"Die Soldaten haben einen Anspruch darauf, dass Vorwürfe gegen sie schnell von ebenso unabhängigen wie kundigen Juristen geprüft werden", argumentiert die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG.
"Deshalb muss für solche Fälle eine besondere Staatsanwaltschaft geschaffen werden. Die Streitkräfte, die letztlich von den Volksvertretern an den Hindukusch geschickt wurden, müssten wissen, dass Fehler geahndet und Straftaten verfolgt werden. Aber sie brauchen zunächst das Grundvertrauen, dass die Politik ihren Auftrag auch dann gutheißt, wenn es ernst wird", meint die F.A.Z.

Quelle: Deutschlandfunk; www.dradio.de




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